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Wohnungsmangel erfolgen und die Gewährung staatlicher Darlehen zum Bau von Kleinwohnungen an entsprechende Bedingungen geknüpft werden soll. Finanzminister v. Geßler führte aus, daß die Wohnungsfürsorge für die sozialen Verhältnisse der Bevölkerung von allergrößter Bedeutung sei, auch müsse zugegeben werden, daß die Verhältnisse auf dem Land wie in der Stadt dringend der Verbesserung bedürftig seien. Der Staat habe schon bisher in Frage aber sei es, ob der Staat auch die Verpflichtung habe, die Wohnungsfürsorge für die Bevölkerung überhaupt zu übernehmen. Die Wohnung sei ein Bedürfnis der Privatwirtschaft, dessen Befriedigung der Siaat bisher abgelehnt habe, während die Gemeinde ihm näher stehe. Diese staatliche Fürsorge sei ein weiterer Schritt auf dem Wege zum Staatssozialismus. Graf- Stuttgart begrüßte die Einbringung des Entwurfs und äußerte einige Wünsche. Kübel (DP.) erkannte an, daß der Staat auch eingreifen soll, wenn die Gemeinden versagen. Gegen die Unterstützung der Baugenossenschaften habe er starke Bedenken. Sie seien keine ideale Lösung. Es sei besser, wenn verschiedene Berufsstände zusammenwohnen und nicht einer ganz unter sich sei. Die private Bautätigkeit dürfe durch Förderung des Genossenschaftswesens nicht unterbunden werden Der von Häffner gestellte Antrag betreffend das dringente örtliche Bedürfnis sollte angenommen werden. Nach weiterer Debatte wurde der Entwurf an die volkswirtschaftliche Kommission verwiesen und der Kommtsstonsantrag angenommen. Dienstag: Etat der Berg- und Hüttenwerke.
Stuttgart 15. Mai. Im Anzeigenteil der hiesigen Blätter veröffentlicht der Kommandeur Oberst v. Ferling des 7. württ. Infanterieregiments Nr.-125 namens aller Angehörigen des Regiments eine Danksagung für die warme Anteilnahme und den lebenden Widerhall, den die Jahrhundertfeier des Regiments bei den alten Kameraden, wie in den weitesten Kreisen der Bevölkerung gesunden. Die Danksagung richtet sich insbesondere an alle, die ihr Interesse für das Regiment durch persönliche Teilnahme an dem Fest, oder auf andere Weise bekundet haben.
Stuttgart 15. Mai. (Neue württ. Schnellzugslokomotiven.) Gegenwärtig bringt, wie der „Staatsanzeiger" berichtet, die Maschinenfabrik Eßlingen schwere, sechsachsige Schnellzuglokomotiven mit Klasse 6 bezeichnet, zur Ablieferung die sich in den Größenverhältnissen und im ganzen Aufbau von unseren vier- und sünfachsigen Schnellzuglokomotiven Klasse und I) wesentlich unterscheiden. Die mächtigen, in der Hauptsache schlichtgrau gestrichenen Maschinen gehören einer neuen, aus Amerika stammenden Lokomotivgattung an, die wegen ihrer großen Leistungsfähigkeit seit etwa einem Jahre auch im europäischen Schnellzugbetriebe Eingang gefunden hat. Sie sind nach den neueren Grundsätzen als Vierzylinder-Verbundlokomotiven mit
weitgehender Ueberhitzung und für eine größte Fahrgeschwindigkeit von 110 Kilometer gebaut und vermögen bis zu 2000 Pferdestärken zu entwickeln. Das Gesamtgewicht von Lokomotive und Tender beträgt 133 000 Nx, die Gesamtlänge, zwischen den Puffern gemessen, etwas über 20 m. Die Maschinen sind in erster Linie dazu bestimmt, die schweren Schnellzüge ohne Vorspann wengcherdem Maße für setve Bevn len g-smgl und vüsse ans dteskm Wege fortsckreilkn, eine andere über die an Steigungen reichen Strecken der Hauptbahn Breiten—Ulm, unter Umstünden auch ohne Maschinenwechsel über anschließende Strecken der Nachbarbahnen zuführen. Um die Mannschaft mit der Bedienung des ungewohnt großen Kessels und der zum Teil neuartigen Anordnungen des Laufwerks und der Dampfmaschine vertraut zu machen, sollen die Lokomotiven nach Erledigung der amtlichen Probefahrten zunächst in leichteren Diensten verwendet werden.
Stuttgart 16. Mai. Die Ballons „Stuttgart" und „Württemberg" vom Württ. Lustschiffverein für Luftschiffahrt sind heute vormittag bei prachtvollem Wetter vom Cannstatter Gaswerk aus wieder aufgestiegen. Zwischen 11 und 12 Uhr flogen sie nacheinander in ziemlicher Höhe über das Zabergäu in der Nähe von Bönnigheim und verschwanden dann in nördlicher bezw. nordwestlicher Richtung.
Stuttgart 15. Mai. Heute abend am Schluffe der Vorstellung von „Rheingold" machte sich im Zuschauerraum des Jnterimtheaters mit wachsender Heftigkeit ein starker Brandgeruch bemerkbar, wegen dessen unter dem Publikum eine lebhafte Beunruhigung entstand. Bald ertönte der Ruf „Feuer!", ohne daß jedoch von einem Brande etwas zu bemerken war. Von der Bühne herunter wurde Ruhe geboten, aber die Zuschauer drängten den Ausgängen zu. Der Vorstellung wohnte auch die Königin bei. — Wie nun bekannt wird, war ein kleiner Vorhang in einer Vertiefung auf der Bühne in Brand geraten; doch wurde das Feuer durch die diensthabende Feuerwehrleute bald gelöscht, sodaß die herbeigeeilte Feuerwehr nicht mehr in Tätigkeit zu treten brauchte.
Cannstatt 14. Mai. Ter mächtige Sprudel des Wilhelmsbrunnens am Kursaal zeigte seit einiger Zeit ein beträchtliches Nachlassen der emporsprudelnden Waffermenge, so daß man beschloß, Nachforschungen nach dem Grund der Minderung an Wasser anzustellen. Die gestern vorläufig abgeschloffenen Arbeiten haben ergeben, daß eine Verstopfung der Quellenleitung vorlag. Seitdem diese beseitigt ist, beträgt der Wafferzufluß wieder über 150 Liter in der Minute mehr als vor einem Vierteljahr. Bei
der Reinigung der Steigröhren drang man 18 Meter in die Tiefe.
Bei hingen OA. Ludwigsburg 15. Mai. Am vorigen Sonntag kam es auf dem hiesigen Bahnhof zu Streitereien zwischen einigen Ausflüglern. Ein Arbeiter der Schuhfabrik Kornwestheim zog den Revolver, schoß daraus los und traf den gänzlich unbeteiligten Fr. Walter von hier in den Bauch. Dieser konnte sich allerdings noch selber ins Bezirkskrankenhaus begeben, aber da ein Darm durchschossen ist, besteht wenig Hoffnung aus Erhaltung seines Lebens.
Oberjesingen OA. Herrenberg 16. Mai. Anläßlich ehelicher Zwistigkeiten hat sich kürzlich der Bauer Jakob G. von hier eine Gefängnisstrafe von 6 Tagen zugestoßen. Er machte nun in den letzten Tagen etwa 900 ^ flüssig und reiste vorgestern der Schweiz zu unter Zurücklassung seiner Frau und seiner zehn Kinder, von denen einige noch nicht schulpflichtig sind. In Tuttlingen wurde er jedoch festgenommen und ins Amtsgerichtsgefängnis verbracht.
Tübingen 15. Mai. Die Wanderausstellung des Schwäbischen Gauverbandes gegen den Alkohol, die seit vorigem Sonntag bis morgen hier zugänglich war, hatte sich eines guten Besuches zu erfreuen. Fast alle Schulen des Oberamts besichtigten sie, auch das Bataillon des 180. Jnf.-Reg. Es fanden stündlich Führungen statt. Von hier geht die Ausstellung nach Geislingen. — Bei der dritten Immatrikulation wurden diese Woche wieder gegen 160 Studierende eingeschrieben.
Berlin 15. Mai. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Der Reichskanzler hatte gestern nachmittag mit dem Reichstagspräsidcnten Grafen zu Stolberg eine Besprechung über die Geschäftslage im Reichstag. Der Reichskanzler gab dem Wunsche Ausdruck, daß der Reichstag etwa anfangs der nächsten Woche die Verhandlungen im Plenum für einige Zeit abbrechen möge, um der Finanzkommission freien Raum zur schleunigen und entschiedenen Weiterführung und Erledigung ihrer Arbeiten zu geben. Um möglichst wenig Zeit zu verlieren, würde die Kommission am besten nur eine kurze Pfingstpause eintretcn lassen und dann ohne weitere Unterbrechung bis zum Abschluß ihrer Aufgabe Weiterarbeiten. Dieser Vorschlag geht von der Erwägung aus, daß die gegenwärtig bestehende Unsicherheit über das Ergebnis der Reichs- finanzreform im allgemeinen Interesse sobald als möglich beigelegt werden muß. Dazu ist zunächst erforderlich, die Verhand
ln furchtbaren Augenblick gern noch hinausgeschoben. „So schreibe du gleich den Bericht an die Behörde, Vater. Ich schicke dir die Diener und hole die Mutter."
„Nur Anton soll kommen", bestimmte Kraußneck, „er ist erfahren und umsichtig und wird uns eine Hilfe sein. Nimm ihn gleich mit zu der alten Dame, er weiß mit ihr umzugehen."
So weckte denn Regina erst den alten Anton, wiederum mußte sie die Unglücksbotschaft berichten.
„Unser gnädiger Herr! — Sie überlebt es nicht."
Das war das einzige was der treue Diener zu sagen wußte, dann folgte er ihr mit wankenden Schritten zu Sibylle.
Zuerst erftchr die aus dem Schlaf Aufgeschreckte nur, daß ihr Sohn schwer erkrankt sei.
„Ist zum Arzt geschickt?"
„Man spannt schon an, Mama. Aber du mußt gleich mitkommen, es eilt sehr."
„Ist die Gefahr schon so groß?"
„Es ist besser, du gehst mit, Mama."
„Wie ist das denn so rasch gekommen? Er soll doch so heiter nach Hause gekommen sein, wie mir Kraußneck noch auf meine Bitte berichtete. Weiß dein Vater denn schon davon?"
„Er ist bei Wilhelm."
„Mein Gott, ich verstehe dies alles nicht, Regina. Gib mir deinen Arm, Kind. Du bist so ruhig, dann kann es nicht schlimm sein."
Zitternd hing sie sich an den Aryl der jungen Frau, die immer gefaßter wurde, je mehr Leid an sie herantrat. Sie hatte ihre furchtbarste Stunde schon hinter sich, aber sie fühlte ihr Herz im Halse klopfen, als sie nun auf dem langen Weg durch die breiten, gewölbten Gänge dem furchtbaren Anblick entgegenging und, vorsichtig Wort an Wort reihend, die arme Mutter darauf vorbereitete, daß ihr einziges Kind von Mörderhand mitten aus seinem blühenden Mannesalter hinweggeriffen war.
„Und er stand vor deinem Fenster still und lauschte hinein. — Ach ja, er liebte dich sehr, mein Kind. Seine alte Mama hat er in letzter Zeit fast darüber vergessen."
„Dann ging er zu der Glastür und öffnete sie." ...
„Weiter, Regina. Er trat ein". . .
„Nein. Als er aus der Schwelle stand, fiel ein Schuß". . .
„Ein Schuß, sagst du?" schrie Sibylle aus. „Du willst doch nicht sagen, daß sich Wilhelm erschossen hat? — Undenkbar!"
„Es war ein Unglücksfall, die Waffe entlud sich."
„Wo liegt er? Ich will ihn sehen. Lebt er noch?"
„Nein, Mama, ich fand ihn erschossen aus der Schwelle seines Zimmers liegen."
„Erschossen!" Sibylle klammerte sich an die junge Frau an, und der alte Diener stützte die Schwankende.
„Er siel von Mörderhand", sagte Regina leise und öffnete die Tür der Zimmers, wo Kraußneck sie erwartete.
„Mein Kind — ermordet! Atem Gott, mein Gott, das hast du geschehen lassen. — Ein Mord auf Groß-Ellern!"
Nun siel ihr Blick auf den Toten und sie stieß die Hände zurück, die sie hielten. Ihre Gestalt richtete sich gerade empor; so schritt sie ohne jede Hilfe durch das Zimmer und sank neben der Leiche nieder.
Lange kniete sie dort ohne einen Schmerzenslaut, ohne eine Träne zu vergießen, dann drückte sie ihm die Augen zu. Ihr zartes, schönes Gesicht war grausam verändert, als sie sich erhob. Es war wie erstarrt, aber ohne ein weiteres Wort der Klage zu äußern bat sie um einen genauen Bericht. Sie stellte sachgemäße Fragen, die teils von Regina oder von Kraußneck ebenso kurz beantwortet wurden.
„Die Terasse darf nicht betreten werden, wie Sie soeben richtig bemerkten, Kraußneck. Anton, Sie -sorgen dafür, daß die Tore des Seiteneinganges verschlossen werden. Also die Tür zu den Zimmern meines Sohnes war diese Nacht offen geblieben?" (Forts, folgt.)