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Amts- und Anzeigeblatt für den GberamtsbeM Calw.
84. Jahrgang.
Erscheinungstage: Montag, Die »Stag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag. Jnsertiunspreis iv Pfg. pro Zeile für Stadt u, Bezirksorte i außer Bezirk t 2 Psg.
littwoch, den 21. April 1909.
BezugSpr. i. d. Stadt >,,jiihrl. m. Trägerl. Mk, 1.25. PostbezugSpr. f. d. Olis- u. Nachbarortsverk. '/Zährl. Mk. >.2Ü, im Fernverkehr Mk. t.s». Bestellg. in Württ. so Psg., in Bayern u. Reich 4L Psg.
Amtliche Bekanntmachungen. BekarmLiuachrmg.
Die K. Pfarrämter wollen die Jahresberichte über die mit Unterstützung der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvcreins bestehenden Kleinkinderschulen spätestens bis 1. Mai ds. Js. ans dem am 8. August 1908 zugestellten Formular anher vorlegen.
Calw, 20. April 1909.
K. Dekanatamt. K Oberamt.
Roos. Voelter.
Tagesrremgkeitev.
8.V. Calw 20. April. Auch in der „Gäuseite" unseres Bezirks lassen sich schöne Wanderungen ausführen. Dies durften an dem Ausflug des hiesigen Schwarzwaldvereinsam letzten Sonntag die vielen Teilnehmer erfahren, die über den Muckberg dem Jägerberg bei Altheng st ett zustrebten. Es war dies eine schöne Tour, die insbesondere wegen der mehrfach wechselnden Aussicht als eine sehr dankbare bezeichnet werden kann. Schon beim Aufstieg in der oberen Mulde des Ziegelbachtals kann man sich an einem schönen Rückblick auf Calw und die nähere Umgebung des Nagoldtales erfreuen. Weiter oben dehnt sich dann der Ausblick über Altburg, Sommenhardt nach Westen bis in den „Hinteren Wald". Wenn man sich dann auf der Höhe beim ersten Wegweiser, der nach rechts nach Gechingen führen will, links wendet, kann man den Muckberg auf seiner Südseite umgehen und dabei insbesondere schon eine interessante Fernsicht zur Alb haben, die hier vom Farrenberg bis zur Teck sehr gut erkennbar ist. Nach kurzer Durchschreitung des Waldteils „Brand" wird man dann plötzlich überrascht von dem freundlich heraufgrüßenden
Althengstett, über das hinaus man seine Blicke weit nach Nordwesten schweifen lassen kann. Hält man sich beim Weitermarsch dann mehr auf der Höhe, so erreicht man bald den Jägerberg, der am besten zunächst auf seiner Südwestseite umwandert wird. Man bekommt dann wieder ein anderes Bild zu schauen. Nebst den zur Zeit recht bunt durcheinander gewürfelten Rechtecken des großen Ackerfeldes ziehen uns insbesondere das nahe Gechingen und die sich daran anschließenden Mulden und Höhen der Deuf- ringer und Aidlinger Gegend bis hinauf zum Deckenpfronner Kirchturm an. Ueber die fernen Waldungen des Schönbuchs grüßt aber wiederum die bei guter Beleuchtung vielfach „weiß" glänzende Alb. Nachdem wir so auf unserer Wanderung die herrlichen Nah- und Fernsichten „portionsweise" genießen durften, sind wir richtig vorbereitet, um nun alles auf einmal in seiner entzücken Pracht und Größe schauen zu können. Wir besteigen deshalb den auf dem höchsten Punkt des Jägerbergs (589 Mtr.) errichteten, weithin sichtbaren Aussichtsturm und finden dort unsere Mühe herrlich belohnt. Nebst- all dem bisher Geschauten entdecken wir noch manche Einzelheiten in der Nähe und in der Ferne. Dazu gesellt sich noch ein schöner Ausblick ins Würmtal mit den dasselbe abgrenzenden Höhen der Böblinger und Leonberger Gegend. Links davon zeigen sich hinter dem „Langen Feld" die Berge, die zwischen Rems-, Murr- und Bott- wartal liegen. Der Abschluß derselben könnte der langgestreckte Schweinsberg bei Heilbronn sein: Im Norden versuchen die Höhen des Strombergs sich etwas am Horizont bemerkbar zu machen, während nach Westen sich die scheinbare Hochebene unseres Schwarzwaldes weithin erstreckt. Ich Süden erweitert sich der Blick auf die Alb, die von ihrem westlichen Ende bis zum
Staufen gut verfolgt werden kann. — Bei unserer Wanderung am Sonntag hatten wir insofern viel Glück, als die 3 Gewitter, die uns niit Blitz und Donner rechts und links ein unheimliches Geleite gaben, nur wenige Regentropfen auf uns fallen ließen. Aber an unserem Hauptziel, dem Jägerbergturm, hatte das 2. Gewitter vor uns so gründlich gewirkt, daß die dort zu unserer Begrüßung Erschienenen schleunigst nach Althengstett flüchten mußten und wir daher den Turm wohloerschloffen antrafen. Als dann der Türhüter wieder gekommen war und uns die Pforten des Turmes geöffnet hatte, da verhüllte das 3. Gewitter den Blick nach Süden und seine Regentropfen trieben auch uns zur Flucht, unter die schätzenden Fittiche des „Adlers" und das Dach der „Linde" zu Althengstett. Der Himmel zeigte zwar bald wieder ein besseres Gesicht, und auf dem Turm hätte man um 5 Uhr eine prächtige Aussicht haben können. Aber unseren Wanderfreunden gefiel es in dem gastlichen Orte so, daß sie dort eine lange fröhliche Rast hielten und hernach auf einem Umweg über die Schafscheuer nach Calw zuruckkehrten. Nur ein halbes Dutzend Calwer ließen es sich nicht nehmen, den Turm nochmals zu besuchen, was sie nicht zu bereuen hatten. — Wir möchten hiemit den Besuch des Turmes jedermann empfehlen. Wer gerne eine größere Wanderung macht, kann obige Tour wählen (vielleicht noch mit Ausdehnung: Ziegelhütte—Galgenberg—Muckberg—Jägerberg —Forsttunnel—Hemberg—Althengstett, vergl. die Vereinskarte). Ganz bequem kann man auch den Nachmittagszug bis Althengstett benützen; bei zweifelhaftem Wetter mit vereinzelten Regenschauern oder kurz nach Regen, ist die Aussicht immer am dankbarsten. — Um die Erbauung eines Aussichtsturmes auf dem Jägerberg hatten sich schon verschiedene Herren bemüht. Auch im
Line §üge.
Roman von Ludwig Rohmann.
(Fortsetzung.)
Horst fühlte sich ungemein wohl, und das sprach er aus, als er mit Paul sich vor Tisch einen Augenblick zurückgezogen hatte. „O ja," gab Paul zu, „ganz nett, aber doch auch 'n bißchen langweilig. Ich denke noch dran, wie's früher in Frankfurt bei der Großmutter war. Die war auch immer sehr lieb, und behaglich war's bei ihr gewiß auch. Aber wenn man einmal so recht laut und fröhlich lachte, dann tuschte die Großmutter allemal: Pst, nicht so laut, ihr Wildlinge! Und man durste sich immer nur auf Stühle setzen, die mit Kattun überzogen waren. Wie gesagt, das war auch sehr nett, aber langweilig; und genau so ist's hier — von den Kattunbezügen natürlich abgesehen. Und das sag ich dir gleich: Am Nachmittag mach ich einen Bummel durch die Stadt. Hier so den ganzen Tag in den engen vier Wänden — das halt ich nicht aus!"
Horst ließ nicht merken, daß er verstimmt war, und gegen den Bummel hatte er nichts einzuwenden; nicht weil er sich langweilte — er hätte Stunden um Stunden im Frieden dieses Hauses verträumen mögen; aber er mußte in die Stadt, weil noch ein Hochzeitsgeschenk sür Inge zu kaufen war.
Der Tag brachte nichts Besonderes — nicht einmal eine Aussprache mit Inge. Die war ordentlich versonnen in ihrem Glück, und Horst wollte sie nicht aufstören — viel Erfreuliches hatte er ja ohnehin nicht zu berichten. Nur von Bergs wurde viel gesprochen, und die Sorge um sie warf die einzigen Schatten in die stille Freude der Erwartung, die das Haus erfüllte. —
Am anderen Tage fand die Hochzeit ohne jedes Gepränge statt.
Außer den Brüdern und zwei jungen Damen aus der Magdeburger Gesellschaft nahm niemand daran teil, und auch beim Mahl herrschte keine laute Fröhlichkeit. Inge weinte viel, sie mußte immer wieder an den Vater und an Marie denken; und dann war ihr so bange mitten in der Fülle ihres reinen Glückes, daß sie fast fürchtete, das Schicksal möge neidisch ihr eine Prüfung schicken. Hinko ließ seine junge Frau nicht aus den Augen; er war geradezu übermütig in seinem Glückesjubel und versäumte keine Gelegenheit, Inge seine zärtliche Aufmerksamkeit zu beweisen.
Hinko hatte darauf bestanden, daß eine Hochzeitsreise gemacht werde, mit der er dann die sommerliche Studienreise zu ersparen gedachte. Er wollte nach Südfrankreich, wohin es ihn lange schon zog. Dorthin verirrten sich Deutsche selten; die Engländer, die wohl auch dort zu finden waren, sollten ihn nicht stören, und im übrigen hoffte er neue Eindrücke zu sammeln und manches Wertvolle in der Mappe mit nach Hause zu nehmen. Abends erfolgte die Abreise; Horst und Paul benutzten bis Leinefelde den gleichen Zug, und von dort aus blieben die Neuvermählten sich selbst überlassen, während Horst und Paul schweigsam und frierend den Rest des Weges bis zur Heimat zurücklegten.
X- -X-
Ende Februar wurde das Konkursverfahren auigehoben, und nun siedelte auch Horst in die Villa über. Das Lager wurde freigegeben, und der Wiedereröffnung der Fabrik stand nichts mehr im Wege.
Horst besonders war über diese Wendung glücklich. Die Diphteritis trat seit vierzehn Tagen mit erschreckender Heftigkeit im Dorfe auf, und das enge Zusammenwohnen der Menschen, das ununterbrochene Arbeiten in den Krankenstuben, der Staub und Schmutz, der Mangel an frischer Luft, das alles half dazu, den Verlauf der Krankheit äußerst unglücklich zu gestalten. Horst arbeitete Tag und Nacht nnd gönnte sich kaum die Zeit für seine knappen Mahlzeiten. Helfen aber konnte er mit all seiner