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trägen für die Wanderarbeitsstätte mit seinen Tafeln herumging, wurde er in den meisten Häusern mit dem Bemerken wieder fortgeschickt, die Mark könne man sparen, die reisenden Hand­werksburschen kommen ja doch, und ohne ihnen den bekanntenRoten" gegeben zu haben, könne man sie doch nicht fortschicken. Einer hat sogar geäußert, lieber gebe er jedem Handwerksburschen 20 als daß er die Mark hinauswerfe. Sehen denn die Leute gar nicht ein, daß sie durch ein törichtes Verhalten der guten Sache geradezu entgegenarbeiten? Wie oft konnte man seither berechtigte Klagen hören über die Belästigung durch die vielen Handwerksburschen. Wenn jetzt durch die Errichtung von Wanderarbeitsstütten diesem Uebelstand abgeholfen werden soll, so sollte man annehmen dürfen, das Landvolk werde mit Freuden mithelfen. Statt dessen haben die Leute scheints im Sinn vor lauter Gutmütigkeit und scheinbarer Barmherzigkeit der wohltätigen Einrichtung entgegenzuwirken. Man möchte allen diesen Leuten zurufen: Helfet mit, indem ihr den Landstreichern keinen roten Heller mehr gebet, zahlet eure Mark, die ihr im Lauf des Jahres nicht bloß einmal ausgeben würdet (per Tag 1 ^ macht auf's Jahr sogar 3.65 ^!) und weiset jeden Bettler, und sei es der anständigste, unerbittlich an die Wanderarbeitsstätte Nagold!

Tübingen 8. Okt. Das Schwestern­heim, das sehr günstig direkt neben dem missionsärztlichen Institut steht und mit diesem verbunden wird, ist nun ebenfalls vollendet. Ein Gönner hatte s. Zeit 30000 ^ zur Errichtung eines solchen Heims gestiftet und man war in der Lage ein dort befindliches, noch neues Haus käuflich zu erwerben, das man nur umzubauen brauchte für den neuen Zweck. Für das geplante Tropenspital hätte man auch genügenden Platz in der nächsten Nähe des Instituts.

Ludwigsburg 8. Okt. Ein Fuhr­werk von Zuffenhausen fuhr die Kornwestheimer Straße nach Stammheim herab, wobei ein daher kommendes 8jähr. Mädchen ausglitt als es dem Fuhrwerk ausweichen wollte und mit einem Fuß in die Speichen eines Rades kam. Hiebei wurde dem Mädchen das ganze Fleisch vom Knochen getrennt. Es mußte alsbald ins Katharinenhospital nach Stuttgart verbracht und dort operiert werden. Wie man hört, soll der Fuß nicht mehr zu retten sein.

Heilbronn 8. Okt. Das Reichs­gericht in Leipzig hat dieser Tage ein kräftiges Urteil bestätigt, das manchem zur Warnung dienen kann. Am 16. Februar 1909 war der Hundebesitzer Albert Keller nach Illingen gefahren, um seinen kleinen Ratten­fänger zum Verkauf anzubieten. Er hatte auf

dem Hinweg eine Hundefahrkarte gelöst, dies aber auf dem Rückweg unterlassen, vielmehr gehofft, den Hund in der Dunkelheit durch­schmuggeln zu können. Er wurde ertappt und, da er rückfällig war, wegen Betrugs zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Seine Revision beim Reichsgericht wurde verworfen und das strenge Urteil damit rechtskräftig.

Freudental O.A. Besigheim 8. Okt. Der Privatier A. L. Wertheimer und seine Ehefrau Pauline geb. Stein feierten in voller Rüstigkeit das Fest der Goldenen Hochzeit. Vom König wurde dem Jubelpaar eine broncene Plakette mit dem Portrait des Königs überreicht.

Großglattbach O.A. Vaihingen a. E. 8. Okt. Gestern nachmittag kurz vor 12 Uhr sah man am Roßwager Wald einen Registrier- ballon vom Meteorologischen Institut in Straßburg an einer Eiche hängen. Der Bauer Ernst Renner von Roßwag holte ihn mit vieler Mühe herunter. In einem Briefe, der an dem Korb befestigt war, wurden dem 5 ^ versprochen, der ihn unversehrt nach Straßburg schicke. Früher war die Belohnung höher und entsprach der mit der Bergung oft verbundenen Mühe und Gefahr bester.

Oehringen 8. Okt. Der vom 5. auf 6. Oktober in den Druckerei- und Bureauräumen desHohenloher Boten" ausgeführte raffinierte Einbruch veranlaßt den Verlag um besondere Aufmerksamkeit auf solche verdächtige Personen zu bitten, die sich durch größere Geldausgaben, Wechselnlassen von Geld oder durch den Versuch, ein paar goldene Manschettenknöpfe oder einen goldenen Zwicker zu verkaufen, auffällig machen. Besonders Wirte und Besitzer von Herbergen dürften Gelegenheit bekommen, solche Leute zu beobachten. Dem Dieb, der offenbar bei der Tat die Stiefel abgelegt hatte, fielen Hundert­markscheine, ein Zehnmarkschein, Zwanzig- und Zehnmarkstücke, Fünf- und Zweimarkstücke, sowie Kleingeld in die Hände. Auch Briefmarken, die 25er, 40er und 50er mit einem Couvert der Firma, sowie jedenfalls auch amtliche, hat sich der Täter angeeignet. Für sachdienliche Mit­teilung, besonders auch für Beischaffung von Geraubtem ist eine hohe Belohnung ausgesetzt.

Bad Mergentheim 8. Okt. Am Mitt­woch abend brachte sich ein junger Mann aus München einen Schuß in die rechte Bauchseite bei. Nachdem er einige Stunden hilflos auf einem Acker gelegen hatte, wurde er von der freiwilligen Sanitätskolonne in das Krankenhaus Karolinum" gebracht. Sein Zustand gibt Aus­sicht auf Wiederherstellung.

Wasseralfingen 7. Okt. Heute früh fand die Ueberführung der Leiche des vorgestern

früh durch die Explosion einer Erdöllampe umS Leben gekommenen Dr. Blumhardt zum Bahn­hof statt. Die gesamte Beamtenschaft des K. Hüttenwerks und ein großer Teil der Arbeiter mit der Bergmusik gaben dem Leichenzug das Geleite zum Bahnhof. Die Arbeiter der Gießerei hatten, um sich am Zug beteiligen zu können, schon um 4 Uhr die Arbeit begonnen, dem Ver­unglückten zuliebe, der hier außerordentlich beliebt war. Die Familie ist deshalb besonders zu be­dauern, weil erst vor einigen Jahren eine nahe Verwandte ebenfalls durch einen gräßlichen Un­fall dahingerafft wurde; sie wurde vom Zug überfahren.

Rottweil 8. Okt. Am Gymnasium scheinen sehr unbefriedigende Zustände zu herrschen. Es wurde vor zwei Monaten nötig, die Reife­prüfung wegen Betrügereien zu kas­sieren, und nun ist man auch zwei verbotenen Verbindungen auf die Spur gekommen, von welchen eine mehrere Jahrzehnte bestehen soll. Die Untersuchung hat so belastende Tatsachen zutage gefördert, daß mehrere Gymnasisten mit sofortiger Ausweisung aus der Anstalt bestraft worden sind, gegen andere wurden schwere Karzerstrafen bis zu 24 Stunden verhängt. Be­kanntlich sehen die amtlichen Vorschriften gegen Gymnasistenverbindungen überall die schärfsten Strafen vor (in Bayern sogar Ausschluß aus allen bayerischen Schulen) und bei der schädlichen Wirkung solcher meist auf ödes Saufen gerichteten Vereine kann man die Strenge der Schulbe­hörden nur billigen.

Schramberg 8. Okt. Unter dem Ver­dacht, den Brand in der Moserschen Möbel­fabrik verursacht zu haben, wurde der ca. 35 Jahre alte verheiratete Maschinenarbeiter Adolf Kaiser verhaftet und in das Untersuchungs­gefängnis nach Rottweil eingeliefert. Die Ver­haftung wurde bei einer Vernehmung durch Amtmann Schmierer von Oberndorf vorgenommen. Der durch den Brand verursachte Schaden ist größer als zuerst angenommen wurde. Eine Anzahl Arbeiter sind entlassen, andere sind mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Der Betrieb soll provisorisch in der alten Fabrik und in Räumen der Steingutfabrik ausgenommen werden.

Schramberg 8. Okt. Die bei den vier in diesem Jahre ausgebrochenen Bränden zu Tage getretenen Mißstände erheischen dringend Abhilfe, wenn einem größeren Unglück vorgebaut werden soll. Die Lehren, die daraus zu ziehen sind, wurden in der gestrigen Sitzung der Kollegien erörtert. In erster Linie handelt es sich um den Ausbau der Wasserleitung und dann um den der Feuerwehr. Für letzteren müssen un­bedingt weitere Utensilien beschafft werden. Die

Mädchen in der Großstadt herantritt. Inge seufzte schmerzlich und in ihr Schicksal ergeben.

Gnädiges Fräulein!" Die kleine bewegliche Chambregarnie-Wirtin steckte den Kopf zur Türspalte herein. Inge fuhr zusammen.

Was gibts?"

Eine Dame!"

Besuch war etwas Seltenes hier oben; rasch warf das Mädchen einen prüfenden Blick über den Raum, ob er geordnet genug sei, einer Fremden den Eintritt zu gestatten.

Ja, liebe Frau Klinger, haben Sie denn der Dame gesagt, daß meine Mutter krank und im Bett ist?"

Jawohl, Fräuleinchen, aber sie meint, das tue nichts, sie sei Freundschaft von der gnädigen Frau."

Mein Gott, wäre das möglich!" rief Inge fast erschrocken. Sie warf die Arbeit auf den Stuhl und eilte der Tür zu, die Frau Klinger nun vollends geöffnet. Im Halbdunkel des langen Berliner Korridors erblickte sie eine Dame in einfacher Straßentoilette und eilte auf sie zu.

Ich weiß nicht, ob ich irre, gnädige Frau. Habe ich die Ehre, Frau v. Ferni?"

Ja, mein liebes Kind, die bin ich, mußte mich doch mal selbst nach meiner Ada umsehen."

Wie gütig! Bitte, treten Sie näher. Sie finden freilich Mama im Bette.und recht krank."

Recht krank? Wirklich?"

Marianne Ferni trat ein, Inge folgte und schloß, unbekümmert, daß sie die arme Frau Klinger von unbefriedigtem Wissensdrang gequält, die Tür.

Frau v. Herrnstein schlief infolge einer etwas mit Morphium gemischten Arznei so fest, daß sie nicht erwachte; darum setzte sich Marianne aufs Sofa und zog das junge Mädchen neben sich.

Sie sind Inge, mein liebes Patenkind," sagte sie, freundlich ihre

Wangen streichend.Als nach dem Tode von zwei Jungen das Haus ganz einsam war, und Sie dann geboren wurden, war Ihre Mutter so beglückt! Und wie recht hatte sie, glücklich zu sein, was sollte sie jetzt anfangen ohne ihr treues Töchterchen!"

Inge lächelte errötend, und dies Lächeln gab dem feinen stolzen Gesichtchen einen holden, weichen Reiz. Marianne betrachtete sie gütig und prüfend zugleich.

Wem Sie nur ähnlich sind," fuhr sie sich besinnend fort. Mir scheint, Sie haben sich von beiden Eltern etwas und setzte sie lächelnd hinzuvon beiden das Beste ausgesucht. Nun aber erzählen Sie, sprechen Sie offen, wie Sie's zu der ältesten und treuesten Freundin Ihrer Mutter tun dürfen."

Inge schwieg, und Ihre Blicke irrten unruhig am Boden hin und her sie kämpfte innerlich ihr Stolz sträubte sich, einer ihr persönlich doch Fremden all' das Elend und die Kümmerniste zu enthüllen, unter denen sie und die Mutter gelitten und die ihr Leben getrübt und

dieser Stolz in ihr war stärker als das Verlangen ihres Herzens, ihre

Sorgen und Leiden einer anderen Seele anzuvertrauen. Marianne Ferni zog Inge näher zu sich heran, legte die Arme um ihre Schulter und hob sanft den leicht gesenkten Kopf des jungen Mädchens.

Meine liebe Inge," sagte sie,seien Sie offen gegen mich, ich bin doch gekommen, um Ihnen und Ihrer Mutter zu nützen. Wenn Sie wüßten, welche Freude es ist, denen, die man liebt, helfen zu können."

In Inges Augen glänzten Tränen.

Ich weiß es, daß Sie so denken und fühlen, Mama hat es mir

schon einmal gesagt, aber das ändert für mich nichts daran, daß es mich

bedrückt und daß ich die Tatsache, die uns zwingt, es anzunehmen, schrecklich finde," stieß sie erglühend hervor.

Sie sind sehr stolz, scheint mir", entgegnete Marianne,das ist unter Umständen etwas Löbliches, aber auch für den Stolz gibt es Grenzen, mein Kind."