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die Mittel bewilligen, wenn sie notwendig seien und wenn zugleich nachgewiesen werde, auf welchem Wege die Mittel aufgebracht werden können. Die Bewilligungspolitik der früheren Jahre habe es dahin gebracht, daß man 500 Millionen neue Steuern brauche. Die Notwendigkeit der Reform habe manche Klärung gebracht, es sei nun erwiesen, daß die Konservativen, die die nationale Gesinnung in Erbpacht genommen hätten, am wenigsten Steuern aus dem Nachlaß bewilligen wollen. Die Junker wollen zwar Gut und Blut auf dem Altar des Vaterlandes opfern, aber nicht das eigene Gut, sondern das der übrigen. Mit den Konservativen könne keine praktische Politik getrieben werden. Es gebe nur einen Weg zur Lösung der konstitutionellen und wirtschaftlichen Frage: Die bürgerlichen Klassen mit der Lohnarbeiterschaft vereint zum Kampfe gegen die Reaktion. Diese aufbauende Politik werde getrieben von der Demokratie im Geist von Ludwig Uhland und es gelte daher, fortzuarbeiten und die reaktionären Personen und Parteien zu ersetzen mit Männern, auf die man das Wort anwenden könne: Doch liebt er frei einherzuschreiten und aufrecht wie ihn Gott erschuf. Reichster Beifall folgte den frischen Ausführungen. An den Vortrag schloß sich eine längere und eingehende Diskussion an, in der manche Punkte noch näher erörtert und weitere neue hereingezogen wurden. An der Debatte beteiligten sich teils in zustimmendem, teils in abweichendem Sinn Pfarrer Wagner-Neuhengstett, Sägwerkbesitzer Wagner-Ernstmühl, Reichstagsabg. Hermann Wagner, Postsekretär Kaufmann und Handelsschuldirektor Fischer.
-T- Ealw 21. Mai. (Durnsahrt nach Altensteig.) 44 Turner und -Zöglinge traten in der Frühe des Himmelfahrtsfestes an. Ter Marsch in den schönen Morgen hinein ging über Zavelstein—Teinach—Liebelsberg nach Martinsmoos, das nach 3ff-stündigem Marsch um 9 Uhr erreicht wurde. Hinter der Ziegelhütte am Waldrand wurde die erste wohlverdiente Rast gemacht bei herrlichem Ausblick auf die gegenüberliegenden Waldorte. Rasch entleerten sich die Rucksäcke, um die knurrenden Mägen wieder zu versöhnen. Schon um '/-10 Uhr wurde wieder aufgebrochen und über Zwerenberg, Aichhalden, Oberweiler weitermarschiert; kurz vor Simmersfeld wurde von ^/<12—12 Uhr noch eine kleine Rast gemacht, um auszuschnaufen für die letzte Wegstrecke. Auf sehr staubiger Landstraße gelangte man an Ettmannsweiler, Heselbronn vorbei rasch hinunter ins Nagoldtal. Stramm marschierte die Turnerschar unter Vorantritt von 4 Trommlern und 2 Pfeifern durch Altensteig und machte kurz vor 2 Uhr Halt vor dem Gasthaus zur „Traube". Ein reichliches Mittagessen brachte bald wieder Leben in die Turnerschar. Um nicht lange an einem Platz weilen zu müssen und um die übrige Zeit bis zürn Abgang des Zuges auszunützen, wurde um ff-5 Uhr ein Waldspaziergang auf dem rechten Nagoldufer angetreten; bei der Mohnhardter Wasserstube erfrischte die Wanderer ein Fußbad. Ein Vesper im Waldhorngarten zu Ebhausen ließ die überstandenen Strapazen rasch vergessen. Die Rückkehr erfolgte mit Zug 9.07. Wenn der Marsch auch weit und teilweise heiß war, so sind sicherlich alle Teilnehmer von der schönen Turnfahrt hoch befriedigt heimgekehrt.
Neubulach 15. Mai. Die gemeinschaftliche Veröffentlichung der Bilanzen der Darlehenskassenvereine des Bezirks pro 1908 ist der heutigen Nummer des Wochenblattes angeschlossen. Die Gesamtzahlen ergeben durchweg einen erfreulichen Stand und das Zeugnis, wie die ländlichen Banken dem täglichen Bedürfnis eines coulanten Geldverkehrs entsprechen. Das Ergebnis im einzelnen ist folgendes: AktivaMark 850900.65,PassivaMark 845979.71, Jahresgewinn Mark 4920.94, Jahresumsatz Mark 2 195993.83; der Reservefond beträgt Mark 39236.42, die Geschästsguthaben der Mitglieder 55490.63, sodann Sparkasseneinlagen von 4 Vereinen 37976.55. Der Stand der Mitglieder hat sich von 1720 auf 1750 erhöht.
Göppingen 20. Mai. Der 42 Jahre alte, verheiratete Fuhrmann und Bauer Gottlieb Schneider von Voll war mit einem Milch
fuhrwerk des Käsers Maier von Voll aus dem Heimweg begriffen. Unterwegs wurde er in das Rad hineingezogen und furchtbar geschleift. Nach etwa 200 Metern wurde Schneider auf die Straße geschleudert, wo man ihn in entsetzlichem Zustande auffand. Der Kopf war nahezu vollständig skalpiert, der Schädel zertrümmert, so daß die Gehirnmasse heraustrat; Arme und Beine waren gebrochen, und trotz alledem zeigte der Körper noch Lebenszeichen. Die Kleidung war Schneider stückweise vom Leibe gerissen worden; nur noch ein Teil der Weste und die Schuhe befanden sich am Körper. Nachdem so schnell wie möglich der Göppinger Sanitätswagen requiriert worden war, wurde der Unglückliche in das Bezirkskrankenhaus verbracht, wo er nach etwa 3 Stunden verschied, ohne wieder zum Bewußtsein gekommen zu sein. Schneider hinterläßt außer seiner Frau sechs unmündige Kinder, von denen das älteste 14 Jahre alt ist.
Frankfurt a. M. 21. Mai. Der Kaiser hat eine Reihe von Orden verliehen, u. a. dem Oberbürgermeister Adickes den Stern zum Roten Adlerorden 2. Klasse mit Eichenlaub, dem Erbauer der Festhalle Professor v. Thiersch den Stern zum Kronenorden 2. Klasse und dem Polizeipräsidenten Scherenberg- Frankfurt den Roten Adlerorden 3. Klasse mit der Schleife. Im Laufe des gestrigen Tages hielt auf Wunsch des Kaisers im Kaiserzimmer der Festhalle der Direktor der Maschinen-Fabrik Ludwigsburg, Wölling er, einen Vortrag über die Eisenkonstruktion der Festhalle und des Eisenbetonbaues, wie er auch bei der Festhalle zur Verwendung gelangte. Das Kaiserpaar, das gestern Nachmittag den Wettgesängen in der Festhalle mit großer Aufmerksamkeit folgte, wird auch heute wieder bei der Fortsetzung der Wettgesänge zugegen sein. Das Kaiserpaar nahm gestern in der Pause das Frühstück beim Fürstenpaar Friedrich Karl von Hessen ein und fuhr dann nach Beendigung des Preissingens der 2. Gruppe per Automobil nach Wiesbaden zurück.
Paris 21. Mai. In einer von 300 Postbeamten besuchten Versammlung rieten alle Redner zur Wiederaufnahme der Arbeit. Es wurde ein Antrag angenommen, der den Arbeitern, die aus Solidarität in den Streik getreten sind, den Dank der Postbeamten ausdrückt. Dieser Beschluß der Postbeamten bedeutet das Ende des Streiks, wenngleich die angenommene Tagesordnung das nicht ausdrücklich besagt, werden dennoch die nicht gemaßregelten Postbeamten sämtlich morgen die Arbeit wieder aufnehmen.
Paris 21. Mai. Der Korrespondent des Petit Journal im Haag meldet: Das Urteil des Schiedsgerichts über die Deserteur-Affäre von Casablanca, die s. Z. beinahe zu einem ernsten Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich geführt hätte, ist seit vier Tagen fertiggestellt. Der Inhalt des Urteils, sowie die Entscheidung werden streng geheim gehalten. Das Urteil wird erst morgen in öffentlicher Sitzung verlesen werden. Während der ganzen Zeit der Verhandlung herrschte zwischen dem deutschen und französischen Delegierten das beste Einvernehmen. Schon soviel kann man indes sagen, daß das Urteil keineswegs die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich auch nur auf das leiseste zu trüben geeignet ist. Das Urteil ist nur der Ausdruck der Rechtssprechung.
Vermischtes.
Graf Zeppelin über das Luftschiff der Zukunft. In der Juninummer des „Pall Mall Magazine" veröffentlicht, wie das Reuter'sche Bureau aus London berichtet, Graf Zeppelin einen Artikel, in welchem er seine Ansichten über die zukünftige Entwicklung der Luftschiffahrt niedergelegt. Dabei beschäftigt ihn hauptsächlich die Frage, wie Luftschiffe, die über die Landesgrenze hinaus in auswärtige Staaten fliegen, zu behandeln seien. Er sagt darüber: Da es ganz undenkbar ist, die Luft zu versperren, und da die Landung von Passagieren und von Waren in fremden Ländern nicht verhindert I werden kann, so ist auch das Verbot eines inter
nationalen Luftschiffverkehrs unmöglich. Die Wirkung der Luftschiffahrt wird denn auch sein, daß ein Band der Einigkeit zwischen den Ländern geschaffen werden wird. Die Luftschiffahrt wird durch internationale Verträge reguliert werden. Das ist nicht so schwierig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Wir besitzen bereits internationale Abmachungen und ein Seerecht. Diesen analog werden Verträge abgeschlossen werden, in welchen festgesetzt ist, von welchen Punkten aus Luftschiffe, deren Reiseziel ein auswärtiger Staat ist, auffliegen und wo sie landen müssen. Luftschiffer werden vor ihrer Auffahrt von den Konsuln regelrechte Schiffspapiere erhalten, in denen die Anzahl der Passagiere, die Art und Menge der mitbeförderten Waren, Postsachen u. s. f. genau verzeichnet ist. Auf diese Art wird ein zwischenstaatlicher Verkehr durch die Luft leicht geregelt werden können, ohne daß, wie vielfach geglaubt wird, die bestehenden Grenzen, Paßvorschriften und Zollgesetze außer Wirksamkeit gesetzt werden." Graf Zeppelin ist der Ansicht, daß man mit dem neuesten Typ seines Luftschiffes viertägige Luftfahrten machen könne, die sich über eine Luftstrecke von 4000 Kilometern erstrecken. Der große Vorteil des starren Systems sei seine große Entwicklungsfähigkeit. Die Behauptung, daß er den Bau eines Luftschiffes plane, das imstande sei, hundert Personen zu befördern, sei unrichtig, wenngleich ein solches Luftschiffmonstrum keineswegs außerhalb des Bereiches der inodernen technischen Leistungsfähigkeit liege. Es sei mit Sicherheit anzunehmen, daß man in naher Zukunft werde Luftschiffe bauen können, die im Stande sein werden, vierzig Meilen in der Stunde zu fahren und zweitausend Meilen in zwei Tagen zurückzulegen, bezw. bei verringerter Schnelligkeit viertausend Meilen in viereinhalb Tagen. Es ist mir vorgehalten worden, schreibt Graf Zeppelin weiter, daß meine Luftschiffe zu teuer seien, um häufig gebraucht zu werden. Richtig ist, daß nur wenige, sehr reiche Männer in der Lage sein werden, solche Luftschiffe als Vergnügungsfahrzeuge zu halten; dieser Luxus wird jedoch immerhin noch weniger teuer sein, als z. B. eine Ozeanyacht. Ein Luftschiff, das im Stande ist, bei jedem Wetter, bei Tag oder bei Nacht den General oder Admiral von den feindlichen Bewegungen zu unterrichten und derart wesentlich zum schließlichen Siege beizutragen, kann jedoch nicht zu teuer sein. In Wirklichkeit wird die Kostspieligkeit der Luftschiffe stark übertrieben, das kleinste Kriegsschiff, jede Kavallerieeskadron, jede Batterie kostet ganz erheblich mehr. Den kaufmännischen Gewinn einer Luftschiffpassagierlinie, beispielsweise zwischen Berlin und Kopenhagen, veranschlagt Graf Zeppelin auf 10 Prozent. Als Anlagekapital für ein Luftschiff und zwei Stationen nimmt Graf Zeppelin eine Million Mark als erforderlich an. Hundert Fahrten in jeder Richtung würden jährlich 250 000 einbringen, wobei durchschnittlich 25 Passagiere zu 50 ^ pro Fahrt der Berechnung zu Grunde gelegt werden; Versicherung, Abnutzung und Betriebskosten würden zusammen 150 000 ^ ausmachen.
Standesamt Calw.
9. Mai. Friedrich, Friedrich Nothack«,
Holzhauers, Windhof.
15. „ Maria Frida, T. d. Albert Eugen Widmaun,
Gipsergesellen.
17. „ Dorothea, T. d. Friedrich Frauz Ripp
mann, Amtmanns.
20. „ Marta Sofie, T. d. Wilhelm Widmann,
OberamtSbauwwarts.
Getraute.
18. Mai. Karl Eugen Rothfuß, Kaufmann von
EberShardt und Katarine Wilhelmine Müller, Kleidermacherin von Stuttgart.
Gestorbene.
20. Mai. Elsa, T. d. Friedrich Proß, Decken-
fabrikarbeiterS, 3 Wochen alt.
21. „ KatarineFriedertke Kegel, Strumpfwebers
Witwe, 86 Jahre 4 Monate alt.
Reklametetl.
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