766

8 Liebenzell 4. Aug. Am letzten Montag wurde hier unter großer Beteiligung von Jung und Alt namentlich auch seitens der Kurgäste das Kinderfest abgehalten. Zum Glück zeigte der Himmel an diesem Tage ein etwas freundlicheres Gesicht und so konnte das aufgestellte Programm ohne Störung abgewickelt werden. Ein liebliches, ansprechendes Bild bot der Kinderfestzug, welcher von der Lehrerschaft geleitet unter Vorantritt der Kurkapelle die festlich geschmückten Straßen durchzog. Auf dem Fest­platze entwickelte sich rasch ein fröhliches Leben und Treiben. In bunter Reihe folgten die Spiele der Kinder, je abgesondert für Mädchen: Eiertragen, Schneckenhüpfen, Ballwerfen; für Knaben: Klettern, Sackhüpfen, Schießen. Große Heiterkeit erregte das Wurstschnappen. Einige Papierballons, sogar einZeppelin", wurde unter den Klängen des LiedesDeutschland, Deutsch­land über alles" in die Höhe gelassen. In schöner, harmonischer Weise verlief das Kinderfest und jeder der Teilnehmer ging wohlbefriedigt nach Hause.

Herrenberg 4. Aug. Die Teilstrecke HerrenbergPfäffingen der Eisenbahn­linie TübingenHerrenberg wird, lt.Gäubote", am 10. eventuell 12. August von der Kgl. Generaldirektion der Staatseisenbahnen kom­missarisch übernommen werden. Die Inbetrieb­setzung der Bahn wird einige Tage später erfolgen.

Stuttgart 4. Aug. Im Charlottenhof fand heute abend eine zahlreich besuchte Ver­sammlung von Zigarren-, Tabak- und Kolonialwarenhändlern statt zwecks Festsetzung der neuen durch das Tabaksteuergesetz bedingten Verkaufspreise. Es wurde eine Er­höhung für Zigarren beschlossen. Die Fünf-, Sechs- und Sieben-Pfennig-Zigarren werden um je einen Pfennig, die Acht- und Zehn-Pfennig- Zigarre um je zwei Pfennig, die Zwölf-Pfennig- Zigarre um drei Pfennig im Preis erhöht. Durch Plakate soll das Publikum darauf aufmerksam gemackt werden, daß die Erhöhung der Verkaufs­preise für Zigarren, Tabak, Kau-und Schnupftabak am 16. August in Kraft tritt. Die bisher übliche Abrundung der Preise, z. B. daß 6 Stück 7 ^-Zigarren für 40 verabfolgt werden, und alle Gratiszugaben fallen weg. Zum Schluß verpflichteten sich die anwesenden Detailhändler durch einstimmige Annahme einer Resolution, die vom 16. August ab zu entrichtende Nachsteuer auf ausländische Zigarren auf die Kundschaft abzuwälzen.

Stuttgarts Aug. König Ferdinand von Bulgarien und sein Sohn Boris weilten

gestern hier und besuchten die Daimler'schen Motorenwerke in Untertürkheim. Der König erkundigte sich nach dem von ihm in Auftrag ge­gebenen Mercedes-Wagen. König Ferdinand blieb vor- und nachmittags in der Fabrik und ließ sich verschiedene Wagen vorführen. Dann bestieg er selbst einen Rennwagen und fuhr in schnellstem Tempo durch die Straßen der Stadt.

Besigheim 4. Aug. In vergangener Nacht zwischen 2 bis 3 Uhr wurde im hiesigen Postamt ein schwerer Einbruchdiebstahl verübt. Die Diebe drangen mittelst Nachschlüsseln durch die verschlossene Garten- und Haustüre in den unteren Vorraum ein und gelangten von da aus in das Dienstzimmer des Vorstands und in die übrigen Räumlichkeiten des Postamts. Gegen eine etwaige Ueberraschung durch den Vorstand hatten sie sich dadurch gesichert, daß sie die zu dessen Wohnung führende Glastüre im 1. Stock von außen versperrten. Den Einbrechern fielen ein Wertbrief über 2600 sowie Postwert­zeichen im Betrag von etwa 600 -^7 in die Hände. An der Fortschaffung des Kassenschranks, der schon von der Stelle gerückt war, wurden sie durch Geräusch vom 1. Stock gestört; sie flüchteten rasch unter Zurücklassung zahlreicher Einbruchs­werkzeuge. Bis jetzt konnten die Diebe nicht gefaßt werden. Nachschrift: Drei der Einbrecher wurden in Zuffenhausen verhaftet. Es sind Gipser aus Feuerbach, die bis gestern abend an einem Neubau in Löchgau beschäftigt waren. Der größte Teil der gestohlenen Summe wurde bei ihnen vorgefunden, den Rest vermutet man bei einem 4. Einbrecher, dessen man noch nicht habhaft ge­worden ist.

Besigheim 4. Aug. Die Kirchen­ernte hat einen Ertrag geliefert, wie seit vielen Jahren nicht mehr. Allein bei der hiesigen Station wurden 11000 Körbe im Gesamtgewicht von 250 000 Kilogramm eingeliefert. Nimmt man als Durchschnittsertrag 7 ^ an, so ergibt es den schönen Betrag von 35 000 -^7. Wer Bekannte oder Verwandte in unserem Gäu hatte, der hat über diese Zeit gewiß einen Besuch ab­gestattet und ist ohne ein Körbchen Kirschen an der Hand nicht abgereist. Die Anzahl der Körbe, die per Achse befördert wurden, läßt sich nicht feststellen, macht aber immerhin eine große Zahl Zentner aus.

Nürtingen 4. Aug. Im Stationshaus der Eisenbahngesellschaft wurde in ver­gangener Nacht durch Diebe eine Riegelfachwand ausgebrochen und in den Kassenraum eingestiegen. Aus einer Schublade, die erbrochen worden ist, wurden einige hundert Mark gestohlen.

Als Dieb vermutet man einige Stromer, die vor einigen Tagen auf der hohenzollerschen Neben­bahn Trochtelfingen einen ganz ähnlichen Einbruch verübt haben.

Geislingen 4. Aug. Wie wir erfahren, ist der Einbrecher von Kuchen, der sich letzten Sonntag einen Griff in die Gemeindekasse erlaubte, und sie um ca. 7000 ^ erleichterte und damit das Weite suchte, in Würzburg in Begleitung einer Dame verhaftet worden. In seinem Besitze befanden sich noch 6000 Der Dieb, namens Stahl, ein Schwager des dortigen Gemeindepflegers, 21 Jahre alt und in letzter Zeit in Stuttgart beschäftigt, ging raffiniert zu Werk. Er sandte von Stuttgart aus einen Brief an seinen Schwager mit der Bitte, er möge ihn doch besuchen, da er schwer krank im Kranken­haus liege und mit ihm noch etwas besprechen wolle. Der nichts Böses ahnende Schwager und seine Frau reisten nach Stuttgart, wanderten dort von Spital zu Spital, fanden aber zu ihrem Leidwesen unter den vielen Patienten nirgends den gesuchten Kranken. Dieser fuhr in der gleichen Zeit mit der Bahn nach Kuchen und beraubte in Abwesenheit des Gemeindepflegers in ungestörter Weise die Gemeindekasse.

Ulm 4. Aug. Seit einiger Zeit war be­kanntlich eine Söldnersfrau aus Jungingen mit zwei Kindern abgängig. Nun ist die Leiche der Frau in der Nähe von Riedheim bei Günz- burg, die Leiche eines der Kinder weiter unter­halb aus der Donau gezogen worden, während das andere Kind noch nicht aufgefunden werden konnte. Die Frau hat in geordneten Verhält­nissen gelebt und die Tat zweifellos in geistiger Störung begangen.

Ravensburg 4. Aug. Der Todessturz von Dr. Mattes ist nicht im Rappenloch erfolgt, sondern im Gebiet der Schaufelquellen. Dr. Mattes, der in Begleitung einer seiner Töchter und eines etwa 10jährigen Sohnes war, wanderte über die Rappenlochschlucht und das Alploch hinaus weiter den Felsenpfad, der im letzten Jahre etwa auf die Länge einer Wegstunde zu der neu entdeckten Schaufelquelle und zu der bis dahin unbekannten Schaufelnschlucht angelegt wurde, von wo ein steiler, fast senkrechter Pfad zu der etwa 26 m höher gelegenen Quelle führt. Auf der Suche nach einem andern Rückwege dürfte ein Fehltritt ihn in die Tiefe gerissen haben. Fräulein Mattes, die lt.Oberschw. Anz.", dem Vater zu Hilfe eilen wollte, stürzte selbst herab, knapp neben den sterbenden Vater, der einen Schädelbruch erlitten hatte. Sie trug mehrere Verletzungen davon, schleppte sich aber,

Das Haus gegenüber.

Kriminal-Roman von E. Ke nt.

(Fortsetzung.)

Bitte, sehen Sie den Toten an", unterbrach der Coroner sie hastig, und sagen Sie mir, ob Sie ihn je zuvor gesehen haben."

Nein, Herr!"

Nachdem sie noch ein paar Fragen mit überwältigender Zungen­fertigkeit beantwortet hatte, wurde sie entlasten, und ihr Gatte erschien. Es war ein großer, kräftiger Mann, mit wahren Falkenaugen, offenbar bedeutend älter als seine Frau. Er machte beim Eintreten uns alle eine Verbeugung, stellte sich bescheiden neben die Tür und wartete, bis er an­geredet würde.

Wie heißen Sie?" fragte der Coroner.

. .Cölestin Argot."

Sie sind bei Herrn Stuart bedienstet?" ,

Jawohl, Herr. Ich bin Herrn Stuarts Kammerdiener^"- >

Sehen Sie die Leiche an, und sagen Sie mir, ob Sie dann einen Menschen erkennen, den Sie kennen oder auch nur gesehen haben."

Er sah jetzt zum ersten Male auf den Leichnam, und es kam mir vor, als ob sein Antlitz sich unmerklich zusammenzöge. Diese Bewegung war aber so flüchtig, daß ich meiner Sache nicht sicher war, und als er wenige Augenblicke später wieder aufsah, antwortete er in vollkommener Ruhe:Ich kenne den Mann nicht."

Augenscheinlich war der Coroner nicht ganz befriedigt, denn er fuhr fort:Wie Sie misten, ist der Mann ermordet worden; es ist daher Ihre Pflicht, uns alle Auskunft zu geben, die zur Feststellung seiner Per­sönlichkeit dienen könnte. Haben Sie während der letzten Tage verdächtige Menschen in der Nähe des Hotels bemerkt?"

Nein, Herr! Niemanden!"

Es kam mir vor, als hätte er eine Sekunde gezögert, ehe er diese Antwort gab. »

Sie müssen eine Menge Leute die Hintertreppe auf und ab gehen

sehen", bemerkte der Detektive,besonders während dieser heißen Tage, wo Sie doch die Küchentür offen stehen lassen müssen, um ein bißchen kühlen Zug zu bekommen."

Der Mann warf einen schnellen und, wie mir's vorkam, furchtsamen Blick auf Merritt und erwiderte schnell:Jawohl, Herr! Die Tür steht beinahe immer offen, aber ich habe niemanden gesehen."

Niemanden?" wiederholte der Detektive.

Jawohl!" versicherte Argot noch mit größerem Nachdruck.Niemanden natürlich außer dem Schlächter, dem Bäcker und den andern Lieferanten."

Um welche Stunde machen Sie für gewöhnlich die Küchentür auf? Ich meine, um sie offen zu lasten."

O, nicht vor etwa acht Uhr, weil Madame Argot noch nicht an­gezogen ist."

Um welche Zeit gehen Sie zu Bett?"

Gewöhnlich um zehn, manchmal aber auch erst um elf oder um zwölf. Das kommt ganz auf die Umstände an."

Wann gingen Sie am Dienstag zu Bett?"

Um elf."

Was hatten Sie den Abend über gemacht?"

Ich war mit einigen Freunden im Wirtshause gewesen."

Und wann kamen Sie nach Haus?"

Ungefähr um halb elf."

,Kamen Sie zur Hintertür herein?"

Ja."

Wie kamen Sie ins Haus?"

Meine Frau öffnete mir."

Und sahen Sie niemanden, als Sie hineinkamen?"

Er zauderte einen ganz kurzen Augenblick und antwortete dann? Nein, Herr."

Ich war aber jetzt überzeugt, daß er etwas verschweige.

Gut. Sie können gehen", sagte der Coroner. Der Mann machte seine Verbeugung und entfernte sich voll ruhiger Würde.

(Fortsetzung folgt.)