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^e 183. Amts- Md Anzeigeblalt für den GberamtrbeM Calw. 8t. rch,«,,.

Erscheinungstage: Montag. Dienstag. Mittwoch. LonnsrStaa. Freitag und «amStag. JnsertionSpreis ü üig. pro Zeile für Stadt u. Bezirksorts: außer Bezirk 12 Pfg.

Montag, drn 9. August 1909.

Bezugspr.i.d. Stadt'.^ährl.m.rrLgsrl.Mk. I.2S. PoftbezugSpr. f. d. Orts- u. Nachbarortsverk. -/,jährl. Mk. 1.20. im Fernverkehr Mk. I.so. Bestellg. in Württ. so Pfg.. in Bagern u. Reich 42 Pfg.

Tagesuemgkeite».

Stuttgart 7. Jali. Die Zweite Kammer beendigte heute nach stebenstündtger Debatte die allgemeine Aussprache über die Reichsfinanz- resorm, die heute zunächst von dem Abgeordneten Liesching mit einer zweistündigen Rede fortgesetzt wurde. Er betonte, seine Partei habe die Notwendig­keit der Reform anerkannt, aber eine gesunde Reform gewollt und deshalb einen Appell an das Volk ge­wünscht. Der Redner lehnte den Gedanken einer Landeserbschaftssteuer ab, die dem Reich vorzube­halten sei und besprach dann weiter die Fragen der Tarif- und Stenererhöhungen. E n unerhörter Zu­stand liege darin, daß den Gemeinden nur die Er­hebung von 50 Prozent der Staatssteuer möglich sei. Die Erklärung des Ministerpräsidenten zur Reichsfinanzreform lasse Klarheit und Bestimmtheit vermissen. Der Redner polemisierte dann weiterhin gegen die Abgg. Kraut und Gröber und betonte dabet. das nichrkonstitutionelle Regieren habe völlig Bankerott gemacht. Er kritisierte die neuen Steuern, die lediglich dazu angetan seien, die Reichen zu schonen. Minister Präsident v. Weizsäcker dezeich- nete gelegentlich die Verabschiedung der Volksschul­novelle als eine hocherfreuliche Aktion, die Frieden schaffen werde auf einem der wichtigsten Gebiete des öffentlichen Lebens und hob hervor, daß seine Aus­führungen zur Reichsfinanzreform deutlich genug gewesen seien. Bezüglich des Verhältnisses Deutsch­lands zu England bezog er sich auf eine Aeußerung BülowS, des ausgezeichneten Diplomaten, der leider aus seiner führenden Stellung geschieden sei. So­bald man anfangen werde, die aufrichtigen Fciedens- bestrebungen Deutschlands zu würdigen, werde sich von selbst eine Beschränkung der Rüstungen ergeben. Hildenbrand (So;.) unterzog die Haltung der Liberalen znr Frage der direkten Steuern, ferner die der Konservativen und schließlich auch noch ganz besonders die Politik des Zentrums einer eingehen­den Kritik. Die württembergische Regierung habe bei der Finanzreform keine Richtlinie gehabt, weil

sie auch der Reichsregierung gefehlt habe. ES wäre eine bessere Finanzreform zustande gekommen, wenn das Zentrum die hundert Millionen direkter Steuern bewilligt hätte. Das Verlangen nach Sparsamkeit werde erst aufhören, wenn gerechte Steuern, d. h. solche eingeführt werden, die die Reichen zu tragen haben. Die Sozialdemokratie freue sich über diese Periode der Gesetzgebung, denn nun erkenne man die Notwendigkeit der direkten Steuern an und rufe nach Frieden und Abrüstungspolitik. Das beweise, daß die Ideen der Sozialdemokratie marschieren. Im Laufe seiner Ausführungen wurde der Redner vom Präsidenten zweimal zur Ordnung gerufen. Dr. Hie der (DP ) verteidigte besonders die Ecb- anfallsteuer als den einzigen Weg, um die soziale Gerechtigkeit dieser Steuergesetzgebung zum Ausdruck zu bringen. 90 Prozent unserer ländlichen Bevöl­kerung wären von dieser Steuer gar nicht getroffen worden. Der Redner kritisierte weiterhin die Talon- und Wechselstempelsteuer als eine Belastung des schwächeren M ttelstandes. Seine Partei sei bereit, mit jeder anderen Partei zusammenzuarbeiten, die auf nationalem Boden stehe und nicht einseitige Interessen verfolge. Vogt (KS.) verteidigte seine Ablehnung der Erbanfallsieuer, die früher auch vom Fürsten Bülow verurteilt worden sei und keineswegs sozial gerecht wirke und den Familiensinn in der Tat untergraben hätte. Die Liberalen hätten es versäumt, bessere indirekte Steuern vorzuschlagen. Sodann wandte sich Gröber nochmals ia längerer Rede gegen verschiedene Angriffe, wobei er u. a. sagte, Bülow habe in den letzten Jahren für seine Partei mehr einen Gegenstand des Mitleids, als des Aergers und schließlich der Komik gebildet, welche Aeußerung von dem Ministerpräsidenten v. Weizsäcker zucückgewiesen wurde. Nach weiteren Ausführungen Hildenbrands (Soz.) wurde sodann die Debatte geschlossen, deren Zwecklosigkeit im Laufe der heutigen Beratungen mehrmals hervorgehoben wurde. Auch Ministerpräsident v. Weizsäcker sagte gegen Schluß der Sitzung, die Regierung wäre dankbar, wenn die Debatte ein Ende fände. Montag

nachmittag Etnzelberatung über die Tarif- und Steuererhöhungen.

Stuttgart 7. Aug. Der Polizei­bericht schreibt : Gestern vormittag sind an der Kreuzung der Schloß- und Friedrichstraße zwei Straßenbahnwagen zusammengestoßen, wobei beide Wagen beschädigt wurden. Personen sind nicht verletzt. In einer Baukantine wurden gestern abend zwei junge Arbeiter nach vorausgegangenem Wortwechsel von drei Italienern durch Messer­stiche in Unterleib und Rücken lebensgefährlich verletzt. Die Täter, die sofort flüchtig gingen, wurden heute früh vier Uhr durch eine hiesige radfahrende Schutzmannspatrouille in Fellbach festgenommen. Am gleichen Abend kam in der Hackstraße ein 51 Jahre alter Schlosser beim Abspringen von einem in voller Fahrt befindlichen Straßenbahnwagen zu Fall und zog sich Kopf­verletzungen zu.

Zuffenhausen 8. Aug. Der bei Ge­brüder Germann bedienstete 19 Jahre alte Pferde­knecht Christian Großmann suchte gestern vor­mittag sein durchgehendes Gefährt aufzuhalten und erhielt dabei vom Pferde einen so schweren Schlag gegen die Magengegend, daß er nach Ludwigsburg ins Krankenhaus geschafft werden mußte.

Güglingen OA. Brackenheim 7. Aug. In verschiedenen Wingerten am Kaiserberg und Seeberg sieht man gefärbte Trauben. Manche Beeren sind am Weichwerden. Der Ertrag wird aber sehr verschieden ausfallen. Man trifft in den niederen Lagen V» und V- Trauben an, in den höheren Berglagen dagegen ganze Volltrauben. Nicht selten finden sich an einer Traube große, mittlere und kleine Beeren, sodaß eine ungleiche Reife bevorsteht. Der August sollte jetzt kochen,

Das Haus gegenüber.

Kriminal-Roman von E. Kent.

(Fortsetzung.)

Zunächst möchte ich wissen," schrieb Doktor Rowland weiter,ob in ihrer Verwandschaft ein großer, gut gewachsener junger Mann sich befindet. Ich erinnere mich, gehört zu haben, sie sei ihrer Mutter einziges Kind; aber hat sie nicht etwa einen Vetter, mit dem sie auf dem Fuße geschwisterlicher Vertraulichkeit steht? Zweitens: Ist sie verlobt? Oder etwa heimlich verlobt? Und wenn dies der Fall ist, mit wem? Drittens : Wie heißen ihre hervorragendsten Bewerber? Viertens: Welche eng mit ihr befreundete Dame hat sehr dunkles Haar und ist schlank , und groß?

Ich brauche Dir nicht zu sagen, daß Du diesen Brief als streng ver­traulich ansehen mußt; auch brauche ich Dir nicht zu versichern, daß nur die tiefste Teilnahme für Fräulein Derwent und die Ueberzeugung, daß sie Hilfe braucht, mich veranlassen, in ihre Angelegenheiten mich einzumischen.

Mehr kann ich Dir nicht sagen. Frage mich also, bitte, nicht! Gute Nacht, alter Junge! Hoffentlich geht's mit Deinem Bein gut. Mit herzlichem Gruß Dein Charles K. Rowland."

Hierauf kam folgende Antwort:

Hope Farm, Beverley, Freitag, den 11. August.

Lieber Charley!

Wie sehr mich Dein Brief interessiert hat, kannst Du Dir vorstellen, wenn ich Dir sage, daß ich May Derwent schon als kleines Mädel gekannt habe und daß ihr Landhaus keine zehn Minuten von dem unsrigen ent­fernt liegt. Sie ist genau so alt wie meine Schwester Alice, ich habe sie aber nicht näher gekannt, als bis sie im vorigen Winter zum erstenmal in Gesellschaft ging denn acht Jahre bilden zwischen Kindern eine ge­

waltige Schranke. Ich verehre und bewundere May ganz außerordentlich, denn sie ist nicht nur ein sehr schönes, sondern auch ein sehr liebens­würdiges Mädchen. Gewisse Dinge lassen sich nicht gut erklären aber ich kann Dir versichern, wenn Du die ganze Wahrheit hinsichtlich der Ver­legenheit, worin sie sich befinden soll, kenntest, so würdest Du finden, daß sie ihr nur zur Ehre gereichen kann. Sie ist ein hochherziges, etwas stürmisches Mädchen edel, aufrichtig und zuverlässig im höchsten Grade. Ich habe gerade eben meine Schwester vorsichtig sondiert und gefragt, warum ich denn May während meines ganzen Aufenthaltes noch nicht ge­sehen hätte, während sie doch sonst täglich in unserem Hause ein und aus gegangen wäre. Hierauf erzählte Alice mir, seit drei Monaten sei May Derwent völlig verändert. Aus einem glücklichen, sorglosen, von Gesundheit und Fröhlichkeit übersprudelnden Mädchen sei sie ein zurückhaltendes, bei­nahe trübsinniges junges Weib geworden. Sie wolle nirgendwo hingehen und verbringe den größten Teil ihrer Zeit entweder auf ihrem Zimmer oder auf langen, einsamen Spaziergängen oder -ritten. Der Doktor spricht von Nervenüberreizung. Sollten aber ein paar fröhliche Wintermonate solche Folgen bei einem blühenden jungen Mädchen haben? Dies kann ich unmöglich glauben, und ich muß daher annehmen, daß May etwas auf der Seele hat, was auf ihren Körper einwirkt. Wenn nun ein junges, reiches, schönes und vielumworbenes Mädchen plötzlich menschenscheu, blaß und melancholisch wird, so ist die übliche Erklärung dafür eine un­glückliche Liebe. Diese Erklärung kann sich ja auch als die wahre erweisen; inzwischen aber kann ich noch mit einer anderen Hypothese aufwarren, zu welcher die uns bekannten Tatsachen meiner Meinung nach sogar noch besser stimmen als zu der anderen.

May Derwent ist nicht das einzige Kind ihrer Mutter, sondern sie hat oder hatte wenigstens einen um etwa zehn Jahre älteren Bruder, der, wie ich gestehen muß, einer der Heroen meiner Knabenjahre war. Er war nur wenig älter als wir andern Jungen, aber viel größer