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und mußten mit der Pferdehebemaschine der Feuerwache II befreit werden.

Herrenberg 20. April. Sonntag nach­mittag ereignete sich hier in der Stuttgarterstraße ein bedauerlicher Unglücksfall, indem Frau Marquardt aus Nufringen von einem jüngeren Radfahrer, der in ziemlich raschem Tempo die etwas abschüssige Straße daher kam, rücklings überfahren wurde. Die Frau wurde in die Nächstliegende Wohnung gebracht, wo auch bald ärztliche Hilfe zur Stelle war. Die ziemlich be­jahrte Frau erlitt außer einer bedeutenden Wunde am Kopf vermutlich auch noch innere Verletzungen. Der Radfahrer ist schleunigst davongefahren.

Tübingen 20. April. Infolge seiner hervorragenden Leistungen auf dem Gebiete der Feinmechanik erhielt der Lehrling Güter, Sohn des Pfarrers in Kohlstetten, bei Universitäts­mechaniker Albrecht hier, bei dem Examen vor der K. Prüfungskommission in Stuttgart, die Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligen- Dienst. An dem Hause Kirchstraße 8 soll eine Gedenktafel angebracht werden, die darauf hinweist, daß hier Fritz Reuter, der bekannte Dialektdichter, 1840 einige Zeit gewohnt hat. Unsere Seeanlage, am Bahnhof, die trotz des wenig günstigen Gutachtens des Landeskonservators ihre zahlreichen Freunde noch hat, ist mit Schwänen und anderem Wassergeflügel besetzt worden, das Freunde der Anlage gestiftet haben. Auch Fische hat man eingesetzt, Aale und Karpfen, auch Regen­bogenforellen. Am Samstag findet die Ein­weihung des restaurierten Rathauses statt. Nach der Besichtigung folgt eine kleine Feier. Von einem großen Festessen hat man Abstand genommen.

Rottenburg 20. April. Der Verbands­revisor Steidle hat die Untersuchung bei der Darlehenskasse beendet und die Veruntreuungen Schnells auf 42 000 ^ berechnet. Der Ver­lust soll gedeckt werden, teils durch die Kaution Schnells in Höhe von 5000 . teils durch den Reservefonds von 20000 ^ und durch den Inhalt der Konkursmasse, sowie durch die von einer Generalversammlung aufzubringenden Mittel.

Niederstetten 20. April. Einen frechen Diebstahl verübten Zigeuner in der Wirt­schaft von Bergmann zum Hirschen in Etten­hausen, wobei ihnen allerdings Mangel an Vor­sicht sehr zu statten kam. Während das Mädchen des Besitzers Master holte, stahlen die Zigeuner aus dem Nebenzimmer zwei Kistchen Cigarren und die etwa 8 Mark betragende Tagesein­nahme. Als das Mädchen zurückkam und die Zigeuner im Nebenzimmer bemerkte, hielt sie von außen die Türe zu und rief dem Polizeidiener der gerade vorbeiging. Trotzdem gelang es den Zigeunern unter Anwendung von Gewalt zu entkommen.

Ulm 20. April. In Tiefenbach bei Jller- lissen brannte der Stadel der Käserei und Spezereihandlungdes Bernhard Leopold nieder, wobei 23 Stück Schweine in den Flammen umkamen. Das Feuer ist wahrscheinlich durch Kinder verursacht worden.

Pforzheim 20. April. Nicht genug damit, daß die Baugeschäfte schon längere Zeit flau gehen, weil es in der jetzigen Periode der Depression an Baulust fehlt, so haben wir jetzt auch noch einen Maurer streik bekommen. Eine auf gestern mittag 12 Uhr in denSchwarzen Adler" berufene Maurerversammlung beschloß nach 4stündiger Beratung mit 348 gegen 22 Stimmen den Streik, weil die gewünschte Lohnerhöhung von 54 aus 60 und eine Reduktion der Arbeitszeit nicht zugestanden wurde. Die meisten Streikenden sind auch gleich von hier abgereist. Die Meister werden in der jetzigen Zeit sich wegen des Streiks nicht besonders grämen und die Hausbesitzer, die gegenwärtig nicht mehr so flott vermieten wie früher, erst recht nicht.

Berlin 20. April. (Reichstag.) Das Haus ist mäßig besetzt. Auf der Tagesordnung stehen Petitionen. Vorweg werden zahlreiche Petitionen, zu denen Anträge aus dem Hause und Wortmeldungen nicht vorliegen, debattelos nach den Vorschlägen der Kommission erledigt.

Zur Verhandlung gelangt dann zunächst eine Petition vom Müller-Verbande und Handels­kammern betr. Maßnahmen, um eine übermäßige Getreide-Ausfuhr zu verhindern, sowie eine Ein­gabe zahlreicher Kommunen um Prolongation des Termins für den Wegfall des kommunalen Oktroi auf Getreide, Müllerei-Produkte, Vieh und Fleisch. Nach 8 13 des Zolltarif-Gesetzes sollen diese Oktroi am 1. Januar 1910 aufhören. Die Petenten wünschen diesen Termin bis 1915 zu verschieben. Die Kommission beantragt hinsichtlich der ersterwähnten Petition Ueberweisung zur Erwägung, hinsichtlich der Petitionen betreffend Prolongation des Termins für Aufhebung der kommunalen Oktroi Uebergang zur Tagesordnung. Abg. Emmel (Soz.) bittet diese letzteren Petitionen unter allen Umständen abzulehnen. Abg. Wölzl (natl.) erklärt, er sei ein prinzipieller Gegner solcher Abgaben auf notwendige Lebensmittel. Aber etwas anderes sei es, solche Abgaben neu einzuführen, als Bestehende aufzuheben. Abg. Pfeiffer (Ztr.) spricht aus Opportunitätsgründen für ein weiteres Bestehenlassen des Oktroi, des­gleichen die Abgg. Wagner (kons.) und Man; (frs. Vp.) während Bassermann (natl.) Ueber­gang zur Tagesordnung über die Petition für richtig hält. Ein bayrischer Geheimrat spricht sich für die Hinausschiebung der Aufhebung des Oktroi aus. Sächsischer Geheimrat Fischer er­klärt sich namens der sächsischen Regierung für den Antrag Wölzl. Abg. Heinze (natl.) tritt gleichfalls dem Anträge Wölzl bei, Abg. Gothein (frs. Vg.) spricht gegen denselben, Abg. Werner (w. Vg.) für den Antrag. Vizepräsident Paasche teilt mit, daß ein Antrag auf namentliche Ab­stimmung über den Kommissionsantrag und den Antrag Wölzl eingelaufen ist. Die Abstimmung findet morgen statt. Abg. Speck (Ztr.) erklärt, aus Opportunitätsgründen könne man für Hinaus­schiebung der Aufhebung des städtischen Oktroi eintreten. Geh. Oberfinanzrat Strutz: Es handelt sich hier zum größeren Teile um kleinere Ge­meinden. Aber auch die betroffenen größeren sind nicht besonders leistungsfähig. Der jetzige Augenblick ist der ungeeignetste zum Wegfall des Oktroi. Abg. Pauli-Potsdam (kons.) erklärt namens eines Teiles seiner Freunde sich gegen den Antrag Wölzl und für den Antrag der Kommission auf Uebergang zur Tagesordnung. Abg. Lender (Ztr.) ist als badischer Ab­geordneter gegen die Aufhebung des Oktroi. Nach weiteren Bemerkungen des Abg. Hilden- brand und Stolle (Soz.) sowie des sächsischen Bevollmächtigten Fischer vertagt das Haus die Weiterberatung auf morgen 2 Uhr. Außerdem Weiterberatung des polnischen Initiativantrages betr. Freiheit des Grundeigentums, endlich Antrag Lattmann betr. Aenderung des Patentgesetzes.

Berlin 20. April. Vor der 4. Straf­kammer des Landgerichts I fand heute die Wiederaufnahme des Beleidigungsprozesses Moltke-Harden statt. Das öffentliche Inte­resse an dieser Affäre scheint fast gänzlich ge­schwunden zu sein. Um 9 Uhr 35 Min. erschien der Gerichtshof und Landgerichts-Direktor Leh­mann eröffnete die Sitzung. Die geladenen Zeugen werden vorläufig entlasten, ebenso Graf Kuno Moltke, der aus gesundheitlichen Rück­sichten der Verhandlung nicht beiwohnen will. Bei Beginn der Verhandlung erbittet Justizrat Bernstein das Wort und erhebt den Einwand der Unzuständigkeit des Gerichts und der Unzu­lässigkeit des Verfahrens. Aus diesen beiden Umständen bitte er das Verfahren einzustellen. Justizrat Bernstein teilte darauf mit, daß die Parteien eine Art Vergleich geschloffen hätten, welcher der Staatswaltschaft zugestellt worden ist. Dieser Vergleich lautet: Herr Harden wiederholt die s. Z. vor dem Schöffengericht und vor dem Landgericht abgebene Erklärung, daß er in seiner Wochenschrift den Grafen Kuno v. Moltke nicht der Homosexuellittät beschuldigte. Graf Kuno v. Moltke acceptiert diese Erklärung. Beide Teile sind der Ueberzeugung, daß sich nach dieser Erklärung jede Beweisaufnahme er­übrige. Datiert ist das Schriftstück vom 19. März 1909 und mit der Unterschrift der beiden Herren der Staatsanwaltschaft am 22. März zugestellt worden mit dem Bemerken, daß die beiden Parteien gegen eine Einstellung des Verfahrens

nichts einzuwenden hätten. Der Gerichtshof beschließt nach kurzer Beratung, den Antrag der Unzuständigkeit abzulehnen. Es wird in die Verhandlung eingetreten. Der Oberstaatsan­walt beantragt den Ausschluß der Oeffentlichkeit und der Gerichtshof zieht sich hierüber zur Be­ratung zurück. Es wird beschlossen, die Oeffent­lichkeit während der Verlesung der Zukunfts­artikel beizubehalten, dann aber in vollstem Maße dieselbe auszuschließen. Zugegen sein dürfen während des Ausschlusses der Oeffent­lichkeit nur ein Stenograph der Staatsanwalt­schaft und ein Stenograph des Angeklagten.

Berlin20.April. Im PrpzestMpltke- Harden beschloß der Gerichtshof nach sehr langer Beratung lediglich dem Nebenkläger Grafen Kuno v. Moltke die Frage nach seiner Veran­lagung beziehungsweise Betätigung vor­zulegen, von jeder weiteren Beweisaufnahme jedoch Abstand zu nehmen. Es trat darauf eine Pause ein, nach deren Beendigung die Plaidoyers beginnen.

Berlin 20. April. Im Prozeß Moltke- Harden erkärte im weiteren Verlauf der Ver­handlung Graf Kuno v. Moltke unter seinem Eide, daß er nicht homosexuell veranlagt sei. Die Beweisaufnahme wurde darauf geschlossen. Oberstaatsanwalt Dr.Preußbeantragte meinem längeren Plaidoyer 600 -L Geldstrafe. Der Vertreter des Nebenklägers Grafen Moltke, Justizrat Sello stellte das Strafmaß dem Gerichts­höfe anheim. Der Verteidiger des Angeklagten Harden, Justizrat Bernstein, beantragte Frei­sprechung.

Ereignisse in der Türkei.

Konstantinopel 20. April. Die Komitee- Truppen verlangen von der Regierung eine heilige Urkunde des Scheichs ul Islam für die Abdankung des Sultans. Die Komitee- Armee erhielt aus Saloniki den Befehl, in die Hauptstadt heute früh einzudringen. Das Parlament wird wahrscheinlich nach San Stefano übersiedeln.

Konstantinopel 20. April. Major Niasi Bey richtete an den Thronfolger Reschad Effendi einen Brief, worin er ihn ersucht, sich zur Thronbesteigung bereit zu halten. Die Dienerschaft im Dildiz ist teil­weise entflohen. Die Sultans-Pacht liegt vor Dolma Bagdsche unter Dampf und ist zur so­fortigen Abfahrt bereit. Der Großwesir, der Scheich ul Islam, der Minister des Innern, der Marine und des Krieges beraten über die Form der Abdankung des Sultans. Es ver­lautet, daß der Sultan bereit sei, nun­mehr freiwillig abzudanken, da anscheinend alle Truppen von ihm abgefallen sind. Grie­chische Extrablätter verkünden bereits die Ab­dankung des Sultans.

Saloniki 20. April. Das Komitee bestätigt, daß zwischen dem Sultan und dem jungtürkischen Komitee Einigungs- Verhandlungen eingeleitet worden seien. Zwei fremde Botschafter in Konstanti­nopel sollen energisch bemüht sein diese Ver­handlungen in befriedigender Weise zum Abschluß zu bringen. Die Stimmung wird als versöhnlich bezeichnet. Die Forderung, daß der Sultan entthront werden solle, wurde schon fallen gelassen. Jedoch besteht das Komitee darauf, daß der Großwesir Hilmi Pascha die anderen Minister sowie den Kammerpräsidenten Achmed Riza wieder einsetzt, die Rechte des Sultans eingeschränkt und die derzeitige Garnison durch Salonikier Truppen ersetzt werde. Ferner soll nach Einmarsch der letzteren über Konstan­tinopel der Belagerungszustand verhängt und über die Schuldigen das Todesurteil gesprochen werden.

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