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auf und bespritze die Bäume gründlich und wiederholt. Bei Blutläusen ist die elftere Vorschrift zweckdienlicher. Bei anhaltender feuchter Witterung sollten die Bäume auch mit Kupfervitriolkalkbrühe 1-1'/-> gesprizt werden.
Stuttgart 3. Juli. Die Zweite Kammer setzte heute die Beratung des Kultet als fort. Zunächst gab es noch einen Nachklang der Debatte der letzten Tage in der Form einer Rüge für den Abgeordneten Schrempf, der gestern den Führern der Sozialdemokratie vorgeworfen hatte, daß sie in Bezug auf das Christentum anders denken als sie im Halbmondsaal reden. Dann befaßte sich das Haus mit Kap. 61: Universität, und nahm nach Mündiger Debatte, in der verschiedene Fragen gestreift wurden, so die Besserstellung der außerordentlichen Professoren und der Privatdozenten, einen Antrag an, betreffend die Errichtung einer außerordentlichen Professur für Hautkrankheiten im nächsten Etat. In den weiteren Verhandlungen wurde eine Reihe von Einzelwünschen vorgebracht. Nach Erledigung des Kapitels 61 wurde noch in die Beratung des Kap. 70: Technische Hochschule eingetreten und die Weiterberatung auf Dienstag nachmittag vertagt.
Die Nachtfahrt des L I.
Das Luftschiff hat Samstag abend um 11 Uhr Mittelbiberach verlassen und die Weiterfahrt nach Metz angetreten. In flotter Fahrt nahm cs die Richtung Ulm, Göppingen und passierte um 1,50 Min. Stuttgart, V«4 Uhr Karlsruhe. Um 8 Uhr Sonntag früh traf eS iu Metz ein.
Ueber das Eintreffen des Luftschiffes in Stuttgart berichtet ein Sonntag früh 3'/- Uhr vom „Schwäb. Merk." ausgegebenes Extrablatt:
Stuttgart 4. Juli. 3 Uhr morgens. Nach den stürmischen und regnerischen Tagen der letzten Woche die erste stille Sommernacht mit leuchtenden Sternen und der vollen Scheibe des Mondes am klaren Himmel — konnte es ein schöneres Wetter für eine Nachtfahrt S. M. 2 I geben? Nein. Und so überraschte die Nachricht vom geplanten Aufstieg bei Biberach nicht sonderlich. In Zweifel waren die Stuttgarter nur noch darüber, ob das Luftschiff seinen Flug über die schwäbische Residenz nehmen werde oder ob es mit einer Schwenkung quer über den Schwarzwald seinem Ziele zustrebte. Als dann aber gegen Mitternacht die Meldungen von Ulm und Göppingen eintrafen und vom Passieren dieser Städte berichteten, war die Fahrtrichtung klar und das Leben auf den Straßen nahm noch mehr zu. Fortwährend zogen die Scharen den umliegenden Höhen zu, um von da das Schauspiel zu genießen. Auf dem Kanonenweg bewegte sich die Menge fortwährend auf und ab, und auf der Plattform der Uhlandshöhe
wurden über den Zeitpunkt des Eintreffens Vermutungen laut und Berechnungen angcstellt. Vor 2 Uhr, so glaubte man, war nicht mit der Ankunft des Luftschiffes zu rechnen. Umso weniger wollte man glauben, den Ersehnten vor sich zu haben, als etwa 1 Uhr 40 Min. weit im Neckartale aus dem Dunste des Nachthimmels sich mählich ein schwarzer Körper ablöste. Dann blitzten Lichter auf, und einige Minuten später zeichnete sich der schlanke Leib des Lustriesen scharf vom Horizonte ab. Als dann endlich noch das den Stuttgartern schon so bekannte Surren der Propeller vernehmbar wurde, war man sicher, den 2 I vor sich zu haben. Rasch näherte er sich und deutlich sah man nun die Lichter in den Gondeln aufblitzen, sah auch wie aus der vorderen Gondel mit einer großen Fahne gewinkt wurde zur Erwiderung der jubelnden Hochrufe, die von der begeisterten Menge emporgesandt wurden. Und diese Hochrufe pflanzten sich fort gleich einer Welle und drangen schließlich herauf aus der Stadt, deren sonst so stille Straßen widerhallten von dem Jubel und der Begeisterung der Menge. Freudenschüfse wurden abgegeben, und von der Bismarcksäule leuchtete ein rotes Feuer weithin in die dunkle Nacht. Unbeirrt und gleichmäßig aber zog oben, den Sternen nahe, das stolze Fahrzeug seine Bahn, einem Geisterschiffe gleich und beschienen vom blassen Lichte des Mondes. In gerader Linie überflog es die Stadt vom Wasserwerk bis hinüber zur Doggenburg, kurz vor dieser, über Zeppelins Villa, das Vorderteil senkend — seinem Herrn und Meister salutierend! Dann zog es weiter, so sicher, so gleichmäßig wie nie. Und langsam verschwand es drüben in der Dunkelheit der Nacht, einigemal blitzten noch die Lichter der Gondeln auf, dann entzog sich der Luftkreuzer auch dem schärfsten Auge. — Allen aber, die den Schlaf geopfert, wird das großartige Bild unvergeßlich sein und diese Nachtfahrt noch mehr die Majestät des 2 I vor Augen geführt haben wie der Anblick im leuchtenden Sonnenlichte!
Pforzheim 4. Juli. (2.50 Uhr früh.) 2 1 passierte in der Zeit von 2.35 bis 2.43 in gleichmäßiger, schneller Fahrt die Stadt und ihre Umgebung. Man sah nur zuweilen ein Aufblitzen der Lichter in den Gondeln. Ein großer Teil der Bevölkerung war auf den Beinen und begrüßte von den Häusern, Straßen und namentlich den Höhen des Bahnhofs aus das majestätisch dahinfahrende Luftschiff mit stürmischen Hoch- und Hurrarufen. entfernte sich in der Richtung auf Karlsruhe.
Karlsruhe 4. Juli. Das Reichsluft- schifs erreichte um 3.05 Uhr mit seinen wackeren Führern die Stadt und überflog sie in der Zeit bis 3.15 Uhr. Die Bevölkerung begrüßte das Luftschiff mit brausenden Hochrufen.
Bitsch (Lothringen) 4. Juli. 2 I kam
gegen 5 Uhr in Sicht, überflog die Festung und setzte die Weiterfahrt nach Metz fort.
Metz 4. Juli. Um 7 Uhr wurde das Luftschiff aus Kürzel signalisiert. 7.25 Uhr wurde es von Metz aus gesichtet und erschien 7.30 über der Stadt. Der Anblick des kolossalen Fahrzeuges, das sich unter den Strahlen der Morgensonne von dem blauen Aether mit plastischer Deutlichkeit abhob, war wunderbar und versetzte die ganze Bevölkerung ohne Unterschied, ob alldeutsch oder lothringisch, in einen förmlichen Taumel - der Begeisterung. In sicherer, auffallend schneller, dann, nachdem ein Motor abgcstellt war, etwas langsamerer Fahrt, zog das Luftschiff nach dem eine Stunde entfernten Exerzierplatz von Frcscaty, wo sein neues Heim erst vor wenigen Tagen fertig geworden ist. 7.45 Uhr schwebte es über der Lonlungsstelle, zehn Minuten später warmes gelandet und kurz nach 8 Uhr war auch die Bergung in der Halle glatt und glücklich vollzogen. Major Sperling, Hauptmann George und die übrige Besatzung wurden von der Generalität und dem Osfizierkorps begrüßt. Das Publikum, das den Platz in weitem Umkreis umsäumte, brach fortgesetzt in Hurrarufe aus, die nicht enden wollten.
Stuttgart 3. Juli. Herr Direktor Colsmann von der Luftschiffbaugescllschaft Zeppelin in Friedrichshasen hat auf Befragen des „Südd. Corresp.-Bureaus" über die verschiedenen Nachrichten von alten und neuen Differenzen folgende Auskunft erteilt:
„Daß die Militärluftschiffer bei Biberach unsere Hilfe ablehnten, erregt die öffentliche Meinung. Wieder vermutet man Differenzen zwischen tum Grafen und den uns fv sympathischen Herren, die draußen im Rege» stehen und der Abfahrt harren, die Hilfe ablehnend, weil sie keiner bedürfen. Neben dem Helden jeder Sage sieht der Glaube der Völker von je die finstere Gestalt des Bösen. Die lichte Erscheinung des Sonnengottes bekämpft, besiegt das ewig Dunkle. Es ist an der Zeit, hier dieser Mythenbildung entgegenzutreten. Dem Nationalhelden unserer Tage, unsrem verehrten Grafen, dem regen, schaffenden, ballt sich „die harte Teufelsfaust" des Kriegsministeriums rntgcgen, wenigstens in der Phantasie des Volkes, in der Presse, in Wort und Bild. Wenn cs auch Meinungsverschiedenheiten gegeben hat, die auf diesem Gebiete nicht zu vermeiden sind, wenn ich auch selbst durch meine Aeußerungen in der Oesfentlichkeit daran Mitgewirkt habe, daß in neuerer Zeit Gegensätze mit dem Luftschiffbau Zeppelin in technischen Fragen bekannt wurden, so erfülle ich doch gern die Ehrenpflicht, festzustellen, daß das Unternehmens des Grafen dem Kriegsministerium vieles zu danken hat. Oft, fast stets, wenn die Rede auf dieses Verhältnis kommt, betont Graf Zeppelin, daß er dem Eingreifen des Herrn v. Einem allein es danke, seine schwerste Zeit überwunden zu haben. Ich habe schon mehrfach betont, daß wir die Forderung für das, was wir zur Sicherheit unserer Fahrzeuge als notwendig erachten stets wiederholen werden, wiederholen müssen, daß wir aber dennoch volles Verständnis haben für das Abwarten des Kriegsministeriums gegenüber dem gewaltigen Andrang der neuen Aufgaben auf dem Gebiete der Luftschiffahrt, die in neuester Zeit zur Lösung drängen."
Regina.
Roman von I. Jobst.
(Fortsetzung.)
Die allgemeine Aufmerksamkeit konzentrierte sich erst wieder, als der Vorsitzende dem Staatsanwalt Rother das Wort erteilte. Wolf Dietrich hing an diesen unbeweglichen, starren Zügen des öffentlichen Anklägers. War denn nichts in den ernsten Augen zu lesen, die keinen Blick für die Angeklagte zu haben schienen, sondern nur auf die Geschworenen gerichtet waren? Nein, ihr Ausdruck kennzeichnete nur die starre, unzugängliche Psyche des Anklagenden, obwohl er sich doch nach Ellerns Ansicht hätte sagen müssen, wenn je ein Ausnahmefall zur Verurteilung Vorgelegen hatte, so zählte der heutige auch dazu.
Der Staatsanwalt begann. Mit furchtbarem Ernst, der sich mit zerschmetternder Wucht auf die Gewissen der Anwesenden legte, erhob er seine Anklage. Sein „Schuldig", das in jeder Wendung, in jedem Wort zum Ausdruck kam, ließ Wolf Dietrich wiederum in verzweifelte Hoffnungslosigkeit versinken. Er sah, wie Regina in völliger Erschöpfung die Augen schloß. Er hätte sie in seine Arme nehmen mögen, um sie fortzuführeu, dorthin, wo keine Menschensatzungen sie zu dieser Marter verurteilen durften.
Regina hörte aus der kurzen Rede nur immer das eine Wort: „Schuldig". Die heimliche Hoffnung, die sie getragen hatte, starb dahin, vom Eiseshauch der erbarmungslosen Anklage getroffen. Das Wort der Bibel fiel ihr ein: „Er ist des Todes schuldig!" Das wiederholte sie sich so lange, bis ihr Hirn nichts mehr zu erfassen vermochte und sie in völliger Apathie zusammenbrach. Die Lider sielen schwer über die Augen Hinab, der Kopf sank vornüber, die Hände lockerten den krampfhaften Griff und lagen schlaff in ihrem Schoß. So verharrte sie, ein Bild un
säglichen Jammers und herzzerreißender Qual für alle, die es sehen wollten. Und unter den Geschworenen war wohl kein Herz, das sich ihrer nicht erbarmt, und kein Kopf, der nicht nach einem Ausweg ausgeschaut hätte, um die der Angeklagten wartende erniedrigende Strafe mildern zu dürfen.
Der Verteidiger erhob sich, der Vorsitzende hatte ihm das Wort erteilt. Regina wurde sich im Anfang seiner Rede nur seiner schönen Stimme bewußt, aber Wolf Dietrich und ihre vielen Freunde horchten gespannt auf die Auseinandersetzung des Mannes, in dessen Macht es zu stehen schien, die Angeklagte vor dem Aeußersten zu bewahren.
„Meine Herren Geschworenen!
Die Ihnen vorgelegte Hauptfrage erscheint auf den ersten Blick einfach. Sie haben keine Schuld aufzudecken, um einen verstockten Verbrecher der Tat zu überführen, die er ableugnet. Nein, unsere Angeklagte ist geständig, einen Meineid geschworen zu haben. Doch die Hauptfrage lautet dem Inhalt nach nicht: Hat die Angeklagte ein Verbrechen begangen, sondern, ist sie dessen schuldig? Nach meiner inneren festen Ueberzeugung muß die Frage verneint werden.
Meine Herren Geschworenen! Die Angeklagte ist nicht schuldig und zwar aus zwei Gründen: Die Eidesabnahme war unzulässig und für ihre Tat ist die Angeklagte nicht verantwortlich.
Das Gesetz verbietet ausdrücklich, Zeugen in der Voruntersuchung zu vereidigen. Bereits gegen diesen Grundsatz hat der Untersuchungsrichter verstoßen, denn ein Ausnahmefall, in dem die Vereidigung zulässig war, lag nicht vor. Das Gesetz verbietet aber ferner, den zu vereidigen, der selber der Teilnahme an der Tat verdächtig ist. Auch dieser Vorschrift hat der Untersuchungsrichter zuwidergehandelt. Ihm mußte die Angeklagte in jenem Augenblick der Teilnahme an dem Morde ihres Ehemannes verdächtig erscheinen. Er mußte sich sagen: „Hat Baron