W 117.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

84. Jahrgang.

LcschLittuilgLfaqe.- Msnrag, DrenLtrrg. Mittwoch , Ds Toners tag, Freitag und Sams rag. Jnserlionöprei s '.2 B'g pco Zrile für Stadl u. BezirkLorre; auger Bezirk 1L Pfg.

Samstag, den 22. Mai 1909.

Bezugspr.i.d. Stadt'/^ährl.m.Trägerl.Mk. 1 . 25 . PostbezugLpr. f. d. Lrts- u. Nachbarortsverk. '.^jährl. Mk. 1.20. im Fernverkehr Mk. 1 . 30 . Bestellg. in Württ. 30 Pfg., in Bayern u. Reich 42 Pfg.

Tergesnerrigkeite«.

" Calw 21. Mai. Ter Bezirksvolks­verein hatte auf Mittwoch abend in die Brauerei I. Dreiß eine Versammlung einberufen und dazu als Redner einen der bekanntesten Führer der badischen Demokratie gewonnen. Landtagsabg. Staudenmeyer, der Vorstand des Volks­vereins, begrüßte die zahlreiche Versammlung und erteilte hierauf dem Prof. Hummel aus Karlsruhe das Wort zu einem Vortrag, über Die politische Lage im Reich". Der Redner entledigte sich seiner Aufgabe in äußerst gewandter und teilweise sarkastischer Weise und verbreitete sich hauptsächlich über die Stellung der politischen Parteien zu dem Gang der Reichs­geschäfte und zu der Reichssinanzresorm und gab die Wege an, die die Liberalen betreten müssen, um einen ausschlaggebenden Einfluß im Reich ausüben zu können. Mit großer Schärfe wandte er sich gegen das Zentrum und die Konservativen als die eigentlichen Feinde jeder gesunden Ent­wicklung im Staatsleben und trat lebhaft für eine nähere Verbindung aller liberalen Parteien mit Einschluß der Sozialdemokratie ein. Im Besonderen führte der Redner folgende Punkte aus: Unsere Zeit leide an einer Flut von Schlag­wörtern, die eine Verwirrung herbeizuführen geeignet seien und die den linksliberalen Parteien schon manchen Schaden zugefügt hätten. Tie Schlagwörterradikal"national" beherrschen allzusehr das politische Getriebe und unsere politische Lage werde hauptsächlich nach diesen Gesichtspunkten beurteilt. Diese Schlagwörter seien aber im Laus der Jahre völlig inhaltlos geworden und maßgebend dürfe nur der Gesichts­punkt sein, ob die Politik einer Partei geeignet sei, den Gang der Geschäfte zu einem geregelten zu machen und ob sie das Land nicht in Gefahren stürze. Wenn man von diesen Erwägungen aus­

gehe, so sei es nicht zweifelhaft, daß die konser- I vative Partei (weniger das Zentrum) das Haupt- j Hindernis für eine gute Politik in Deutschland ^ bilde und die Politik der letzten 25 Jahre sei ^ zwar unter dem Zentrum aber nicht ohne die Konservativen gemacht worden. Diese letztere Partei sei deshalb so einflußreich, weil sie im Besitze aller Stellen in der Umgebung der Monarchen sei und weil sie die obersten Stellen beim Militär und in der Diplomatie inne habe; es müsse deshalb das Ziel der Demokratie sein, überall die Konservativen und Junker zu ersetzen durch bürgerliches Blut, damit eine viel engere Fühlung zwischen Kaiser und Volk bestünde, denn es sei ganz sicher, daß wenn unsere Diplomatie mit Leuten aus dem Bürgertum besetzt werde, unser Ansehen im Ausland sich heben müsse, da diese Personen, aus dem Erwerbsleben hervor­gegangen, die wirtschaftlichen Interessen im Aus­land besser vertreten könnten, als die Inzucht des preußischen Adels. Die Söhne des Bürger­tums müßten in die leitenden Stellen im Heere einrücken, die Macht der konservativen Kaste in allen Beamtungen müsse unter allen Umständen gebrochen werden. Das Bürgertum habe Kunst und Industrie zu hoher Blüte gebracht, ihm sei auch die Befähigung zu den leitenden Stellen nicht abzu­sprechen. Der Kampf gegen die Konservativen sei auf der ganzen Linie aufzunehmen; daß dies nicht schon lange geschehen sei, habe seinen Grund darin, daß man bisher das Zentrum für den größten Feind angesehen habe und dies sei auch zum Teil richtig. Schon die Tatsache der Eristenz des Zentrums bedeute eine Gefahr und diese letztere wachse, sobald das Zentrum zur ausschlag­gebenden Partei werde. Das Zentrum habe kein politisches Programm, es sei bald konservativ, bald demokratisch und entstanden sei es durch die Fehler der Liberalen. Die Politik des Zentrums sei aber außerordentlich gefährlich, es behalte sich '

I seine Stellungnahme bis zum letzten Augenblick vor : und niemand, auch die Regierung wisse nicht,

^ was das Zentrum im entscheidenden Augenblick ^ tun werde. Auch das Zentrum müsse aus seiner Stellung verdrängt werden, dabei dürfe man aber nicht vergessen, daß zwischen Zentrum und Kon­servativen eine unauslöschliche Solidarität bestehe. Eine der bedenklichsten Erscheinungen sei es, daß der Liberalismus an Bedeutung verloren habe, aus eigener Schuld, da die liberalen Grundsätze zu schwach geworden seien, namentlich sollte sich der Rechtslibe­ralismus darüber klar sein, daß rechts von ihm Gegner, links von ihm Freunde stünden. Ein Fort­schritt werde nur dann kommen, wenn die Demo­kratie mit der Sozialdemokratie zusammengehe. Dies werde auch für letztere Partei günstige Folgen haben, denn trotz der 3'/- Millionen Stimmen habe die Sozialdemokratie es nicht verstanden, sich einen größeren Einfluß unter den Parteien zu verschaffen. Unsere Politik sei im wesentlichen geleitet im Sinne einer persönlichen Politik und nicht aufgebaut auf konstitutionelle Grundsätze. Ein Opfer des Absolutismus sei Präsident Krüger und andere Fürstlichkeiten geworden und man habe in vielen Kreisen alle Ursache, sich über die Freundschaft von Deutschland bitter auszulassen. Die Epoche, die sich vor 6 Monaten im Reichstag abgespielt habe, sei aber nicht beseitigt und der Telegrammbazillus habe uns erst in den letzten Wochen einen Nasenstüber gebracht. Es sei eine Machtfrage für das Parlament, ob es ihm ge­lingen werde, im Kampfe mit der Regierung erweiterte Rechte durchzusetzen. Die Erledigung der Reichsfinanzreform biete die beste Handhabe hiezu. In dieser Beziehung könne man von England viel lernen. Die Demokratie werde sich mit dem Problem der Reichsfinanzreform eingehend beschäftigen. Sie sei als antinational verschrieen worden, weil sie nicht alle Ausgaben ungesehen bewilligt habe. Sie werde wie andere Parteien

Regina.

Roman von I. Jobst.

(Fortsetzung.)

Wie war das Verhältnis zwischen den Vettern?"

Etwas kühl, woran aber Wilhelm von Ellern die Hauptschuld trug. Er betonte dem Vetter mehr als nötig den Majoratsherrn."

Hat man Herrn von Ellern benachrichtigt?"

Das hätte jetzt keinen Zweck mehr, denn die Herren haben sich schon eingeschifft. Zuerst hat keiner daran gedacht, und als ich die alte Baronin daran erinnerte, lehnte sie es sehr unfreundlich ab und sagte: Solange das Kind meiner Tochter nicht geboren ist, bleibt hier alles beim alten. Ich werde dem zuständigen Familienältesten davon Mitteilung machen, und am Tage der Beerdigung kann alles geordnet werden."

Zu Hause angelangt, fragte der Amtsrichter sofort telegraphisch bei der Polizei in Berlin an, wann Wolf Dietrich abgereist sei. Er erhielt umgehend die Antwort, Prinz von Schwarzenfels sei in Begleitung des Herrn Baron von Ellern mit seiner Dienerschaft in zwei Automobilen um sechs Uhr zur Fahrt nach Bremerhaven aufgebrochen. Eine weitere An­frage in Bremerhaven meldete, daß die Herren sich am Morgen desselben Tages nach Südamerika eingeschifft hatten. Die Schiffsliste nannte als Passagier auch Baron Wolf Dietrich von Ellern. So war denn jeder Zweifel gehoben, und Amtsrichter Below kam zu der Ueberzeugung, daß Sibylle von Ellern sich getäuscht haben müsse, was bei dem unsicheren Mondlicht nur zu begreiflich schien. Unter dem Eindruck der Schreckens­nacht war ja überhaupt erst ihr Verdacht aus Wolf Dietrich gefallen. Zuerst hatte sie sicherlich den nächtlichen Besucher für irgend einen harm­losen Menschen gehalten. Der Wilderer, auf den sich nunmehr der ganze

Verdacht konzentrierte, konnte, in einen dicken Mantel gehüllt, sehr gut für einen Herrn im Reisepelz gehalten werden. Wie war Baronin Sibylle nur auf Wolf Dietrich gekommen? Man beschuldigt doch einen anständigen Menschen nicht kaltblütig eines gemeinen Mordes."

Dasselbe fragte sich Sibylle, und doch blieb die innere Stimme, die ihr immer wieder zuraunte:Wolf Dietrich war in der Mordnacht bei Regina. Er war es, der sich heimlich davonschlich."

Das eigentümliche Verhalten Reginas bestärkte sie darin, denn sie berührte der Schwiergermutter gegenüber mit keinem Wort den gegen sie ausgesprochenen Verdacht, noch die schwere Beschuldigung, die sie selber betraf. Die beiden Frauen hüllten sich in ihren Stolz und sprachen nur das Notwendigste miteinander. So band sie nicht das gemeinsame Leid, sondern es trennte sie. Es war gut, daß Kraußneck in seiner Harm­losigkeit und Leichtlebigkeit als Mittelsperson da war, er machte den Konflikt weniger fühlbar. Er schob alles auf die innere Erregung und den schweren Verlust, den beide gleicherweise erlitten hatten, und erschöpfte sich in -em Bemühen, Trost zu spenden. Ihn fror bei der Kälte, die ihn umgab, und er tat alles, um eine erträgliche Stimmung zu schaffen, doch scheiterte er in der ersten Zeit völlig in seinem Bemühen.

Der Tag der Beerdigung war gekommen. Wiederum drängten sich in der Schloßkapelle die Leidtragenden. Das Aufsehen, das der Mord gemacht hatte, war ein ungeheures, manche führte die Neugier ebensogut her wie das Beileid. Auch Amtsrichter Below war gekommen, er hoffte, Mitglieder der Familie von Ellern anzutreffen, und wollte mit ihnen alles besprechen, was zur Auffindung des Mörders geschehen war und in Zukunft an­geordnet werden mußte. Er nahm seine Stellung während der Trauer­feierlichkeit so, daß er die beiden Frauen genau beobachten konnte. Ihre Haltung war erstaunlich, aus den unbeweglichen Mienen sprach ein starrer Schmerz, der sie wohl für alles unempfindlich machte. (Forts, folgt.)