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Oberfläche erschienen und hätten ihren Anteil im Rette der Völker gefordert, verschiedene Gegensätze zwischen Völkern hätten sich scheinbar in Harmonieen mngewandelt und überall zeige sich nach außen hin eine veränderte Welt. Deutschland nehme in dieser Veränderung nicht mehr den ersten Platz ein, es müsse zufrieden sein, wenn es in Rech und Glied mit den andern Mächten stehe, ja vor einigen Mo­naten sei für Deutschland die große Gefahr der Isolierung bestanden. Diese Einkreisung sei nicht ohne eigenes schweres Verschulden Deutschlands geschehen und diese Gefahr bestehe immer noch fort, solange in England ein König an der Spitze stehe, der eine Demütigung Deutschlands herbeiführen wolle. Warum kümmere sich Deutschand aber um das po­litische Getriebe und warum widme es sich nicht ganz dem wirtschaftlichen Lebens Es könnte aller­dings an Steuern und am Militärwesen gespart werden, aber es wäre das größte Unglück für Deutsch­land, wenn es sich von dem Weltgetriebe zurückziehen würde. Ein Volk, das keine Geltung nach außen sich verschaffen könnte, müßte an allen geistigen Gütern verkümmern und zuletzt untergehen, Seeluft müsse ein Volk durchwehen. Wie im Aeußeren, so seien auch im Innern von Deutschlands Politik große Umwälzungen eingetreten. Deutschland sei nicht mehr ein reiner Agrarstaat, sondern auch ein In­dustriestaat geworden, denn die Industrie habe ihre Pioniere weit auf das platte Land hinausgeschtckt. Mit dieser Veränderung in der Lebensweise sei Hand in Hand gegangen eine Veränderung in den Geistes­zuständen des deutschen Volkes und eS sei leider der Eindruck nicht zurückzuweisen, daß in unserem Volk der Materialismus starkzugenommen habe. Daß die volks­wirtschaftlichen Interessen überall tn den Vordergrund getreten seien, habe unermeßlichen Schaden ange­richtet, ein schlagender Beweis sei die verabscheuungs­würdige Geldbeutelpolitik bei der Reichsfinanzreform. Ein Zurücktreten der idealen Gesichtspunkte mache sich überall fühlbar, jedoch zeigen sich hie und da schon Keime besserer Instinkte. Heimatschutz, gute literarische Kost, neu erwachtes religiöses Interesse lassen die Hoffnung schöpfen, daß der Materialismus zurückweiche und daß Deutschland aus dem unge­sunden Zustande, nur ein Volk von Arbeitern und Technikern zu sein, herauskomme. Notwendig sei, daß jeder Einzelne sich der Selbstprüfung unterziehe und daß alle mit der Pflege der Vaterlandsliebe es ernst nehmen sollen Anlehnung an die großen Vorbilder unserer Ahnen, Ueberwindung unserer Fehler soll uns zu der triumphierenden Wahrheit führen, daß Deutschland über alles stehen müsse und daß Vaterlandsliebe höher zu achten sei als Freundes liebe. Rauschender Beifall folgte der ge­dankenreichen und fesselnden Rede. Im Laufe des Abends folgten noch verschiedene Reden und An­sprachen. FinenzamtmannDreiß toastete anfSe. Majestät den Kaiser; Gerichtsschreiber Siber auf Se. Majestät den König; Handelsschuldirektor Fischer in gesundem Optimismus auf das deutsche Vaterland; Sägwerkbesitzer Wagner auf Heer und Flotte und Rechtsanwalt Jrion auf die deutschen Frauen. Die Zwischenpausen wurden ausgefüllt durch ausgezeichnete Musikvorträge der Herren Fischer, Höfer, Beißer, Batzer und Jrion, sowie durch Vor­träge der Stadtkapelle und durch allgemeine Ge­sänge. Zu der Feier war auch eine Anzahl Damen

erschienen, die von den verschiedenen Rednern mit größter Höflichkeit ausgezeichnet wurden und die gewiß über die beinahe jeden Satz einleitende liebenswürdige Anrede sehr erfreut waren. Der Jungliberale Verein hat mit der Veranstaltung der Bismarckfeter einen glücklichen Gedanken ausgeführt und kann mit Stolz und Befriedigung auf diese Feier zurückblicken, die aus allen Ständen der Ein­wohner besucht war und die Zeugnis dafür ablegte, daß d«Ä deutsche Volk nicht vergißt, was Bismarck für das Vaterland geleistet hat. Möge auch ferner des großen Mannes Namen als Feuer­säule vor unserem Volke herziehen in guten und bösen Tagen, möge sein Geist für immer mit uns sein, mit uns und unserer Fahne Flug.

Heilbronn 30. März. Hier wird vom 1. April an die Fleischsteuer aufgehoben. Die Aufhebung wird eine Fleischpreis­verbilligung im Gefolge haben, indem das Ochsenfleisch 8 ^ weniger, Rindfleisch 6 Z, Kalb­fleisch 4 Schweinefleisch 6 Z und Hammelfleisch 5 weniger als bisher kosten wird. Möge der Abschlag ein nachhaltiger sein.

Von der unteren Jagst 31. März. In Möckmühl will ein Kaufmann eine selbst­tätige Kuppelung für Eisenbahnwagen erfunden haben. Er ließ sich ein Modell an­fertigen und versucht nun sein Glück bei ver­schiedenen Eisenbahnverwaltungen.

Mergentheim 31. März. Aus Berlin ist die Nachricht eingetroffen, daß der Kaiser sich endgiltig dafür entschieden hat, sein Haupt­quartier während des diesjährigen Kaiser - Manövers vom 12.17. September nach Bad Mergentheim zu verlegen. Der Kaiser wird während dieser Zeit im Karlsbad, in dem vorher noch einige bauliche Veränderungen vorgenommen werden, Wohnung nehmen.

Ulm 30. März. Bei dem auf den kom­menden Samstag angesetzten zweiten Wahlgang der Landtagsersatzwahl werden Kommerzienrat Wieland «Deutsche Partei), Maler Göhring (Sozialdemokratie) und Postsekretär Münz (Volks­partei) wieder auf dem Plan stehen. Die Ver­handlungen zwischen Volkspartei und Sozialde­mokratie haben, wie man hört, nach ziemlich er­regten Auseinandersetzungen nicht zum Ziele ge­führt. Doch erscheint es nicht ausgeschlossen, daß die Sozialdemokratie noch in letzter Stunde eine Schwenkung vollzieht.

Biberach 31. März. In dem Stations­gebäude Warthausen wurde eingebrochen und der K assen sch rank, der 320 Kilo schwer ist, ge­stohlen und auf einem sogenannten Barren­karren sortgeführt. Der Kassenschrank, der mehrere hundert Mark Inhalt hatte, konnte von den Dieben, die einen schweren Hammer zum Er­brechen des Schrankes benützten, nicht geöffnet werden. Die Tageskasse mit etwa 10 Mark Inhalt fiel den Räubern in die Hände. Karren und Schrank nebst Hammer und zwei neue Meißel

wurden etwa 100 Meter vom Bahnhof auf freiem Felde gefunden. In Betracht als Diebe kommen ein älterer Mann mit Backenbart und Rucksack, ferner zwei in den 30er Jahren stehende Männer. Namentlich hat. man Verdacht auf einen Richard Schwaibold, 32 Jahre alt, früher Eisenbahn­expedient von Nasgenstadt OA. Ehingen. Die Sicherheitsbehörden sind in voller Tätigkeit.

Friedrichshafen 31. März. Heute vormittag V-10 Uhr stieg das Luftschiff in Manzell zu einer Höhenfahrt auf. Es bewegte sich ca. 1500 w über dem Seespiegel dem schweizerischen Ufer entlang nach Lindau zu. Die Fahrt ist ausschließlich als Höhenfahrt unter­nommen worden. Der Termin für die Fernfahrt nach München stand heute vormittag zehn Uhr noch nicht fest, zumal da das Luftschiff erfahrungs­gemäß nach jeder Höhenfahrt einer Nachfüllung bedarf.

Friedri chs h a fen 1. April. Gestern Abend wurde die Nachricht verbreitet, daß das Luftschiff in der folgenden Nacht, und zwar um 3 Uhr morgens die Fernfahrt nach München antreten werde.

Friedrichshafen 1. April. Das Luft­schiff hat heute früh einige Minuten nach 4 Uhr die Halle verlassen und nahm sofort die Richtung nach München. Das Eintreffen erfolgte, nach telef. Nachricht, um '/-O Uhr.

Pforzheim 31. März. Bei der Bürger­meisterwahl in unserem Nachbarort Eisingen warf ein Wähler folgenden humorvollen Wahl­zettel in die Urne:

Ich wähl zum Schultet von Eisinqen Den Serbenschvrsch vor allen Dinqen.

Der Prinz ist jetzt ja ohne Geschäft,

Da kommt er wohl in unser Höft.

Drum auf, Ihr Bürger, seid schön hell Und wählt den Prinzen auf der Stell,

Berühmt sind wir dann weit und breit.

Die Nachbardörfer frißt der Neid.

Wie lange noch, so sind wir Stadt,

Wenn man 'nen solchen Schuttes hat.

Mit Stein da gibt es demnächst Krieg,

Der Serbenschvrsch führt uns zum Sieg,

Drum auf zur Wahl, und müßt ich sterbien. Ich wühle doch den Prinz von Serbien!

Pforzheim 31. März. Schon vor nicht allzulanger Zeit erregte eine Steuerangelegen­heit hier großes Aufsehen, indem ein Bijouterie- sabrikant für die letzten fünf Jahre freiwillig den Steuerbetrag von 125 000 ^ nachbezahlte und hierauf sich sein Teilhaber meldete, der ebenfalls freiwillig 55 000 M versäumte Steuer nachbezahlte. Gestern nachmittag erschien nun bei einem bedeutenden Kettenfabrikanten im Se­dansstadtteil die Steuerbehörde mit einem Ver­treter des Amtsgerichts und mehreren Kriminal­schutzleuten, um eine Haussuchung vorzunehmen, da der Verdacht der Steuerhinterziehung vor­lag. Das Ergebnis soll, wie man hört, ein

Doch, Onkel," versicherte Hinko ernsthaft.Einstweilen mal ich nur mit leidlichem Geschick, aber 'n Maler bin ich darum noch lange nicht: Einer, der die Natur in sich aufnehmen und all ihren Zauber, all ihre Größe wiedergeben und die millionenfachen Schattierungen und Lichter meistern kann. Es ist sogar eine Vermessenheit, daß ich über­haupt zu hoffen wage, einmal ein Maler in diesem Sinne werden und jemals dem lieben Herrgott seine Schöpferkünste ablauschen zu können. Aber nun laß dir sagen: Von allen Gesprächsthemen ist mir keines langweiliger als das eine, das mich selbst zum Gegenstand hat. Mir geht's da nicht anders als dir, und darum rechne ich auf dein volles Verständnis. Sage mir lieber, wer das junge Mädchen ist, das mich unten so freundlich begrüßt hat."

Inge? Die Tochter meines lieben Freundes, der vor ein paar Wochen plötzlich gestorben ist. Seitdem lebt sie bei uns, und was sie speziell Marie geworden ist, das hast du ja wohl beobachtet."

Allerdings. Und gerade deshalb frage ich. Marie ist doch sonst nicht so bei der Hand mit ihrer Freundschaft. Wenn ihr nur nicht das Mitleid mit der Kleinen einen Possen gespielt hat"

Durchaus nicht," versicherte Berg eifrig.Inge ist ein vortreff­liches Mädchen, und es macht mich wirklich glücklich, daß sie und Marie sich so schnell aneinander angeschlossen haben."

Umso besser denn! Ihr Vater ist plötzlich gestorben?"Ja", ant­wortete Berg gepreßt;ein Unfall"Oh! Und sie steht ganz allein?" Ja und nein. Auch ihre Mutter ist seit langen Jahren tot. Aber sie hat zwei Brüder."Vermögen?"

Berg sah den Neffen von der Seite an.Warum fragst du dar­nach?"Nun eigentlich ohne besonderen Grund. Ich mache mir nur ungern ein Bild von einem Menschen, wenn ich nicht auch seine Ver­

hältnisse gerecht beurteilen kann, die sein Leben bestimmend beeinflußt haben."

Nun denn der Vater hat kein Vermögen hinterlassen; sein Nachlaß-ist im Konkurs."

Hinko sah den Onkel fragend an, dann begriff er.Ach so!" Er stand auf und ging zum Fenster hin.Da wird das arme Ding schwere Tage gehabt haben."

Marie erschien in der Tür zum Speisezimmer und bat die Herren zu Tisch, und Berg war's zufrieden, daß er der Antwort überhoben war.

Am Nachmittag kam Horst unvermutet an. In der Stadt war er schon am Morgen eingetroffen; die Zwischenzeit hatte er dazu benützt, sich eine Wohnung zu mieten und sich häuslich einzurichten. Nun kam er, um Inge und die Familie Berg zu begrüßen. Die Nachricht, daß er nun zunächst wenigstens in Frankfurt bleiben werde, wurde mit auf­richtiger Freude ausgenommen, und Berg und Marie luden ihn dringend ein, zu kommen, so oft es seine Zeit erlaube. Für den Rest des Tages wurde er festgehalten, und er nahm gerne an. Inge strahlte die Helle Freude aus den Augen. Sie hatte stets mit besonderer Liebe an Horst gehangen, und der Gedanke, ihn nun viele Wochen ganz in der Nähe zu haben und ihn täglich sehen zu können, machte sie glücklich.

Der Abend verlief in bester Stimmung. Marie und Berg verstanden es vortrefflich, Behagen um sich zu verbreiten, und Horst hatte in der Herzlichkeit des Tones, auf den das Leben im Hause gestimmt war, fast das Gefühl der Zusammengehörigkeit gewonnen. Es tat ihm wohl, wahr­zunehmen, daß die freundlichen Eindrücke sich als nachhaltig erwiesen, die er damals empfangen, als er Inge hierher gebracht. Die beiden Menschen wurden ihm lieb im vertrauten Umgang, und als er ziemlich spät sich verabschiedete, da geschah es fast mit einem Gefühl wehen Bedauerns.

(Fortsetzung folgt.)