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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

84. Jahrgang.

ErschetnungStage: Monraa, Dienstag, Mittwoch, Tonnerstag, Freitag und Samstag, Jnsertionspreis '.g Psg. pro Zeile für Stadt u. Bezirksorte; außer Bezirk Psg,

Donnerstag, -en 15. Juli 1909.

r.i,d, Stadt'/Zährl.m.TrLgerl.Mk, I. 2 S. Postbezugspr, f. d, Lrts- u. Nachbarortsverk, >/,jahrl. Mk. 1.20, im Fernverkehr lik, i.so. Bestellg. in Württ. so Psg., in Bagern u. Reich 42 Psg.

Tagesueuigkeiteu

Calw 15. Juli. (Viehmarkt.) Die Zufuhr zum gestrigen Markt betrug an Groß­vieh 390 Stück. Der Handel ging schleppend. Verkauft wurden 17 Paar Ochsen und Stiere zu 6401180 ^ das Paar, 41 Kühe zu 240 bis 510 46 Kalbeln und Jungvieh zu 160

bis 490 ^7, 9 Kälber zu 62106 das Stück. Auf dem Schweinemarkt war der Handel infolge starker Zufuhr wenig belebt. Zugebracht waren 345 Milchschweine, 119 Läufer. Erstere wurden verkauft zu 2455 letztere zu 60 bis 125 das Paar.

Stuttgart 14. Juli. Die Zweite Kammer nahm zunächst in ihrer heutigen Sitzung die Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Beschaffung von Geldmitteln für den Eisenbahnbau und für außerordentliche Bedürfnisse der Verkehrsanstalten­verwaltung vor. Es erfolgte einstimmige Annahme. Abg. Andre (Z.) erstattete sodann Bericht namens der volkswirtschaftlichen Kommis­sion zu verschiedenen Eingaben um Erbauung neuer Eisenbahnlinien und stellte den Antrag: 1) Die Eingabe der Gemeinden Markgröningen, Möglingen, Ludwigsburg vom 23. April 1908 um Erbauung einer normalspurigen Nebenbahn von Ludwigsburg nach Markgröningen durch den Staat der Kgl. Staatsregierung zur Berücksich­tigung zu übergeben; 2) die Eingabe der Ge­meinden Oberriexingen, Unterriexingen und Enz­weihingen vom 20. Mai 1908 um Fortsetzung der unter Ziff. 1 genannten Bahn bis Enzweihingen der K. Staatsregierung zur Erwägung zu über­geben; 3) die Eingabe der Gemeinden Ludwigs­burg, Möglingen, Markgröningen, Unterriexingen, Oberriexingen und Enzweihingen vom 27. Juni 1907 um Konzesffonierung der Nebenbahn Enz­weihingenMarkgröningenLudwigsburg und

um Verwilligung eines Staatsbeitrags damit für erledigt zu erklären. Abg. Andre (Z.) wies in seinem ausführlichen Bericht auf die große volks­wirtschaftliche Bedeutung der vorgeschlagenen Bahn für die dabei interessierten Gemeinden hin und und machte Mitteilungen über die Kommissions­verhandlungen. Abg. Eisele (Vp.) bedauert, daß die Kommission nur halbe Arbeit gemacht hat, indem sie nur die Bahn bis Markgröningen zu bauen empfiehlt und die Interessen von Enz­weihingen nicht berücksichtigt. Eine Privatgesell­schaft habe sich bereit erklärt, die ganze Bahn­linie von Ludwigsburg bis Enzweihingen zu bauen und er möchte anregen, die Frage noch­mals in Erwägung zu ziehen. Keil (Soz.) tritt besonders für die Interessen der Stadt Mark­gröningen ein, deren Verkehrswünsche bisher völlig unberücksichtigt geblieben sind. Er hätte es nicht für erwünscht angesehen, wenn eine Privatbahn neben der Staatsbahn gebaut würde. Ihm sei auch nichts bekannt davon, daß die Privat­gesellschaft noch jetzt bereit sei, den in Aussicht ge­nommenen Bahnbau zu übernehmen. Bei der Be­sprechung der von der Kommission befürworteten Linien, führte Redner aus, man gewinne den Ein­druck, als ob die unrentablen Bahnen mehr Aussicht auf baldige Erstellung böten, als die rentablen Linien. Ministerpräsident v. Weizsäcker teilt das warme Interesse des Abg. Keil für Mark­gröningen. Das Projekt bis Markgröningen sei vorbereitet, die Weiterführung bis Enz­weihingen, finanziell betrachtet, sei keine günstige Sache. Man sei jetzt im Juli und die Arbeiten seien dringlich. Dabei sei der Abg. Keil wieder auf die konfessionelle Eisenbahnpolitik zu sprechen gekommen. Er möchte nochmals ausdrücklich be­tonen, daß es für die Regierung keine katholischen und evangelischen Eisenbahnen gibt und daß j derartige Gesichtspunkte in der Generaldirektion > außer Betracht bleiben. Die Bahnlinie bis Mark­

gröningen müsse in Zusammenhang mit dem Bahn­hofumbau in Ludwigsburg erstellt werden. Abg. Rübling (BK.) stellte die Zustimmung seiner Fraktion zu dem Kommissionsantrag in Aussicht. Abg. Schnaith (Vp.) trat gleichfalls für die Interessen Markgröningens ein, empfahl eine Beschleunigung des Ludwigsburger Bahnhof­umbaus und befürwortete den Kommissionsantrag. Rembold - Aalen (Ztr.) stimmt dem Kommissions- antrage zu. Seine Partei lasse sich einzig und allein in diesen Fragen von sachlichen Gründen leiten. Der Abg. Keil habe heute etwas zahmer gesprochen, aber das bleibe doch an der Sozial­demokratie hängen, daß von ihrer Seite kon­fessionelle Gesichtspunkte in die Debatte hinein­getragen würden. Das werde ihr nicht vergessen werden. Redner wies nochmals auf die Grund­sätze hin, die für die Erbauung neuer Bahnlinien maßgebend seien. Abg. Eisele (Vp.) befür­wortete nochmals den Bau der ganzen Linie bis Enzweihingen. Abg. Häffner (DP.) hielt es für wünschenswert, daß das, was zur Zeit er­reichbar ist, positiv festgelegt werde. Seine Partei werde für den Kommissionsantrag stimmen. Abg. Keil (Soz.): Der Abg. Rembold sei es gewesen, der die Bahn nach Markgröningen zurückstellen wollte. Er wolle doch nochmals betonen, daß außer nach den vom Abg. Rembold dargelegten Grundsätzen, auch nach anderen, geheimen Grund­sätzen Bahnen vorgeschlagen würden. Wenn auch der Ausdruck katholische Bahnen vielleicht nicht zutreffend sei, so weiß doch jeder, auch die Herren im Zentrum, daß manche Bahnwünsche nur erfüllt wurden, um dem Zentrum den Mund zu stopfen, daß geradezu ein Handel damit getrieben wurde. Ministerpräsident v. Weiz­säcker: Von einem solchen Handel wisse er in seiner Unschuld nichts, er müsse es bestimmt aus­sprechen, daß während seiner Amtsführung in der Verwaltung nichts derartiges vorgenommen ist. Er

-« Abt Wilhelm in Hirsau i069 1091 .

5. Charakterbild Abt Wilhelms.

(Fortsetzung.)

Ohne manchfache Irrungen konnte es auch nicht abgehen bei der schroffen Stellung, die die Parteien gegen einander einnahmen in dem großen Kampfe, in den Wilhelm als einer der einflußreichsten Führer verwickelt war. Zwar war er keineswegs blind und nachsichtig gegen offenkundige Schäden der eigenen Partei, gegen die er, wie wir sehen werden, mit Mannesmut aufgetreten ist, und er hat auch die Schmach auf sich nehmen müssen, die nirgends in der Welt dem freimütigen Wahr­heitszeugen erspart bleibt; aber in der leidenschaftlichen Erregung, die im Gemüte der Streitenden um so mehr hervorgerufen wird, je höher die Interessen sind, für die man Kraft und Leben einsetzt, stets maßvoll, gerecht und billig alles abwägend, auch über den Gegner zu urteilen, und die Sache der eigenen Partei nur mit Anwendung der reinsten Mittel zu verteidigen und zu verfechten, ist eine schwierige Aufgabe, die bis auf den heutigen Tag den in der Hitze des Kampfes Stehenden nicht leicht gelingt. Auch Wilhelm unterlag dem Lose des Parteiführers.

Was aber die zeitgeschichtlichen Schranken betrifft, innerhalb deren sich Wilhelm bewegte, und welche einen dauernden Erfolg der von ihm beabsichtigten sittlich-religiösen Reform des Volkslebens unmöglich machten, so besteht diese in der mittelalterlichen Weltanschauung, über die Wilhelm sich ebenso wenig erheben konnte als irgend einer der gleichzeitig Lebenden. Noch stund es volle vier Jahrhunderte an, bis der Mann das Licht der Welt erblickt hat, der die Axt an die Wurzel dieses Baumes gelegt hat. So rasch sich vor unfern Augen der Fortschritt vollzieht, den die Menschheit macht in der Erkenntnis der Natur und in der Beherrschung

ihrer Kräfte, so langsam geht es vorwärts auf den Gebieten des Geistes­lebens. Der Wahn und die Verkehrtheit der Menschen sind gewaltige Mächte, die in immer neuen Formen sich hemmend in den Weg stellen und ganze Perioden der Reaktion herbeiführen. Aber der endliche Sieg der Wahrheit kann nicht zweifelhaft sein, trotz allen nicht selten mit brutaler Gewalt verbundenen Gegenwirkungen läßt sich die Gegenwart nicht mehr auf den Standpunkt mittelalterlicher Verblendung zurückschrauben.

Zwei Hauptirrtümer beherrschten zu Abt Wilhelms Zeit allgemein die religiöse Anschauung. Der erste liegt auf dem Gebiete der Glaubens­lehre und besteht darin, daß der römische Papst als der Stellvertreter Gottes auf Erden betrachtet wurde. Der Gedanke, daß Papst und Kirchen­versammlungen sich auch im Widerspruch mit dem lautern, richtig verstan­denen Evangelium befinden können, kam keinem einzigen unter den damals Lebenden in den Sinn. Auch die erbittersten Gegner Gregors VII bezweifelten nicht die Allgewalt des Papstes und die Pflicht jedes Menschen, sich ihm gehorsam zu unterwerfen; ihre Bekämpfung ging vielmehr von der Voraussetzung aus, Gregor Vll, als nicht rechtmäßig auf den Stuhl Petri erhoben, sei gar nicht Papst, sondern er sei der bloße Mönch Hildebrand. Daß wir, um mit Gott ins reine zu kommen, weder des Papstes noch irgend eines Priesters als Vermittlers bedürfen, d. h. der evangelische Gedanke des allgemeinen Priestertums lag ganz außerhalb des Horizonts der damaligen Christenheit.

Der andere Grundirrtum liegt auf dem Gebiete der Sittenlehre. Die mittelalterliche Frömmigkeit fordert, wenn nicht von allen Menschen, so doch von denen, welche die Stufe der evangelischen Vollkommenheit erreichen wollen, die völlige Abtötung der natürlichen Triebe. Vornehmlich drei Triebe sind es, die der Mönch ausrotten muß, wenn er seinem Stande Ehre machen und mit dem abgelegten Gelübde nicht in Widerstreit kommen will: er muß seinen Eigenwillen unbedingt dem des kirchlichen