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Blaubeuren 19. April. In Pappelau fand vor einigen Tagen ein etwa 10 Jahre alter Knabe auf dem Turnplatz eine kurze metallene Röhre, die er als Griffelschoner zu verwenden gedachte. Beim gewaltsamen Hineintreiben des Griffels in die für diesen Zweck etwas zu enge Röhre, explodierte diese und zerfetzte dem Knaben den kleinen Finger der linken Hand, sodaß außer ihm noch ein Stück des Handknochens amputiert werden mußte. Die Röhre war, wie die nähere Untersuchung ergab, ein Zünder zu einer Sprengpatrone, wie sie zu Sprengungen in den Steinbrüchen verwendet werden. Wie dies gefährliche Instrument auf den Turnplatz geriet, ist noch nicht aufgeklärt.
Pforzheim 19. April. Der hiesige Bijouteriefabrikant Crecelius, von der Firma Esch Weber, der vor einiger Zeit unter Mitnahme mehrerer Tausend Mark in bar und Goldwaren geflüchtet ist und in Teneriffa festgenommen worden ist, ist jetzt hieher ausgeliefert worden.
Berlin 19. April. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt offiziös: Die „Germania" hat sich unter dem 14. ds. eine alberne Erzählung über Tränen, die der Reichskanzler vor dem Kaiser vergossen haben soll von gut unterrichteter Seite mit dem Beifügen bestätigen lassen, daß Fürst Bülow wie ein Schloßhund geheult habe. In deutschen Blättern ist diese Leistung der Germania bereits nach Gebühr gewürdigt worden. Da ausländische Zeitungen auf die Angaben der Germania hereingefallen sind, wollen wir ausdrücklich feststellen, daß es sich um ganz gewöhnlichen Schwindel handelt.
Berlin 19. April. Bei der Direktion der Deuschen Orientbank ist folgendes Telegramm aus Konstantinopel eingetroffen: Die Stadt ist weiterhin ganz ruhig. Erwarten Abschluß der Krise innerhalb drei Tagen ohne große Zusammenstöße mit Erfolg der Jungtürken.
Berlin 19. April. Ein Familien- Tragödie hat sich gestern in Moabit abgespielt. Im Hause Bredowstraße 30 vergiftete die 22jährige aus Bayern stammende Frau Seibt infolge Nahrungssorgen und ehelicher Zwistigkeiten ihre beiden kleinen Kinder von 1 und 2 Jahren mit Lysol.
Berlin 19. April. Ueber die Seligsprechung der Jungfrau von Orleans meldet das Berl. Tagebl. aus Rom: Wohl an 40000 Franzosen, überwiegend Provinzler, sind zur Seligsprechung der Jungfrau von Orleans in Rom eingetroffen. Alle Hotels, Pensionen und Privatzimmer sind überfüllt, eine große Anzahl Pilger mußte sogar in kleinen Nestern des Albanergebirges Unterschlupf suchen. Genau nach dem vorgeschriebenen Programm nahm die
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Seligsprechung gestern ihren Verlauf. Etwa an 60000 Menschen überwiegend französ. Pilger, drängten sich im Mittelschiff der Peterskirche zusammen, in deren Hintergrund die Gloria, d. h. die elektrische Strahlensonne der neuen Seligen ausflammte. In Abwesenheit des Papstes, aber in Anwesenheit des Kardinalkollegiums las der Erzbischof von Orleans die Messe, die von den französischen Pilgern mit Gesang begleitet wurde. Das Gedränge war so groß, daß man selbst Priester höchst respektlos auf die altehrwürdige Petersstatue drängte. Um 11 Uhr verkündete Geläute aller Glocken des Petersdoms dem übrigens diesem Ereignis gegenüber gänzlich teilnahmslosen Rom, daß eine neue Selige zu verzeichnen ist. Gegen 100000 Fr. wurden in der Kasse der Reliquienkongregation vorgefunden.
Berlin 19. April. Zum Prozeß Moltke-Harden, für den Termin auf den morgigen Dienstag angesetzt ist, erfährt das B. T., daß Graf Kuno Moltke sich von seiner Krankheit erholt hat und an Gerichtsstelle erscheinen wird.
Bukarest 19. April. Der deutsche Kronprinz ist heute vormittags um 11 Uhr hier eingetroffen. K önig Karl war durch eine heftige Erkältung verhindert, sich auf den Bahnhof zu begeben. Der Kronprinz wurde von der Königin, den Prinzen und Prinzessinnen von Rumänien und einer aus Zöglingen der Militärschule zusammengesetzen Ehrenwache empfangen, in deren Reihe sich auch Prinz Karl von Rumänien befand. Die Bevölkerung bereitete dem Kronprinzen einen herzlichen Empfang. Im kgl. Schloß wurde der Kronprinz vom König herzlich empfangen.
Ereignisse in der Türkei.
Paris 19. April. Das Echo de Paris meldet aus Konstantinopel: Bis jetzt sind weitere 7 Bataillone in Tschadaldscha eingetroffen. Vier weitere Militärzüge sind in Monastir in der Bildung begriffen, drei in Saloniki. Insgesamt befinden sich 40 Bataillone auf dem Marsch gegen Konstantinopel. Die Artillerie marschiert über Berkes und umgeht das Plateau von Strandja, um wahrscheinlich bei Maslack 10 Klm. von Pera zu münden. Die Salonikier Truppen führen 6 Abteilungen Maschinengewehre und ein Bataillon Schnellfeuergeschütze mit sich. Am heutigen Morgen sind mindestens 30000 Mann auf dem Marsche gegen die Hauptstadt. In Konstantinopel sind keine Vorkehrungen getroffen. Mehrere Kasernen sind gänzlich verlassen, vor ihren Toren steht kein Wachtposten. Es ist unwahrscheinlich, daß Konstantinopeler Truppen irgendwelchen Widerstand leisten werden.
Saloniki 19. April. Der Gouverneur von Saloniki und der Kommandant
des 3. Armee-Korps erhielten aus Konstantinopel telegraphisch den Befehl, den Weitermarsch der Jungtürken zu verhindern, damit eine Katastrophe vermieden werde. Die Beiden antworteten aber, das Komitee verweigere der Regierung Anerkennung und Gehorsam und sei entschlossen, in Eilmärschen vorzugehen und den Rachezng mit aller Gewalt durchzuführen.
Konstantinopel 19. April. Eine Massenflucht der Fremden hat hier begonnen, doch ist die Abreise mit der Eisenbahn infolge der Truppentransporte fast unmöglich. Infolgedessen werden die Schiffe geradezu gestürmt. Die Konsulate werden von Aengstlichen um die Herbeischaffung von Kriegsschiffen bestürmt.
Paris 19. April. Der „New-DorkHerald" meldet aus Konstantinopel: Seit Donnerstag ist Prinz Reschad Effendi, der Bruder des Sultans und Thronerbe aus seinem Palast verschwunden. Einem Gerücht zufolge hat sich der Thronfolger nach Tschataldscha geflüchtet, wo sich die Führer der Jungtürken befinden.
Konstantinopel 19. April. Die 30 Abgeordneten, die nach Tschataldscha gefahren waren, wurden von den Truppen mit der Frage empfangen: Habt Ihr den Kopf des Sultans. Wir verlangen ihn, damit wir sicher sind, daß die Verfassung fortan nicht angetastet wird. Die Komitee-Armee fordert die Absetzung oder Abdankung des Sultans, die Einsetzung Reschads, sowie die Bestrafung der Meuterer und Offiziere. Hundert Offiziere und mehr haben auf denKoran geschworen, denSultan zu töten.
Vermischtes.
Die Fünfzig-Pfennig-Stücke. Der Bundesrat hat auf Grund des Artikels 1 Ziffer 2 des Gesetzes — betr. Aenderungen im Münzwesen — vom 19. Mai v. I. die nachstehenden Bestimmungen getroffen, auf die zur Förderung der Einziehung wiederholt hingewiesen wird: Die Fünfzig-Pfennig-Stücke der älteren Geprägeformen mit der Wertangabe „50 Pfennig" gelten vom 1. Oktober 1908 ab nicht mehr als gesetzliches Zahlungsmittel. Es ist von diesem Zeitpunkt ab außer den mit der Einlösung beauftragten Kassen niemand verpflichtet, diese Münzen in Zahlung zu nehmen. Diese Fünfzig-Pfennig-Stücke werden bis zum 30. September 1910 bei den Reichs- und Landeskassen zu ihrem gesetzlichen Werte sowohl in Zahlung genommen als auch gegen Reichsmünzen umgetauscht.
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Hinko war übermütig wie immer. „Spät kommt ihr, doch ihr kommt!" scherzte er. „Eigentlich hättet ihr die paar Bahnstunden schon früher einmal machen und Inge und mein Mutting aufsuchen können. Aber nun ists natürlich auch so gut. Ich Hab' im Stillen nur immer gefürchtet, daß ihr uns am Ende auch die Hochzeit allein feiern lasten würdet."
Dann wandte er sich an Paul besonders, den er noch nicht kannte. „Ich freue mich, daß nun auch wir beide uns kennen lernen, und ich denke, du bist's zufrieden, daß wir auch gleich alles Fremde und Förmliche aus dem persönlichen Verkehr verbannen. Aus du und du also und gute Freundschaft alle Zeit!"
Paul fand seine gewohnte Sicherheit nicht sofort. Er lächelte nur verbindlich und schüttelte Hinko zustimmend die Hand.
„Na, denn kommt, Kinders. Wenn ihr nicht zu müde seid, lasse ich das Handgepäck nach Hause schaffen, und wir gehen. Es ist warm und schön wie im Frühling, und das nütze ich gerne aus. Außerdem: Wir haben ja Zeit!" Die Brüder hatten natürlich nichts einzuwenden. So schleuderten sie langsam nach dem Ulrichstor, und die Glacisanlagen nach der Kaiser Friedrichstraße, wo Hinkos Mutter ein allerliebstes kleines Häuschen besaß.
Paul ging an Hinkos Seite und bestritt die Kosten der Unterhaltung fast ganz allein. Hinko hatte weniger aus wirklichem Interesse als aus dem Wunsche heraus, ein dem Schwager angenehmes Thema anzuschneiden, nach dem Geschäftsgang gefragt, und Paul ließ sich denn auch breit und behaglich aus. Hinko hörte jedoch nur aufmerksam zu. Ihm weitete ein unnennbares Glücksgefühl die Brust, und das eifrige Regen in der erwachenden Natur übte einen zauberischen Reiz auf ihn aus. Vor einem Strauch, dessen schwellende Knospen bereits feines Grün durchschimmern ließen, blieb er stehen. Er brach einen langen Zweig und reichte ihn Inge mit einem tiefen Blick. Inge sah ihn dankbar an. „Die Hoff
nung!" sagte sie leise, und sie dachten beide dasselbe, daß sich nun herrlich erfüllen werde, was sie in trüben Novembertagen Schönes in Frankfurt erträumt.
Frau von Heidenfeld empfing ihre Gäste in der herzlichsten Weise. Von Horst hatte sie viel gehört, der war ihr durch Inges Schilderung vertraut geworden und ein prüfender Blick in sein ernstes, männliches Gesicht gab ihr die Gewißheit, daß Inge nicht zuviel gesagt habe. Paul war ihr fremder, aber seine frische Jugendkraft nahm sie auch für ihn ein, und sie hieß ihn mit offener Herzlichkeit willkommen. Horst seinerseits fand Gefallen an der alten Dame mit den großen, Hellen Augen, die so prüfend und doch so freundlich in die Welt sahen, und ein Sehnsuchtsseufzer hob ihm die Brust. Hätte er doch eine solche Frau, Mutter nennen können, hätte er ihr sich anvertrauen und einmal gründlich sein Herz ausschütten dürfen.
Der Ton im Hause war auf eine gewisse harmonische Fröhlichkeit gestimmt. Es gab keine laute Freude, aber man gewann auch den Eindruck, daß in diesem Hause für die Trauer kein Raum sei.
(Fortsetzung folgt.)
Humoristisches.
Drastisches Mittel. Junger Arzt: „Wenn ich nur wüßte, was ich machen soll? Die vier Töchter der Frau Geheimrat, bei der ich Hausarzt bin, sind permanent leidend und wollen nur von mir behandelt sein!" — Kollege: „Ganz einfach! Heirate eine, dann werden die anderen drei sofort gesund!"
Ja so! Er: „Hat sich dein Papa vor unserer' Verlobung über mich im Auskunftsbureau erkundigt?" — Sie: „Nein, Fritz! . . Er wußte schon genug Schlechtes von dir!"j