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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamkbezitt Calw.

84. IahrgW.

ErscheinuugSiage: Moniaa, DienSIaa. Mittwoch, i onnerstag, Frciiag und SamSiog. Juserrionspreis !(, Pfg. pro Zette für Stadl u. Bezirksorte! außer Bezirk 12 Pfg.

Iamslag, den 17. April 1909.

.i.d. Lladr^ ^jährl.m.Träger!.Mk. 1 . 25 . Postbezugspr. - u. Nachbarorrsverk. * ijährl. Mk. 1.20, im Fernverkehr

Dezugsyr.i. d.

s. d. Ör!s- u. Nachbarorrsverk.»^ayrl. Mk. 1.20, mr r^ernr Mk. i.so. Bestellg. in Würri. 30 Pfg., in Bayern u. Reich 42 Pfg.

Taftesueuiakeiteu.

80. Calw 16. April. Der Dienstknecht Dengler von Liebelsberg drängte sich auf dem Heimweg von der Hochzeit an ein Mädchen, das nichts von ihm wissen wollte. Im Aerger hierüber schnitt er dem Mädchen auf einem Fußpfad den Weg ab und paßte vor dem Haus init dem Revolver auf die Spröde. Der erste Schuß versagte. Das Mädchen flüchtete ins Haus und in ihre Kammer. Der zweite Schuß des rabiaten Liebhabers zertrümmerte wohl das Fenster, ver­letzte aber niemand.

Infolge am 22. Febr. aöqehalkener Handels­lehrerprüfung wurde zur Versetzung von Handelslehrer­stellen für befähigt erklärt: Talmon-Gros. Karl, von Neuhengstett.

Neuenbürg 16. April. In Grunbach hat sich der ledige Goldarbeiter Bohnenberger, ein stiller ruhiger Mann, während seine Eltern zu Mittag aßen, in der Küche erschossen. Der Grund des Selbstmords ist selbst den Angehörigen unbekannt.

Stuttgart 16. April. Die Zweite Kammer setzte heute bei Beratung des Etats des Innern die Erörterungen über die Frage der Anstellung eines Landeswohnungsinspek­tors fort. Ueber flüssig und nicht genügend be­gründet erschien diese Neuforderung von 5570 den Abg. Reihling (V) und Feiger (V), welch letzterer die Befürchtung aussprach, daß dieses In­stitut sich unter bedeutenden Kosten rasch auswachsen werde. Rembold-Gmund (Z) wies darauf hin, daß in den Städten und in den Landgemeinden mit Industrie infolge des Zusammenströmens von Menschen sich schwere Mßstände im Wohnungs­wesen herausgebildet haben, die in Bezug auf Gesundheit und Sittlichkeit die schlimmsten Folgen haben. Der Staat dürfe an diesen Dingen nicht achtlos vorübergehen. Es handle sich nicht, wie irrtümlicher Weise vielfach angenommen werde, da­rum, daß der Beamte die Wohnungen inspiziere; das sei nach der Geme!ndeordnung Sache der Ortspolizei. Seine Aufgabe sei vielmehr nur eine beratende, auch der Regierung gegenüber, und es empfehle sich daher, die Exigenz richtiger als Be­ratungsstelle für öffentliches Wohnungswesen zu bewilligen. Häffner (D. P.) erklärt die Schaffung der Stelle gleichfalls für eine Notwendigkeit. Sie würde mit der Zeit dem Lande zum Segen gereichen. Dr. Lindemann (Soz) entgegnete der Rednern der Volkspartei, daß diese sonst nicht so sehr für Sparsamkeit sei, wenigstens habe sie sich bereit erklärt, den Münchner GesandschaftSposten zu ge­nehmigen, für den man vier Wohnungsinspektoren anstellen könnte. Der Redner betonte den engen Zusammenhang zwischen Wohnung und Charakter­bildung. Der Inspektor werde die Aufgabe haben, WohnungSkaltur zu treiben und dem Volke ihre Notwendigkeit zum Bewußtsein zu bringen. Der Name Beratungsstelle wäre eine Abschwächung. Besser würde Landeswohnungsinspektion gesagt wer­den. Minister v. Pischek führte aus, die hohe Bedeutung gesunder Wohnungen für das gesund­heitliche, wirtschaftliche und sittliche Wohl unseres Volkes sei ein Gemeingut der Erkenntnis. Auch auf dem Lande herrschen, namentlich bezüglich der Unterbringung des Gesindes zum Teil haarsträubende, den Ansprüchen an Sittlichkeit und Gesundheit hohn­sprechende Zustände, die den Zug in die Stadt begünstigen. Solle die Wohnungsaufficht zweck­mäßig und gleichmäßig im Lande durchgeführt werden, so fei eine Kontrolle über die Art der Ausübung der Wohnungsaufficht unentbehrlich. Zu dieser kontrollierenden Aufgabe des Inspektors trete dann

die noch wichtigere der Beraiuna von Staat und Gemeinden, sowie von Baugenossenschaften. Eine Polizeiaufgabe werde der Inspektor nicht haben. Mit seiner Anstellung werde ein Sprang ins Dunkle nicht gemacht, da die Erfahrungen anderer Länder vorliegen Kraut (B.K.) hob hervor, die Grundbedingen für hygienisches Leben seien auf dem Lande in durchaus befriedigender Weise gegeben, jedenfalls mehr als in der Stadt. Für die Wohvungsinspeklion sei jetzt schon genügend gesorgt. Es fehle deshalb das dringende Bedürfnis und man müsse der Schaffung immer weiterer neuer Stellen ein Ende machen. Or. Bauer (V) bejahte die Bedürfnisfrage für diese bedeutungsvolle Stelle. Haußmann (V.) vermißte bei der Neuforderung ein klares Programm, einen organischen Zusammenhang und die Rücksicht auf die erst zu schaffende Bauordnung Die jetz'ge ungünstige finanzielle Lage sei nicht geeignet für die Schaffung einer neuen Stelle, die nicht prinzipiell, aber im gegenwärtigen Zeitpunkt abgelehvt werden müsse. Graf (Z.) polemisierte gegen Haußmann, dem er unsachliche Behandlung der Angelegenheit vorwarf. R em bald-Gmünd (Z.) erklärte, bet der Schaffung neuer Stellen komme es auf ihre Bedeutung für das allgemeine Volkswohl an. Nach Ablehnung eines Schlußantrags sagte v Gauß(V.), daß man der Forderung skeptisch gegenüber stehen müsse, wenn man sich über die Aufgabe des Beamten klar werde, der in Stuttgart dank dessen Einrichtungen gar nichts zu tun haben würde, vr. Lindemann (Soz.) widersprach dem und empfahl Haußmann das Stu­dium der in Hessen mit dem dortigen Wohnungs- inspektzw gemachten Erfahrungen. Dann wird er die Frage, die er offenbar nicht kenne, auch für spruchreif halten Graf (Z) polemisierte gegen Gauß unter erregten Zwischenrufen des letzteren. Gauß mache den Eindruck, als kenne er gar nicht die Stuttgarter Wohnungsverhältnisse. Den Maß­nahmen des Wohnungsinspektors könnte in keiner Gemeinde größerer Widerstand entgegengesetzt werden, als denen der Regierung seitens der Stadtverwaltung Stuttgarts. Nach einem Schlußwort Haußmauns wurde die Exigenz mit 45 gegen 37 Stimmen angenommen. Schluß der Sitzung 1 Uhr.

Stuttgart 16. April. In der gestrigen, äußerst stark besuchten Versammlung in der Lieder­halle wurde folgende Resolution in Sachen der Reichsfinanzreform angenommen, die auf den Vorschlag des Grafen Zeppelin durch eine Abordnung dem Reichskanzler überreicht werden soll:

Wir heute in der Liederhalle zu Stutt­gart versammelten Bürger beklagen tief und mit ernster patriotischer Sorge den schleppenden Gang der Verhandlungen über die Reichsfinanz­reform. Wir stimmen ein in den Ruf nach schleunigem Abschluß dieses Gesetz­gebungswerks. Durchdrungen von der Not­wendigkeit der Opfer, die durch die Ehre und die Sicherheit des Reichs gefordert werden, bitten wir Reichstag und Bundesregierungen, alle Kräfte zu Ueberwindung der entgegen­stehenden Schwierigkeiten anzustrengen, damit die Reichsfinanzreform zustande kommt, noch ehe der Reichstag in diesem Sommer auseinandergeht. Wir find überzeugt, daß ohne die Einführung einer Besteuerung größerer Nachlässe oder Erb - anfälle neben der vorgesehenen weiteren Besteuerung von Tabak, Bier und Branntwein eine gerechte und nachhaltige Abhilfe der Finanznot des Reichs nicht zu er­reichen ist."

Bietigheim 16. April. Man glaubt in dem 26 Jahre alten Kraus aus Waiblingen, der bei einem Einbrüche in der hiesigen Kleinkinder schule festgenommen wurde, den Verüber der zahlreichen in der letzten Zeit an verschiedenen Orten ausgeführten Einbrüche in Kleinkinderschulen gefunden zu haben. In Berk­heim hatte der Bursche die Frechheit, die Schwester zu zwingen, ihm Kaffee zu machen.

Heilbronn 16. April. Ein Luftballon­aufstieg von Heilbronn aus wird am nächsten Sonntag vormittag stattfinden, wiederum vom Gaswerk aus, und zwar, da der BallonWürttem­berg" durch die französische Fahrt zerstört ist, mitMainz-Wiesbaden", der dem Verein für Luftschiffahrt in Mainz und Wiesbaden gehört. Teilnehmer an der Fahrt sind die Herren Merz- bach aus Frankfurt a. M. als Führer, Viktor Krämer jr., Verleger der Neckarzeitung und Adolf Pfieiderer-Heilbronn und Ingenieur Bonte aus Düsseldorf. Es ist wiederum eine Verfolgung des Ballons durch Automobile geplant.

Kirchheim a. N. 16. April. Ein etwa 40jähriger Mann, angeblich von Waiblingen, sprang gestern über die Brücke etwa 10 m hoch in den Neckar. Obwohl er nach 10 Minuten schon geländet war, waren die Wieder­belebungsversuche erfolglos. Der Mann war gut gekleidet, seine Wäsche mit I. E. gezeichnet. Geld und Papiere fand man nicht bei ihm.

Kirchheim u. T. 16. April. (Das Ende des Kirchheimer Weinbaus.) Kürzlich ist das letzte Stück der Kirchheimer Weinberge herausgehauen worden, droben an der Plochinger Steige. Dem Besitzer wird es weh genug getan haben, aber ein einziger Wingert auf dem ganzen Zehnten war nicht mehr haltbar. Der Weinbau hier soll so alt als die Stadt sein, und dann soll ihn Herzog Christof noch weiter gefördert haben. Die Einwohner gaben sich viele Mühe und brachten auch Opfer. Laut Oberamts­beschreibung wurden 1842 hier wie in Bissingen Musterweinberge angelegt. Auch gibt es noch alte Leute, die erzählen, daß nicht nur die Plochinger Steige, sondern auch andere Hänge, namentlich die Wangerhalde mit Reben bepflanzt gewesen seien. Zum Rückgang des edlen, aber sehr mühsamen Weinbaus wirkten bekanntlich manche Umstände zusammen. In Kirchheim hat ohne Zweifel auch der Bau der neuen Plochinger Fahrstraße dazu beigetragen, denn er zerschnitt viele der besten Weinberge.

Aus dem Oberamtsbezirk Kirch­heim 14. April. Wir hatten im vorigen Jahr einen recht ansehnlichen Obstreichtum in allen Teilen unseres Bezirks. Um so erfreulicher ist die Tatsache, daß auch in diesem Jahre wieder der Knospenansatz beim Kernobst ein über­aus reicher ist. Die Fruchtknospen sind in aller Fülle vorhanden wie selten in den Vorjahren. Namentlich Birnen, die voriges Jahr allerdings falliert haben, sind sehr stark mit Blütenknospen besetzt. Auch Steinobst zeigt guten Fruchtansatz. Wenn über die Blütezeit gedeihliches Wetter eintritt, steht eine reiche Obsternte in Aussicht. Dazu liegen noch große Mostvorräte vom Vor­jahr in den Kellern, ein Umstand, unter dem