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letzten Jahre ist sodann noch eine weitere Privat­handelsschule in Calw errichtet worden, die heute bereits über 100 Schüler hat und anerkannter­maßen ebenfalls gut geleitet ist und wir wissen, daß auch sonst noch eine Reihe Privathandels­schulen in unserem Lande bestehen. Meine Herrn, ich fürchte nun, daß derartige Privat­anstalten durch die Gründung einer staatlichen Handelsschule mit niederen Schulgeldsätzen in ihrer Existenz bedroht wären und ich möchte des­halb den Herrn Staatsminister bitten, falls der Antrag der Kommission Annahme findet, auf diese Verhältnisse weitgehendste Rücksicht zu nehmen und diesen Privathandelsschulen vor seinen Ent­schließungen Gelegenheit zu geben, sich zu äußern und ihre Interessen wahrzunehmen. (Beifall.)

Frankfurt a. M. 29. Juli. Graf Zeppelin jun. ist hier eingetroffen, um im Aufträge der Luftschiffahrt-Gesellschaft Zeppelin die Vorbereitungen für die Landung des 2 Ii zu treffen. Graf Zeppelin sen., welcher das Luftschiff führen wird, wird während seines Aufenthaltes in Frankfurt bei dem Präsidenten der Jla, Kommerzienrat Ganz, Wohnung nehmen. Zur Feier der Ankunft werden am Samstag Mittag auf dem Platze vier Kapellen konzertieren, welche sich abends zu einem Monstre-Konzert vereinigen. Am Samstag Abend 8 Uhr findet zu Ehren des Grafen Zeppelin im Weinrestaurant der Jla eine Feier statt.

Leipzig 29. Juli. Die offiziellen Feierlich­keiten zur 500-jährigen Jubelfeier der Universität Leipzig haben heute mit der Ankunft des Königs Friedrich August, des Kronprinzen von Sachsen und anderer Mit­glieder des königlichen Hauses ihren Anfang genommen. Die Stadt prangt im Festschmuck. Der Fremden-Zustrom ist kolossal. Die Ankunft des Königs erfolgte heute früh kurz vor 8 Uhr auf dem Dresdener Bahnhofe. Im Fürsten­zimmer des Bahnhofs fand Empfang des Königs durch den Rektor der Universität und die Spitzen der Behörden statt. Der König begab sich hie­rauf zu Wagen nach dem königlichen Schloß. Nach kurzem Aufenthalt dort fuhr der König und die anderen Mitglieder des Königshauses nach der Universitätskirche. Die Festpredigt hielt der Geheime Kirchenrat Dr. Rierschel. Nach Schluß des Festgottesdienstes begann um 10 V 2 Uhr im neuen Stadttheater der eigentliche Festakt. Zu­nächst erfolgte die Beglückwünschung der Uni­versität durch König Friedrich August, worauf die hier eingetroffenen Deputationen der auswärtigen Universitäten ihre Glückwünsche darbrachten. Nach dem Festakt fand beim Universitätsrektor Früh­

stück statt. Abends giebt die kgl. Staatsregierung im Palmengarten ein Festmahl.

Leipzig 29. Juli. Zu dem großen Festmahl, das die Kgl. Staatsregierung heute abend den Jubiläumsgästen imPalmengarten" gab, waren im ganzen 807 Personen geladen. Neben dem König saßen rechts und links der Großherzog von Baden und der Großherzog von Hessen. Auch Prinz Max von Sachsen nahm mit den beiden ältesten Söhnen des Königs an der Festtafel teil. Nach der Suppe brachte König Friedrich August das Kaiserhoch aus. Darauf toastete Kultusminister Dr. Beck auf König Friedrich August als erstem akademischen Bürger aus dem Hause Wettin und auf den Rektor Llassnitious der Universität Leipzig. Der König äußerte sich ungefähr folgendermaßen:Wir alle find mit herzlicher Liebe für die Universität Leipzig erfüllt. Meine Regierung und die Stände sind allezeit bereit, die Universität Leipzig an die Spitze der Universitäten zu stellen. Für meine Universität ist mir das Beste gerade gut genug: Stoßen Sie an, meine Herren, auf das Wohl unserer lieben, innigstgeliebten Universität!" Der König trank darauf aus dem der Universität von dem Rektor Dr. Binding gestifteten Ehren­pokal. Rektor Dr. Binding dankte dem König für die ehrenvollen Worte und sprach den Wunsch aus, daß das Geschlecht der Wettin auch noch hoch dastehen möge in den Tagen, wenn das 1000jährige Jubiläum der Universität Leipzig gefeiert werde. Der Rektor trank auf das Blühen und Gedeihen des Hauses Wettin. Es sprachen dann noch Vertreter mehrerer ausländischer Uni­versitäten und Städte.

Berlin 29. Juli. DerStuttg. Mgp." wird berichtet: Es bestätigt sich, daß das Militär­luftschiff Groß II an den diesjährigen Kaiser­manövern in Württemberg teilnehmen wird. Bei dieser Gelegenheit soll auch die zerlegbare Halle Verwendung finden, die sich bei den Ver­kehrstruppen befindet. Es sind bereits je ein Offizier, 5 Unteroffiziere und 75 Mann von den Verkehrstruppen und von der 3. Kompagnie des Luftschifferbataillons bestimmt worden, um Uebungen mit der transportablen Halle vorzu­nehmen, um ihre Aufstellung und ihren Trans­port kennen zu lernen.

Berlin 29. Juli. DerVorwärts" bringt heute einen längeren Artikel, indem er den württembergischen Genossen die immer noch nicht parieren wollen, bittere Vorwürfe macht, daß sie durch ihr Verhalten bei dem Gabelfrüh­stück des Königs von Württemberg die große Masse irre machten an dem Klassenstaat. Er

schreibt: Daß König Wilhelm II von Württem­berg ein persönlich hochachtbarer Mann ist, der sein Amt unparteiisch und streng rechtlich zu führen sucht, wird von niemand bestritten. Hier handelt es sich nicht um die Person, sondern um die Institution. Als Vertreter und Vorkämpfer der Demokratie müssen wir die Monarchie be­kämpfen, ganz gleichgültig, wer zufällig das Szepter führt. Darum haben sich die Sozial­demokraten, wenn nur irgend möglich, von Ver­anstaltungen fern zu halten, die mit Huldigungen für Monarchen und Monarchie verknüpft sind. Das hätte auch der Gegner verstanden, auch Wilhelm II von Württemberg. Daß es der Sozialdemokratie ferne liegt, gegen ihn persönlich zu demonstrieren, weiß Wilhelm II so gut wie jeder andere auch. Dem verlogenen Geschrei der bürgerlichen Zeitungen hätte man leicht trotzen können, und ein neuer Zwiespalt unter den Parteigenossen selbst wäre vermieden worden.

Berlin 29. Juli. Gestern abend sind eine Anzahl von Vorstandsmitgliedern der kon­servativen Vereine Berlins und Umgebung hier zusammengetreten und haben gegen die Haltung der konservativen Reichstagsfraktion zur Reichsfinanzreform Stellung genommen. Die Versammelten beschlossen die Gründung einer neuen konservativen Partei auf volkstüm­licher Grundlage. Programm und Aufruf zum Beitritt sollen bereits in den nächsten Tagen veröffentlicht werden.

Winterthur. Ein angesehener Bürger und Mitglied der Stadtbehörde wurde, weil er als Witwer sich wieder verheiraten wollte, von seinem 22 Jahre alten Sohn, der kürzlich sein Lehrerexamen bestanden hatte, im Schlafe durch zwei Schüsse getötet. Der Sohn tötete sich dann selbst durch zwei Kugeln.

Madrid 29. Juli. Einer bisher unbe­stätigten Meldung zufolge belaufen sich die Verluste der Spanier bei dem letzten Gefecht bei Melilla auf 1000 Tote und über 1000 Verwundete. Die Lage in Madrid und Barzelona wird immer trüber. In Barzelona, wo die Revolutionäre Herr von ganzen Stadtteilen sind, errichten sie Barikaden von der Höhe eines Stockwerkes. Es verlautet, daß der Gouverneur von Barzelona ermordet worden sei.

Gottesdienste.

8. Souutag ««ch Arknit-, 1. August. Vom Turm: 414. Predigtlied - 412, Ringe recht, wann Gottes Gnade. 8 Uhr Frühgottrsdicnst, Stadtpfarrer Schmid. '/-IO Uhr: Predigt, Dekan R 0 0 8. 1 Uhr - Christen­lehre mit den Töchtern.

Nicht der Papst hat in Kanossa einen Triumph gefeiert, sondern der König hat ihn gezwungen, durch Aufhebung der Maßregel, die ihn lahm gelegt hatte, ihn in den Stand zu setzen, von neuem den Kampf zu beginnen. Nach Kanossa gehen wir nicht!" Dieses Wort ist zu unserer Zeit in ganz anderem Sinne wahr geworden, als sein Urheber meinte. Der moderne Staat hat den Kulturkampf mit Waffen geführt, die seiner nicht würdig sind und hat ihn kläglich beendigt; er hat damit eine Saat von Mißtrauen gestreut, unter deren Früchten wir heute noch leiden. Heinrich hat durch seinen Kanossagang dem Papst die Verfügungsmacht über das deutsche Königtum aus der Hand gewunden und sich selbst wieder regierungsfähig gemacht. Eine Versöhnung der Gegner war aber nicht erreicht. Heinrich IV hatte dem Papst versprechen müssen, hinsichtlich der Klagen der Deutschen sich seinem Urteilsspruch zu unterwerfen und ihm zur Reise nach Deutschland sicheres Geleit zu geben. Er konnte aber bei seinen Anhängern in der Lombardei nicht Schritte verhüten, in denen der Papst eine neue Feindseligkeit gegen sich erblickte. Dieser selbst, obwohl er den deutschen Gegnern Heinrichs, die ihn betrogen hatten, die Schuld an der in Kanossa erlitten Niederlage beimaß, blieb doch mit ihnen eng verbunden; die gemeinsame Abneigung gegen den König bildete das Band. Auf die Nachricht hin, daß die Fürsten damit umgehen, einen neuen König zu wählen, sandte er zwei Legaten, die auf Verschiebung der Königswahl hinwirken sollten, bis der Papst persönlich eintreffen werde. Heinrich seinerseits erklärte sich außer stände, dem Papste das gewünschte Geleite zur Reise zu geben, was auch tatsächlich der Fall war. Die Fürsten aber bereiteten dem Papste zum zweiten Male eine herbe Enttäuschung, indem sie über seinen Kopf weg in Forchheim am 15. Februar 1077 Herzog Rudolf von Schwaben zum Gegenkönig wählten. Dieser zeigte dem Papste wohl an, daß er, freilich gezwungen, wie er heuchlerisch vorgab, die Leitung des Reichs übernommen habe, und war in Worten sehr devot, aber der Papst wurde aufs peinlichste von dieser Nachricht betroffen, war er doch von der entscheidenden Stellung, die er für sich beanspruchte, die aber auch Heinrichs erbitterte Feinde ihm nicht einzuräumen gedachten, von dem Schiedsrichteramte, wiederum weggerückt worden. Sobald Heinrich

in Erfahrung gebracht hatte, daß sein Schwager Rudolf als Gegcnkönig gegen ihn aufgestellt sei, wandte er sich mit der Bitte an den Papst, er möchte über Rudolf den Bann aussprechen, worauf die Antwort erfolgte, der Papst werde dies gerne tun, sobald er auf eingezogene Rechenschaft hin klar erkannt haben werde, auf welcher Seite das Recht liege. Nicht weniger als drei Jahre lang zog der Papst mittelst Entfaltung aller diplomatischen Künste die Entscheidung zwischen den beiden Königen hin, vergeblich auf die Gelegenheit wartend, da er in Deutschland als Schieds­richter das Machtwort sprechen werde.

Heinrich IV gelang es, durch die fast unzugänglichen Pässe des Kärntner Landes nach Bayern zu gelangen. Hier durfte er erfahren, daß er nicht erfolglos den schweren Büßgang nach Kanossa gemacht, daß er, als vom Bann losgesprochen, Kampfes- und Regierungsfähigkeit zurückerlangt habe. Die alte Treue empfing ihn; fast alle bayrischen Herren hielten zu ihm und leisteten Heeresfolge, desgleichen Herzog Wradislaw von Böhmen; aber auch in Schwaben, wo die feindseligen Herzoge Welf und Berthold reich begütert waren, fehlte es nicht an erge­benen Anhängern, so daß Rudolf vor Heinrichs Uebermacht sich nicht halten konnte, sondern schleunig nach Sachsen entweichen mußte, wo der tapfere Kriegsmann sich an die Spitze derselben Aufrührer stellte, die er zwei Jahre früher als Heinrichs IV Waffengefährte bekriegt hatte. Auf einem Tag in Ulm wurden Ende Mai die drei oberschwäbischen Herzoge ihrer Lehen und Würden für verlustig erklärt und Heinrichs Anhänger damit belohnt. Bischof Embriko von Augsburg nahm das heilige Abendmahl zum Gottesurteil für Heinrichs gerechte, Gregors VII ungerechte Sache. Furchtbar war die Vergeltung, die Heinrich I V an seinen Feinden nahm, namentlich Schwaben hatte unter der barbarischen Kriegführung schrecklich zu leiden, insbesondere die Böhmen erwiesen sich als Unmenschen; sie entweihten die Gotteshäuser, schonten weder Frauen und Greise noch Kinder, verwüsteten die Gebiete durch Plünderung und Brand. Ebensowenig Erbarmen war auf der Gegenseite, erzählt doch der Chronist, wie wenn es eine alltägliche Sache wäre, daß einige 1000 Bauern, die für Heinrich kämpften, teils getötet, teils verstümmelt worden seien. (Fortsetzung folgt.)