den anwesenden Anarchisten beschimpft. Es kam schließlich zu einem Handgemenge, wobei mehrere Personen Verletzungen erlitten. Nach der Versammlung bildeten sich auf den Straßen verschiedene Gruppen, die von der Polizei zerstreut wurden.
Petersburg 19. Mai. Am gestrigen Geburtstage des Zaren wurden die zum Tode verurteilten Feldherrn General Stössel und Admiral Nebogatow begnadigt.
Belgrad 19. Mai. Die „Stampa" meldet aus authentischer Quelle, Kaiser Wilhelm habe, als er bei der Wiener Hof-Soiree Cercle hielt, auch den Gesandten Simitsch in ein längeres Gespräch gezogen. Der Kaiser erkundigte sich eingehend nach dem Prinzen Georg und äußerte sich sehr anerkennend über die Absicht des Königs Peter, den Kronprinzen Alexander an der Bonner Universität immatrikulieren zu lassen. Simitsch berichtete hierüber dem König, der davon sehr angenehm berührt war.
Vermischtes.
Wie die Chinesen Eier zubereiten. Allerlei interessante Einzelheiten von der Kochkunst der Chinesen erzählt ein französischer Arzt, der jahrelang in China gelebt hat, in der Revue d'Hygiene. Dr. Martignon berichtet dabei von einer Lieblingsspeise der Chinesen. Die Söhne des Himmels essen sehr viele Eier und in ihrem Haushalt spielt das Ei eine große Rolle. Meist werden sie gekocht und hart gegessen; in allen Restaurationen, selbst in den kleinsten Herbergen, an abgelegenen Straßen sind solche Eier vorrätig. Aber daneben haben sie eine besondere Art, Eier zuzubereiten, die von dem chinesischen Gourmets hoch geschätzt werden. Es sind dies die „Hundertjahreier." Sie brauchen nicht ein Jahrhundert alt zu sein, aber nicht selten sind sie mehrere Jahre alt, ehe sie genossen werden. Die frischen Eier werden bei dieser Zubereitung mit wohlriechenden Kräutern in gelöschten Kalk gelegt. Hier bleiben sie längere Zeit, auf keinen Fall aber weniger als 5—6 Wochen liegen. Die Zeit läßt das Eigelb dann flüssig werden und eine dunkelgrünliche Färbung annehmen, während das Eiweiß sich verhärtet und ebenfalls grün wird. Dieser Leckerbissen hat dann zwar einen starken Geruch von faulen Eiern, aber — so wenigstens berichtet Dr. Martignon — daran gewöhnt man sich bald; diese Eier werden als Hors d'Euvres gegessen und schmecken etwa wie Hummer . .
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Formt«! tzraudi, 23- Mai. Vom Turm: 198. Predigtlied - 272. 9'/- Uhr: Vormittagspredigt, Stadtpfarrer Schmid. 1 Uhr- Christenlehre für die
Söhne. 2 Uhr: Bibelstunde in der Kirche, Vikar Köstlin.
Aorrrurst«!» 27. Mai. 8 Uhr abends: Vortrag von Pastor Rodrigucz aus Spanien im VereinkhauS. Das Opfer ist für Fliedners Evangelisationswerk in Spanien bestimmt.
Samstag, 29. Mai. y-7 Uhr abends: Beichtandacht und Beichte im VereinShaus. Vikar Köstlin.
Landwirtschaftlicher SeMsvttki» Kala.
Am Dienstag, 25. Mai, nachm. 61- Uhr, findet im Gasthof zum Ochsen in Liebenzell das Schlußessen des Kochkurses statt, wozu jedermann freundlichst eingeladen wird.
Calw, 19. Mai 1909.
Der Vereinsvorstand:
Regierungsrat Voelter.
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Berlin-Frankfurter V-Zug Nr. 6 sprang zwischen Bebra und Hersfeld während voller Fahrt eine aus Kopenhagen stammende Dame und blieb tot auf dem Geleise liegen. Die Dame, die leidend war, sollte nach einem Wiesbadener Sanatorium gebracht werden.
Berlin 19. Mai. In der Nachmittagssitzung der Finanzkommission des Reichstages erklärte Abg. Rösicke (kons.), der nationalliberale Antrag beweise, daß die Erbschaftssteuer, sobald sie eingeführt sei, ins Ungemessene erhöht werden würde. Abg. Weber (ntl.) bezeichnete die Börsensteuervorschläge der Konservativen als unannehmbar. Seine Partei könne nicht undurchführbare Wege gehen, die systematisch den Handel mit ausländischen Papieren aus Deutschland Hinaustrieben. Sie werde an der Erbschaftssteuer festhalten. Abg. Gröber« Ztr.) erklärte, der nationalliberale Antrag habe so lange keinen Sinn, als nicht die Sätze im einzelnen vorgeschlagen würden. Wolle man eine wirksame Erbschaftssteuer haben, so müsse sie die Einsicht in die Geschäftsbücher vorschreiben. Abg. Mommsen (freis. Vgg.) sagte, der konservative Antrag sei keine allgemeine Besitzsteuer. Es handle sich dabei nur um eine Besteuerung der Börse. Wenn die Konservativen die Erbschaftssteuer zu Fall brächten, dann sollten sie die Finanzreform mit dem Zentrum machen. Seine Partei werde sich dann nicht mehr beteiligen. Die Generaldebatte wurde geschlossen.
Paris 20. Mai. Der Generalstreik- versuch ist vollständig gescheitert. Verschiedene Arbeiter-Verbände hielten gestern abend Versammlungen ab, die Frage des Generalstreiks zu prüfen. Unter anderem beschlossen auch 2000 Zimmerer den Ausstand. Auch die Hutmacher nahmen mit großer Mehrheit einen ähnlichen Beschluß an, die übrigen Verbände aber lehnten den Generalstreik ab. Auch in der Provinz hat der Aufruf zu Gunsten des Generalstreiks kein Echo gesunden. In Bordeaux dauert der Teil- ausstand der Erdarbeiter fort. Dieser steht jedoch nicht im Zusammenhänge mit der Bewegung, welche von dem allgemeinen Arbeiter-Verbände ins Werk gesetzt worden war. In Lorient streikt nur eine Anzahl Arsenal-Arbeiter, in Lyon die Arbeiter des Baugewerbes.
Paris 20. Mai. In einer Versammlung, welche die Sozialisten gestern abend in Belleville veranstalteten, forderte ein anarchistischer Redner die Postbeamten auf, die Telegraphendrähte zu zerschneiden, die nicht streikenden Briefträger zu mißhandeln und die Postbureaux, welche nur von 2 oder 3 Postbeamten besetzt sind, zu zerstören. Ein sozialistischer Abgeordneter, welcher das Wort ergreifen wollte, wurde von
Ihrem Zimmer empfangen zu haben?" fragte der Richter nach einer kleinen Pause.
„Ja."
„Sie hörten keine Schritte in Ihres Mannes Zimmer, noch auf der Terrasse vor Ihren Fenstern?"
„Nein, ich habe nichts gesehen noch gehört."
Der Richter schwieg eine Weile und überlegte. Es mußte ihm alles daran liegen, von der Zeugin eine wahrheitsgemäße Aussage zu erhalten, um gegebenen Falles den Beklagten sofort verhaften zu lassen, ehe seine Abreise die Sache erschwerte oder vielleicht gar unmöglich machte. Er entschloß sich daher, die Baronin sofort zu vereidigen, denn ihr ganzes Benehmen machte ihm den Eindruck, daß die Aussage nicht wahrheitsgetreu war, und daß von der Zeugin Wichtiges verschwiegen würde.
„Ich werde Ihnen Ihre Aussage vorlesen lassen, Frau Baronin, und mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie, bevor Sie dieselbe beschwören, noch daran ändern können, wenn Sie einen Irrtum bemerken sollten."
Ter junge Referendar, der an Stelle des Gerichtsschreibers das Protokoll aufnahm und der dem ersten interessanten Rechtsfall beiwohnte, las die Aussage langsam und deutlich vor. Regina stand da und hörte die Worte an ihrem Ohr brausend erklingen, aber sie verstand von dem allen nichts, als daß sie schwören sollte. Jetzt gleich — ohne daß ihr Zeit blieb, mit sich zu Rate zu gehen, ohne einen Ausweg, um dem Furchtbaren zu entrinnen. Die Stimme schwieg — eine bedeutungsvolle Pause trat ein, dann sagte Amtsrichter Below mit schwerer Betonung: „So frage ich Sie denn, Frau Baronin von Ellern, wollen Sie diese Aussage mit einem heiligen Eid beschwören?"
„Ja."
In die Augen Reginas trat ein stilles Leuchten, um den schönen Mund legte sich ein Zug tiefen Wehs, doch hob sie, ohne zu zittern, die Schwurfinger der Rechten und sprach mit leiser, aber deutlicher Stimme den Eid nach.
Es war geschehen, und sie wurde entlasten. Der Untersuchungsrichter sah ihr mit ernsten Blicken nach, auf seiner Stirn lag eine tiefe Falte, er fragte sich: „Hat Baronin Regina einen Meineid geschworen? Habe ich richtig gehandelt, daß ich sie zum Eide zuließ? Besteht wirklich ein strafbares Verhältnis zwischen der Zeugin und dem Beklagten, so ist sie befangen und hätte nicht zum Eid zugelassen werden dürfen."
Während der Richter so zu Rate ging, war Regina mit festen Schritten an ihrer Schwiegermutter vorbeigegangen, sie gönnte ihr keinen Blick und kein Wort. Auch zu dem Toten trat sie nicht, sie suchte ihr Zimmer auf und schloß sich ein. Kein Auge sah, wie sie dort die Schwurhand zum Himmel streckte und in höchstem Jammer rief: „Um deinetwillen, Wolf Dietrich, um deinetwillen!" Dann brach sie in völliger Betäubung zusammen, vier Stunden lag sie so, abgestorben für alles um sie her. Man klopfte an die Tür, sie öffnete nicht. Der Vater begehrte Einlaß, es wurde ihm keine Antwort. Endlich ließ man sie in Ruhe, und ein tiefer Schlaf völliger Erschöpfung erbarmte sich ihrer und nahm ihr die Erinnerung des Geschehenen bis zu ihrem Erwachen.
Während dieser Zeit bot der Untersuchungsrichter seinen ganzen Scharfsinn auf, um über Wolf Dietrich alles zu erfahren, was er misten wollte. Dafür eignete sich der alte Krausneck über Erwarten gut, und Below erfuhr während einer rasch hergerichteten Mahlzeit, die die Herren vor ihrer Abreise zu sich nahmen, daß besagter Herr mit dem Ermordeten noch in Berlin zusammengewesen war und ihm am Nachmittage Lebewohl gesagt habe.
„Da ahnte Herr von Ellern nicht, daß sein Vetter Wilhelm ihn wenige Stunden daraus noch eher verlassen würde als er ihn, aber in ein Land, von wo es keine Wiederkehr gibt."
„Und Wolf Dietrich von Ellern, der Erbe des Majorats, wenn" -Der Amtsrichter machte eine bedeutsame Pause.
„Wenn meiner Tochter nicht ein Sohn geschenkt wird."
(Fortsetzung folgt.)