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Amts- Md Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
177.
84. Jahrgang.
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chrscheinungStage: Montag, Dienstag, Mittwoch, LonnerStag, Freitag und Samstag. Hnsertionspreis »v Pfg. pro Zeile für Stadt n. BezickLorte; außer Bezirk 12 Pfg.
Montag, Len 2. August 1909
Bezugspr.i.d. Stadt ^jährl.m. Trägerl. Mk. 1 . 25 . PostbezugSpr f.d. Orts- u. Nachbarortsverk. H^jährl. Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1 . 30 . Bestellg. in Württ. 30 Pfg., in Bayern u. Reich 42 Pfg
Tagesserüg?eite«.
Calw 2. Aug. Das Realprogymnasium beging am Samstag vormittag die Beendigung des Schuljahrs 1908/09 in üblicher Weise mit einem feierlichen Schlußakt im Georgenäum. Zahlreich hatten sich zu der Feier die Eltern der Schüler und die Freunde der Anstalt mit Ausnahme der städtischen Behörden eingefunden. Nach dem Gesang der Schüler: Sollt ich meinem Gott nicht singen? hielt Rektor Dr. Weizsäcker eine Ansprache, in der er über das abgelaufene Schuljahr Bericht erstattete und hiebei noch einige andere wichtige Verhältnisse der Schule beleuchtete. Er gedachte zuerst der Veränderungen im Lehrkörper, hob sodann die Vorteile der neuen Prüfungsordnung hervor und teilte hierauf mit, daß die Versetzungen Heuer so günstig ausgefallen seien wie schon lange nicht mehr, indem in allen 7 Klassen im ganzen nur 11 Schüler nicht vorrücken konnten. Von den beiden Schülern der 7. Klasse hat der eine die Reifeprüfung für Prima mit der Note gut, der andere die Aufnahmeprüfung in Klasse VlII des Gymnasiums in Tübingen mit Erfolg bestanden. In Klasse VI konnte sämtlichen 19 Schülern das Zeugnis der wissenschaftlichen Befähigung für den einjährigen Dienst erteilt werden. Ueber die unzulänglichen Räumlichkeiten der Sckmle machte der Rektor folgende, allgemeines Interesse verdienenden Ausführungen: Die Schülerzahl des Realprogymnasiums, die am Anfang des Schuljahrs 172 betrug und im Lauf desselben durch verschiedene Austritte wegen Wegzugs oder der Konfirmation auf 158 gesunken ist, wird, nachdem in die Vorklasse bei der jüngst vorgenommenen Prüfung wieder 34 Schüler ausgenommen worden sind und noch einige Anmeldungen auf Beginn des
Schuljahrs in Aussicht stehen, wieder über 170 betragen. Wenn das Anwachsen der Schülerzahl in den unteren Klassen in diesem Maßstab weitergeht, so können die in manchen Fächern, wie Religion, Erdkunde, Naturbeschreibung und Schönschreiben noch bestehenden Verbindungen zweier Klassen zu gemeinsamem Unterricht nicht mehr aufrecht erhalten werden, da die Schüler zweier Klassen in einem Zimmer nicht mehr Raum haben; ja für die Vorklasse allein will der Raum jetzt schon kaum mehr ausreichen. Wenn die Vereinigungen zweier Klassen in verschiedenen Fächern nicht mehr beibehalten werden können, so wird man künftig auch mit der jetzigen Zahl von Lehrern um so weniger mehr ausreichen, als jetzt schon verschiedene Lehrer bis hart an die Grenze der Pflichtstundenzahl (30 Wochenstunden) belastet sind, in einem Maße, wie in keiner anderen Anstalt des Landes. All das verkündigt immer eindringlicher die dringende Notwendigkeit der möglichsten Beschleunigung eines neuen größeren und besser ausgestatteten Heims für unsere Anstalt. Die bürgerlichen Kollegien haben sich schon voriges Jahr von der Notwendigkeit eines Neubaues überzeugt, nur wurde damals trotz meiner Gegenvorstellung die Frage einer veränderten Organisation der Anstalt hereingezogen. Verhandlungen über Neuorganisationen pflegen in der Regel sich sehr in die Länge zu ziehen und für die Frage der Einrichtung des Neubaus kommt die der inneren Organisation der Anstalt nicht in Betracht. Das dringendste Bedürfnis ist der Neubau, die Absicht einer Aenderung in der Organisation darf für die Erfüllung dieses dringendsten Bedürfnisses keinen Hemmschuh bilden. Die Zahl der Lehrzimmer, die Räume für Physik und Chemie, für Bibliothek, Rektoratszimmer, Lehrerzimmer, Zeichensaal, Schuldienerzimmer usw. bleibt sich
völlig gleich, ob die bisherige Ordnung bleibt oder eine Realabteilung bis Klasse Vl (mit Einjährigenexamen) angegliedert wird. Diese Frage sollte also die Inangriffnahme des Neubaus nicht aufhalten. Wenn diese nicht bald erfolgt, so kommen wir in den nächsten Jahren in dringende Not. Ich vertraue zu der Einsicht und dem Wohlwollen der Väter dieser Stadt, daß sie dem Notwendigen den Rang vor dem Wünschenswerten einräumen werden, das daneben her immer noch im Auge behalten werden kann und wird. — Den scheidenden Schülern legte der Rektor dringend ans Herz, sie möchten auch fernerhin die Pflege der schönen Künste nicht vernachlässigen, sondern aus der Schule die Freude an dem Schönen in Kunst, Dichtung und Natur in das Leben hinausnehmen, denn was sei das Leben ohne die Kunst, ohne Schönheit! Mit herzlichen Worten des Dankes gegen Gott für alle im letzten Schuljahr an Lehrern und Schülern erwiesenen Wohltaten schloß der Rektor seine treffliche Ansprache. Auf die Rede folgten sodann Gesänge, Deklamationen der Schüler und die Verteilung von Prämien und Belobungen. Die „Einjährigenprüfung" erstanden 3 Schüler mit der Note gut, 10 mit befriedigend und 6 mit genügend. Mit der Feier war eine Ausstellung von Zeichnungen verbunden, die die neue Methode im Zeichnen erkennen ließ und an der man mit wirklichem Vergnügen betrachten konnte, welch neue Bahnen und welch neuen Erfolg der Unterricht eingeschlagen hat. Es sind sehr erfreuliche Leistungen, die zur Nacheiferung anspornen. Mit dem Lied „Singe, wem Gesang gegeben rc.", fand die einfache aber würdige Feier ihren Abschluß. — Für die Zukunft möchten wir eine kleine Ausschmückung des Festsaales mit Blumenschmuck angelegentlich empfehlen; der große Raum mit den kahlen Wänden macht einen
Das Haus gegenüber.
Kriminal-Roman von E. Kent.
(Fortsetzung.)
„Frau Atkins, ich muß Sie ersuchen, den Toten noch einmal anzusehen", sagte der Detektive, indem er sie scharf fixierte. „Einer von den Liftjungen hat in der Leiche einen Herrn erkannt, der Sie am Dienstag abend besuchte."
Sie erhob den Arm, wie wenn sie einen Schlag parieren wollte, und sagte: „Ich kenne den Mann nicht."
„Sie leugnen, daß er Sie am Dienstag abend besucht hat?"
„Gewiß leugne ich das!" antwortete sie mit fester Stimme.
Ich sah, daß sie jetzt schnell ihre Selbstbeherrschung wiederfand, und ich erkannte, daß ich mich in meinem Urteil über die kleine Frau geirrt hatte. Unter diesem sanften, kindischen Aeußeren mußte ein unbezähmbarer Wille sich bergen.
„Leugnen Sie, daß Sie an jenem Abend überhaupt einen Herrn empfingen?"
Sie warf einen hastigen Blick auf alle Anwesenden und antwortete dann:
„Nein."
„O! Sie hatten also einen Herrn bei sich? Wer war es?"
Sie zögerte einen Augenblick, ehe sie sagte:
„Ein alter Freund!"
„Wollen Sie so freundlich sein, uns seinen Namen zu nennen?"
„Nein! Ich wünsche nicht, daß er in diese Angelegenheiten verwickelt wird."
„Frau Atkins", sagte der Detektive, „der Tote, der hier liegt, ist ermordet worden, und" —
Ein Schrei unterbrach ihn.
„Ermordet! O nein, nein!" stammelte sie mit weit aufgerifsenen Augen.
„Es tut mir leid — aber darüber kann nicht der geringste Zweifel sein."
„Aber wann? Wie?" fragte sie mit zitternder Stimme.
„Dienstag abend."
Sie holte tief Atem. Der Ausdruck des Entsetzens wich von ihren Zügen und sie wiederholte ganz gefaßt: „O, Dienstag abend!" — mit einer leichten Betonung des Dienstag.
Die Veränderung ihres Wesens war geradezu verblüffend. Sie erschien ruhig — beinahe gleichgültig.
„Haben Sie herausgefunden, wie er ermordet wurde?" fragte sie.
„Ja, er wurde ins Herz gestochen, und zwar mittels eines Werkzeuges, das nicht dicker gewesen sein kann als eine Stricknadel."
„Wie seltsam!" rief sie aus. „Wissen Sie, wer das Verbrechen begangen hat?"
„Noch nicht," antwortete der Coroner. „Und jetzt, Frau Atkins, frage ich Sie nochmals, ob Sie sicher sind, den Toten niemals zuvor gesehen zu haben."
„Ja!" antwortete sie fest.
„Und sind Sie bereit, in diesem Sinne auch vor der Jury auszusagen? „Ja."
„Es ist Ihnen bewußt, daß der Liftjunge in bestimmter Weise in dem Ermordeten ihren Besucher erkannt hat?"
„Ich nehme an, daß mein Wort so gut ist wie das eines Niggers," sagte sie, indem sie herausfordernd den Kopf in den Nacken warf.
„Ohne Zweifel", antwortete der Coroner höflich; „aber wenn Sie uns Namen und Adresse Ihres Freundes sagen wollten, könnten wir ihn ausfindig machen. Und sobald die Polizei sicher wäre, daß der Betreffende am Leben ist, würde Ihnen die Unbequemlichkeit erspart bleiben, vor Gericht als Zeugin erscheinen zu müssen."
„Vor Gericht!" wiederholte sie mit einem Ausdruck des Schreckens.