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sie in Pflege hatte, zu 1 Jahr Zuchthaus ver­urteilt worden, weil sie das Kind angehalten haben sollte, unzüchtige Handlungen von einem inzwischen verstorbenen 80-jährigen Greis zu erdulden. Vergebens waren alle ihre Beteuerungen und alle Versuche ihres Verteidigers, durch Revision und Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens die Unschuld der Frau zu erweisen. Kurz vor seiner Einsegnung hat nun das einstige Pflege­kind der Frau dem Seelsorger unter Tränen unaufgefordert gestanden, daß die Frau unschuldig im Zuchthaus gesessen habe. Die Frau ist jetzt im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen und auch vom Staat entschädigt worden, soweit eine äußerliche Entschädigung hier helfen kann.

Aus dem Fränkischen 1. Sept. Die Getreideernte, die jetzt ihrem Ende naht, lieferte bei allen Fruchtsorten recht gute Erträg­nisse. Neue Ware ist schon ziemlich gedroschen und auch von Großhändlern übernommen worden. Ein fester Preis besteht bei allen Fruchtsorten noch nicht. Kleinere Postchen wurden einstweilen zu folgenden Preisen übernommen: Haber 7.60^7, Weizen 10 Gerste 8 Roggen 8 -///.

Neu-Ulm 1. Sept. Gestern entgleiste auf dem hiesigen Rangierbahnhof aus bis jetzt unbekannter Ursache eine Rangiermaschine. Vier Güterwagen, welche an dieser Maschine angekuppelt waren, rannten auf diese auf und wurden zertrümmert, wobei ein großer Material­schaden entstand. Eine Hilfeleistung war nicht notwendig, da vom Personal niemand verletzt wurde.

Frankfurt 31. Aug. Als für die gestrige zweite Frchsfahrt die Ballons gefüllt wurden, setzte ein heftiges Gewitter ein, so daß die Ballons schleunigst in die Halle von Dr. Gans geschafft werden mußten. Es gelang auch, die Halle rasch zu räumen und einen Teil der Ballons unterzubringen. Nur die drei Ballons -Alfa",Pegnitz" undHamburg" blieben auf dem Platz und wurden von der Böe, die mit beispielsloser Heftigkeit ausbrach, ge­troffen. Der BallonAlsa" konnte, wie bereits berichtet, nicht mehr gehalten werden, obgleich 30 Mann ihn gefaßt hatten; er kam ins Treiben, doch zog der Führer sofort die Reißleine, wo­rauf er noch eine Strecke weit flog und ruhig dalag.Pegnitz" wurde ebenfalls gerissen und flog auf, nur den halbgefülltenHamburg" ereilte das Schicksal aller halbgefüllten Ballons, die von einer starken Böe getroffen werden. Er gab nach, wurde zwar vom Ballonmeister noch schnell etwas gerissen, befreite sich aber dann aus seinem Netz und flog in östlicher Richtung als runde Kugel ohne Korb oder sonstigesAnhängsel" davon. Nach halbstündiger

Fahrt ging der Ausreißer in dem Ort Geisa hinter Fulda (Rhön) nieder, von wo er wieder mit der Bahn nach der Jla zurückgebracht wurde.

Berlin 1. Sept. DerBerl. Lok.-Anz." meldet: Generalmajor v. Kurowski, Komman­deur der 44. Jnf.-Brigade, ist zum Kommandeur der 27. Division (2. württembergische) er­nannt worden.

Berlin 1. Sept. Erst heute früh um 7 Uhr 20 Min. traf der Kaiser von Swine­münde kommend auf dem Stettiner Bahnhof ein und begab sich nach dem Berliner Schloß. Infolgedessen war die große Herbstparade, die anfänglich auf ('-9 Uhr besohlen war, auf 9 Uhr verschoben worden. Da Regen drohte und ein heftiger Sturm wehte, erschienen die Truppen feldmarschmäßig, auch die Offiziere nicht im Paradeanzuge sondern im Dienstanzuge. Pünktlich um 9 Uhr erschien der Kaiser im Auto­mobil und stieg am historischen Steuerhäuschen zu Pferde. An der Spitze der Suite ritt er die Front der Reserve-Offiziere und der berittenen Zuschauer ab und begab sich dann unter den Klängen des Präsentiermarsches im Schritt zur Besichtigung der Parade-Aufstellung. Nach der Besichtigung ließ der Kaiser an der einsamen Pappel die Truppen in Regimentskolonnen an sich vorüberziehen. Nach dem Vorbeimarsch hielt der Kaiser Kritik.

Berlin 1. Sept. Der Militär- Ballon Groß II, der in der großen Well­blechhalle des Luftschiffer-Bataillons demontiert worden ist, wird morgen Vormittag mit der Bahn nach S chw äb. Hall überführt, um an den diesjährigen Kaisermanövern teilzunehmen. Die Führung des Luftschiffes im Manöver haben Major Sperling, Hauptmann George und Ober­ingenieur Basenach. Major Groß wird im Hauptquartier des Kaisers verbleiben. Zur Badienung des Militär-Luftschiffes begeben sich morgen 3 Kompagnien des Luftschiffer-Bataillons nach Schwab. Hall.

Saarbrücken 1. Sept. Auf der Grube Camphausen stürzte gestern eine im Schockt an- . gebrachte hölzerne Bühne, die zur Ausführung von Steinmetzarbeiten hergestellt worden war, in die Tiefe. Acht Mann wurden getötet.

Innsbruck 1. Sept. Kaiser Franz Joseph hat an den Statthalter von Tirol ; ein Handschreiben gerichtet, in dem er seinen ^ tiefgefühlten herzlichen Dank für die schönen , Tage aussprach, die ihm unvergeßlich bleiben würden. Die glänzenden Feste, deren Zeuge ich sein konnte, heißt cs in dem Schreiben, und « die mir in so reichem Maße dargebrachten Huldigungen haben mich mit um so größerer Freude erfüllt, als ich mit Rührung wahrnehmen

der Existenz der Mittel- und Kleinbetriebe als ! unvernünftig" undrückständig" bezeichnet. Damit sei unzweideutig festgestellt, daß nicht nur das Müllergewerbe, sondern überhaupt der kauf­männische und gewerbliche Mittelstand vom Hansabund nicht nur keine Förderung seiner Interessen, vielmehr die schärfste Bekämpfung zu erwarten habe. Nachstehende Resolution wurde einstimmig angenommen:Die Versammlung erblickt in dem Hansabund lediglich eine Organi­sation zur Förderung der Interessen des Groß­kapitals der Großbanken und des Großhandels. Sie warnt die Kollegen und die Angehörigen des gewerblichen Mittelstands überhaupt, dem Hansabund beizutreten, fordert diese vielmehr auf, ihre eigenen Berufsorganisationen durch ihren Beitritt zu unterstützen.

Stuttgart 1. Sept. Kartoffel­großmarkt auf dem Leon hardtsplatz. Zufuhr 200 Zentner; Preis 2.604.50 ^ per Zentner. Krautmarkt auf dem Marktplatz. Zufuhr 1200 Stück; Preis 1822 per 100 Stück.

Besigheim 1. Sept. Der'Stand der Weinberge ist hier und in den Beziiksorten ein guter. Doch sollte noch längere Zeit günstige Witterung eintreten, damit ein durchaus be­friedigendes Resultat erhofft werden kann. Die Obstaussichten sind nicht ungünstig, wenngleich Aepfel meist nur in geringerer Menge vorhanden sind. Birnen gibt es im allgemeinen reichlich und manche Gemeinden erzielen schöne Einnahmen für das Gemeindeobst. Bei der gestrigen Ver­steigerung des Gemeindeobstcs in Neckarwestheim wurde die Summe von 1520 -.-7 erlöst.

Freudental OA. Besigheim 1. Sept. Einen Beweis von der großen Masse Wespen auf der hiesigen Markung liefert die Tatsache, daß von zwei hiesigen Männern innerhalb 10 Tagen 150 Pfund gut bevölkerter Wespen- und Horniffen-Waben an die Gemeindepflege ab­geliefert wurden, von welcher per Pfund 60 Z aus der Gemeindekasse dafür bezahlt werden. Trotz dem gefährlichen Geschäft ein netter Verdienst.

Ko engen OA. Eßlingen 1. Sept. Eine eigentümliche Mißgeburt brachte ein Mutter­schwein des Andr. Deuschle hier zur Welt. Ein Junges mit einem Kopf und zwei Augen, aber vier Ohren, acht Füßen und zwei Schwänzen, so daß es vom Halse an eigentlich zwei mit den Bäuchen zusammengewachsene Tierchen sind. Während die übrigen dreizehn Jungen gesund und munter sind, kam die Mißgeburt tot zur Welt.

Vom Lande 1. Sept. Was auf Kinderaussagen zu geben ist, dafür folgendes Beispiel: Eine Arbeiterin aus Rinteln war auf Anzeige einer mit ihr verfeindeten Frau und auf die Aussage eines 10-jährigen Waisenkindes, daß

Das Haus gegenüber.

Kriminal-Roman von E. Keni.

(Fortsetzung.)

Meine Gesichtszüge mochten wohl meine Erregung verraten, denn Frau Argot unterbrach sich plötzlich und fragte ängstlich:

Was ist denn los?"

Nichts! Nichts! Fahren Sie nur fort. Ihre Geschichte interessiert mich ganz außerordentlich. Also, was passierte denn am Dienstag?"

Also, Herr Doktor, mein Mann geht aus in das Restaurant, wo die Franzosen immer zum Kartenspielen zusammenkommen. Während er fort ist, besucht mich mein Vetter, Andre« Besnard. Mein Mann ist nicht da, aber ich sag':Nimm Platz; vielleicht kommt Argot bald nach Hause." Mein Vetter wohnt in Chicago; er hat meinen Mann nie in seinem Leben gesehen; er weiß nicht, wie eifersüchtig der ist. Er bleibt also und bleibt immer länger, und wir sprechen von Frankreich und von unseren Kinderjahren, und ich vergesse ganz, auf die Zeit zu achten; und auf einmal klingelt's, und ich höre, es ist mein Mann, und seh' nach der Uhr und seh', daß es schon zehn ist. Da bekam ich Angst. Ich wußte, Argot würde fürchterlich böse werden, wenn er zu so später Stunde einen Mann bei mir fände. Ich sag' ihm also:Hinaus! Schnell! Mein Mann ist so eifersüchtig er wird's nicht glauben, daß du mein Vetter bist. Geh die Treppe hinauf und versteck dich. Wenn mein Mann hier ist, mach' ich die Küchentür zu, und dann kannst du hinuntergehen." Alles wäre gut gewesen, wenn er dies nur getan hätte! Aber der Dumm­kopf guckt übers Geländer, als mein Mann die Treppen hinaufkommt. Mein Mann wußte aber nicht ganz genau ob er jemanden gesehen hatte; darum sagte er nichts. Aber als ich die Küchentür zumache, sitzt er neben dieser und horcht; es dauert ein paar Minuten, da hör' ich's: Knarr, knarr! Und er hört's auch und springt auf. Und ich springe ebenfalls

auf, denn ich kriegte Angst, er könnte meinen Vetter totstechen: er sah so fürchterlich böse aus. Ich schlinge meine Arme um ihn, und er ringt mit mir. Ich halte aber fest, und er fällt mit mir hin und davon Hab' ich meine Schramme bekommen. Aber daraus machte ich mir nichts, denn ich hörte, wie die Haustür zugeschlagen wurde, und wußte also, daß Andre in Sicherheit war. Eine Minute darauf war mein Mann wieder auf den Beinen und lief hinaus. Ich ihm nach. Als ich aber sah, daß Andre fort war, kehrte ich wieder um. Argot jedoch kam nicht wieder."

Ihr Mann kam nicht wieder, sagen Sie?"

Nein, er blieb draußen und suchte Andre!"

Wie lange dauerte es, bis er wieder hineinkam?"

Ach, das weiß ich nicht!" rief sie ungeduldig.Vielleicht eine halbe Stunde, vielleicht eine Stunde. Ich wurde schließlich müde und ging zu Bett. Als Argot wieder heremkam, war er fürchterlich böse. Er wetterte, er fluchte! Er sagte:Das war dein Liebhaber!" Ich sagte: Nein, ich habe den Menschen nie gesehen!" Aber ach, ich bin eine unglück­selige, arme Frau: er fand nämlich die Visitenkarte, die Andre hinterlassen hatte, denn Andre ist ein feiner Mann und weiß, was sich schickt. Da dachte ich wirklich, mein Mann würde vor Wut einen Schlaganfall kriegen. Er schwor, er wollte Andre totstechen. Aber er weiß nicht, wo Andre ist, denn auf der Karte steht keine Adresse. Ich aber weiß die Adresse, denn Andre hat sie mir gesagt. Am anderen Morgen schreib' ich also an meinen Vetter, er solle sich in acht nehmen, mein Mann wolle ihn tot­stechen. Argot geht jetzt jeden Tag aus, um ihn zu suchen; und wenn er ihn findet, sticht er ihn tot. Aber finden tut er ihn nicht," rief sie zum Schluß triumphierend,denn ein Freund von mir hat mir erzählt, Andre sei gar nicht mehr in New-York, sondern schon nach Chicago zurückgcreist."

Sah Ihr Vetter ähnlich aus wie der Ermordete?"

O, ganz und gar nicht! Mein Vetter ist ein kleiner Mann, und er trägt keinen Bart, denn er ist ein Kellner."