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kamen jedoch, nachdem die Anstifter dieses genialen Streiches in Gewahrsam waren, nicht mehr in Anwendung und die unter so eigenartigen Um­ständen unterbrochene Gemeinderatssitzung löste sich schließlich in allgemeines Wohlgefallen auf.

Münsingen 8. Juni. Mit welchen Schwierigkeiten die doch zu einem glücklichen Ende geführte Heimfahrt des Zeppelin'schen Luftschiffes von Göppingen aus zu kämpfen hatte, beweist u. a. ein Inserat der Luftschiffbau­gesellschaft Zeppelin im hiesigenAlbboten", worin mitgeteilt wird, daß aus dem Luftschiff in der dortigen Gegend verschiedene Gegenstände als Ballast ausgeworfen wurden. Die Gesellschaft bittet, solche Teile aus dem Luftschiff nach Auf­findung an einen Laupheimer Spediteur abzuliesern, der sie zu sammeln und nach Friedrichshafen zu senden hat.

Friedrichshasen 8. Juni. Der eng­lische Luftflottenverein soll die Absicht gehabt haben, ein Zeppelin'schiff zu er­werben. Die Luftschiffbaugesellschaft Zeppelin G. m. b. H. hat nun, wie dieHamburger Nachrichten" melden, auf eine von Hamburg aus ergangene Anfrage mitgeteilt, daß sie vorerst nicht daran denken könne, Luftschiffe für das Ausland zu liefern, da sie mit nationalen Mitteln arbeite und deshalb zunächst den Bedarf im Inland decken müsse.

München 8. Juni. Heute Mittag fand im Schloß Nymphenburg die Taufe des jüngst geborenen Sohnes des Prinzen und der Prinzessin Rupprecht von Bayern statt. Als Taufpate fungierte Erzherzog Friedrich von Oesterreich. Aus Anlaß der Taufe fand Nach­mittags V-2 Uhr in der Residenz eine Hoftafel statt. Der Prinzregent hat den Erzherzog Fried­rich von Oesterreich zum Inhaber des 5. bay­rischen Chevauxlegers-Regiments in Zweibrücken ernannt und zugleich bestimmt, daß dieses Re­giment nunmehr die Bezeichnung: 5. Chevaux- legers-Regiment Erzherzog Friedrich von Oester­reich zu führen habe.

Berlin 8. Juni. Die Beratungen der Finanzminister der Einzelstaaten, über die Reichs- finanzreform, die übermorgen beginnen, werden 2 Tage dauern. Die aus ihnen hervor­gehenden neuen Steuer-Vorlagen der ver­bündeten Regierungen können aber natürlich erst an den Reichstag gelangen, nachdem über sie ein Beschluß des Bundesrats herbeigeführt worden ist.

Berlin 8. Juni. Gegen die drohende Parfüm st euer erhob am Samstag abend eine große Versammlung der Seifen-, Parfümerie- und Drogengeschäfteinhaber, die sich in der Börse versammelten, energischen Protest. Einen geharnischten Protest gegen die Be­schlüsse der Finanzkommission, zur Ge­sundung der Reichsfinanzen die Wertpapiere zur Steuer heranzuziehen, erhob der 4000 Mit­glieder zählende Verein der Bankbeamten in Berlin. In der Resolution heißt es u. a.: Durch jede Besteuerung des Bankgewerbes würden die Einkommensverhältnisse der Angestellten stark herabgedrückt. Die Folge davon wäre die Schaffung eines großen Proletariats von ge­bildeten Leuten, die sich einer Partei anschließen würden, die stets die schärfste Opposition zur Regierung und den bestehenden Staatsverhültniffen einnehme.

Berlin. In der Sitzung des Berliner Vereins für Luftschiffahrt am Montag äußerte sich Major v. Parseval über die Pfingstfahrt des Grafen Zeppelin, sowie über die Frage, weshalb Graf Zeppelin bei Bitterfeld umgekehrt und nicht nach Berlin gefahren sei. Nach demBerl. Tagebl." erklärte Major Par­seval, ihm seien die Wetterkarten der drei Tage vom 29.31. Mai vorgelegt worden, wobei sich die merkwürdige Tatsache ergeben habe, daß am 29. Mai ausgesprochener Südwind geherrscht habe, der sich über ganz Mitteldeutschland aus­gedehnt habe und bis zum 31. Mai früh an­gehalten habe. Zu dieser Zeit befand sich Graf Zeppelin mit seinem Luftschiff über Bitterfeld. Dann drehte sich der Wind nach Nord­

osten und Osten und hielt in dieser Richtung an, bis der Ballon nach Stuttgart kam. Ein Freiballon würde denselben Weg ge­gangen sein, hätte also die gleiche Schleife gemacht wie der Zeppelinsche Ballon. Bei Bitterfeld habe Graf Zeppelin untersucht, ob die Windströmung am Boden schwächer sei, als in den höheren Luftschichten. Als dies nicht der Fall war, sei er wieder aufgestiegen und deshalb auch nicht nach Berlin gekommen.

Berlin 8. Juni. Ueber das von der rheinisch-westfälischen Motor-Luftschiff-Gesellschaft in Elberfeld unter Leitung des bekannten Luft­schiffers Oskar Erbslöh erbaute Luftschiff verlautet jetzt Näheres. Darnach ist der Motor- Ballon 3000 ebm groß und wird nach dem un­starren System konstruiert. Er hat einen Benz­motor von 125 Pferdekräften und eine Tragfähigkeit von 20 Personen. Das Kriegsministerium hat in Anerkennung der Bestrebungen der Gesellschaft einen Zuschuß von 16000 für das 1. Jahr und einen weiteren Zuschuß für die nächsten 4 Jahre bewilligt.

Berlin 8. Juni. DieNordd. Allgem. Ztg." schreibt: Vizeadmiral Coerper, der aus Anlaß der Unruhen mit einem Kreuzergeschwader nach Samoa entsandt wurde, hat einen Bericht gesandt, wonach die administrativen Maßnahmen des Gouverneurs und das Erscheinen des Geschwaders tiefgehend gewirkt und die meisten Häuptlinge den Wunsch nach einer friedlichen Beilegung des Streits geäußert haben, so daß ein Buschkrieg vollständig vermieden ist. Der Admiral hat im Namen des Kaisers eine Bekannt­machung an die aufständischen Häuptlinge erlassen, worin den Aufständischen von Sawai Ver­gebung zugesagt wird, falls sie sich er­geben und ihr Anführer Lauaki mit seinen Anhängern sich zur Bestrafung stellt. In der Tat stellte sich Lauaki nach einer ihm gestellten Frist am 1. April mit 6 Häuptlingen. Zwei weitere Häuptlinge wurden in Gewahrsam gebracht. Damit waren die Unruhen auf Samoa vollständig unterdrückt. Der Admiral betonte ferner, daß die Unruhen im entferntesten nicht gegen den Gouverneur gerichtet waren. Der beste Beweis für das Ansehen Dr. Solfs ist, daß er Lauaki und 800 Anhängern vor Apia allein entgegentrat, ihn abkanzelte und seine Kriegserklärung zerrissen vor die Füße warf und ihn dadurch zum Um­kehren bewegte. Er hat damit unnennbares Unheil von Apia und der Kolonie abgewendet. Ueber Entstehung und Verlauf der Unruhen wird der demnächst zu erwartende Bericht des Gouverneurs Aufschluß geben.

Kiel 8. Juni. Der Kaiser ist gestern in Begleitung des Kriegsministers v. Einem, sowie des Chefs des Generalstabs, General v. Moltke, hier eingetroffen und hat sich an Bord des LinienschiffesDeutschland" begeben, wo er Wohnung genommen hat. Zum Empfang auf dem Bahnhof waren erschienen Staatssekretär v. Tirpitz, der Kommandant der Marinestation der Ostsee, Admiral v. Prittwitz und Gaffron, der Kommandant von Kiel und der Polizeipräsident v. Schröter. Der Kaiser ist an Bord der Deutschland in See gegangen, um Vorführungen der Flotte nach einem besonderen Programm bei­zuwohnen.

Krakau 8. Juni. In dem in die Luft geflogenen Pulverturm befanden sich außer den 12000 kx Pulver 13000 Schrapp- nels und Granaten, durch die der jüdische Fried­hof zerstört wurde. Alle Grabdenkmäler sind vernichtet. Die zu Schaden gekommenen Personen werden Ersatzansprüche an die Militärverwaltung stellen. Von den 600 Verletzten konnte sich der größte Teil bereits in häusliche Pflege begeben. Schwer verletzt sind etwa 30 Personen.

Wien 8. Juni. Auf Schloß Seebenstein in Niederösterreich werden gegenwärtig Ver­handlungen über eine eheliche Verbindung des Prinzen Franz Josef v. Braganza mit einer Tochter Vanderbilts geführt. Prinz Franz Josef ist Patenkind und Neffe des Kaisers und steht im 27. Lebensjahre. Die Morgengabe der Braut soll 240 Millionen Kronen betragen.

London 8. Juni. In der heutigen Sitzung des Presse-Kongresses hielt Staats­sekretär Grey eine Rede, in der er die Auf­rechterhaltung des Flottenstandards als die wichtigste Frage nicht nur für die Engländer iu der Heimat, sondern auch für alle übersee­ischen Besitzungen mit Selbstverwaltung be­zeichnet^ Seine ganze Tätigkeit gehe dahin, das Reich zu konsolidieren und zu entwickeln und Streitigkeiten mit anderen Nationen so viel als möglich zu vermeiden. Die Presse könne viel zur Förderung dieser Bestrebungen, das Reich zu stärken und ihm den Frieden zu erhalten, bei­tragen. Er wolle auf den Ernst der am Samstag von Lord Rosebery gehaltenen Rede Hinweisen, von der er jedes Wort unterschreibe. Weiter führte Grey dann aus, daß in der auswärtigen Politik zur Zeit zwar kein stürmisches Wetter herrsche, daß sich aber infolge der außerordentlich hohen Rüstungsausgaben eine Schwüle be­merkbar mache. Die Wichtigkeit dieser Ausgaben darf nicht überschätzt werden, fuhr der Redner fort, doch sollten Sie heutzutage erkennen, wie bewußt wir uns der Tatsache sind, daß wir bei weitem zu viel auf dem Spiel stehen haben, als daß wir gestatten könnten, daß wir mit unseren Flottenausgaben ins Hintertreffen ge­raten, wie groß auch die Kosten sein mögen, die sie uns auferlegen. Die auswärtige Politik dieses Landes besteht darin, zu behalten, was wir haben, es zu festigen und zu entwickeln, Streitigkeiten mit anderen Nationen, soweit als möglich, zu vermeiden und im Rate der Völker und in der Politik überall in der Welt jene Ideale hochzuhalten, auf die wir zu Hause so viel Wert legen. Wir behaupteten das Reich, indem wir in allen Streitfragen mit anderen Völkern den Grundsatz anerkannten, daß die beste Entscheidung in allen Streitigkeiten mit anderen Nationen die des Kompro­misses ist. Ich weise aber aufs entschiedenste jeden Gedanken daran zurück, daß wir bereit­williger sind, Kompromisse mit anderen Staaten abzuschließen, wenn die Interessen der Kolonien in Frage stehen, als es in dem Fall geschehe, wenn unsere eigenen Interessen auf dem Spiele ständen, oder daß das Auswärtige Amt nicht standhaft genug sei, die englischen Interessen zu wahren. Kompromisse gehören zu dem wesentlichsten Erfordernis jeder Groß­macht. Wir wollen zwar halten, was wir haben, müssen aber beim Verfolg unserer Interessen nach außen hin gemäßigt auftreten, sonst gäbe es keinen angemessenen Platz für andere in der Welt.

Dover 8. Juni. 120 englische Bischöfe und Pastoren reisten heute vor­mittag mit dem DampferMeteor" nach Deutsch­land ab. Sie treffen morgen in Hamburg ein, von wo sie nach Berlin weiter fahren.

Petersburg 8. Juni. DasRote Kreuz" hat gegen die Frau des Generals Stöffel eine Untersuchung eingeleitet, da sie im Verdacht steht, 18 000 Rubel unterschlagen zu haben. Die Verhaftung der Frau Stöffel steht bevor.

Petersburg 8. Juni. Zu der Betrü­gerei- und Bestechungs-Affäre im Moskauer Jntendanturwefen wird noch gemeldet, daß 140 Personen, darunter 8 Excellenzen angeklagt find. Senator Garin beantragte deren sofortige Ent­lassung. Generalintendant General Poljakow bat aber, einstweilen davon abzusehen, da er sonst ohne Beamte wäre. Beim Direktor der Alafusow- 'schen Lederfabrik fand eine Untersuchung statt. Man fand einen ganzen Stapel Geldbriefe, fertig adressiert an höhere Offiziere des Jntendantur- wesens vor. Diese Stellen wurden nicht unter 10000 Rubel verkauft, trotzdem der jährliche Gehalt oft nur 2000 Rubel betrug. Da sich durch die Aufdeckung viele verloren sehen, denunzieren sie sich gegenseitig.

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