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Amts- und Anzelgeblatt für den Gberamtsbezirk Calw.

84. Jahrgang.

Erscheinungsrage: Montag, Dienstag, MittwoH, Donnerstag, Freitag und Samstag. Jnsertionsprers io Vfg. pro Zeile für Stadt u.Vezirksorte; außer Bezirk 12 Pfg.

Freitag den 10. September 1909.

BezugSpr.i.d. Stadt'/.jiihrl.m.Lrägerl.Mk. 1.SS. PostbezugSpr. f-d. Orts- u. Nachbarortsoerk. >/,jährl. Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.S0. Bestellg. in Württ. so Pfg., in Bayern u. Reich 4 L Pfg.

TsgesAsrügMterr

-Sf. Tein ach 10. Sept. Am nächsten Montag wird uns Herr Pfarrer Scholl ver­lassen, um in Kusterdingen bei Tübingen seine Wirksamkeit zu entfalten. 16 Jahre lang wartete er hier seines Amtes mit seltener Gewissen­haftigkeit und Pflichttreue. In Lehre und Leben bewies er, daß es ihm mit dem Christentum ernst sei. Auch andere von dem seligen Stand eines wahren Christenmenschen zu überzeugen, war sein aufrichtiges Bestreben. Eine treue Stütze in dem oft so schweren Beruf eines Seelsorgers war für ihn seine Gemahlin, die Frau Pfarrer. Ueberall, wo sich Kümmernisse und Nöten einstellten, war sie zu finden, freundlich tröstend und liebevoll helfend. Unvergessen wird diese edle Pfarr- familie bleiben und dankbar wird sich ihr die Kirchengemeinde Teinach auch in künftigen Tagen erinnern. Gottes reichster Segen begleite sie an ihren neuen Bestimmungsort.

Zuffenhausen-9. Sept. Auf der Straße von Zuffenhausen nach Kornwestheim bei den Steinbrüchen hinter der Knecht'schen Ziegelei überschlug sich gestern nachmittag das Auto­mobil der Stuttgarter Familie Ost er tag- Siele. Die Ursache des Unfalls ist noch nicht bekannt. Der Chauffeur und die beiden Insassen, ein Diener und ein Zimmermädchen wurden herausgeschleudert und schwer verletzt. Ein hinzu­kommendes Automobil hob den Diener und das Zimmermädchen auf und verbrachte sie in das Wilhelmhospital nach Stuttgart, während der Chauffeur zunächst für tot liegen gelassen wurde, bis die hinzukommenden Arbeiter aus dem Stein­bruch bemerkten, daß er noch lebte, und auch seine Ueberführung ins Wilhelmhospital nach Stuttgart veranlaßten. Der Chauffeur hat eine

schwere Gehirnerschütterung erlitten. Den beiden Insassen geht es verhältnismäßig gut.

Stuttgart 9. Sept. Herzog Robert von Württemberg wurde nach seiner Er­nennung zum württ. Oberst vom Kaiser nunmehr auch zum Obersten in der preußischen Armee und zwar Lin suit,« des 2. pommerschen Ulanen-Regts. Nr. 9 ernannt.

Stuttgart 9. Sept. Die Divisions­manöver haben heute ihren Anfang genommen. Die 26. Division manöverierte in dem Gelände zwischen Bietigheim und Heilbronn; bei der 27. Division fand ein Manöver gegen einen mar­kierten Feind in dem Gelände bei Winnenden statt. Der Generalinspekteur der 3. Armee­inspektion Generaloberst v. Bock und Polach, und der komm. General, Herzog Albrecht, wohnten heute in Begleitung von Offizieren ihrer Stäbe dem Manöver der 27. Division bei.

Vom Zabergäu 9. Sept. Die Tabak­äcker stehen vor der Ernte und haben sich von der Stockung des Wachstums im Juni und Juli recht gut erholt. Die erste Ernte, das Abblatten, wird in nächster Woche eingeheimst. Die Tabak­bauern hoffen noch eine günstige zweite Ernte, den Nachtabak, zu bekommen. Einzelne Aecker mußten allerdings wegen Mißwachs durch das Hauptzollamt Heilbronn ausgenommen werden, doch waren es nicht gar viele. Die Oehmdernte hat nach Quantität und Qualität gut ausgegeben. Beim Kartoffelgraben macht man die leidige Be­obachtung, daß ziemlich viel Engerlinge, bekannt­lich die Larven des Maikäfers, im Boden sind. Die Kartoffeln sind Heuer auch nicht so schmack­haft wie voriges Jahr. Es war ihnen der Jahr­gang entschieden zu naß.

BöckingenOA. Heilbronn 9. Sept. Eine

schlimme Ueberraschung wurde gestern, lt. Heilbronner Gen.-Anz.", einem hiesigen Land­wird zu teil. Als er in der Frühe seinen Stall betreten wollte, sah er zu seinem Schrecken, daß die Decke eingestürzt warund das Vieh teilweise halb bedeckt in den Trüm­mern lag. Durch rasch herbeigeholte Nachbarn und einigen Bauhandwerkern gelang es, das große Oekonomiegebäude, in welches der Stall eingebaut war, durch Anbringung von Stützen vor weiterem Einsturz zu bewahren, und so das Vieh aus seiner gefährlichen Lage zu befreien. Von dem Viehbestand zeigen mehrere Tiere bedeutende Verletzungen. Der Einsturz erfolgte dadurch, daß die eisernen Durchzüge des Stall­gebäudes durchgerostet waren und infolgedessen unter dem Drucke der über der Decke aufgespeicher­ten Futter- und Getreidevorräte in der Mitte abbrachen. Das Oekonomie- und Stallgebäude ist erst vor ca. 20 Jahren erbaut worden.

Unterkochen OA. Aalen 9. Sept. Gestern abend V-11 Uhr ist in der großen Papierfabrik Unterkochen im Stall­gebäude Feuer ausgebrochen, das sich sehr rasch ausbreitete und die drei großen massiv gebauten Fabrikgebäude mit sehr wertvoller Einrichtung vollständig einäscherte. Die Feuerwehr von Aalen leistete tatkräftige Hilfe. Wie man uns nachträglich mitteilt, sind die beiden Papier­maschinen und die Calander, sowie die Dampf- und Kraftanlage intakt geblieben, so daß der Betrieb bald wieder ausgenommen werden kann.

Hall 9. Sept. Die Luftschiffhalle bei Gailenkirchen ist fertig. Wann die Füllung des Luftschiffes und die ersten Fahrten statt­finden werden, ist noch nicht bekannt. Das Ein­treffen des Majors Sperling wird erwartet.

2» Abt Wilhelm in Hirsau 10691091.

16. Ter Hirsauer Brief gegen Clemens III.

(Fortsetzung.)

Sind schon jene liebenswürdigen Benennungen des Hirsauer Brief­schreibers geeignet, uns über dessen Persönlichkeit aufzuklären, so beweist alles, was über den Inhalt jener Hirsauer Schrift von ihrem Bekämpfer mitgeteilt wird, die Entschiedenheit, mit der das kirchliche System mit allen seinen Folgerungen festgehalten wird, die Gelehrsamkeit, die in der geschichtlichen Beweisführung dem Papst Gregor VII zu Hilfe kommt, die Bestimmung des Hirsauer Schreibens für die weitesten Kreise, daß niemand anders der Verfasser sein kann als Abt Wilhelm selber, der bis zu seinem nicht mehr fernen Tode die Fahne hochhält, für die er gekämpft hat seit dem Tage, da er die Leitung des Hirsauer Klosters übernommen hat, und nicht aufhört, seine ganze Kraft einzusetzen für die Sache, die ihm als die gerechte und Gott wohlgefällige erschienen ist, der gerade in diesem kritischen Zeitpunkt tapfer seinen Mann stellte, wo die gregorianische Sache unterlegen zu sein schien, indem die sächsischen Bischöfe ihren Frieden mit dem Kaiser gemacht hatten, und dieser im Begriff war, nach Italien aufzubrechen, um Papst Urban II und die Markgräfin Mathilde, seine unversöhnlichste und mächtigste Feindin, zu vernichten.

Auf die Einheit der Kirche bezieht sich der Streit beider Gegner, der unversöhnlich war, weil beide in einem und demselben Irrtum befangen waren. In der Auslegung der Stelle:Es wird eine Herde und ein Hirte werden" (Joh. 10, 16) stimmen beide darin überein, daß sie unter dem einen Hirten nicht sowohl das unsichtbare Haupt der Gemeinde verstehen, das ihr die Verheißung hinterlassen hat:Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende" Matth. 28, 20, sondern seinen angeblichen Statthalter in Rom, seinen sichtbaren Stellvertreter, und daß sie unter der einen Herde nicht die in aller Welt zerstreute,

allein Gott bekannte Gemeinde derer verstehen, die durch das Band des­selben Geistes des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung innerlich mit einander verbunden sind, sondern die sichtbare Schafherde, die folgsam und urteilslos sich der Hierarchie blindlings unterwirft, und das höchste Verdienst in das Opfer des eigenen Verstandes und des eigenen Willens setzt. Bloß darüber waren beide Gegner uneins, daß der eine Gregor VII, beziehungsweise seinen Nachfolger Urban II, für den rechtmäßigen Hirten hielt, und die Gregorianerpartei für die richtige Herde, während der andere diesen Anspruch erhob für den Gegenpapst Clemens III und dessen Partei.

Was der Gegner von der Hirsauer Schrift mitteilt, läßt erkennen, daß sie in einem maßvolleren und würdigeren Tone abgefaßt war als die uns erhaltene Gegenschrift. Der kaiserliche Gegenpapst hatte in seinem Rundschreiben die gregorianische Partei eineSynagoge des Satans" genannt. Das ist eine Probe des berühmten Kurialstils, in dessen An­wendung beide Päpste einander gegenüber wetteiferten, wie es bis auf den heutigen Tag Mode geblieben ist, statt den Gegner mit den Waffen des Evangeliums zu bekämpfen, schmähend und verdammend über jeden herzufallen, der das Unglück hat, abweichender Ansicht zu sein. Es ist nicht zu verwundern, daß Abt Wilhelm energisch protestiert gegen eine solche Bezeichnung und mit Wärme seine heilige Mutter Kirche verteidigt, unter der er die Söhne Gottes verstehen will, die vom Geiste Gottes getrieben werden und deren Wandel im Himmel ist. Wibert ( Clemens III) nenne sich lügnerischKnecht der Knechte Gottes" diesen Titel, der hinter seiner demütigen Form doch den Anspruch auf die Alleinherrschaft in der Kirche birgt, pflegten sich die Päpste schon seit 500 Jahren bei­zulegen; sein Fluch schade den frommen Hirsauer Mönchen ebensowenig, als es einst dem großen Ordensstifter Benedikt geschadet habe, als ihm der Teufel zurief:mnlsckieto, non boneckiete" d. h. Verfluchter, nicht Gesegneter!