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mäßige, in sich berge. Nicht Mäßigkeit, sondern völlige Enthaltsamkeit sei zu erstreben. Gibt es nun aus den Gefahren der Trunksucht keine Möglichkeit der Heilung und Rettung? Wertlos sind die sogenannten Trunksuchtsmittel in Flaschen und Pulvern, die man so oft in Zeitungsinseraten angepriesen findet. Wenn nun diese Mittel nichts helfen, was dann? Vielfach empfiehlt man den Trinkern Mäßigkeit. Vergebens, denn, wer an fortgesetzten Alkoholgenuß gewöhnt ist, ist wider­standslos. Die Trinker muß man zu völliger Abstinenz verpflichten. Das wird ihnen im Anfang schwer fallen, aber die Familienangehörigen haben es in der Hand, helfend und fördernd einzugreifen, wenn sie nämlich selbst völlig enthaltsam werden. Das Beispiel wirkt mehr als Worte. Die Ent­haltsamen sind keine Sauertöpfe, wie ihnen so oft vorgeworfen wird, sie entbehren nichts, sie haben vielmehr nur gewonnen an Arbeitskraft, Glück und Freude. Hunderttausende frühere Trinker gibt es, die heute tüchtige und brauch­bare Glieder der Gesellschaft, brave Familien­väter sind. Vortragender gab einen Ueberblick über die Mäßigkeits- und Enthaltsamkeitsvereine und regte an, allerorten Ortsgruppen zu gründen. Das könne man schon, wenn sich 5 oder 10 entschlossene Enthaltsame zusammenschließen. Mit diesem Vortrag ist die Vortragsreihe abgschlossen.

Ulm 20. Juni. Der gestrigen Schranne waren 1226 Ztr. Frucht zugeführt, die zu nach­stehenden Mittelpreisenvollständigabgesetztwurden: Kernen 13.74 Weizen 13.t2 Einkornmisch­ling 13.39 Roggen 8.80 Gerste 9.50 Haber 9.73 Erbsen 10 Gegen den letzten Fruchtmarkt hat alles aufgeschlagen, näm­lich der Ztr. Kernen um 9 Weizen um 12 A Roggen um 5 L), Haber um 11 Die

hiesige Tierhandlung von Julius Mohr hat dieser Tage wieder eine Sendung Tiere, drei Wagenladungen voll, erhalten. Darunter befinden sich eine Löwin, Tiger, Leopard, Hyäne u. a. Der große Tiergarten im Donautal enthält zur Zeit große Mengen von allerlei Geflügel, darunter auch eine Straußenherde.

Berlin 19. Juni. (Reichstag.) DieBe- ratung der Besitzsteuer-Vorlage wird fort­gesetzt. Finanzminister v. Rheinbaben führt zunächst gegenüber einigen gestrigen Aeußerungen des Abgeordneten Mommsen aus, es liege auch nicht der Schatten eines Anlasses vor, zu dem Verdacht, es werde bei der Steuereinschätzung einerseits gegen Aermere, andererseits gar gegen Freisinnige schärfer vorgegangen als etwa gegen Grundbesitzer. Was die Presse-Mitteilungen über zu niedrige Einschätzungen vermögender Grundbesitzer anlangt, Mitteilungen, denen dieSteuerbehördeselbstverständlichschonin ihrem eigenen Interesse stets nachgeht, so hätten diese wenig zu bedeuten. Man erlebe es alle Tage, daß sich in der Mehrzahl solcher Fälle heransstelle, daß die Angaben unzutreffend seien. Es möge ja Vorkommen, daß einzelne Leute mit erheblichem Vermögen einmal keine Vermögenssteuer zahlen. Das ereigne sich sowohl in der Industrie wie in der Landwirtschaft, wenn nämlich der eine etwa in einem Jahre mit Verlust gearbeitet und der andere durch Mißernte ohne Einkommen gewesen sei. Aber in keinem Falle liege da ein Unrecht vor, wenn der Betreffende da keine Einkommensteuer gezahlt habe. Jetzt wirst man den Behörden vor, nicht scharf genug auf dem Lande vorzugehcn. Eine Bevorzugung des Groß­grundbesitzes gegenüber den Städten finde in keiner Weise statt. Abg. Bruhn (Rfp.) erklärt, seine Freunde stimmten der Erbanfallsteuer zu. Sie würden aber ihre ganze Vergangenheit verleugnen, wenn sie nicht auch für die Kotierungssteuer ein- träten. Württembergischer Finanzminister v. Geßler erklärt, die württembergische Regierung habe stets auf dem Standpunkte gestanden, daß der neue Steuerbedarf unbedingt zum Teil auch durch eine den Besitz ganz allgemein treffende Steuer auf­gebracht werden müsse und das sei allein durch die Erbanfallsteuer zu erreichen, denn die direkten Steuern, die Einkommensteuer insbesondere, müßten den Einzel­staaten verbleiben. Er sei überzeugt, und auch die Herren auf der Rechten würden ihm darin doch wohl beipflichten, daß es eine nationale und eine Ehrenpflicht der gesamten Besitzenden sei, an den neuen Lasten teilznnehmen. Er hoffe daher jetzt noch auf eine Verständigung. Abg. v. Payer (süd-Vp.): In den letzten Tagen haben wir den preußischen, den sächsischen und heute auch den württembergischen Finanzminister für die Erbanfall­steuer eintreten gehört. Diese Energie hätten die

Herren vom BundeSrat nur schon etwas früher be­tätigen sollen. Meine Freunde, und ich hoffe das auch von den Nationalliberalen, werden sich bedanken, eine solche verkümmerte und ihres Wertes beraubte Reform, wie die Kommission sie vorgeschlagen, an­zunehmen. Wird die Erbanfallsteuer abgelehnt, so wird der Reichskanzler doch wohl die Konsequenzen seiner Erklärung ziehen müssen. Wird die Erbanfall­steuer angenommen, dann werden sich andererseits auch noch weitere Schwierigkeiten ergeben, deren Lösung nötig ist. Vor Allem wird es da nötig sein, daß endlich die Axt an den Starrsinn der Militär- und Marineverwaltung gelegt wird, der allein daran schuld ist, daß wir solche Zustände haben, wie wir sie haben, denn sonst würde sich an das fröhliche Ende dieser Finanzreform der fröhliche Anfang einer neuen anknüpfen müssen. (Sehr richtig links.) Die ganze jetzige Situation wird auch den Regierungen zeigen, wohin man kommt, wenn man ohne festen Grundsatz sein Schifflein treiben läßt, wohin es will. Nur so konnte es auch kommen, daß man statt einer wirksamen Besitzbesteuerung Steuerbürden vorschlägt, wie wir sie hier vor uns haben,sogareineSteueraufFeuerversicherungspolicen. Die Blockperiode hat uns jedenfalls eins gebracht: die Erkenntnis und das Zugeständnis der Regierungen, daß ohne Berücksichtigung des Liberalismus so wie bisher nicht weiter regiert werden kann und noch ein Weiteres bat uns der Block gebracht: eine ent­schiedene Annäherung der Liberalen untereinander. Der Glaube des Mittelstandes, daß seine Interessen bei den Konservativen gewahrt seien, ist ernstlich ins Schwanken geraten, nachdem schon der Zolltarif daran gerüttelt hatte. Daß diese Vorlagen an die Kommission gehen, dagegen haben wir nichts. Ich hoffe aber, daß nicht viel Zeit damit verloren geht. Ein Antrag auf Schluß der Debatte wird jetzt an­genommen und die Befitzvorlage an die Kommission verwiesen. Auf der Tagesordnung steht sodann die zweite Beratung der Finanzreform-Vorlage, so wie die Kommission sie gestaltet hat. Die Beschlüsse der Kommission liegen in einer längeren Reihe von Etnzelberichten vor. Zur Geschäftsordnung beantragt Abg, Bassermann, diejenigen 7 Steuer-Vor­schläge, die die Kommission auf Grund von erst in der Kommission eingezangenen Initiativanträgen zum Beschluß erhoben hat, die also eine erste Lesung im Plenum noch nicht durchgemacht haben, heute erst in 1. Lesung zu verhandeln, also nicht bereits in 2. Lesung, Ein Antrag Singer dazu verlangt, daß dieselben 7 Steuergesetzentwürfe heute von der Tagesordnung abzusetzen seien. In der sich darüber entspinuenden Geschäftsordnungsdebatte stellt Abg. Bassermann zur Begründung seines Antrages fest, daß in der Vergangenheit in allen Fällen, wo die Kommission ihr nicht vom Plenum überwiesene Initiativanträge beraten und darüber beschlossen habe, diese Beschlußfassung stets nur insoweit als statthaft anerkannt worden ist, als dagegen kein Widerspruch erhoben wurde. Im gegenwärtigen Falle habe solcher Widerspruch seitens der liberalen Mitglieder der Kommisston stattgefnnden. Abg. Singer stimmt dem Abg. Bassermann im Prinzip zu, zieht aber daraus die Konsequenz, daß die be­treffenden sieben Entwürfe, da deren erste Lesung garnicht auf der Tagesordnung stehe, sondern gleich die zweite, von der Tagesordnung abgesetzt werden müssen. Abg. v. Richthofen (kons.) macht gegen den Bassermann'schen Standpunkt geltend, wenn gegen eine Abweichung von der Geschäftsordnung ein Widerspruch erfolgt, so entscheidet eben die Mehrheit. Abg. Gamp (Rp ) erklärt stch für den Antrag Bassermann, gibt ober dabei nicht zu, daß in der Kommission geschäftsordnungswidrig ver­fahren worden sei. Abg. Spahn (Ztr.) verteidigt das Vorgehen der Kommission. Abg. Geier (Soz.) bezeichnet es als Rechtsbrnch. Abg Erzberger (Ztr.) führt zahlreiche Fälle an, wo in der Kom­mission ähnlich verfahren worden fei. Nach weiterer Geschäftsordnungsdebatte erfolgt die Abstimmung. Der Antrag Singer wird gegen Sozialdemokraten und Freisinnige abgelehnt, beim Antrag Bassermann wird Hammelsprung nötig. Derselbe ergibt Ab­lehnung mit 186 gegen 116 Stimmen. Die Polen stimmen mit der Mehrheit. Das Haus tritt in die Einzelberatung des Kotterungssteuer-Entwurfes der Kommission ein. Abg. Graf Westarp (als Re­ferent) empfiehlt den Entwurf kurz unter Hinweis auf den ausführlichen schriftlichen Bericht zur An­nahme. Abg. Weber (natl.) ist gegen den Ent­wurf und wendet sich gegen die gestrigen Raab'schen Ausführungen. Weiterberatung Montag 2 Uhr.

München 19. Juni. Bei der Prinz Heinrichfahrt errang Kommerzienrat Opel den Prinz Heinrich Wanderpreis und den ersten Preis für die Schnelligkeitsprüfung in Guben und Forstenrieder Park. Gestern Abend 8 Uhr fand im Hotel zu den Vier Jahreszeiten das offizielle Diner statt, das den Ab­

schluß der diesjährigen Prinz Heinrichfahrt darstellt.

Paris 19. Juni. Jaures schreibt in der Humanite, daß die Regierung sich vorbereite, über 2000 Postbeamte zu maßregeln. Es handle sich um Zurücksetzung und Versetzung zahlreicher Beamten. Durch diese Zurückstellung verlieren die Beamten 3 bis 9 Monate in ihrer Beförderung. Jaures fügt hinzu, daß die Minister und verschiedene Abgeordnete, hierüber befragt, die Tatsache nicht bestritten und nur Vorbehalte gemacht hätten über den Umfang der Maßregelung. Der Unterstaatssekretär der Post und Telegraphie erklärt, daß er durch diese Bestrafung die Be­schuldigung der Willkür von sich abwälzen werde.

Innsbruck 19. Juni. Unbekannte brachen in die Bozener Pfarrkirche ein und raubten wertvolle Kirchengeräte, da­runter eine kostbare mit Juwelen besetzte Hals­kette der Muttergottes-Statue und richteten große Verwüstungen in der Kirche an. Wahrscheinlich handelt es sich um internationale Kirchenräuber, die sich Abends in die Kirche einsperren ließen.

Wien 19. Juni. Die gesamte hiesige Presse drückt ihre volle Genugtuung über den warmen und herzlichen Ton der Trinksprüche in den finnischen Schären aus. Alle Blätter sind darin einig, daß zwar die englische Diplomatie etwas enttäuscht sein werde, aber im Großen und Ganzen könne die Entrevue mit ihren Trink­sprüchen als ein Ereignis bezeichnet werden, welches geeignet sei die Friedensgarantien zu verstärken.

Peterburg 19. Juni. In maßgebend den Kreisen wird daran festgehalten, daß im Laufe des Sommers eine Begegnung zwischen dem Zaren und Kaiser Franz Josef statt­finden wird. Die Begegnung wird in Wien oder einem anderen Orte Oesterreichs erfolgen. Diese Meldung ist schon deshalb wahrscheinlich, weil die Begegnung sich an die Entrevue des Zaren mit den Staatsoberhäuptern der übrigen Großmächte in diesem Jahre anschließen würde. Die Anwesenheit des russischen Ministers des Aeußern in den Schären wird damit erklärt, daß Jswolski zum zukünftigen Botschafter in Berlin ausersehen sei und gelegentlich der Monarchen­begegnung dem deutschen Kaiser vorgestellt wer­den sollte.

Belgrad 19. Juni. Infolge der scharfen Angriffe, die der frühere Kronprinz Georg gegen die Verschwörer gerichtet hat, haben diese, wie ein in der Hauptstadt kursierendes Gerücht behauptet, Leute gedungen, um den Prinzen er­morden zu lassen. Tatsache ist, daß Prinz Georg seit Sonntag täglich anonyme Zuschriften erhält, in denen er davor gewarnt wird, das Palais des Königs zu betreten und ohne Begleitung Wagenausfahrten zu machen.

New-Aork 19. Juni. Als Präsident Taft gestern das Weiße Haus verließ, um eine Ausfahrt im Automobil zu unternehmen, bemerkte ein Detektiv einen Mann, der hinter einem Ahornbaum dem Präsidenten aufzulauern schien. Der Mann wurde festgenommen und bei seiner Leibes-Visitation ein Revolver und ein Patronen­gürtel bei ihm gefunden. Ueber seine Persön­lichkeit befragt nannte er sich Oberst Strickleng aus Rosebery in Arkansas und gab an, nach Washington gekommen zu sein, um den Präsidenten zu sehen. Der Mann, der offenbar geistesgestört ist, wurde ins Krankenhaus gebracht.

Vermischtes.

Des Lehrers Rache. Das Schweizer Evangelische Schulblatt erzählt folgendes hübsche Geschichtchen: Die Gemeinde Unterkulm hat mit 100 gegen 97 Stimmen eine Besoldungs­erhöhung der Primarlehrer von 1600 auf 1700 Franken abgelehnt. Ein kinderreicher Vater hatte in der Gemeindeversammlung gegen die Besol­dungserhöhung des im Dienst ergrauten Lehrers gepoltert und sprach ihm nachher die Befürchtung aus, er werde sich nun wohl an seinen Kindern dafür rächen.Nei, mi guete M<r," erwiderte der Lehrer,mi Rach isch di: ich mache, daß dini Chinder gschyder würde, als Du bisch!"