158.
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
84. Jahrgang.
Srscheinungstage: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag, Jnsertionsprets >0 Psg,r>roZeile sürStadtu,Bezirksorte! außer Bezirk 12 Vfg.
Samstag, den 10. Juli 1909.
Bezugspr.i.d, Stadt'/<jührl,m, Trägerl, Mk, I,LS, Poftbezugspr. f, d, Orts- u. Nachbarortsverk, >/,jährl. Mk, 1.20, im Fernverkehr Mk, t,so. Bestellg. in Württ. so Pfg.. in Bagern u. Reich 42 Pfg.
Tagesueuigketteu
^ Calw 10. Juli. Mit dem 1. Juli hat der Betrieb der Nonnenmach e r'schen Mühle aufgehört, da die Mühle nun in den Besitz der Stadt übergegangen ist. An diesem Besitzwechsel zeigt sich auch die Umwandlung der Zeit im Betriebe verschiedener Erwerbsverhältnisse. Die Stadt besaß 3 Mühlen, die untere, die schon lange als Mühle aufgehört hat, die mittlere, die vor einigen Jahren einem anderen Betrieb zugeführt wurde, und die äußere Mühle, die am längsten Bestand hatte, und besonders von der Landkundschaft besucht war. Die untere und die mittlere Mühle sind von der mächtig vorwärts schreitenden Industrie in Besitz genommen worden, während die äußere Mühle einer neuen Macht, der Elektrizität, dienen soll. An Stelle der klappernden Mühle treten nun andere Kräfte, die aber so wenig ruhen wie die Mühle, sondern in noch mächtigerer Weise sich der Zeit anpaffen und schöne Erzeugnisse menschlicher Schöpfungskraft Hervorbringen.
Calw 9. Juli. In Nr. 137 des Wochenblattes vom 16. Juni war über einen seltenen Wallfahrtsgebrauch berichtet: In dem Städtchen Viggiano in der südital. Provinz Basilicata sollen diejenigen Wallfahrer, welche ein Bruchleiden haben, ein recht eigenartiges Mittel anwenden, um von ihrem Leiden befreit zu werden: „Sie suchen ein keimendes Reis, das in zwei Teile geschnitten wird. Die beiden Reisstücke werden in die Erde gepflanzt und nun schreiten die Kranken völlig unbekleidet vor den Augen der Menge durch die Mitte. Wenn nach Verlauf eines Jahres die beiden Reisstücke Blätter treiben, so ist das ein Zeichen, daß die erflehte Gnade gewährt ist." — Auf diese Notiz, die einer ital. Zeitung entstammen soll, hat sich ein Leser unseres Blattes an die „Zentral-Aus- kunftstelle der Kathol. Presse, Sitz Köln" um Auskunft in dieser Angelegenheit gewandt, da er es unglaublich fand, daß sich die Kranken unbekleidet vor der Menge zeigen durften. Hierauf erhielt er nachstehende Antwort, die wir auf seinen Wunsch hier gerne Mitteilen:
„Das zuständige Ordinariat Potenz« teilt der Zentr.-Ausk.-Stelle mit, daß von solchen Gebräuchen in Viggiano nichts bekannt ist. Am allerwenigsten ist es vorgekommen, daß jemand unbekleidet sich vor den Augen der Menge zeigte. Wohl kommt es mitunter vor, daß die Pilger zum Zeichen ihrer Buß- gesinnung sich die Schuhe ausziehen, aber alles andere, was die Blätter berichten, ist erfunden und noch dazu nicht einmal gut erfunden."
An der Richtigkeit dieser Darstellung möchten wir nicht zweifeln, aber dem uns gleichzeitig gemachten Vorwurf „rein unglaubliches" veröffentlicht zu haben, mit der Bemerkung gegenübertreten, daß forcierte „Bußgesinnung" schon das „allerunglaublichste" gezeitigt hat.
Stuttgart 9. Juli. Die Zweifle Kammer beriet heute unter dem Vorfitz des Vizepräsidenten Dr. v. Kiene — Präsident v. Payer ist wieder auf 5 Tage beurlaubt — den landwirtschaftlichen Teil des KultetatS (Kap. 64—69). Zunächst kamen einige die Landwirtschaftliche Anstalt in Hohenheim berührende Fragen zur Sprache. Der Berichterstatter Schmid - Besigheim
(Vp.) betonte das Bestreben der Anstalt, die Landwirtschaft zu fördern und den Landwirten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Die Aufwendungen für Hohenheim (165380 seien gut angebracht. Schock (Vp) dankte der Regierung dafür, daß die Hohenhetmer Professoren in den landwirtschaftlichen Bezirksvereinen ohne besondere Genehmigung Vorträge halten dürfen. Keßler (Ztr.) blieb auf der Tribüne unverständlich. Minister v. Fleischhauer konstatierte mit Befriedigung die der landwirtschaftlichen Hochschule zuteil gewordene Anerkennung. Die Regierung sehe darin einen Ansporn, aus dem betretenen Weg fortzuschreiten. Dem Gedanken, die Anstalt unter das Ministerium des Innern zu stellen, stehe er ablehnend gegenüber. Frhr. Per gl er v. Perglas (BK.) wünscht vom nächsten Etat an eine Besserstellung der Professoren. Minister v. Fleischhauer erwiderte, daß die Professoren denen der Tierärztlichen Hochschule und der Baugewerkeschule gleichgestellt find und größere Nebenbezüge haben. Strobel (BK) befürwortete die Gewinnung einer geeigneten Lehrkraft für Zoologie, die im Lehrplan nicht die Ausdehnung habe, die ihr zukommen sollte. Die Tierzucht verdiene die größte Aufmerksamkeit. Frhr. Pergler v. Perglas dankte für die Anstellung eines Dozenten für landwirtschaftliche Maschinenkunde und hob die Bedeutung der Verbindung von Landwirtschaft und Technik hervor. Die gleichzeitige Tätigkeit dieses Dozenten an der Technischen Hochschule habe sich als sehr ersprießlich erwiesen. Bantleon (D.P) erklärte, der Hauptwerk sei darauf zu legen, daß man einen landwirtschaftlichen Maschinensachverständigen bekomme. Wo er seinen Wohnsitz habe, sei gleichgiltig. Sommer (Z) gab seiner Befriedigung über die Anstellung eines solches Dozenten Ausdruck, der auch Private bei Anschaffung von Maschinen beraten sollte. Minister v. Fleischhauer ging auch davon aus, daß der Sachverständige mit den praktischen Landwirten in Fühlung bleiben und Vorträge halten soll. Das Haus müsse später aus seinem früheren Beschluß, der die Anstellung dieses Sachverständigen verlangte, auch die Konsequenz ziehen, daß es 135 000 für ein Laboratorium genehmigt. Nach weiterer Debatte, in der unter anderem zum Ausdruck gebracht wurde, daß die heutigen Erörterungen nichts Neues zu Tage gefördert haben, stellten die Abgg. Frhr. v. Pergler und Dr. Bauer einen Antrag, worin die Regierung ersucht wird, sie möchte den Beschluß vom 18 Juli 1907 auch bezüglich der Lehrtätigkeit des Dozenten für landwirtschaftliches Maschinenwesen an der Technischen Hochschule spätestensbei der definitiv en Regelung dies er Angelcgen- heit zur Ausführung bringen. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Bezüglich der Gartenbauschule in Hohenheim beantragte die Kommission, die Regierung möge Erwägungen darüber anstellen, ob es sich nicht empfiehlt, den bisherigen einjährigen Kurs der Gartenbauschule in Hohenheim in einen mindestens zweijährigen umzuwandeln und außerdem einen mehrmonatigen Winterkurs einzurichten. Ströbel (B.K) beantragte, diseem Winterkurs im darauffolgenden Sommer einen mehrwöchigen Wiederholungskurs folgen zu lassen. Löchner (V.) unterstützte beide Anträge, während Keßler (Z) ihnen entgegentrat. Minister v. Fleischhauer führte aus, daß die Einrichtung eines zweijährigen Kurses wohl möglich sei, vorausgesetzt, daß er auch eine genügende Beteiligung finde. Erhebliche Bedenken beständen gegen den Winterkurs. Es fehle hierzu an Lehrkräften und an Unterrichtsräumen. Das Haus stimmte beiden Anträgen zu. Gegenüber einem Antrag der Kommission, die etatsmäßige Anstellung des I. Assistenten der Anstalt für Botanik und Pflanzenschutz für den nächsten Etat in Erwägung zu ziehen, wies der Minister darauf hin, daß die Gewährung der Beamtenstellung für diesen Assistenten
später sicher die Forderung nach Erhöhung des Gehalts zeitigen werde. Das Haus trage dann selbst die Schuld, wenn den Klagen über eine Vermehrung der Beamtenschaft neue Nahrung gegeben werde. Der Antrag wurde abgelehnt. Keßler (Z.) bemängelte die hohen Betriebszuschüsse für Hohenheim und warf dabei die Frage auf, „ob die Versuchsanstalten dazu da seien, um Versuche zu machen, daß nichts dabei herauskommt." (Schallendes Gelächter). Die Schuldenmacherei in Hohenheim müsse aufhören. Schmid-Besigheim (V.) betonte demgegenüber, daß der Betrieb in Hohenheim sehr modern sei, vielleicht allerdings nicht nach dem Rezept Keßlers. (Heiterkeit.) Sommer (Z ) erklärte, daß Keßler nicht im Namen der Fraktion gesprochen habe, die der Ansicht sei, daß die Anstalt in Hohenheim nicht dazu da sei, um Ersparnisse zu machen, sondern um die landwirtschaftliche Jugend auszubilden. (Zustimmung.) Beim Kap. Tier- ärztlicheHochschule wurde ein früherer Beschluß betr. Gelegenheit zur Ausbildung in der Geburtshilfe bei Haustieren für nicht erledigt erklärt und der Regierung zur nochmaligen Behandlung übergeben. Die Abg. Graf (B.K.), Förstner (D.P.), Jmmendörser (BK.) uud Maier (Z.) befürworteten in längeren Ausführungen den Antrag. Minister v. Fleischhauer wies darauf hin, daß das Hebammenwesen dem Ministerium des Innern unterstehe. Warum solle nur die Ausbildung von Kuhhebammen dem Kultusministerium unterstehen? (Heiterkeit.) Er habe eine Reihe von Gutachten der zuständigen Behörden über die Laiengeburtshilfe eingeholt. Sie hätten aber alle ein negatives Ergebnis gehabt. Nach Ansicht der Tierärzte sei in der Mehrzahl der Fälle das einzig richtige, der Natur den Lauf zu lassen. Trete eine Komplikation ein, so sei der Tierarzt unentbehrlich. Die Einrichtung von Kursen unterliege großen Schwierigkeiten. Vor allem würde es sehr schwer sein, das nötige Demonstrationsmaterial zu erhalten. Locher (Z.) warnte entschieden vor der Laiengeburtshilfe, die daS Pfuschertum großziehen würden. Schmid (V.) erwiderte, die Ausbildung solle gerade dem Pfuschertum entgegenwirken, das jetzt schon in jeder Gemeinde bestehe. Nach weiterer Debatte, deren Ende das Haus selbst beifällig aufnahm, wurde die Weiterberatung um 2 Uhr auf morgen vertagt.
Stuttgart 9. Juli. Der Polizeibericht schreibt: Gestern vormittag wurde einem an dem Tunnelbau des Nordbahnhofs mit Aufladen von Langholz beschäftigten 33 Jahre alten Arbeiter durch einen herabfallenden Balken der linke Unterschenkel abgeschlagen. Der Verletzte wurde nach dem Katharinenhospital übergeführt. — Auf der Kreuzung der Falkert- und Rosenbergstraße brach gestern vormittag ein Träger der Straßenbahnoberleitung. Der Straßenbahnverkehr war 12 Minuten lang gestört. — Gestern abend kam in der Poststraße in Berg ein 48 Jahre alter Mechaniker, der auf einen in der Fahrt befindlichen Straßenbahnwagen aufspringen wollte, zu Fall und erlitt hierbei am Hinterkopf eine nicht gefährliche Verletzung. Er konnte sich nach Anlegung eines Notverbandes nach seiner Wohnung begeben. — Gestern vormittag wurde bei dem städtischen Neckarbad bei Untertürkheim der Leichnam eines seit einigen Tagen vermißten Mädchens aus dem Neckar geländet. Es liegt Selbstmord vor.
Feuerbach 9. Juli. Die Vorarbeiten zum Umbau des Stuttgarter Bahnhofes machen rasche Fortschritte. Ueber den gegenwärtigen Stand dieser Arbeiten ist folgendes zu