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Berlin 14. Mai. In einer gestern Abend abgehaltenen öffentlichen Versammlung, die vom liberalen Verein Schöneberg einberufen war, sprachen der Reichstags-Abgeordnete Naumann und Professor Delbrück über die Reichs- sinanzreform. Naumann behauptete, daß die Reichsfinanz-Misere hauptsächlich auf das nicht- parlamentarische Regime zurückzuführen sei und kündigte den demnächstigen Abgang des Staatssekretärs Sydow an. Delbrück erklärte, daß die Gründe der Konservativen gegen die Erbschaftssteuer durchaus fadenscheinig seien und daß man jedenfalls nur den Reichskanzler stürzen wolle, weil er eine Wahlrechtsreform in liberalem Sinne fordert. In der zum Schluß angenommenen Resolution wurde die Reichs- sinanzresorm mit der Erbschaftssteuer verlangt.
Berlin 14. Mai. Die Finanzkommission des Reichstages setzte heute die Beratung über die Fahrkartensteuer aus, weil zur Drucklegung der gestern eingegangenen Denkschrift noch einige Tage nötig sind. Sodann verhandelte man über das Finanzgesetz und zwar die Vorschriften über die Berufsgenossenschaften. Am Schluß der Sitzung erklärten sämtliche Parteien des Blocks, daß es ein Fehler gewesen sei, als man vorgestern nach Annahme des Entwurfs der Subkommission noch ausdrücklich die Banderole auf die Tagesordnung gesetzt habe. Dr. Rösicke erklärte unter Zustimmung aller Parteien des Blocks, es sei nicht Gepflogenheit der Kommission, eine Vorlage zu beraten, von deren Beratung sich große Parteien ausschließen wollten. Im weiteren Verlauf wurde das gestrige Verhalten Dr. Paasches als korrekt anerkannt und auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung am Dienstag nach der Wahl des Vorsitzenden die Abstimmung über den Artikel 4 gesetzt, wegen dessen gestern der Konflikt entstanden war. Als dritter Punkt steht die Erledigung der Banderole auf der Tagesordnung. Das ist gleichbedeutend mit dem Verschwinden dieser Vorlage in der Versenkung für die erste Lesung. Als vierter Punkt wird am Dienstag die Fahrkartensteuer figurieren.
Berlin 14. Mai. Die Ermordung der beiden deutschen Forschungsreisenden Kuhnhuber und Schmitz in China wird nunmehr vom Auswärtigen Amt bestätigt. Diesem ist jetzt darüber eine Meldung zugegangen. Die chinesische Staatsregierung hat eine Straferpedition abgesandt.
Paris 14. Mai. Als die Drucksachen- Briefträger des Hauptpostamtes nachmittags den Dienst antraten, traf aus Lille die Nachricht ein, wonach die dortigen Telegraphen-Apparate unbrauchbar gemacht worden seien und die Drähte zerschnitten seien. Durch diese Botschaft ermutigt, zeigten sich die Briefträger arbeitsunwillig und brachten Hochrufe auf den Streik aus. Eine ganze Anzahl der Ruhestörer wurde gewaltsam entfernt.
Paris 14. Mai. 5000 Postbedienstete hielten gestern Abend in der Reitschule von St. Paul eine neue Versammlung ab, die bis Mitternacht dauerte. Der Führer Paupon forderte die Streikenden zum Ausharren auf; der Führer Marmontel nannte den Minister Symian einen Schafskopf, Barthou einen Jesuiten u. Clemenceau eine hundertfache Kanaille. Die Versammlung verlief ohne Zwischenfall. Es wurde einstimmig die Fortsetzung des Geueralstreiks beschlossen.
Wien 14. Mai. Unter dem Jubel der Wiener Bevölkerung ist das deutsche Kaiserpaar heute Vormittag 10 Uhr auf dem Südbahnhofe eingetroffen. Als der Hofzug in die Halle fuhr, trat Kaiser Franz Joseph nahe an das Geleise heran. Als der Zug hielt, entstieg zuerst die Kaiserin dem Wagen, während die Musik die deutsche Volkshymne spielte. Kaiser Franz Joseph eilte auf die Kaiserin zu und küßte ihr die Hand, während die Kaiserin den Kaiser Franz Joseph auf die Wange küßte. Dann umarmten und küßten sich die beiden Kaiser. Kaiser Wilhelm trug weiße österreichische Generalsuniform. Darauf erfolgte die Begrüß
ung der Erzherzöge und Erzherzoginnen. Die Gattin des deutschen Botschafters Frau von Tscknrschky überreichte der Kaiserin einen prächtigen Rosenstrauß. Hierauf wandte sich das Kaiserpaar der Umgebung zu. Die Antwort, welche Kaiser Wilhelm auf die Ansprache des Wiener Bürgermeisters gab, lautete: „Es freut mich sehr, wieder nach Wien gekommen zu sein. Ich danke Ihnen herzlich für die Begrüßung." Der Jubel der Bevölkerung war unbeschreiblich. In der Hofburg wurde das Kaiserpaar vom Oberhofmeister Fürsten Montenuovo empfangen. Um 1 Uhr war Familienfrühstück in der Hofburg.
Aus dem Landtage.
In der 176. Sitzung des Landtags beider Beratung von Kap. 40, Tit. 7n: Wegbauten für die Aufhebung der Flößerei aus der Enz und Nagold, Etatssatz jährlich 65 000 ^//, ergriff Landtagsabgeordneter Staudenmeyer das Wort und äußerte sich wie folgt:
Meine Herrn, über die Notwendigkeit der Aufhebung der Flößerei auf der Enz und Nagold sind ja die Regierung und dieses hohe Haus einig, und diese Aufhebung ist daber nur noch eine Frage der Zeit und, wie ich wünschen möchte, nur noch recht kurzer Zeit.
Ich befinde mich in voller Uebereinstiwmung mit der bei der letzten EtatSberaiung von dem Herrn Staatsminifier entwickelten Ansicht, daß nach Lage der Sache es sich in erster Linie um die Aufhebung der Flößerei auf der Nagold, und deshalb auch um die Erbauung bezw. Verbesserung von Abfuhrwegen und Straßen handelt — was ja die Voraussetzung für die Aufhebung der Flößerei bildet, — die im Einflußgebiet der Nagold liegen. Der Herr Staatsminister hat in seiner Rede vom 6. Juni 1907 in diesem hohen Hause die Kosten dieser im Nagoldgebiet nötigen Wegbauten auf 260000 angegeben, und da im letzten und im heurigen Etat jährlich 65000 ^ für diesen Zweck eingestellt find, so ergibt das zusammen gerade wieder die Summe von 260000 so daß anzunehmen ist, daß mit Ablauf des Rechnungsjahrs 1910 die fraglichen Wege vollständig gebaut sein werden und daß dann sofort zur Aushebung der Flößerei, zunächst einmal auf der Nagold und auf der Enz von Pforzheim abwärts, geschritten werden kann Bemerken möchte ich dabei noch, daß nach den mir gewordenen zuverlässigen Mitteilungen im heurigen Jahre nur noch von einer badischen Holzfirma in Dill-Weißenstein Holz auf der Nagold geflößt wird, und zwar nur dis zu ihrem Werk in Dill-Weißenstein. Diese Firma hat aber ausdrücklich erklärt, daß sie ihrerseits gegen die Aufhebung der Flößerei Einwendungen nicht zu erheben habe, da sie ihr Langholz mit der Bahn ebenso billig befördere. Diejenige Holzficma sodann, die in den letzten Jahren sich der Flößerei auf der Nagold am meisten bediente, eine Altensteiger Firma, führt Heuer, allerdings zum Teil aus in Besundheitsverhältnissen des Firmeninhabers liegenden Gründen, gi r kein Holz zu Tal, und ob sie das Flößen in den nächsten Jahren wieder aufnehmen wird, ist noch ungewiß. Also auch nach dieser Seite hin stehen der Aufhebung der Flößerei auf der Nagold ernstliche Hindernisse nicht mehr im Wege, während andererseits die Kosten der Unterhaltung der Floßgassen, der Wehre und Ufer, die Belohnung der Floßaufseber und ähnliches den Staat jährlich ganz ansehnliche Summen kostet.
Wenn sodann der Mangel genügend großer Verladestellen auf einigen Stationen der berühmten Nagold-Altensteiger Schmalspurbahn der Beförderung großer Langholzmassen seither noch im Wege gestanden ist, so ist dieser Mangel meines Wissens in letzter Zeit in der Hauptsache gehoben worden.
Wie ein einziger zu Tal fahrender Floß durch die damit zusammenhängende Unregelmäßigkeit in in der Wasserzufuhr die sämtlichen am Fluß liegenden Werke empfindlich schädigt und ebenso die in ihnen beschäftigten, meist ans Akkord-oder Stücklohn beschäftigten Arbeiter, das habe ich ja vor 2 Jahren hier ausgeführt. Neuerdings sind nun an der Nagold eine Anzahl El.ktrizitätswerke errichtet worden, die die umliegenden Gemeinden mit Licht und Kraft versorgen, die aber unter den außerordentlich großen Schwankungen in der Wasserznfuhr ganz empfindlich zu leiden haben. Ein weiteres großes Elektrizitätswerk ist im Entstehen begriffen, das die erforderliche Triebkraft zum größten Teil durch Neuanlage eines Wasserwerks sich verschaffen will, eines Wasserwerks, das im Mittel ungefähr 500 Pferdekräfte liefern und ungefähr 760000 kosten soll. Schon im Interesse dieser elektrischen Werke wäre die möglichst baldige Aufhebung der Flößerei dringend zn wünschen, und ich habe die
Ueberzeugung, daß mit dieser Aufhebung nicht notwendigerweise zugewartet zu werden brauchte, bis sämtliche in Frage kommenden Wege gebaut sein werden, sondern daß das ohne besonderen Schaden für den Holzverkehr schon früher geschehen könnte.
So sehnen alle an der Nagold liegenden Werke von Altensteig bis Pforzheim und die an der Enz liegenden von Pforzheim abwärts den Augenblick herbei, in dem der letzte Floß durch ihre Stauwehre hindurchfließt, und wenn man auch bedauem kann, daß mit dem letzten Floß ein weiteres Stück aus der Volkspoesie des Schwarzwalds auf immer verloren geht uud man dann den herrlichen Ruf: »Jockele sperr, 's geit an Eilaboga!", den man zum Bedauern der Tübinger Studenten dort seit Jahren nicht mehr hört, in Zukunft auch in unseren Schwarz- Waldstädtchen von der lieben Schuljugend nicht mehr hören wird, so muß sich eben auch hier, wie in so vielen anderen Fällen, das Volksempfinden der bitteren wirtschaftlichen Notwendigkeit unterordnen. Und so möchte ich die K. Staatsregierung heute dringend bitten, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln für baldigste Aufhebung der Flößerei, zunächst auf der Nagold, besorgt sein zu wollen.
Standesamt Calw.
Geborene.
8. Mai. Erich, S. d. Friedrich Hinreise, Briefträgers.
8.'*Mai. Karl Albert, S. d. Georg Wilhelm Ehrmann, Malergehilfen.
13. „ Hermann, S d. Karl Walther, Schreiner
gehilfen.
Gestorbene.
8. Mai. Karoline Friederike Perrot, geb. Breuning, Witwe des Johann Immanuel Perrot, Mechanikers, 73 Jahre, 9 Monate alt. 8. „ Emilie, T. d. Friedlich Burkhardt, Güter-
schuppenarbciters, 11 Tage alt.
12. „ Emil, S. d. Argust Emil Großmaun,
Fabrikarbeiters. 1 Jahr, 3 Mon alt.
13. „ Emilie Ottilie, T. d. Karl Friedrich
Ehret, Färbereiarbeiters, 2 Jahre, 4 Monate alt.
Reklameteil.
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