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Erzberger in nahezu Zsiünd. Rede die Haltung der Zentrumsfraktion bei der Erledigung der Reichsfinanzreform, wobei er fortwährend durch Zwischenrufe unterbrochen wurde. Nachdem der Referent unter stürmischem Beifall um 11 Uhr seinen Vortrag beendigt hatte, ergriff zunächst das Mitglied der Volkspartei Kaufmann Jlg das Wort, um mehr oder weniger geschickt den Redner und seine Fraktion anzugreifen. Als er geendet, jubelte auch ihm eine große Menge bei­fällig zu. Der sozialdemokratische Parteisekretär Pflüger ging scharf gegen Erzberger und das Zentrum vor. Dröhnender Beifall begleitete seine Ausführungen als er die Zentrumspolitik als volksfeindlich verurteilte und Beispiele des im Zentrum herrschenden Terrorismus anführte. Als Pflüger geendet, hatte er einen sehr großen Teil der Versammlung auf seiner Seite. Nach einer vorher erfolgten Ankündigung des Versammlungs­vorsitzenden sollte nun der Tabakarbeiter Heissing zu Wort kommen. Statt dessen erteilte der Vorsitzende v. Kiene dem Referenten Erzberger das Wort. In diesem Augenblick holte die starke Opposition zum Gegenstoß aus. Minutenlang dauerten die unerhörten Lärmszenen, die Erzberger am Sprechen verhinderten. Gellende Pfiffe über- tönten den Tumult. Unaufhörlich versuchte v. Kiene die Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, indem er unausgesetzt die Glocke in Bewegung setzte. Alles drängte zum Rednerpult, vor dem Erzberger lebhaft sich mit seinen Freunden be­sprach. Als der Lärm und das Gejohle eine Viertelstunde gedauert hatte, trat Parteisekretär Pflüger auf das Rednerpult und mahnte zur Ruhe. Der Vorsitzende habe nicht richtig ge­handelt, als er Erzberger den Vorrang vor Heissing einräumte. Dem Skandal wurde erst dadurch ein Ende bereitet, als die Sozialdemo­kraten es durchsetzten, zuerst den Tabakarbeiter Heis sing zu Wort kommen zu lassen. Nach ihm hielt Erzberger seine Verteidigungsrede, fort­während durch Zwischenrufe unterbrochen. Die Mitternacht war schon längst vorüber, als noch ein vierter Diskussionsredner die Tribüne bestieg, von tosendem Lärm empfangen. Während ein Teil der Versammlung den Redner am Sprechen zu hindern suchte, trat ein anderer Teil unter lebhaften Zurufen für denselben ein. Die Stim­mung war inzwischen derartig erregt geworden, daß an verschiedenen Stellen besonnene Elemente Tätlichkeiten verhindern mußten. Kurz vor 2 Uhr schloß der Vorsitzende v. Kiene die Versammlung mit einem Hoch auf das Zentrum, ein Genosse brachte ein Hoch auf die internationale Sozial­demokratie aus. Unter dem Gesang der Arbeiter­marseillaise verließen die Genossen den Saal, während die Anhänger des ZentrumsDeutsch­land, Deutschland über Alles" anstimmten.

Stuttgart 2. Okt. Eisenbahnunfall. Als der um 1.59 Uhr nach Schorndorf abgehende aus 4 Personenwagen, einem Post- und einem bayrischen Güterwagen bestehende Zug in der linken Bahnhofhalle auf ein anderes Gleis über­geführt werden sollte, wurde beim Rangieren der letzten zwei Wagen infolge Versagens der Bremse der letzte Güterwagen über die Drehscheibe auf auf den Pxrron hinaufgestoßen und blieb gerade vor der Mauer beim Postamt stehen. Bahnsteigschaffner hatten durch rechtzeitige War­nung das Publikum aus der Umgebung der Unfallstelle gewiesen, wodurch ein großes Unglück verhütet wurde. Das eiserne Geländer wurde zerbrochen und das Mauerwerk des Bodens etwas aufgerissen. Eine zahlreiche Menschen­menge hatte sich in der Bahnhofhalle angesammelt, welche die sofort eingeleiteten Aufräumungs­arbeiten beobachteten. Nachdem eine Anzahl Schwellen gelegt waren und vermittels Winden der Wagen allmählich auf das Gleis hinabgedrückt worden war, zog eine Lokomotive dann den Wagen über die Drehscheibe auf das Gleis zurück.

Herrenalb 2. Okt. Heute nacht brach im Gasthaus z.Waldhorn" hier aus un­bekannter Ursache Feuer aus. Die Bewohner konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Der schnell herbeigeeilten Feuerwehr gelang es, den Brand auf die oberen Teile des Gasthauses zu beschränken. Der Besitzer ist unter dem Ver­dachte der Brandstiftung verhaftet worden.

Güglingen OA. Brackenheim 2. Okt. Der frühere Schultheiß Betz von Michelbach OA. Oehringen kam auf Besuch zu seinem Bruder, dem Bahnhofrestaurateur Betz, hierher. In der Nacht darauf verfiel er in geistige Umnachtung, ging im Hemd aus dem Hause in die Weinberge und verführte ein Geschrei. Er wurde herein­geholt und mußte bei Tageanbruch ins Bezirks­krankenhaus geschafft werden, von wo aus seine Verbringung in eine Heilanstalt bewerkstelligt wird.

Heilbronn 2. Okt. Das schwäbische Landesturnfest, das Heuer in Heilbronn abgehalten wurde, hat einen Ueberschuß von über 5000 -/// ergeben. An Eintrittsgeldern sind für Turnerkarten rund 16 000^, von Festbesuchern ca. 1.7 000 ^ eingenommen worden. Der Um­satz in Bier betrug 26000 Liter, Wein wurden 9000 Liter verzapft.

Gmünd 2. Okt. Heute früh 6 Uhr schwebte, von Süden kommend, ein stattlicher bemannter Ballon über unsere Stadt. Die Vermutung, daß es sich um einen Teilnehmer an dem Gordon-Bennet-Wettfliegen handle, das gestern nachmittag 4 Uhr in Zürich seinen An­fang nahm, fand in Mutlangen ihre Bestätigung. Dort ging der Ballon bis auf etwa 80 Meter

herunter und warf in der Nähe des Bauern- hölzles ein langes Seil aus. Einwohner von Mutlangen eilten hinzu, in der Meinung, der Ballon wolle landen. Sie wurden von den Insassen nach dem Namen von Ortschaften ge­fragt. Die Luftschiffer warfen dann Ballast aus und flogen in der Richtung auf Ruppertshofen weiter, nachdem sie in Mutlangen ein Telegramm mit der Bitte um Beförderung ausgeworfen hatten. Dasselbe lautete: An Depeschenagentur Zürich. Leutnant v. Holthoff, BallonAtlas", Mitfahrer Kalin. 2. Oktober, 6 Uhr morgens, Schwäbisch Gmünd bei Regen überflogen. Holthoff. Der Ballon hat also die in der Luftlinie ca. 200 Kilometer lange Strecke ZürichGmünd in 18 Stunden zurückgelegt. Möge er glücklich landen.

Hall 2. Okt. Heute früh '/-8 Uhr wurden hier zwei Freiballons gesichtet, die anscheinend an dem Züricher Wettflug teilnehmen. Der eine flog auf der rechten, der andere auf der linken Seite des Kocher in nordwestlicher Richtung.

Rottweil 2. Okt. Der bei dem Kommer­zienrat E. Junghans bedienstete Chauffeur Karl Anger ist zu einer Geldstrafe von 30 ^ sowie zur Tragung der Kosten verurteilt worden, weil er Mitte August ds. Js. die zum Halten auffordernden Zeichen des Handelsmanns Joseph Handschuh aus dem Hechinger Oberamt, der mit seiner Frau und einem Kind auf dem Wagen dem Automobil entgegenkam, nicht beachtete, sodaß das Pferd durchging und die Frau und das Kind des Handschuh durch Herausschleudern aus dem Wagen erhebliche Verletzungen erlitten.

Buchau 2. Okt. Heute nacht 2 Uhr passierte ein Luftballon in ganz geringer Höhe fast die Dächer streifend die Stadt. In der Nähe der Synagoge wurde der Nachtwächter Winghart von den Insassen angerufen und ge­fragt ob sie sich über Buchau befinden. Die Verständigung war vorzüglich, denn bestens dankend fuhren die Luftschiffer in der Richtung Oggels- hausen weiter. Heute früh halb 7 Uhr folgte ein zweiter Ballon, der über dem Bahnhofhotel ebenfalls in geringer Höhe direkt dem See zu­steuerte. Die Ballons sind gestern in Zürich zu den internationalen Ballonwettflügen aufgestiegen.

Pforzheim 2. Okt. In einer hiesigen großen Goldkettenfabrik hat eine Anzahl an den Maschinen beschäftigter Arbeiter die Arbeit eingestellt, weil ihnen eine Lohnherab­setzung angekündigt wurde.

Vom Bodensee 2.Okt. Der schwere Unglücks fall an dem Neubau in der Turnier­straße zu Konstanz ist auf Fahrlässigkeit beim

Endlich dämmerte der Tag; er brachte verhältnismäßige Ruhe mit ; sich. Ich war jetzt imstande, meine Lage ins Auge zu fassen. Sie war ^ allerdings verzweifelt! Was sollte ich tun? An wen konnte ich mich wenden? An meine Mutter? Niemals! Sie war ja auch nur ein hilf­loses Weib wie ich. Dann fiel mir Herr Norman eirn Ich hatte das Gefühl, daß ich ihm vertrauen könnte.

Sofort stand mein Entschluß fest: zu ihm wollte ich gehen. Es war mir klar, daß ich nichts tun dürfte, was im geringsten auffällig erscheinen könnte. Darum durfte ich auf keinen Fall vor halb acht das Haus ver­lassen. Um diese Stunde konnte man annehmen, ich ginge zum Frühstück.

Langsam verrannen die Stunden, entsetzliche, furchtbare Stunden! Endlich war es Zeit. Ich ging aus, rief eine Droschke an und fuhr nach Herrn Normans Haus. Ich klingelte und fragte, ohne die geringste Verlegenheit zu erraten, nach dem jungen Herrn. Der Diener machte ein erstauntes Gesicht und schien mich nicht einlassen zu wollen. Aber ich bestand darauf er müsse mich sofort melden.

Herr Norman erschien im Salon, in den man mich geführt hatte. Trotz meinem dichten Schleier erkannte er mich sofort und bat mich in der teilnehmendsten Weise, ihm zu erzählen, was mir zugestoßen wäre. So kurz wie möglich erzählte ich ihm mein Erlebnis.

Sie können sich denken, mit welchem Entsetzen er meine Geschichte anhörte. Als ich fertig war, ging er eine Zeitlang, ohne zu sprechen, im Zimmer auf und ab. Dann setzte er sich, mit einer gewaltsamen An­strengung, ruhig zu erscheinen, wieder an meine Seite und sagte:

Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß Ihnen nichts anderes übrig bleibt, als ins Roscmere-Hotel zurückzugehen."

Ich glaubte er wolle mich allein an den Ort des Schreckens zurück­kehren lasten, aber hierüber beruhigte er mich sofort, indem er erklärte, er werde mich nicht verlassen, solange ich seine Hilfe brauche oder begehre. Er betonte besonders die Notwendigkeit, die Leiche so bald wie möglich aus der Wohnung herauszuschaffen. Es fragte sich nur, wohin sie gebracht

; werden sollte. Er schlug verschiedene Verstecke vor, aber bei näherer j Ueberlegüng erwiesen diese alle sich als unzulänglich. Plötzlich fiel mir die leerstehende Wohnung ein, die der unsrigen gegenüberlag. Als er hörte, daß augenblicklich Handwerker darin arbeiteten um sie neu herzu­richten, erklärte er, einen besseren Platz könnten wir für unsere Zwecke nicht finden, und wir mußten daher den Versuch machen, ihn uns zugänglich zu machen.

Die nächste Schwierigkeit bestand darin, Herrn Norman unbemerkt in unsere Wohnung zu schaffen. Offen konnte er sie natürlich nicht betreten. Zuletzt kam er auf den Gedanken, sich zu diesem Zweck als Fleischergeselle zu verkleiden. Wir müßten gleichzeitig das Hotel betreten ich durch den Haupteingang, er durch die Hintertür. Dann sollte ich ihn in unsere Küche einlassen, was leicht geschehen konnte, ohne daß es jemand merkte. Dieser Plan schien mir verhältnismäßig noch der beste zu sein, und ich erklärte Mich also damit einverstanden.

Die Verkleidung machte ihm keine Schwierigkeiten. Während ich in einem nahegelegenen Restaurant, in das er mich geführt hatte, auf ihn wartete und auf sein dringendes Bitten eine Kleinigkeit was mir schwer genug wurde, ging er wieder nach Hause, zog einen alten Anzug an und setzte einen Hut auf, der schon einmal Schiffbruch gelitten hatte. Es gelang ihm, sich eine Aufwärterschürze anzueignen, die er sich unter die zugeknöpfte Jacke stopfte, und unbemerkt aus dem Hause heraus­zukommen. In der nächsten Straße band er sich unter einem Torweg die Schürze um, ging dann kühn in einen Laden und kaufte einen großen Henkelkorb, in den er zur Vorsicht noch einige Wurstwaren hineintat, die er sich in einem anderen Laden besorgte.

Die Ausführung unseres Planes gelang in allen Stücken. Die Hauptschwierigkeit, den Schlüffe! zur leeren Wohnung zu erlangen, erledigte sich sehr glatt; ich sah ihn im Schloß stecken und brauchte ihn nur abzuziehen. Kein Mensch merkte etwas.

(Schluß folgt.)