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gangenen Nacht bezw. heute früh hier eiugetroffen. Sie hielten bereits heute vormittag in der bayrischen Gesandtschaft eine Besprechung über die Reichsfinanzreform ab.
Wien 9. Juni. Gestern ereignete sich hier seit Kurzem der 6. schwere Automobilunfall. Der Kraftwagen eines Großindustriellen, der mit seinen beiden Töchtern eine Fahrt unternahm, stürzte infolge Platzens eines Reifes um. Die beiden Töchter erlitten so schwere Verletzungen, daß sie noch an der Unfallstelle starben, während der Vater schwere Verletzungen am Kopfe erlitt.
Kopenhagen 6. Juni. Ein unheimliches Ereignis hat sich gestern an Bord des auf unserer Reede liegenden deutschen Dampfers „Mannheim" zugetragen. Vom Dampfer aus wurde das Notsignal gegeben, und einige Minuten später traf ein Boot der Hafenpolizei ein, worauf der erste Steuermann des Dampfers dann den folgenden Bericht abstattete: Vor etwa zehn Minuten hätte der Kapitän Schäffer aus Hambuurg in seiner Kajüte mit seiner Frau gesessen, als zwei Heizer des Dampfers eingetreten waren. Sie ersuchten den Kapitän um einen Vorschuß und um die Erlaubnis an Land zu gehen, wurden aber abschlägig beschieden, weil der Dampfer sehr bald abfahren sollte. Gleich nachher trat ein dritter Heizer, der Finne Apima mit dem gleichen Gesuch in die Kajüte und als er dieselbe Antwort wie seine Kameraden erhalten hatte, stieß er dem Kapitän ein Messer tief in die Brust, sodaß der Unglückliche sofortzusammenbrach. Der erste Steuermann, der das Schreien des Kapitäns gehört hatte, kam herbeigeeilt, ergriff den Missetäter und legte ihm Handschellen an. Der Heizer gestand sein Verbrechen sofort ein und wurde in Polizeigewahrsam gebracht, während der Kapitän mit großer Vorsicht ans Land und dann in einem Ambulanzwagen ins nächste Krankenhaus transportiert wurde. Seine Wunde ist zwar gefährlich, doch hofft man ihn retten zu können.
Vermischtes.
Die bev orstehende Monarchenbegegnung in den finnischen Schären, so schreibt halbamtlich die „Südd. Reichskorresp.", hat der ausländischen Presse Veranlassung zu Betrachtungen über den Abschluß eines de utsch-rus fischen Rückversicherungsvertrages oder eines Neutralitätsabkommens gegeben. Nach unserer Kenntnis der Umstände ist nichts Derartiges geplant. Die deutsche Politik weiß sich frei von dem Gedanken, Rußland zu neuen Abmachungen bestimmen zu wollen. Sie brütet namentlich nicht über Dinge, die mit Rußlands Pflichten gegen Frankreich
oder mit russischen Rücksichten gegen England nicht zu vereinen wären. Aber die bestehenden internationalen Verbindlichkeiten können Rußland nicht hindern, gute Nachbarschaft mit den beiden anderen Kaisermächten zu halten. In dieser Ueberzeugung erwarten wir von der Aussprache Kaiser Wilhelms mit Kaiser Nikolaus klärende Wirkungen.
Warum Rosegger nicht Sozialdemokrat wurde. Peter Rosegger erzählt im Märzheft seines „Heimgarten" aus seinen Jugendtagen die folgende Geschichte: Eines Tages kam mein Freund Robert zu mir, ein Schriftsetzer, der tagsüber eben an meinem Mundartbüchlein „Zither und Hackbrett" getypt hatte. Wir stellten die Lampe auf den Sessel und setzten uns nebeneinander auf den Tisch. Robert hing seinen Arm eng in den meinen, schon auch, um an dem schmalen Tischrand nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Wenn du jetzt frei wirst," sagte er, „dann mußt Du zu uns kommen. Du bist ja für Gerechtigkeit. Du bist ein Volkssohn, du mußt es mit uns halten gegen die Bourgeois, gegen die Aristokraten!" Denn mein Robert war ein Sozialdemokrat, einer jener orthodoxen Gattung, die damals hobelte und alles gleichmachen wollte. Gleich den Besitz, gleich die Menschen. Aber ungleich sind die Arbeit und ungleich die Anlagen — darüber stolperten sie. „Wie du volkstümlich schreiben kannst, bei uns bist du gleich versorgt," fuhr mein Freund fort, um mich zu werben. „Es wird eine Arbeiterzeitung gegründet." „Warum wollt ihr denn eigentlich die Bourgeois und die Aristokraten abschaffen?" fragte ich. „Weil sie die Zehrer sind. Weil sie's zu gut haben!" „Schau, Robert, Stände, die es noch gut haben, sollte man nicht abschaffen, vielmehr sie vermehren." Er konnte nicht gleich antworten, denn die Bestürzung über meinen unerhörten Einwand hatte ihm die Rede verschlagen. „Warum sie vermehren?" sagte ich, „weil wir armen Arbeitsleute doch auch selber an die Reihe kommen wollen, daß wir's endlich auch einmal gut haben. Wenn du dich umwendest, Robert, das Innere nach außen, und dich genau und redlich untersuchest, so wirft du finden, daß auch in dir der Bourgeois steckt, vielleicht auch der Aristokrat. In mir — muß ich dir sagen — hocken die beiden Herren und mühen sich ab, durch Arbeit und Tüchtigkeit dranzukommen. Zu einem eigenen Haus zu koinmen und wär's gar ein Schloß, ich hätte nichts dagegen. Manchem glückt's ja. Unmöglich ist's bei keinem. Wenn wir aber diese Stände mit ihrem besseren Dasein abbringen, so müssen wir unser Lebtag in der Verelendung leben und am gleichen Strang ziehen mit dem Taugenichts und dem Lumpen, Möchtest du das? Ich nicht."
mitteilt, nicht entlassen, sondern soweit als möglich in der Spinnerei, deren Vorwerk vom.Feuer unberührt blieb, beschäftigt.
Berlin 9. Juni. Die zweite Lesung der Reichsfinanzreform ist im Reichstag auf die Tagesordnung vom 16. Juni gesetzt worden. Die Berichte der Finanzkommission werden! am 14. verteilt. Wie verlautet, wird der Reichskanzler in dieser Sitzung den Standpunkt der verbündeten Regierungen darlegen und Staatssekretär Sydow die neue Erbanfallsteuer begründen. Wahrscheinlich werden die einzelnen Fraktionen Erklärungen über ihre Stellung abgeben. Die Besitzsteuer wird, falls sie nicht vom Plenum abgclehnt wird, der Kommission überwiesen werden. Man rechnet noch mit einer vierwöchigen Sitzungsdauer, und will neben der Finanzrcform nur noch die Besoldungsvorlage und allenfalls noch das Arbeitskammergesetz durchberaten.
Berlin 9. Juni. Die Zusammenkunft der Minister der Einzelstaaten zur Beratung der Ersatzsteuern für die Reichsfinanzreform, die ursprünglich gestern erfolgen sollte, ist deshalb um einige Tage verschoben worden, weil die im Reichsschatzamt vorbereiteten Gesetzentwürfe bis zum Dienstag noch nicht ganz fertiggestellt waren. Zu den am Freitag und Samstag stattfindenden Beratungen der Minister werden, wie der „Lok.- Anz." erfährt, auch die Mitglieder der Ausschüsse des Bundesrats für Zoll- und Steuerwesen und für Handel und Verkehr zugezogen werden. Infolgedessen dürften die aus diesen Verhandlungen hervorgehenden neuen Steuerentwürfe vom Bundesrat schnellstens erledigt werden können, sodaß der Reichstag bei seinem Wiederzusammentritt am 15. sie wohl sogleich vorfinden wird. In erster Linie wird den hier am Donnerstag zusammentretenden Ministern der Entwurf eines Reichs - Erbanfallsteuergesetzes vorgelegt werden. Da der Ertrag hieraus schwerlich 50 Millionen übersteigen wird, so sollen die noch fehlenden 50 Millionen in erster Linie durch eine Reichswertzuwachssteuer auf Immobilien (etwa 20 Milk.) sowie durch eine Erhöhung des Effekten- und Wechselstempels (etwa 30 Mill.) ausgebracht werden. Als Ersatzsteuern für die abgelehnten und wohl endgültig aufgegebenen Inseraten- u. Elektrizitätssteuern werden in erster Linie, wie schon bekannt eine Erhöhung des Kaffeezolles und eine Zündhölzchensteuer vorgeschlagen werden. Außerdem ist noch eine andere Steuer in Aussicht genommen über die aber bisher Stillschweigen beobachtet wird.
Berlin 9. Juni. Die süddeutschen Finanzmi nister sind im Laufe der ver-
erhellt war. Rote, huschende Lichter legten sich zärtlich liebkosend um die schönen Glieder der weißen Frau, die mit glücklichen Augen verträumt vor sich hinsah, seinen Worten lauschend.
„Regina, mein geliebtes Weib, nun weilen wir im Lande der Verheißung und sind uns ganz zu eigen."
„Mein Trautgesell!"
Das Feuer puffte und schoß in lodernden Flammen empor, das Paar mit rotem Scheine übergießend. Wolf Dietrich sprang auf und stieß die Tür, die zur Terrasse führte, weit auf. Der frische und linde Atem der Herbstnacht drang siegreich in den Raum, er kühlte die Stirn des Mannes und küßte die sehnsüchtig geöffneten Lippen des Weibes. Sie standen im Schatten, und da draußen winke lockend das silberne Gewoge. Sie schritten langsam die Stufen hinunter in den rieselnden Mondschein hinein, und immer weiter wanderten sie unter den uralten Eichen hin, die wie ragende Riesen standen, und deren Wipfel in feierlichem Rauschen die Hochzeitskantate spielten. Von fern erklang es wie Orgelton, einer der Gewaltherren in diesem Revier forderte mit seinem Brüllen den Nebenbuhler auf, sich mit ihm zu messen. Jetzt schrie dieser die Antwort und die stille Nacht war voll frischen, tatkräftigen Lebens. In wilder, toller Flucht brach es durch den Forst, der Fremdling war abgeschlagen, und der Siegesschrei des Hirsches, der seinen Platz behauptet hatte, verfolgte höhnend den Schwächling.
Schweigend horchten die Einsamen auf die Stimme der Natur, dann sagte Wolf Dietrich mit tiefem Aufatmen: „Sind sie nicht nachahmungswert, diese Starken, die sich ihr ureigenes Recht auf Liebe nicht nehmen lassen und mit elementarer Gewalt alles, was sich ihnen feindlich entgegenstellt, aufbrüllend niederwerfen. Das ist das wahre, unverfälschte Leben; nur wir armseligen Menschen haben es uns verkümmert. Der Mut, dem Schicksal zu trotzen, ist uns abhanden gekommen."
Regina antwortete nicht, was war ihr noch der Kampf, der weit,
weit dahinten lag mit allem Leid und der heimlichen Schuld! Wolf Dietrich war ihr eigen geworden — sie hielt das Glück in Händen.
„Die Insel der Seligen!" taufte Regina das schilfumstandene Eiland, zu dem sie das Boot alltäglich trug. Sie war die Führerin und leitete ihr Schifflein in die Kreuz und Quer zwischen den rauschenden Schilfwänden einher. Im tiefem Blau spannte sich der Himmel über der einsamen Welt, und von drüben von den Höhen grüßte die bunte Pracht der Wälder von Groß-Ellern zu ihnen hin. Sie saßen nebeneinander am unmerklich dahinströmenden Wasser, auf dessen Grund die smaragdenen Gräser wuchsen, die ihm seine Färbung gaben. Wie mit weichen, liebkosenden Händen strichen die murmelnden Wellen darüber hin und bogen sie alle nach einer Seite. Dann kam eine breite Stelle ein tiefes Wasserloch tat sich auf, in dem sich der blaue Himmel spiegeln durfte wie eine Schöne. Dort hielten sie an und schlangen die Ankerkette um eine knorrige Weide. Wolf Dietrich lehrte Regina, wie man die Angel auswirst und den Köder befestigt. Er verstand seine Sache, selten traten sie den Heimweg ohne Beute an.
Und kamen sie dann heim, geschah es wie von ungefähr, daß Förster Willert ihnen begegnete. Und waren sie dann mit fröhlichem Gruß oder einigen leutseligen Worten weitergeschritten, leuchtete es in den dunklen, finsteren Augen des Beamten auf, denn ihm war das Glück begegnet!
„Er ist ein tüchtiger Kerl, dieser Willert, einen besseren Wildheger hat unser Besitz noch nicht gehabt."
„Doch sieht er so freudlos aus, und seine Frau trägt wohl schwer an ihm, sie hat sich in ihrer Ehe merkwürdig verändert."
„Vielleicht sehnt sie sich nur nach dem Kinde."
„Hat sie es nicht hier?"
„Nein, Willert wünscht es nicht, er fürchtete, es könnte uns stören. Bei dem Großvater ist es ja auch in guter Hut. Wir ließen Klein- Irmgard doch auch daheim, und ich glaube, du hast noch keine Sehnsucht verspürt", neckte Wolf Dietrich. (Fortsetzung folgt.)