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Amts- und Anzelgeblatt für den Gberamttbezirk Calw.
84. Iahrgng.
Lrschetnun,Stags: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag, JnsertionSpreiL lg Pfg. pro Zeile für Stadt u. Bezirksorte; außer Bezirk lS Pfg.
Samstag, den 4. September 1909.
Bezuaspr. i. d. Stadt Vijährl. m. Träger!, Mk. i.SS, Postbezugspr, ßd. Orts- u. Nachbarortsverk. >/<jLhrl, Mk. l.so, im Fernverkehr
lik. t,80. Bestellg. in Württ. so
Ä-ihrt. !I Pfg-, in
Bagern u. Reich «L Pfg,
TsgesrrmigMLm.
Calw 3. Sept. Gestern wurde bei der Eiselstätt eine Postkarte gesunden, die unzweifelhaft von einem der am gestrigen Vormittag über unser Tal geflogenen Luftballons stammt. Angegeben war darauf: Ballon „Excelsior", Führer Castigliom mit Baron Berlepsch (undeutlich). Nach 16 Stunden Fahrt in der Nähe von Leonberg, 3 500 >u Höhe. Wenig Ballast, glaube kaum, daß ich mich die Nacht noch oben halten kann. Die Karte ist nach Berlin adressiert und wird der Finder ersucht, dieselbe zur Post zu geben. Der Ort des Ausstiegs ist nicht angegeben.
Tübingen 3. Sept. In einer Deren- dinger Kiesgrube wurde der ledige 19-jährige Maurer John er aus Rottenburg a. N, Sohn einer Witwe, von hereinbrechendem Material heute früh nach 6 Uhr verschüttet und begraben. Er erlitt einen Beckenbruch und einen Rückenwirbelbruch und war sofort tot.
Freudenstavt 3. Sept. An der,Stelle, wo am Montag abend das Automobil der „Süddeutschen Automobil-Betriebsgesellschaft" verunglückte, hat der gerichtliche Augenschein nunmehr stattgefunden. Wie der „Grenzer" hört, hat der Sachverständige festgestellt, daß die Steuerung und die Bremsen jetzt noch funktionsfähig sind, was sich auch nach Freigabe des Wagens zeigte. Das Auto konnte gestern abend mit eigener Kraft in die Reparaturwerkstätte gefahren werden und wird nach 2—3 Tagen wieder fahrbereit sein. Die Ursache des Unglücks ist noch nicht festgestellt, doch dürfte jetzt über den Hergang Klarheit vorhanden sein. Als der Chauffeur die bei Automobilisten als gefährlich bekannte Kurve im „Langenwald" durchfuhr, kam der Wagen auf der durch Feuchtigkeit wie mit Seife überzogenen Straße ins Rutschen und gehorchte einen Moment wohl nicht der Steuerung. Er fuhr rechts über die Straßenböschung und gleich darauf wendete sich der Wagen scharf nach links und riß 2 Straßenschutzsteine nieder. In diesem Moment hat der Chauffeur wohl wieder die Geistesgegenwart gehabt, zu bremsen, denn es ist Tatsache, daß das Auto auf der rechten — Chauffeur-Seite — die 5 m hohe Böschung hinabrutschte. Wäre nicht gebremst gewesen, so ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, daß das Auto sich überschlagen hätte. Des weiteren wird angenommen werden dürfen, daß, wäre die Dame auf ihrem Platze neben dem Chauffeur sitzen geblieben, oder, wird man vielleicht auch sagen müssen, hätte sie sitzen bleiben können, so wäre die Folge des Unglücks nicht eine so schreckliche gewesen. Es wird wohl nicht mehr möglich sein, zuverlässig festzustellen, durch welchen Umstand die Dame so weit hinausgeschleudert worden ist.
Dornstetten OA. Freudenstadt 3. Sept. Ein schweres Unglück ereignete sich gestern nachmittag an dem Bahnübergang bei Posten 82, der Strecke zwischen hier und Schopfloch. Ein Bauer wollte mit seinem Fuhrwerke in dem Augenblick den offenen Uebergang passieren, als der Zug daherbrauste, der wegen einer Kurve und einem Einschnitt spät zu erblicken war. Die rechtsgehende Kuh des Fuhrwerks wurde von der
j Lokomotive ersaßt, samt der anderen und dem Wagen auf die Seite geschleudert und eine Böschung hinabgeworfen, wobei der Fuhrmann, der sein Vieh noch rückwärts reißen wollte, überrannt und schwer verletzt wurde. Die eine Kuh mußte geschlachtet werden, während die andere unverletzt blieb.
Stuttgart 2. Sept. (Strafkammer). Am Sonntag, den 18. Juli, sah der Jagdaufseher Karl Stoll aus Leinfelden, der sich mit dem Grabarbeiter Reinhold auf einer Streife durch die Otterheide in der Nähe von Musberg befand, in der Dämmerung in einer Entfernung von etwa 50 Metern ein Reh stehen. In demselben Augenblick fiel aus der Nähe ein Schuß, dem kurz darauf 2 weitere folgten. Stoll sandte den Reinhold sofort den Abhang ins anstoßende Reichenbachtal hinunter, um dem vermutlichen Wilderer den Weg abzuschneiden, während er sich nach einer anderen Richtung hin auf die Suche machte. Die Streife blieb zunächst ergebnislos, indem man nur Fußspuren in dem vom Regen aufgeweichten Boden entdeckte. Am nächsten Tag jedoch erzählte Reinhold dem Stoll, daß er in einer Entfernung von 8 Metern den Steinbrucharbeiter Karl Städler aus Musberg habe stehen sehen. Als Grund für sein bisheriges Verschweigen seiner Wahrnehmungen gab er die Furcht vor der Rache von seiten der Musberger bei einer etwaigen Anzeige an. Die Untersuchung förderte denn auch eine ganze Reihe von Belastungsgründen zutage. Stäbler besaß ein zusammenlegbares Gewehr, das er, angeblich zum Erlegen eines Raubvogels, am Morgen des 20. Juli seinem Schwager überbrachte. Daß er sich' an der Stelle befunden hatte, bestritt er nicht. Nur wollte er erst Erdbeeren gesammelt und dann sein Taschenmesser verloren haben, das er sodann suchte. Es kam hinzu, daß er wegen Jagdvergehens bereits einmal vorbestraft ist, während er ein anderes Mal von demselben Vergehen wegen Mangels an Beweisen freigesprochen wurde. Er wurde daraufhin in Untersuchungshaft genommen. Der Staatsanwalt beantragte auf Grund der Beweisaufnahme eine Gefängnisstrafe von 3 Monaten, sowie Einziehung des Gewehrs. Der Verteidiger sprach für Freisprechung. Das Urteil lautete auf 1 Monat 15 Tage Gefängnis, unter Anrechnung von 5 Wochen Untersuchungshaft, sowie Einziehung der Waffe. Der Haftbefehl wurde aufgehoben.
Heilbronn 3. Sept. Am 22. September vollendet, wie schon früher erwähnt, Frau Karoline Schäfer geb. Bracher, Witwe des verstorbenen Orgelbaumeisters Johann Heinrich Schäfer in Heilbronn, ihr 100. Lebensjahr. Die Greisin ist 1809 in Göppingen geboren, wo sie noch Anverwandte besitzt, und lebt seit langen Jahren in Heilbronn. Sie stammt, wie sie selbst einmal bemerkt hat, aus einer langlebigen Familie und besitzt noch eine Schwester, sowie einen Bruder in hohem Alter. Die Schwester 89 Jahre alt, lebt in Göppingen, der Bruder 85 zählend, in Rorschach. Die Hundertjährige erfreut sich noch einer verhältnismäßig großen körperlichen Rüstigkeit und geistigen Frische, so daß sie gute Aussicht hat, auch im zweiten Jahrhundert ihres Lebens sich noch einige Zeit des Daseins zu erfreuen.
Schwab. Hall 3. Sept. Der Militär- Ballon „Groß II", der in der großen Wellblechhalle des Luftschifferbataillons in Berlin demontiert worden ist, wurde gestern mit der Bahn nach Schwäbisch Hall übergeführt, um an den diesjähr. Kaisermanövern teilzunehmen. Die Führung des Luftschiffes im Manöver haben Major Sperling, Hauptmann George und Oberingenieur Basenach. Major Groß wird im Hauptquartier des Kaisers verbleiben. Zur Bedienung des Militarluftschiffes begibt sich heute die 3. Koyipagnie des Luftschifferbataillons ebenfalls nach Schwab. Hall.
Friedrichshafen 3. Sept. Als das Luftschiff gestern abend etwa zum vierten Teil in die Halle eingelaufen war, brachte Graf Zeppelin mit donnernder Stimme ein Hoch auf die wackere Besatzung aus. Er übergab beim Verlassen der Gondel dem Oberingenieur Dürr einen großen Lorbeerkranz und außerdem jedem Mitfahrenden ein Bukett. Als Graf Zeppelin mit dem Motorboot von der schwimmenden Halle nach Friedrichshafen zurückkehrte, hielt er sich vollständig im Hintergrund und ließ seinen Leuten den Vortritt, wodurch es kam, daß das Publikum den Grafen vergeblich suchte und seine stürmischen Huldigungen der Besatzung darbrachte. Graf Zeppelin verlor sich rasch in der Menge und begab sich, indem er die Ehre des Tages seinen Ingenieuren, Kapitänen und Monteuren zuschob, in aller Stille ins Deutsche Haus. Heute werden nunmehr die letzten Vorbereitungen für den morgigen Empfang des Reichstags und Bund esrats getroffen und alles zum festlichen Empfang in Stand gesetzt. Die Abfahrt der Pressevertreter findet morgen früh von Friedrichshafen aus bereits um 11.15 Uhr mit dem badischen Dampfer „Stadt Meersburg" statt, auf dem sich auch eine Musikkapelle befindet. Außerdem sind zwei weitere württembergische Dampfer „Friedrichshafen" und „Württemberg" bereitgestellt, die aber erst 11.45 Uhr aus dem Hafen auslaufen, da zuvor der Anschluß aus Lindau abgewartet wird. Im Laufe des heutigen Tages empfängt Graf Zeppelin eine Deputation der Stadt München, die ihm den Ehrenbürgerbrief erreichen wird.
Friedrichshafen 3. Sept. Ueber die vielfach entstellt wiedergegebene und deshalb bereits von der Luftschiffbau-Gesellschaft richtig gestellte Unterredung, die Kaiser Franz Joseph mit dem Grafen Zeppelin gelegentlich seiner Bodenseefahrt hier hatte, berichtet das „Stuttgarter Neue Tagblatt" noch folgende Einzelheiten: Der Kaiser bedauerte, nachdem Graf Zeppelin den Unglücksfall des 2IlI bei Bülzig geschildert hatte, daß er das Luftschiff, das zweifellos die Höhenwaffe kommender Kriege bilden werde, nicht in Tätigkeit sehen könne. Auch Oestreich werde dem Bau von Luftschiffen erhöhte Aufmerksamkeit zuwenden, um gleichen Schritt mit den anderen Staaten zu halten. Der Kaiser sprach dann über die Berliner Fahrt und den Jubel der Berliner und meinte lächelnd: „Auch die Wiener würden jubeln, wenn der Graf sie plötzlich mit seinem Luftschiff besuchen würde." Dann erkundigte sich der Kaiser über den Bau der nächsten Luftschiffe und meinte, er hoffe später, wenn auch nicht in Wien, einen 2 I V oder 2 V in Tätigkeit zu sehen.