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Mannes wendet den Angehörigen allseitige Teil­nahme zu.

Crailsheim 26. Aug. Von einer Frauensperson wurde in der Ratpasse zwischen den Häusern des Kaufmanns Vaihinger und Metzgermeisters Essinger ein Kinderwägelchen hingestellt, in dem sich ein kleines Kind befand. Nach einiger Zeit fing das Kind zu schreien an, wodurch die benachbarten Bewohner und Straßen­passanten aufmerksam wurden. Da Wägelchen und Kind gänzlich unbekannt waren und über deren Herkunft niemand eine Auskunft zu geben vermochte, nahm sich eine Frau des schreienden Kleinen an und gab diesem zur Beruhigung etwas Milch zu trinken, bis die inzwischen von dem Vorfall in Kenntnis gesetzte Polizei erschien. Bei näherer Durchsuchung des Wägelchens fand man unter dem Kopfkissen einen Zettel, auf dem mit schlechter Handschrift folgendes geschrieben stand:Joseph Knoblauch, Pfedelbach, 27 Wochen alt". Das Kind wurde hierauf von anderen Frauen frisch gekleidet und gepflegt. Die von der Behörde unternommenen Nachforschungen sind bis jetzt erfolglos geblieben.

Biber ach 26. Aug. Wir haben vor einigen Tagen berichtet, daß infolge des Genusses von Obst mit darauffolgendem Wassergenuß zwei Kinder einer hiesigen Familie rasch verstorben seien. Die Todesursache scheint aber nicht richtig angegeben worden zu sein, denn in den letzten zwei Tagen sind weitere drei Kinder der gleichen Familie unter ähnlichen Erscheinungen gestorben. Die Eltern, die noch vor acht Tagen 6 gesunde und frische Kinder hatten, besitzen also nur mehr eines und auch dies liegt, wie man hört,' in den letzten Zügen. Angesichts dieser beunruhigenden Todesfälle fragt die geängstigte Einwohnerschaft der Stadt, namentlich die Nachbarn der betroffenen Familie nach der Todesursache. Die Behörde schweigt aber vor der Oeffentlichkeit und hat verfügt, daß die Familie auszuquartieren und die Wohnung zu desinfizieren sei. Es zirkulieren bei dieser Sachlage natürlich die widersprechendsten Gerüchte, denen durch eine Bekanntgabe der zuständigen Beamtung der Boden entzogen werden könnte und sollte.

Pforzheim 26. Aug. ImEuropäischen Hof" hier hat gegenwärtig der Mechaniker Emil Häffner von Hohenwart seinen neuerfundenen Flugapparat ausgestellt. Häffner ist ein noch junger, lediger, solider, aber unbemittelter Arbeiter, der in der Fabrik in der er arbeitet, schon einige Patentartikel konstruierte. Sein Apparat aus Pergamentpapier, ca. 7 mal 8 Meter groß, ähnelt einem Fledermausflügel. Als Neuerung hat er hinten eine mit den Füßen ruderartig bewegliche Schwanzflosse. Diese soll genügen, den Apparat, den sich Häffner um­schnallt, in der Schwebe zu halten und vorwärts

zu treiben (ohne Motor). Ob seine Berechnung stimmt, muß sich erst zeigen. Geflogen ist Häffner noch nicht, er hat sich erst aus einigen Metern Höhe zu Boden gleiten lassen.

Pforzheim 26. Aug. Der Pforzheimer Maurerstreik dauert nun schon 19 Wochen, ohne ein Ende absehen zu lassen. Bis jetzt hat die Behörde für Ausschreitungen dabei zusammen schon 500 Tage Gefängnis verhängt. Der Streik­leiter Bernhard sollte am 23. ds. seine mehr­wöchige Gefänguisstrafe antreten und wäre da­durch beinahe um eine am 24. anzutretende militärische Uebung gekommen. Im letzten Moment wurde er aber aufgefordert, letztere zuerst abzu­machen. Gestern wurde auch der Streikleiter der Bauhilfsarbeiter, Hundt, verhaftet. Der sich hier schon fühlbar machenden Ueberproduktion an Wohnungen ist durch den anhaltenden Streik jetzt etwas vorgebeugt.

Pforzheim 26. Aug. Heute nacht brannte in Brötzingen die Ziegelei der Aktiengesellschaft Vetter L Cie. ab; vermutlich liegt Brandstiftung vor. Der Schaden geht in die Hunderttausende. Im April brannre, wie bekannt, der gleichen Firma die Ziegelei in Mühlacker ab, wobei ebenfalls ein Schaden von zwei Millionen entstand. Auch hier wird Brand­stiftung vermutet.

Essen 26. Aug. Heute ereignete sich in der Nähe von Soest ein schwerer Automobil­unfall. An einem aus der Richtung von Lippstadt kommenden, mit 5 Personen besetzten Automobil versagte an einer stark abschüssigen Stelle der Straße die Bremse und Steuerung, sodaß der Wagen gegen einen Baum sauste. Einer der Insassen, der Kämmerei-Rendant Ruhr aus Beckum wurde sofort getötet, sein Bruder, Fabrikant Ruhr und dessen lOjähriger Sohn lebensgefährlich verletzt. Der Chauffeur und ein anderer Fahrgast blieben unverletzt.

Trier 26. Aug. Ein mit drei Herren aus Köln besetztes Automobil fuhr bei Daun gegen einen Baum und zerschellte. Alle Insassen wurden schwer verletzt.

Berlin 26. Aug. Der Führer der russischen Sozial-Revolutionäre, Burzew, der sich bekanntlich zur Zeit in Berlin aufhält, setzt jetzt seine in der Pariser Humanits begonnenen Enthüllungen über Rußland und seine Polizei imVorwärts" fort. Er sucht an der Hand eines authentischen, imVorwärts" fak­similierten Dokumentes und Mitteilungen eines Vertreters der russischen Regierung namens Krivosch die Legende zu zerstören, als wäre der Z ar ein Mensch ohne Willen, von schwachem und unstetem Geiste, dessen Unfähigkeit ihn zum Spielzeug in den Händen der Kamarilla machten, als wisse er nichts von der Willkür und dem Schrecklichen, was in seinem großen Reiche vor­

geht. Vielmehr wird für den Zaren regelmäßig eine Art Journal in einem einzigen Exemplar hergestellt, welches vom Direktor im Polizei- Departement ausgearbeitet und dem Zaren vom Minister des Innern oder seinem Stellvertreter überreicht wird. Dieses Journal ist mit seltenen Ausnahmen ein Journal politischer Informationen. Es gibt eine ganz genaue Darstellung von dem System der Spionage, der Provokationen, der Willkür und all der blutigen Gewaltakte, die in Rußland Vorkommen. Der Zar weiß von der Existenz der Lockspitzel, er liest die Briefe, die den Revolutionären von der Polzci in Rußland und in der Fremde zugestellt werden und er ist auch unterrichtet über alle Niederträchtigkeiten seiner Polizei. Burzew wird seine Enthüllungen fortsetzen.

Paris 26. Aug. Einige hiesige Blätter verzeichnen das unkontrolierbare Gerücht, daß kurz vor Schluß der Aviatiker-Woche in Reims König Eduard und der deutsche Kron­prinz dort eintreffen werden.

Betheny 26. Aug. Latham, der seinen' heutigen Flug trotz Regen forlsetzte, schlug alle biherigen Rekorde an Schnelligkeit und Entfernung. 150 km legte er in 2 Stunden 13 Min. zurück. Latham ist wegen Benzinmangels gelandet, nach­dem er 154 km 375 m in 2 Stunden 18 Min. zurückgelegt hatte. Einschließlich der vormittags zurückgelegten Strecke hat sich der heutige Flug über 224 km erstreckt.

Rotterdam 26. Aug. Hier ist die Cholera aufgetreten. Vier Kinder sind bereits gestorben. 32 Personen, meist Verwandte der verstorbenen Kinder sind in ärztlicher Behandlung. Zwei weitere Kinder aus dem gleichen Hause sollen ebenfalls erkrankt sein.

Cuxhaven 26. Aug. Auf der Nordsee herrschte gestern früh ein schwererWeststurm. Ein deutsches Schiff namensKäthe" wurde vom Sturm auf die Helgoländer Klippen geworfen, wo es strandete. Rettungsmannschaften sind abgegangen.

Dover 26. Aug. Oberst William West­lacke, der versuchen wollte, auf einem 18 Fuß langen und 2 Fuß breiten, nur mit einem kleinen Segel ausgerüsteten Brett über den Kanal zu schwimmen, wurde in die Nord­see abgetrieben und trieb zwei Tage und eine Nacht, fest an die Planke angeklammert, ohne Nahrung und Trank in der Nordsee umher, bis er endlich von einem belgischen Fischerboot gesichtet und völlig erschöpft aufgefischt wurde.

Klagenfurt 26. Ang. Eine aus einem Herrn und zwei Damen bestehende deutsche Touristen-Gesellschaft, welche am Sonntag eine Partie auf die Koschutta unternahm, werden vermißt und dürften wahrscheinlich abge­stürzt sein.

des kirchlichen Wesens wieder aufzurichten und das eiserne Zeitalter in ein goldenes zu verwandeln, weiß Wilhelm nur ein einziges Mittel, nämlich daß der König den Gehorsam als die fruchtbarste Mutter der ganzen Glückseligkeit von Herzen umfasse, ihn in vielen Werken betätige und sich zu voller Willfährigkeit für den apostolischen Herrn (d. i. den Papst) in schuldiger Ehrfurcht neige. Wie Gott infolge des Gehorsams eines einzigen Menschen, des Vaters Abraham, allen Völkern der Erde Segen verheißen und wegen der Verdienste seines Knechts Mose das widerspenstige Volk Israel oft verschont habe, so könne der König durch hingebenden Gehorsam bewirken, daß der Zorn des Herrn von seinem Volke ablasse und der Glanz seines Angesichts der verlassenen Welt neu aufleuchte. Das angenehmste Gehorsamsopfer könne aber König Her­mann darbringen, wenn er dafür kämpfe, daß die von Ewigkeit zu Ewigkeit verfluchte Ketzerei der Simonie von Grund aus ausgerottet werde, wenn er durch unnachsichtliche Verfolgung erreiche, daß die unheilvolle Unent­haltsamkeit der Geistlichen mit der Wurzel ausgerissen werde, und daß er bei Erteilung von Investituren kirchlicher Gewalten sich nicht verfehle.

Es war ein nicht gewöhnlicher Zeugenmut, mit dem Wilhelm dem neuen König gegenübertrat, während der Papst und seine Legaten aus Gründen der Politik sich ängstlich hüteten, die sächsischen Bundes­genoffen zu verletzen. Aber Wilhelm wird in seinem Schreiben noch deutlicher. Er weist auf drei Mißbräuche hin, die bei der Ernennung von Bischöfen Vorkommen und die Kirche schwer geschädigt haben: adelige Geburt, Bestechung durch Geld und Nichtbeachtung der persönlichen Würdigkeit und Tüchtigkeit. Dann geht er weiter und beschwört den König, weder durch Furcht noch Gunst sich ablenken zu lassen von gerechtem Eifer und die Aergernisse ungesäumt abzustellen. Das Land sei voll von bösen Werken, weil diejenigen, die in der Welt gleich den Himmels­lichtern leuchten und hell klingende Herolde der Wahrheit sein sollten, sich

der Unzucht hingegeben haben und angesehene laut und schreiende Lehrer jeglicher Verkehrtheit geworden seien.O, mein Sohn, Ihr würdet Euch schwer versündigen gegen den Gehorsam, wenn Ihr jenen garstigen und tierischen Begierden kein Gebiß anlegtet!" Wilhelm gibt schließlich der Sorge Ausdruck, Hermann könnte sich durch Rat und Beispiel dieser Leute verleiten lassen, in Verfolgung der genannten Greuel sich gleich- giltig oder lässig finden zu lassen und dadurch den göttlichen Zorn und noch schärfere Schläge über sich herausfordern.

Der Mannesmut und heilige Eifer, womit Wilhelm die schreienden sittlichen Schäden der eigenen Partei aufdeckt und um ihre Ausrottung sich bemüht, ist um so achtungswerter, je mehr er wie ein Prediger in der Wüste allein dasteht, und je weniger die bestellten Wächter wagten, eine ähnliche Sprache zu führen. Interessant ist aber hier nicht bloß der Unterschied der Gesichtspunkte, sofern Wilhelm als Vertreter der sittlichen Idee dasteht, während dem Papste durch seine kirchenpolitischen Pläne die Hände gebunden sind und der Mund gestopft ist, sondern auch die ganz entgegengesetzte Stellung zur Investitur frage. Während die päpstlichen Synoden die Laieninvestitur unter Androhung des Banns gänzlich untersagten, findet Abt Wilhelm das königliche Jnvestiturrecht ganz in der Ordnung und beschränkt sich auf die Forderung, daß die Mißbräuche abgestellt werden. Er konnte sich der Einsicht nicht verschließen, daß unter den Verhältnissen, wie sie sich geschichtlich in Deutschland gebildet hatten, von einem Verzichten des Königs auf die Investitur der Bischöfe nicht die Rede sein konnte. Obwohl also Wilhelm den Gehorsam gegen den Papst als oberste Christentugend preist, obwohl er sein Kloster und die von ihm gegründeten und reformierten Klöster von jedem Eingreifen eines weltlichen Arms frei zu machen bestrebt war, konnte er dock in der Jnvestiturfrage nicht als willenloses Werkzeug mit dem Papste durch dick und dünn gehen. (Forts, folgt.)