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worden, namentlich auch eine Erhöhung des Tarifs für die 4. Klasse. Ob man sich auf diesem Wege oder durch eine allgemeine Erhöhung der Einkommensteuer oder durch eine Verbindung beider Maßregeln helfen wird, steht heute noch nicht fest. Es wäre aber wünschenswert, daß sich allmählich die Ueberzeugung Bahn bräche, daß Württemberg für eine selbständige Tarifpolitik zu klein ist. Man hat namentlich früher den Fehler gemacht, den Wert des württ. Postreservats durch niedrige Tarife leuchten zu lassen, ein Luxus, der aus dem Bedürfnis nach Rechtfertigung dieses Reservats entsprungen ist, niemals aber durch die finanzielle Lage gerechtfertigt war. Uebrigens könnte viel Geld auch durch geschäftsmäßigere Arbeit im Landtag und in der Verwaltung gespart werden. Die Regierung hat ja auch eine umfassende Prüfung, wie die Geschäfte vereinfacht werden können bereits begonnen. Dagegen hat der Landtag auch in dieser Tagung zuviel Zeit auf die Kritik von Kleinigkeiten, die in die Kommissionen gehören, verwendet; er kümmert sich allzuviel um Dinge, die in das Gebiet der Reichsgesetzgebung gehören, und zwar zu Zeiten, wo an deren reichsgesetzliche Regelung gar nicht zu denken ist. Derartige Dinge aber find nicht minder schlimm, als bureaukratische Umständlichkeit und Kleinigkeitskrämerei.
Stuttgart 9. Juni. Dem heutigen Kirschen markt waren etwa 500 Körbe zugeführt. Preis 10—16 c) pro Pfund. Prest- linge kosteten 30—60 Z pro Pfund.
Tübingen 9. Juni. In Walddorf wurde bei dem Bäcker Walker eingebrochen und aus dem Spezereiladen Waren und die Geldkasse mit erheblichem Betrage entwendet. Als Diebe vermutet man eine Zigeunerbande, die am Abend am Waldrand lagerte, am Morgen aber verschwunden war.
Hohenheim 9. Juni. Noch ehe Näheres über das am 4. Juni von uys gemeldete Fernbeben in Erfahrung gebracht werden konnte, haben die hiesigen seismischen Instrumente abermals ein Fernbeben von ähnlicher Stärke ausgezeichnet, dessen Herd in noch größerer Entfernung von uns liegt, als das letzte. Der erste Vorläufer traf gestern früh ziemlich genau um 7 Uhr hier ein, der zweite um 7 Uhr 14 Min. Daraus ergibt sich, daß der Herd um mehr als ein Viertel des Erdumfangs von uns entfernt ist. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß es sich diesmal um ein Seebeben handelt, das an Ort und Stelle sehr heftig aufgetreten sein dürfte.
Strümpfelbach im Remstal 9. Juni. Der Verein zur Erhaltung der alten Trachten in Schwaben will die malerischen
Trachten, deren es im Schwabenlande so viele gegeben hat, wieder zu Ehren bringen und sie, wo die Bevölkerung von ihrer schönen charakteristischen Tracht abgekommen ist, wieder aufleben lassen, oder doch wenigstens das Vorhandene vor dem Untergang retten. Im Remstal und auf dem Schurwald gab es früher verschiedene sehr schöne Trachten, von denen einige jetzt noch getragen werden. Die beste Gelegenheit, um zu sehen, was von den alten Trachten noch vorhanden ist, bildet ein Trachtenfest, wie es in Strümpfelbach am Sonntag, den 13. ds. Mts. mit Festzug um Vr.3 Uhr nachmittags stattfindet. Die Idee, die dem Festzug zu Grunde liegt, ist, laut „Eßlinger Zeitung" die Hochzeitsfeier des Grelle von Strümpfelbach und des Kegele von Schnait, die vor 100 Jahren im Gasthaus „z. Hirsch" hier stattfand. Der Brautkranz, den das Gretle damals getragen hat, ist noch vorhanden, ein prächtiges Schmuckstück, das allgemeine Bewunderung erregt. Damals hatte man im Dorf überhaupt nur diesen einen Brautkranz, den eine Braut an die andere weitergab. Der Kranz soll dem zu errichtenden Dorfmuseum einverleibt werden. Die Strümpselbacher hoffen, daß die Gäste, die am kommenden Kirschensonntag sie besuchen, auch am Trachtenfest sich erfreuen werden.
Schram b erg 9. Juni. Der Fahrradhändler Neef fuhr vorgestern abend gegen 11 Uhr mit seinem Motorrad durch das Bernecktal nach Hause. Sei es nun, daß Neef in der Dunkelheit von der Straße abkam, sei es, daß er sonst den Weg verfehlte, kurz, er kam zu Fall. Mit furchtbarer Wucht muß er aufgerannt sein, denn das Rad war vollständig zertrümmert und Neef selbst trug am Kopfe derartige Verletzungen davon, daß er nach Tübingen überführt werden mußte. — Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen, können auch hiesige und aus der Umgegend stammende Wirte sagen, die den Wirtetag in Geislingen besuchten. Mit Fahrkarten 4. Klasse stiegen sie in Stuttgart in den Orientexpreßzug, der direkt nach Ulm fährt. Mit langen Gesichtern zahlten sie den nachträglich verlangten Fahrpreis. So teuer, sagten sie, seien sie allerdings noch nie von Stuttgart nach Geislingen gefahren.
Ellwangen 9. Juni. Die Deckung des Defizits des württemb. Krieger bundsfest es wird nach einem Beschluß der bürgerlichen Kollegien in ihrer letzten Sitzung in der Weise erfolgen, daß die Stadt die 1200 ^, die sie als Vorschuß zur Begleichung der Rechnungen dem Komitee unverzinslich zur Verfügung stellte, diesem als Beitrag überläßt. Den Rest von 714^ haben die beiden Kriegervereine, der Veteranen- verein und der „Krieger- und Veteranenverein"
nach dem Verhältnis ihrer Mitgliederzahl (1:3) aufzubringen. — Am Sonntag und Montag hat der Mittelschwäbische Zimmerschützengau hier sein 1. Gauschießen abgehalten. Von den 200 Mitgliedern der einzelnen Vereine haben 140 um die zahlreichen schönen und zum Teil sehr wertvollen Preise geschossen. Am meisten vom Glück begünstigt waren die Heidenheimer Schützen, die auf der Ehrenscheibe allein zwei Drittel aller Preise, darunter die ersten, sich errangen.
Ulm 9. Juni. Der 16. Brauertag ging gestern zu Ende. Nachmittags war noch eine Wasserfahrt in die Friedrichsau und den Beschluß bildete ein Feuerwerk und Illumination der Au.
Langenau OA. Ulm 9. Juni. Der Vieh markt am Montag war mit 178 Stück Vieh befahren, wovon 121 Stück im Gesamtpreis von 21 684 ^ verkauft worden sind. Die höchsten Preise waren bei Farren 416 Farrenlälbern 227 ->//, Kalbeln 482 Raupen 196 Bei der Anwesenheit zahlreicher auswärtiger Händler setzte ein sehr lebhafter Handel ein, der ein Steigen der Preise im Gefolge hatte.
Friedrichshafen 9. Juni. DasKriegs- ministerium gab den Befehl, das Reichsluft- schisf 2 ! zum 20. Juni flugbereit zu halten. Der 2 I soll bereits Ende Juni seine Fahrt nach Metz, wo er dauernd stationiert wird, ausführen.
Offen bürg 8. Juni. Im größten industriellen Etablissement unserer Stadt, Spinnerei und Weberei Offenburg, brach gestern nachmittag ein Brand aus. In dem großen Spinnsaal für Feinspinnerei entstand durch Heißlaufen einer Maschine Feuer, das sich rasch verbreitete. Die Arbeiter setzten die Löschmittel der Fabrik in Aktion und es wäre vielleicht möglich gewesen, das Feuer auf einige Maschinen zu lokalisieren, wenn das Wasser der Fabrikbrandleitung den nötigen Druck gehabt Hütte. So war ein wirkungsvolles Bespritzen unmöglich und die rasch herbeigeeilte und kräftig eingreifende Feuerwehr mußte sich darauf beschränken, die Nebengebäude vor Feuer zu bewahren. Nach einer Stunde war die Gefahr einer weiteren Ausbreitung des Feuers beseitigt. Die abgebrannte Feinspinnerei, in der etwa 140 Arbeiter beschäftigt waren, war technisch aus das vollkommenste mit großenteils neuen wertvollen Maschinen eingerichtet. 40 000 Spindeln sind zerstört. Der Schaden an Gebäulichkeiten, Maschinen, Material usw. ist groß. Mehrere Feuerversicherungsgesellschaften teilen sich in das Risiko. Die Weberei bleibt voll im Betrieb. Arbeiter werden, wie die Direktion
prasseln wie bei einem Freudenfeuer, wenn das Paar zum erstenmal zusammen an den eigenen Herd tritt.
Frau Willert blickte mißbilligend auf das eifrige Hantieren des Mannes, der den Wurzelstock auf die brennenden Scheite aufbaute, und murmelte vor sich hin: „Daß die Frau Baronin so bald vergessen konnte."
„Das geht uns nichts an, Frau, das muß sie allein mit sich ausmachen. Aber es will mir scheinen, als ob sie unserm Herrn von Herzen gut ist."
„Warum hat sie denn den ersten genommen?"
„Ich weiß es nicht."
„Doch seines Reichtums halber, und als ihr kein Sohn geschenkt wurde, nahm sie den jetzigen Herrn, weil sie nicht von Groß-Ellern fort wollte."
„Das stimmt nicht, Frau. Du weißt, was Vater sagte, sie ist mit unserem früheren Herrn nicht glücklich gewesen."
„Das ist ihre eigene Schuld. Er nahm sie aus Liebe."
„Nachdem er der anderen überdrüssig geworden war. Und wenn er länger gelebt hätte, so wäre ihm unsere schöne Baronin auch überdrüssig geworden. Die leichtsinnigen Weiber machten es ihm ja leicht genug, da war es kein Wunder, wenn er nahm, was sich ihm anbot."
„Richard!"
„Schluck's runter, Frau; ich Hab auch viel schlucken müssen, und bin beinahe dran erstickt. Das sag ich dir aber, du tust hier deine Pflicht, ohne zu mucksen, und mit freundlichem Gesicht."
„Und siehst doch selbst so finster aus."
„Das ist man bei mir schon gewöhnt. Bei dir ist's was anderes, und der Herr braucht nicht zu fragen: „Willert, was haben sie denn aus dem lachenden Rotkops gemacht?" Mir ist das viele Gefrage schon über geworden, also nimm dich zusammen. Ist das Zimmer für Anton gerichtet?"
„Ja, es ist alles in Ordnung."
Der Förster ging hinaus, und seine Frau verschwand im Neben
zimmer, um die letzte Hand an den Eßtisch zu legen, der ebenso zierlich wie geschmackvoll gedeckt war. Frau Willert setzte noch die Schale mit den Blumen in die Mitte. Es war befohlen worden, daß nur Blumen aus dem hiesigen Garten genommen werden sollten, und da hatte sich der Rotkopf auf die alte Zeit besonnen und allerlei Wildlinge mit blauen und roten Beerenzweigen und buntem Herbstlaub zu einem herrlichen Ganzen gefügt.
Sie war von seltsam wilder Schönheit, diese jetzt finster zu einem Bilde ausstarrende Frau. Die Porträte aller Herren vom Bruchhof zierten im Jägerkleid die Wände des großen Raumes, so hing auch das von Wilhelm von Ellern hier. Einer plötzlichen Eingebung folgend, ergriff Else Willert einige Zweige und legte sie kranzartig um den Rahmen. Dann verscheuchten sie die Schritte ihres Mannes, und sie ergriff eilig die Flucht.
Der Förster blickte suchend umher, und dabei fiel zufällig sein Auge aus das geschmückte Bild. Mit einem wilden Fluch riß er die Zweige hinunter und trat sie mit Füßen. In diesem Augenblick konnte man sich vor dem Mann fürchten, Jähzorn und verbissene Wut sprühten aus den finsteren Augen.
„Kehre das Zeug zusammen", befahl er der herbeigerufenen Frau. „Rasch, ich höre den Wagen kommen. Ist das Essen bereit?"
„Ja", antwortete sie kurz.
„So richte an, die Herrschaften werden hungrig sein."
Der letzte Schein der goldenen Abendsonne lag verklärend auf dem Bruchhos, als Wolf Dietrich sein schönes Weib über die Schwelle führte. Er füllte das Haus mit warmem Licht, so daß alles Düstere hell ward. Aber das Hellste waren die Augen des Mannes, der nun endlich sein Glück in Händen hielt. Er konnte sie nicht an Reginas Anblick ersättigen, bei der alle Herbheit und aller Stolz sich in weiche Hingabe gewandelt hatte.
So saßen sie am Kamin. Jede Störung lag fern, sie waren allein in dem immer dunkler werdenden Raum, der nur vom knisternden Feuer