Kundgebung der Demokratie zu werden. Den Ansprachen bei der öffentlichen Volksversammlung, die nachmittags um halb 3 Uhr imReutewald" stattfindet, dürfte sich ein besonderes Interesse zuwenden, das sich durch die politischen Vorgänge der letzten Wochen in Reich und Land noch be­deutend erhöht. Es werden sprechen der Ab­geordnete des 9. Reichstagswahlkreises, Konrad H außmann, überDie neue Reichsregierung", der Landtagsabgeordnete Professor Nägele- Tübingen überKulturfragen und Staats­finanzen" und Landtagsabgeordneter Löchner- Stuttgart überDie Schulnovelle und die Erste Kammer". Durch die Ausführung eines Sonder­zugs (Schwenningen ab 7.54 abends, Rottweil an 8.30) mit Anschluß in der Richtung nach Horb und nach Tuttlingen ist auch entfernter Wohnenden der Besuch des Parteitags wesentlich erleichtert. Etwaiges schlechtes Wetter hoffentlich wirds einmal besser sollte niemand vom Besuch abhalten; denn der Saalbau des HotelsRößle", der bei Regenwetter benützt wird, bietet Raum für 1200 und mehr Personen.

Neckarhausen (Hohenzollern) 14. Juli. Letzte Nacht wurde hier im Postamt einge­brochen und der Aufsatzkasten mit 300 in bar und 80 in Wertzeichen gestohlen. Ver­dächtigt, den Einbruch verübt zu haben, sind drei Zigeuner.

Fr ei bürg i. Br. 13. Juli. Chef- redakteurH erzog von derBadischen Presse", der wegen Beleidigung des Fräuleins Olga Molitor zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt worden war, ist heute nachmittag, nachdem er einen Teil seiner Strafe (4 Monate) verbüßt hatte, aus dem Landesgefängnis entlassen worden. Der Rest der Strafe wurde ihm im Gnadenweg erlassen.

Berlin 14. Juni. Eine Extraausgabe des Reichsanzeiger" meldet die nachgesuchte Ent­lassung des Fürsten Bülow unter Verleihung des Schwarzen Adlerordens mit Bril­lanten und die Ernennung des bisherigen Staats­sekretärs des Innern v. Bethmann-Hollweg zum Reichskanzler, und Präsidenten des Staatsministeriums, sowie Minister des Auswärtigen bekannt. Ferner die Er­nennung des Staatsministers Delbrück zum Staatssekretär des Innern; die Ernen­nung des Reichsschatzsekretärs Sydow zum preußischen Handelsminister, sowie die des Unterstaatss-kretärs des Innern Wermuth zum Staatssekretär im Reichsschatzamt, sowie die nachgesuchte Entlassung des preu­ßischen Kultusministers Holle und die Ernen­nung des Oberpräsidenten der Provinz Branden­burg v. Trott zu Solz zumpreuß. Kultus­minister, schließlich die Ernennung des Unter­staatssekretärs in der Reichskanzlei v. Löbell zum Oberpräsidenten der Provinz Bran­denburg.

Berlin 14. Juli. (Der neue Kanzler.) Als im März 1905 der Minister des Innern, v. Hammerstein, starb, trat v. Bethmann- Hollweg an dessen Stelle. Schon 1901 war ihm der Ministerposten angeboten worden, gerade, als in Preußen der Kampf um die Kanalvorlage tobte, v. Bethmann-Hollweg zog es damals vor, auf seinem Posten in Potsdam zu bleiben. Mit seiner ersten Rede im April 1905 offenbarte sich der neue Minister bei der Beratung eines Antrages auf Errichtung eines Wohlfahrtsamtes als ein praktischer Sizialpolitiker und glänzender Redner. Als bald darauf die Frage der preu­ßischen Wahlrechtsreform angeschnitten wurde, trat er mit einer viel bemerkten Rede über dieses schwierige Problem hervor. Er hütete sich wohl, gleich einem feiner Vorgänger das Dreiklassenwahlrecht als keiner Verbesserung be­dürftig zu bezeichnen, machte aber auch anderer­seits kein Hehl daraus, überall im Reichstag, bei Kongressen und Empfängen, daß eine gesunde, sich stetig entwickelnde Lösung unter Berücksichti­gung der durch sie verursachten finanziellen Lasten die dringendste soziale Frage sei. Viel, was Herr v. Bethmann-Hollweg teilweise von seinem Vorgänger übernommen, teilweise selbst eingeleitet hat, harrt nach der Erledigung, so die Pensionsversicherung der Privatbeamten, die Einrichtung der Arbeits­

kammern, die Versicherungsordnung und die Versicherung der Heimarbeiter. In allgemein politischer Haltung schloß er sich ganz dem Fürsten Bülow an, den er als Vizepräsident des preu­ßischen Staatsministeriums oft zu vertreten hatte. In seinem Ressort kam diese Richtung in der Vorlage des Reichsvereinsgesetzes zum Ausdruck, das eines der wichtigsten positiven Ergebnisse der ehemaligen konservativ-liberalen Paamng dar­stellt. Herr v. Bethmann-Hollweg wurde hiefür vom Kaiser mit dem Großkreuz des roten Adler­ordens ausgezeichnet. Der jetzige Reichskanzler ist seit 1889 mit Martha v. Pfül vermählt. Aus dieser Ehe sind zwei Söhne und eine Tochter entsprossen. Sein ältester Sohn steht im 19. Lebensjahr. In der Gesellschaft Berlins spielt das Haus Bethmann eine glänzende Rolle und die Empfänge in den Gebäuden der Wilhelm­straße sind wegen der Liebenswürdigkeit seiner Wirte und seiner internationalen Gesellschaft bekannt. Mit derBörse ist Bethmann in seiner früheren Stellung als Oberpräsidialrat und dann als Oberpräsident der Provinz Brandenburg in Berührung gekommen. Vor einigen Jahren er­schien v. Bethmann persönlich an der Börse. Seiner Anregung war es seiner Zeit nach In­krafttreten des Börsengesetzes von 1896 zu ver­danken, daß Geheimrat He mp tenm ach er, jetzt Vorstandsmitglied der Kommerz- u. Diskontobank, erster Staatssekretär der Berliner Börse wurde. Diese Wahl hat sich bekanntlich in der Folge als sehr glücklich erwiesen. Für die Revision des Börsengesetzes trat v. Bethmann-Hollweg nicht so energisch ein, wie Minister Delbrück, über dessen Scheiden aus dem Handelsministerium die Börse keineswegs entzückt war.

Berlin 14. Just. Die Kaiserin empfing heute nachmittag den Fürsten und die Fürstin Bülow in Audienz. Später erteilte die Kaiserin dem Reichskanzler Hrn. v. Beth­mann-Hollweg, dem sächsischen Gesandten und dem bulgarischen Gesandten die nachgesuchten Audienzen.

Berlin 14. Juli. Die Nordd. Mg. Ztg. schreibt: Der Reichstagsabgeordnete Frhr. v. Ga mp richtete an den Fürsten v. Bülow folgendes Telegramm: Ew. Durchlaucht sprechen die zum Abschiedsessen versammelten Mitglieder der Reichspartei ihr tief empfundenes Be­dauern aus, daß Ihre nach innen und außen so erfolgreiche Kanzlerschaft ihr Ende finden soll. Wir werden die hohen Verdienste Ew. Durch­laucht um die Entwicklung des Reiches immer in dankbarer Erinnerung behalten. Es gereicht uns zur besonderen Genugtuung, Ihre Politik stets und nicht zuletzt unterstützt zu haben. Gez.: Frhr. v. Gamp. Darauf antwortete Fürst v. Bülow folgendes: Ew. Hochwohlgeboren danke ich aufrichtig für die warm empfundenen Worte, die Sie im Namen der Reichspartei aus Anlaß meines Rücktritts an mich gerichtet haben. Ich werde nicht vergessen, wie viel die freikonser­vative Partei für die Interessen des Reiches und für die Ziele meiner Politik in treuer erfolg­reicher Mitarbeit geleistet hat. Gez.: Fürst v. Bülow.

Berlin 14.Juli. Eine Explosion hat im Laboratorium der Rapidin-A.-G. in Bir­kenwerder stattgefunden, wo ein Ersatzstoff für Benzin hergestellt wird; und zwar dadurch, daß Direktor Steinhardt, der mit einem Sauerstoff­apparat experimentierte, ein Ventil versehentlich öffnete und im Schrecken eine Platte fallen ließ. Es erfolgte eine heftige Detonation und der Raum wurde mit Stichflammen erfüllt. Direktor Steinhardt, seine Braut und ein 3jähriger Neffe erlitten schwere Brandwunden. Die Haut Steinhardts ist fast völlig verkohlt. Die Schwerverletzten wurden in die Charitee nach Berlin gebracht.

Hamburg 14. Juli. Eine Mordtat, die noch der Aufklärung bedarf, wurde gestern in Lockstedt bei Hamburg entdeckt. Im Hause Rüterberg 19 wurde der Schlächtermeister Jungk­heim ermordet aufgefunden. Die rechte Gesichts­hälfte wies eine klaffende Wunde auf. Der Mörder hat dann den Schwerverletzten, um einen Selbstmord vorzutäuschen, mit einem Leibriemen aufgehängt. Geld und Schlüssel wurden bei dem

Toten vorgefunden. Es scheint ein Racheakt vorzuliegen.

Aus der Schweiz 13. Juli. Schnee­fall in den Alpen. Aus Meyringen wird geschrieben: Man glaubt sich in den Bergen in den Herbst versetzt, überall tönt das Geläute der Glocken von dem Vieh, welches infolge des er­neuten Schnees gezwungen war, seine Alpen zu verlassen, um in der Nähe der Dörfer Nahrung zu suchen. Seit Samstag abend hat es nun bis auf eine Höhe von 1200 Meter hinab ununter­brochen geschneit; die Landschaft zeigte sich im vollkommenen Winterkleid; sogar auf den untersten Stufen, den sog.untern Staffeln" der Berg­weiden liegt der Schnee 25 Zentimeter hoch; da ist an einWeibersömmern" nicht mehr zu denken, wenn man nicht das Vieh dem Verhungern und dem sich erkälten aussetzen will. Man muß die Not in den Bergen selbst mitangesehen haben, um sich ein richtiges Bild davon machen zu können. Das Vieh und sein Ertrag stellt das einzige Ver­mögen dieser Bergbevölkerung dar; vermindert sich derselbe, wie in den letzten Tagen um fast die Hälfte oder bleibt, wie zu befürchten steht, ganz aus, so ist für diese Leute der finanzielle Ruin da; denn sie sind nicht mehr imstande ihre Grundpfandzinsen zu bezahlen. Die eigenen Be­dürfnisse lassen sich nicht mehr einschränken, es ist erstaunlich, mit wie wenig diese Bergbewohner ihr Leben fristen. Der Schaden, den dieses Wetter angerichtet, wird von kundiger Seite auf viele Millionen Franken geschätzt. Die ältesten Leute besinnen sich nicht an solche Witterungs­verhältnisse, 1871 und 1888 fiel auch sehr lange Regen im Juli, aber so schlimm wie jetzt war es noch nie, man muß bis ins Jahr 1816 zurück­gehen; damals soll es nach verbürgten Berichten ähnlich gewesen sein wie heute. Auch glaubt man gar nicht auf baldige Besserung hoffen zu können, erst mit den Hundstagen dürfte es bester werden, meinen die erfahrenen Leute der Gegend. Die wenigen Gäste, die bereits in die entlegenen Berghotels eingerückt sind, rüsten sich zur Abreise und wollen nicht mehr Geduld haben. Daß es nicht nur in der Schweiz, sondern auch in den bayrischen Bergen ganz gleich steht, ist kein Trost, sondern bestätigt nur die Tatsache, daß der Juli dieses Jahr eine eigentliche Wetterkatastrophe gebracht hat.

Moskau 14. Juli. In der Nacht auf Mittwoch flohen 12 wegen politischer Vergehen verurteilte Frauen, 1 Kriminalverbrecherin und 1 Aufseherin aus dem Frauengefängnis.

Petersburg 14. Juli. Seit gestern sind an Cholera 102 Personen erkrankt und 43 gestorben. Die Gesamtzahl der Erkrankten be­trägt 814.

Wann treten die neuen Steuern in Kraft? Es werden in Kraft treten: das Brausteuergesetz am 1. August ds. Js., die Bestimmungen über die Abgabenerhebung von Bier für Rechnung von Gemeinden, die Aenderungen des Zollvereinigungsvertrags vom 8. Juli 1867 dagegen erst am 1. April 1910 das Tabaksteuergesetz am 15. August 1909, bezüglich der Aenderung des Zigaretten­steuergesetzes von 1906 am 1. September 1909, das Branntweinsteuergesetz am 1. Oktober 1909 die Reichsstempelnovelle am 1. August 1909, die Bestimmungen über den Scheckstempel am 1. Oktober 1909 die Erhöhung des Kaffee- und Teezolls am 1. August 1909, die Zündholz- und Be­leuchtungssteuer am 1. Oktober 1909, des­gleichen die Schaumweinsteuer.

Gemeinnütziges.

Schlecht eingebrachtes Heu. Es wird sich empfehlen, wenn man dieses Jahr das verlagerte und wenig gut heimzubringende Heu salzt. Man macht es gewöhnlich so, daß man auf dem Heuboden auf eine halbmeterhohe Schicht einige Hände voll Salz ausstreut, so daß auf 1 Zentner Heu etwa Pfund Salz kommt. Das Heu wird nicht schimmlig, vergärt rasch, es wird schmackhafter und das Vieh nimmt es dann so gerne, wie trocken eingebrachtes Futter. Die Kosten für das Salz kommen reichlich ein. Man versuche es.