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Amtt- und Anzeige-latt für den Gberamtzbezirk Calw.
84. Iahrglmr.
Prfcheinungrra»r: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und TamStag. Jnsertionspreis iS Psg. pro Zeile sür Stadtu, Vezirksorte; außer Bezirk IS Pfg.
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Stuttgart 19. Okt. Mehr und mehr greift unter der Geschäftswelt eine gewisse Unsicherheit und Beunruhigung um sich, seit es allmählich bekannter wird, daß hier in der letzten Zeit verschiedentlich falsche Noten der deutschen Reichsbank zu100 in Umlauf gesetzt und zum Teil auch ohne Beanstandung für echt angenommen worden sind. Da beispielsweise ein derartiger Fall schon vor mehr als 8 Tagen ! vorkam, ist man allgemein erstaunt, daß weder die Polizeibehörde, die doch auch die Pflicht hat, das Publikum nach Möglichkeit vor Schaden zu bewahren, noch auch die hiesige Reichsbankhauptstelle Veranlassung genommen haben, die Geschäftsleute und das Privatpublikum durch sofortige öffentliche Bekanntgabe der besonderen Merkmale dieser Falsifikate vor deren Annahme zu warnen. Nachdem bereits mehrere sich in den Händen der obengenannten Stellen befinden, dürfte es auch angezeigt erscheinen, den größeren hiesigen Bank- instistuten und Firmen möglichst rasch durch persönliche Vorzeigung dieser Noten an die Hand zu gehen.
Stuttgart 19. Okt. Der Polizeibericht schreibt: Gestern vormittag 8 V-Uhr fiel an einem Neubau im Schliffweg aus bis jetzt nicht bekannter Ursache ein Betoniergerüst teilweise ein, wobei ein in der Baugrube beschäftigter 42 Jahre alter Taglöhner von einigen Dielen getroffen wurde. Er trug einen Unterschenkelbruch und eine Rückenquetschung davon. — Bei der König- Karlsbrücke stießen gestern vormittag 10 V- Uhr ein mit Backsteinen beladener Motorwagen und ein Straßenbahnwagen zusammen. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt, Personen jedoch nicht verletzt. — In der Marienstraße bekam gestern vormittag ein 76 Jahre alter Herr einen Schlag
Mittwoch, den 20. Oktober 1909.
anfall. — Gestern mittag 12 V- Uhr gingen in der Lindenstraße in Gablenberg zwei an ein Expreßfuhrwerk gespannte Pferde durch und rannten in der Hauptstraße auf das Fuhrwerk eines Eierhändlers auf. Hierbei kamen vie ersteren Pferde zu Fall, die Fahrzeuge wurden beschädigt, Personen wurden nicht verletzt. — Gestern abend V-»7 Uhr wurde auf der König- Karlsbrücke, Seite Berg, ein 7 Jahre altes Mädchen, das sich an ein Fuhrwerk hing und hinter diesem über die Straße sprang, von einem Automobil erfaßt und überfahren. Das Kind trug einen Bruch des linken Oberschenkels davon und wurde von dem Chauffeur nach der in der Talstraße in Gaisburg gelegenen elterlichen Wohnung übergeführt.
Simmersfeld OA. Nagold 19. Okt. Der Knecht von David Wurster in Aichhalden führte zwei zusammengehängte Wagen Papierholz hier durch. Als er von der Aichhalder Straße in die hiesige ziemlich steil abfallende Straße einlenkte, wurde wohl die Bremse zu spät angezogen und die Wagen kamen in raschen Gang. Ein Wagen ging dem Lenker des Fuhrwerks über den Fuß, wobei der Knecht Verletzungen am Fuß und Kopf davontrug. Außerdem wurde noch ein abseits stehender Wagen mitgerissen, auf dem das 6jährige Mädchen des Schmieds Rapp saß. Das Kind wurde schwer verletzt weggetragen; es weist fast am ganzen Körper Verletzungen auf.
Tübingen 19. Okt. Für die Zulassung von Damen zu Vorlesungen an der Universität sind neue Normen erlassen worden, die eine bedeutende Vereinfachung für die Damen wie für die Universitätsverwaltung darstellen. Bisher mußte die Erlaubnis für jedes Semester von neuem nachgesucht werden, das fällt jetzt weg, die Erlaubnis wird für jeden Fall ein für
vezugspr.t.d. Stadt'/ZLHrl.m.TrLgerl.Mk. 1.SS, Postbezugspr, f.d. OrtS- u. NachbarortSverk, '/.fährt. Mk. I.so, im Fernverkehr Mk. 1 .»o. Bestellg. in Württ. »0 Pfg., in Bagern n. Reich 4L Pfg-
allemal erteilt und nur bei der Wahl eines neuen Faches ist die Erlaubnis neu zu erbitten.
Eßlingen 19. Okt. Nachdem vor einiger Zeit schon einmal ein hiesiger Aviatiker mit einem selbstgebauten Aeroplan Flugversuche gemacht hatte, die leider negativ ausfielen, versuchte es dieser Tage der hiesige Kunstmaler Robert Schäle mit einem von ihm konstruierten Flugapparate. Der Apparat wird bei ihm nicht durch einen Motor, sondern durch die Füße bewegt, ähnlich einem Veloziped. Er erhob sich mehrere Male bis zu 7 Meter Höhe, beim letzten Versuche senkte er sich infolge falscher Steuerstellung rasch zu Boden, so daß der Fahrradbau völlig zerdrückt wurde. Ein Bruder Schüles der darin saß, blieb unverletzt. — Schäle hat auch ein lenkbares Motorluftschiff zum Patent angemeldet.
Heidenheim 19. Okt. Eine bis jetzt unbekannte Frau bot in mehreren Häusern ihren kleinen Knaben um eine ganz niedere Summe zum Kaufe an. Weil sie keinen Liebhaber fand, setzte sie das Kind, das in einer Straße schlafend aufgefunden wurde, aus. Bis auf weiteres ist der Knabe im Armenhaus untergebracht.
Mengen 19. Okt. In stattlichem Leichenzuge wurde der Oberförster a. D. Jakob Mayer zu Grabe getragen. Er erreichte ein Alter von 80 Jahren, wovon er nur 4 Jahre in dem wohlverdienten Ruhestand verbringen konnte. Seiner Verdienste wurde in den Grabreden rühmend gedacht und zum Zeichen der steten Erinnerung wurden von den Vertretern der Städte des Oberamts und den Vereinen verschiedene Kränze überreicht. Ein eigenartiger Zwischenfall ereignete sich bei der Einsegnung der Leiche auf dem Friedhof. Ein Feldhase vom letzten Satz hüpfte
Im Llosterhof.
Roman von B. v. Lancken.
(Fortsetzung.)
Armand nahm ein paar Stück Zucker aus der Tasche.
„Hier, damit Sie sich gut bei der kleinen Schwarzen einführen," sagte er. „Haben Sie schon mal einem Pferd Zucker gereicht? — Nein? Dann paffen Sie auf: Ganz flach die Hand, ganz flach die Finger, etwas nach unten gesenkt, damit das Tier den Zucker von dem Handteller nehmen kann und keinen Angriffspunkt für die Zähne hat. Aengstlich brauchen Sie nicht zu sein. So!"
Er nahm ihre Hand in die seine, und bei dieser Berührung durch - zitterte ihn ein leichter Schauer. Er konnte sich nicht darüber weg- täuscken: Inges Persönlichkeit fing an, einen Zauber auf ihn auszuüben, dem er sich immer weniger zu entziehen vermochte.
Am nächsten Morgen war er gegen seine Gewohnheit früh aufgestanden, und während die Damen auf der Terrasse beim Frühstück saßen, kam er gestiefelt, gespornt, den Strohhut in der Hand und sich mit einem Foulard die Stirn tupfend, vom Park her die breiten Stufen hinauf. Anna begrüßte ihn mit einem heiteren Wort, in dem ein Körnlein Wahrheit über sein frühzeitiges Erscheinen steckte.
„Wo warst Du denn schon?" rief Frau v. Ferni.
„Ich bin über die Felder geritten zu den Mähern, ich wollte die „Amsel" ein bischen abgaloppieren. Wir fangen doch heute unsere Reitstunden an, Fräulein v. Herrnstein?"
„Ah so," sagte Anna halblaut in ihre Kaffeetaffe hinein; sie kannte ihren Bruder zu gut, um nicht von vornherein einen gewissen Verdacht gegen seinen frühen Ritt auf die Felder zu haben, und sie erfuhr jetzt, daß sie sich nicht getäuscht hatte.
So nahmen im Verlauf des Vormittags die Stunden in der Bahn ihren Anfang, und es zeigte sich hierbei, daß Inge das Talent ihres Vaters geerbt hatte; Rittmeister v. Herrnstein war einst ein berühmter Reiter gewesen. Armand war ein entzückter und begeisterter Lehrer. Er, der selten pünktlich war und selten eine festgesetzte Zeit inne hielt, verfehlte diese Reitstunden', nie, ja, er war oft vor den Damen in der Bahn, und als er nach verhältnismäßig kurzer Zeit den ersten Spazierritt in den Park machen und dann diese Ritte immer mehr ausdehnen konnte, leuchteten ihm der Stolz und das Vergnügen aus den Augen. Das Leben im Klosterhof gewann mit einem Schlage ein ganz anderes Aussehen für Armand; hatte er es sonst still und langweilig gefunden, so fand er es jetzt anregend und amüsant; am amüsantesten aber, wenn er mit Inge allein war. Er begleitete sie in den Gemüsegarten, ein Gebiet, dem er sonst nie die mindeste Beachtung geschenkt hatte, und erkundigte sich beim Gärtner nach dem Gedeihen des Gemüses und Obstes; er zeigte Interesse für die prächtigen Gewächshäuser und ihre kostbaren Bewohner, die Lieblinge seiner Schwester Anna, und fand das größte Vergnügen an gemeinsamen Spaziergängen in die alten Wälder der Umgegend.
Diese Spaziergänge machten sie immer zu dreien; Anna, Armand und Inge; abwechselnd trug man ein Körbchen mit allerlei guten Sachen für das Frühstück oder Vesperbrot, das in den Klosterruinen oder an einem landschaftlich hübschen Punkt eingenommen wurde. Wenn dann das durch die Zweige fallende Sonnenlicht Inges feines Gesichtchen und schlanke Gestalt umschmeichelte, konnte Armand Ferni, auf weichem Moosgrund Inge gegenüber gelagert, keinen Blick von ihr wenden, und es überkam ihn ein leidenschaftliches Verlangen, sich ihr zu Füßen zu werfen und ihr von seiner immermehr wachsenden Liebe zu sprechen, so daß es seiner ganzen Selbstbeherrschung bedurfte, um zu schweigen. ^
Doch warum schwieg er? Warum wollte er noch schweigen? Einesteils war es die Unentschlossenheit seines Charakters, andernteils