851
Luftschiff seine Kreise über den weiten Plan zog. Es war, als fühlte jeder den Anbruch einer neuen Zeit. Nur hin und wieder brach Jubelruf los, der zuletzt brausend in die Höhe drang, so mächtig, daß das Surren der Propeller darin unterging, ein Jubelruf, der dem greisen Grafen sagte, daß die zeitweilige Stille eine Stille der Ehrfurcht war, vor ihm und seinem großen Werk. Ueber eine Viertelstunde fuhr 2 III in einer Höhe von 150—200 m majestätisch seine Kreise. Dann flog er in etwas beschleunigtem Tempo nach Norden zu, um auch die übrigen Teile Berlins sein Werk schauen zu lassen und landete 1.50 Uhr auf dem Tegeler Schießplatz.
Schießplatz Tegel 29. Aug. Um 1.15 Uhr kamen in Automobilen vom Tempelhofer Feld der Kaiser und die Kaiserin mit Prinzessin Viktoria Luise, der Kronprinz und die Kronprinzessin, Prinzessin Eitel Friedrich und die unverheirateten Prinzen nebst Gefolge. Das Luftschiff erscheint ab und zu über den Föhren, die das Schießgelände umgeben. Um 1.40 Uhr erschien es über dem Ostrand des Exerzierplatzes, machte einen Bogen nach Norden Und schwenkte dann von Norden nach dem Ankerplatz ein. Um 1.46 Uhr wurde aus der vorderen Gondel das erste Tau geworfen. Hierauf senkte sich die Spitze des Luftschiffes, da in der vorderen Gondel mit Ausnahme eines Fahrtteilnehmers alle anderen Platz genommen hatten, so stark, daß das Luftschiff in einem steilen Winkel zur Erde stand. Als das Vorderteil an den Ankertauen von den Soldaten festgehalten war, gingen die Fahrtteilnehmer nach einander durch den Verbindungsgang nach der Hinteren Gondel und brachten durch die Gewichtsveränderung auch den Hinteren Teil des Luftschiffes zur Erde nieder. Auch hier ergriffen Soldaten die Haltetaue und führten das Luftschiff zu dem zum Ankern vorgesehenen Platz. Um 1.51 Uhr berührte die vordere Gondel den Erdboden. Während der Kaiser den Grafen Zeppelin begrüßte, intonierte eine aufgestellte Militärkapelle das Lied: „Deutschland, Deutschland über alles". Nach der Begrüßung durch den Kaiser hieß die Kaiserin und die anderen Mtglieder der kaiserlichen Familie den Grafen herzlich willkommen. An der Spitze der Stadtvertreter von Berlin hielt Bürgermeister Dr. Reicke folgende Ansprache an den Grafen: Hochverehrter Herr Graf! ?6i'3.8p6i'Z.aiI a,8ti'n! So hat Berlin Ihnen zugerufen, als auch Sie vor Jahresfrist das alte Erfinderschicksal ereilte, durch die Hand der Elemente noch einmal Ihr ganzes Werk in Frage gestellt zu sehen. Mit einer beispiellosen Einmütigkeit, die uns Deutsche, Gott sei Dank, wieder einmal fühlen ließ, daß wir ein Volk sind, ist Deutschland damals Ihnen beigestanden,
und wir Berliner sind dabei wahrlich nicht die letzten gewesen. Daß Sie nach Ueberwindung mancher Widrigkeiten der langen Fahrt als der schon gestern sehnsüchtig erhoffte Stern am Himmel der Reichshauptstadt aufgestiegen sind, ist der schönste Lohn für unsere Liebe, die nach Lohn nie für uns, sondern nur für Sie getrachtet hat. Wenn auch auf der Höhe, die Sie sich erobert haben, Ihnen eine Stadt wie die andere erscheinen muß, so wird doch die Begeisterung von drei Millionen, die in dieser Stunde mit Rufen und Fahnenwehen zu Ihnen emporgelodert ist, Ihnen gesagt haben, daß hier im Herzen des Landes, unter den Augen unseres allverehrten, geliebten Kaisers, auch das Herz des Volkes am lautesten schlägt jedem großen Mann und jeder großen Tat. Daß Sie uns beides bringen, der Menschheit wieder einmal das lang ersehnte Schauspiel i gewährend, wie dem Verdienst das Glück sich gesellt und Ueberzeugung und Mut endlich zum Ziele führen, macht Sie zum Helden und Führer, zum Liebling des Volkes. Als solchen heißt durch meinen Mund heute auch die Stadt Berlin Sie willkommen und ruft Ihnen mit Herzlichkeit die gestern in ihren Kehlen stecken gebliebenen Glückwünsche zu: Weiter uck u>tru. Hierauf begaben sich die Majestäten, die den Grafen Zeppelin in ihre Mitte genommen hatten, zum Automobil. Dort ließ der Kaiser seinen Gast zuerst in sein Automobil einsteigen und setzte sich darauf links neben ihn. Die Kaiserin und die Prinzessin Viktoria Luise folgten im nächsten Automobil und hierauf die anderen Herrschaften. Um 2.10 Uhr verließen die Herrschaften den Ankerplatz auf der Chaussee nach Charlottenburg. Der Kaiser und Graf Zeppelin wurden vom Publikum mit stürmischen Hochrufen begrüßt.
Die Rückfahrt von Berlin.
Tegeler Schießplatz 29. Aug. Das Luftschiff 2 III ist unter den Hurra-Rufen der zum Abschied erschienenen Offiziere, den Mannschaften und des noch zahlreich anwesenden Publikums aufgestiegen und hat mit dem Kurs nach Südwest seine Rückfahrt angetreten. In der vorderen Gondel hatte wieder Graf Zeppelin jun. Platz genommen. Nach kurzem Ausprobieren der Propeller gab Graf Zeppelin jun. um 11 Uhr 22 Min. mit einer weißen Flagge das Abfahrtssignal und majestätisch erhob sich 2 III.
Wiederholtes Pech.
Friedrichshasen 30. Aug. Wie die Luftschiffbau-Gesellschaft mitteilt, hat Oberingenieur Dürr «ach Bülzig, Bezirk Halle, wo das Luftschiff gelandet ist, Hilfsmanv- schaften erbeten. Die Reparaturen dürsten 2 Tage in Anspruch nehmen.
10 Uhr 55 Min. über Schöneberg und nimmt seinen Flug über die Stadt Berlin. Der Kaiser fuhr um 11 Uhr von der Garnisonskirche nach dem Tempelhofer Feld. Um
11 Uhr 20 Min. erschien der Kaiser auf dem Tempelhofer Feld, von wo aus er den Flug des Luftschiffes beobachtete.
Berlin 29. Aug. Um '/-l Uhr begrüßte das Luftschiff über dem Tempelhofer Feld den Kaiser. Es neigte sich mehrmals und fuhr sodann unter dem Glockengeläute der benachbarten Kirchen und den Jubelrufen Hunderttausender über das Tempelhofer Feld, über die Straßen und Dächer der Gebäude in weitem Bogen nach dem Kreuzberg und kehrte dann wieder auf den Standplatz des Kaisers zurück, wo es die verschiedensten Wendungen, Drehungen und Manöver ausführte. Es herrscht prachtvolles Wetter.
Berlin 29. Aug. (1.15 Uhr.) Vom Tempelhofer Feld fuhr das Luftschiff etwa 10 Minuten vor 1 Uhr über den Belle Alliance- Platz-Markgrafenstraße nach dem Königlichen Schloß, umfuhr, die Spitze abwärtsneigend, das Schloß und wandte sich dann gegen das Rathaus, dessen Turm ebenfalls umfahren wurde. Der Turm war von Mitgliedern des Magistrats, der Stadtverordnetenversammlung, Beamten und Gästen dicht besetzt. Eine Musikkapelle auf dem Turm begrüßte das Luftschiff mit dem Lied: Deutschland, Deutschland über alles. Der Ballon umfuhr hierauf den Turm der Petrikirche, wandte sich von hier zur Straße Unter den Linden und fuhr über diese hinweg bis zum Brandenburger Tor, wo es ebenfalls einen Kreis beschrieb, die Spitze tief abwärts gerichtet. Hierauf fuhr es in großem Bogen über die nördliche Friedrichsstadt und die Oranienburger Vorstadt und wendete sich dann wieder dem Schloß zu. Das Luftschiff wandte sich dann hierauf nach dem Friedrichshain, wo eine große Menge Schulkinder zur Begrüßung des Ballons Aufstellung genommen hatte. Es machte dort verschiedene Wendungen und nahm dann wieder die Richtung über das Rathaus nach der Leipzigerstraße, über die Friedrichsstraße hinweg nach dem Tiergarten und wandte sich dann wieder über Moabit nach dem Norden.
Berlin 29. Aug. Auf dem Tempelhofer Feld erwartete im Sonnenschein ein nach vielen Hunderttausenden zählendes Publikum das Herannahen des Luftschiffes, das hier gerade mit militärischer Pünktlichkeit erschien. Wer erwartet hatte, daß die Massen beim Erscheinen des Luftkreuzers in stürmischen Jubel ausbrechen würden, der sah sich zunächst enttäuscht. Es lag wie eine weihevolle Stimmung über der Menge als das
Fräulein Derwent kam nicht mehr in Frage — das stand zu meiner Freude unumstößlich fest. Merritt selber hatte mir mit unwiderleglichen Gründen bewiesen, daß Frau Atkins nicht die Schuldige sein könne. Und auf wen sonst konnte der Verdacht noch fallen? Denn der Verbrecher oder die Verbrecherin mußte im Hotel selber wohnen. Dies war eine von den wenigen Tatsachen, die nach der Behauptung des Detektive bei diesem rätselhaften Fall über jeden Zweifel erhaben waren.
11. Kapitel.
Nach meinem Gespräch mit dem Detektive ging ich aus, um einige Krankenbesuche zu machen. Auf dem Heimweg begegnete ich dem jungen Atkins, den ich seit dem letzten Donnerstag nicht wieder gesehen hatte. Obwohl wir nur jenes Mal wenige Minuten zusammen gewesen waren, erkannte er mich sofort wieder und begrüßte mich sehr herzlich. Ich sah mit Bedauern, wie sehr sich sein Aussehen in dieser Woche verändert hatte. Sein Gesicht war hager und blaß, und er schien nervös und unruhig zu sein. Obwohl er mir entgegengekommen war, kehrte er mit mir um, und wir schlenderten zusammen nach der Madison-Avenue zu. Unsere Unterhaltung drehte sich natürlich um den Mord, und wir machten beide die Bemerkung, wie auffällig es doch sei, daß die Persönlichkeit des Ermordeten immer noch nicht habe festgestellt werden können.
„Ich vermute", sagte Atkins, „wir werden jetzt überhaupt nicht mehr erfahren, wer der Mann war; denn wie ich höre, ist er gestern beerdigt worden."
„O, das will durchaus nichts besagen! Der Leichnam ist mehrfach photographiert worden, und nötigenfalls kann er jederzeit wieder ausgegraben werden!"
Spielte meine Phantasie mir einen Streich, oder wurde der junge Mann wirklich durch meine Mitteilung aufgeregt? Wir waren inzwischen vor meiner Wohnung angelangt; ich streckte ihm zum Abschied die Hand entgegen und sagte: „Ich fürchte, Ihre Frau Gemahlin wird den Morgen, an welchem wir uns kennen lernten, nicht in angenehmer Erinnerung haben und daher meinen Namen vielleicht nicht gerne hören; sonst würde
ich Sie bitten, mich der Gnädigen zu empfehlen. Ich hoffe, sie befindet sich gut und hat nicht zu arg unter dieser gar kein Ende nehmenden Hitze zu leiden?"
„Leider geht es ihr gar nicht besonders gut", antwortete er. „Der Gedanke, daß in unmittelbarer Nähe unserer Wohnung ein Mord verübt worden ist, scheint ihren Nerven einen schlimmen Stoß gegeben zu haben."
„Das ist ja völlig erklärlich. Wäre es nicht ratsam, mit ihr für einige Zeit zu verreisen?"
„Wenn sie nur gehen wollte! Aber sie hat sich irgend etwas in den Kopf gesetzt und will durchaus nicht aus der Stadt heraus."
Er machte eine kleine Pause, sah mich einen Augenblick beinahe ängstlich an und rief dann plötzlich lebhaft aus:
„Lieber Herr Doktor, ich möchte, Sie kämen heute abend zum Esten zu uns. Es wäre wirklich außerordentlich freundlich von Ihnen. Meine Frau und ich sind beide in abscheulicher Stimmung; Ihre Gesellschaft würde uns aufmuntern!"
Diese plötzliche Einladung kam mir sehr überraschend, und ich antwortete :
„Es tut mir wirklich leid, aber heute abend kann ich ganz unmöglich kommen; ich habe mich mit einem alten Freund verabredet, der sich nur für ganz kurze Zeit in der Stadt aufhält."
„Na, wenn's heute nicht geht, wollen Sie dann nicht vielleicht morgen kommen?"
Ich zögerte einen Augenblick. Einerseits wollte ich Atkins gerne gefällig sein, denn der junge Mann gefiel mir; außerdem war ich sehr neugierig, mit seiner Frau näher bekannt zu werden und, wenn möglich, die Ursache des veränderten Aussehens ihres Gatten zu ergründen. Andererseits aber trug ich doch Bedenken, in die Häuslichkeit einer Dame einzudringen, der, wie ich annehmen mußte, meine Gegenwart nicht gerade angenehm sein würde; denn ich erinnerte mich, daß sie mich nicht einmal eines Blickes gewürdigt hatte, als sie nach dem Verhör des Coroners das Zimmer verließ. - (Forts, folgt.)