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nach Friedrichsruh, um an geweihter deutscher Stätte den stillen Ruheplatz des größten aller deutschen Männer, das Grab des Fürsten Bismarck aufzusuchen. In tief empfundener Ansprache widmete Stadtschultheiß Conz dem großen Toten innige Worte der Dankbarkeit und Verehrung. Der 2'/- Stunden dauernde Vortrag, der durch vorzüglich gelungene Lichtbilder unterstützt war, gab den Zuhörern einen Einblick in die Schönheiten einer derartigen Reise und einen Begriff von der hohen Entwicklung unserer deutschen Flotte und unserer Seestädte und Küstenbefestigungen und damit zugleich eine Vorstellung von der gewaltigen Kriegsmacht der deutschen Marine. Reicher Beifall wurde dem gewandten Redner für seinen äußerst lebendigen und anschaulichen Vortrag zu teil. Am Schlüsse sprach der Vorstand des Gewerbevereins, Uhrmacher Zahn, dem Redner den wohlverdienten Dank für seinen interessanten Vortrag aus.
-ck. Ostelsheim 22. März. Am Sonntag, den 21. d. hatten wir Gelegenheit im hiesigen Rathaussaal einen sehr interessanten Vortrag von berufener Seite zu hören und zwar über das Thema: „Die Bedeutung derLandwirt- schaft im deutschen Reiche." Der Redner, Landwirtschastsinspektor Ströbele von Leonberg, betonte in erster Linie den Wert und die Bedeutung der Urproduktion. Er zeigte, wie aus dem Boden durch den beharrlichen Fleiß der landwirtschaftlichen Bevölkerung alles, was der Mensch zu seiner Eristenz nötig habe, erzeugt werde: wie dann durch Gewerbe und Industrie die Erzeugnisse verarbeitet, bezw. verfeinert werden und somit Industrie und Landwirtschaft aufeinander angewiesen seien. Es sei leider in letzter Zeit das Bestreben Deutschland in einen Industriestaat umzuwandeln, stark hervorgetreten, ohne indessen die Nachteile nach Gebühr zu würdigen, die eine solche Umwandlung unfehlbar mit sich bringen müßte. Redner führte dann weiter aus, wie eine gesunde, starke Landwirtschaft namentlich auch was Religiosität und Vaterlandsliebe der landw. Bevölkerung betreffe. Für das Wohlergehen und den Bestand Deutschlands unentbehrlich sei. Der Landwirt sei an die Scholle gebunden, deshalb müsse er die guten, wie die schlechten Jahre mit Gleichmut hiunehmen, weil er nicht wie z. B. die Industrie die augenblickliche „Konjunktur" ausnützen könne, sondern von dem Ertrag seiner Felder und Wiesen abhängig sei. Namentlich auch im Hinblick auf die Wehrfähig - keit zeigte Redner an der Hand statistischer Zahlen, daß die Landwirtschaft viel mehr und vieltüchtigere Leute stelle, als dies bei der Industrie der Fall sei. Die Arbeit in den Fabriken wirke im Gegensatz zur landwirtschaftlichen Arbeit erschlaffend auf Geist und Körper ein. In einem reinen Industrie
staat sei der Arbeiter nichts weiter als eine Maschine, welche nicht im Stande sei, ein fertiges Produkt zu erzeugen, was z. B. bei Geschäftsstockungen und der daraus entspringenden Arbeiterentlassungen äußerst nachteilige Folgen haben könne. Auch im Falle eines Kriegs wenn es hieße „Feinde ringsum" würde eine ruinierte Landwirtschaft unheilvolle Folgen haben, wenn durch Blockade der in Frage kommenden Einfuhrstellen die Zufuhr von Lebensmitteln plötzlich abgeschnitten würde! Die Frage: Ist Deutschland in der Lage, seine Bevölkerung, welche gegenwärtig sich ungefähr auf 64 Millionen belaufe, ohne fremde Einfuhr zu ernähren, könne hinsichtlich des Fleischverbrauchs unbedingt bejaht werden; der Bedarf an Getreide, welcher bisher zu °/i° im Inland gedeckt wurde, könne bei intensiver Bewirtschaftung ganz gut vollends erzeugt werden. Redner schloß mit einem sinnigen Bild, in dem er Landwirtschaft, Handel und Industrie mit einem Baum verglich, dessen Wurzel und Stamm die Landwirtschaft, Neste und Blätter Handel und Industrie darstellen. Sind nun die Wurzeln gesund und kräftig, ist für den Bestand des Baumes auch bei vorkommenden Krankheiten der Neste und Blätter nichts zu fürchten. So werde auch das Deutsche Reich wenn es eine gesunde, leistungsfähige Landwirtschaft sich erhalte, in der Lage sein früher oder später eintretenden Krisen erfolgreichen Widerstand zu leisten und sie zu überwinden. Reicher Beifall lohnte den Redner für seine trefflichen Ausführungen, welchem von Schultheißenamtsverweser Haug der gebührende Dank der Versammlung dargebracht wurde.
Stuttgart 22. März. In dem Preß- prozeß gegen den Simplizissimus wegen Beleidigung der badischen Regierung, der vor der hiesigen Strafkammer zur Verhandlung gelangt, wurde der auf Dienstag, den 23. März angesetzte Termin vertagt.
Stuttgart 22. März. Eine wichtige Entscheidung hat die hiesige Staatsanwaltschaft betreffs der in den Wirtschaften befindlichen Geldautomaten gefällt, was bei der Rechtsunsicherheit von Bedeutung ist. Es sollen nämlich für die Zukunft alle Automaten, bei denen durch einen Hebel die Münze oder Kugel geschleudert wird, oder bei denen durch eine Spirale oder Schleuse das Gewinnfach erreicht wird, als Glücksspielautomaten angesehen und deshalb verboten werden. Dagegen sollen die Automaten, bei denen der Spieler durch Fingerdruck eine größere oder kleinere Gewalt auf das Geldstück ausüben und dadurch die Wurfweite bestimmen kann, in Zukunft erlaubt sein.
Stuttgart 22. März. (Strafkammer.) Vor der zweiten Strafkammer wurde heute wieder
holt gegen den Zivilingenieur und Regierungsbaumeister Wilhelm Hoffmann wegen Beleidigung der Direktoren der Württembergischen Vereinsbank, Geh. Regierungsrat Lichtenberg, Otto Fischer und Rudolf Pfeiffer und des Rechtsrats dieser Bank, Rechtsanwalt Dr. Hermann Steiner verhandelt. In der Sache war bereits Termin auf 12. Oktober vorigen Jahres angesetzt, die Verhandlung wurde aber damals vertagt. Die Staatsanwaltschaft hat öffentliche Anklage erhoben. Der schon am 12. Dezember 1906 ergangene Eröffnungsbeschluß legt dem Angeklagten zur Last, er habe in einer Druckschrift Tatsachen behauptet, die die Nebenkläger- verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet seien, und habe diese Schrift außer an die 4 Nebenkläger noch an andere Personen versandt. Aus der gleichen Schrift entstand seiner Zeit bekanntlich die Klage wegen Beleidigung des Staatsrats a. D. v. Balz, die mit der Verurteilung des Angeklagten Hoffmann zu 600 Geldstrafe endigte. Zu Beginn der Verhandlung erklärte der Angeklagte, er bedaure, daß er sich zu den beleidigenden Ausdrücken habe Hinreißen lassen und nehme sie zurück, den Nebenkläger Rechtsanwalt Dr. Steiner könne er jedoch nicht bitten, den Strafantrag zürückzunehmen. Der Vertreter der Nebenkläger- erklärte, daß von einer Zurücknahme des Strafantrags keine Rede sein könne. Daraufhin wurde in die Verhandlung eingetreten. In der Nachmittagssitzung kam dann noch nach längeren Verhandlungen folgender Vergleich zu stände: Der Angeklagte nimmt die beleidigenden Aeußerungen gegen die Württembergische Vereinsbank mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück, und bittet die Strafantragsteller, den Strafantrag zurückzunehmen, auch verpflichtet er sich, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Vertreter der Nebenkläger nahm daraufhin den Strafantrag zurück und das Gericht beschloß die Einstellung des Verfahrens.
Herrenberg 22. März. Hier wurde ein 14jähriges Mädchen wegen mehrfacher Diebstähle verhaftet und ins Kgl. Amtsgerichtsgefängnis gebracht. Sie hatte in der Mehlhandlung von Ehr. Köhler des öfteren Geldbeträge aus der Ladenkasse entwendet, bis sie auf frischer Tat ertappt wurde. Bei der Vernehmung beschuldigte sie ihren Vater der Anstiftung dazu, weshalb auch dieser verhaftet, dann aber gestern früh wieder entlassen wurde, da sich die Beschuldigung als unwahr erwies. Das Mädchen hatte sich von dem entwendeten Gelde verschiedene Gegenstände gekauft und zu Hause angegeben, es seien Konfirmationsgeschenke, die sie von Leuten in der Stadt erhalten habe.
Sillenbuch OA. Canustatt 22. März. Ein hier wohnhafter Arbeiter wurde auf Bir-
mehr. Werdet Ihr dann nicht lieber in der Fabrik arbeiten als daheim? Jetzt haben wir doch Wohnungen, in denen wir uns erholen können, wenn sie auch noch so dürftig sind. In Zukunft werden wir aber in einer Werkstatt wohnen, in der alles, was Hände hat, Mitarbeiten muß — wollt ihr das ein Jahr aushalten, wenn ihr vielleicht in einem halben Jahr wieder in der Fabrik arbeiten könnt? Drum warne ich euch: Kein Jahr! Ein halbes Jahr ist für den Versuch gerade lang genug!"
Die Leute standen unschlüssig. Diesmal hatte der Werkenthin recht, und es war doch zu bedenken, ob man sich binden sollte. Aber Paul ließ Ihnen keine Wahl. Er verschaffte sich energisch Gehör und erklärte dann bestimmt: „Ein Jahr und keinen Tag darunter. Ich weiß ja nicht, was aus der Fabrik werden wird; aber mir will doch scheinen, daß sobald nicht wieder einer den Mut finden wird, in das unrentable Unternehmen hinein zu springen. Aber das kann uns heute einerlei sein. Ich weiß nur, daß ich keinen Pfennig erhalte, wenn ich nicht auch eine Gewähr für eine gewisse Beständigkeit des Betriebes bieten kann — na, und dazu ist ein Jahr doch das mindeste. Was später wird, das warten wir ab; vielleicht finde ich selbst Leute, die sich für die Fabrik interessieren. Für jeden Fall aber muß ich darauf bestehen, daß die Arbeit für ein Jahr gesichert wird. Wollt ihr euch verpflichten — schön, hier ist meine Hand. Wollt ihr nicht auch gut, dann seht eben zu, wie ihr ohne mich fertig werdet. Nun verschaffte Hunstock sich frei Bahn. Er trat entschlossen zum Tische, er gab Paul die Hand und sah ihm ernst in die Augen. „Auf ein Jahr!" sagte er erregt. Dann drängten die anderen hinzu, auch Werkenthin. „Ta ich keine Wahl habe-auf ein Jahr!"
Als alle wieder auf ihren Plätzen waren, ließ Paul die Gläser neu füllen, und dann erhob er den eigenen Humpen gegen die Menge. „Prosit!" rief er laut. „Auf ein gutes Gedeihen!" Die Leute stießen untereinander an, und ein mächtiges Prosit hallte von den Wänden wider.
Dann mahnte Paul zum Aufbruch. „Kommen Sie, Herr Pastor, ' ich halt's hier nicht mehr aus." Manders erhob sich schweigend. Er!
fühlte sich äußerst unbehaglich und bedauerte, daß er mitgekommen war. Die Sache hatte einen Verlauf genommen, der ihn sehr bedenklich machte, und doch trug er, ob sie nun gut ging oder nicht, unter allen Umständen einen Teil der Verantwortung. Das Auftreten Pauls in der Versammlung und ein unbestimmtes Gefühl sagten ihm, daß er schwer unter dieser Verantwortung zu tragen haben würde. Auch ihn drängte es, hinaus zu kommen. Daheim wollte er dann alles noch einmal in Ruhe überdenken und mit sich selbst ins Klare kommen, ob er sich einen Einfluß aus die weitere Gestaltung der Dinge sichern solle oder nicht.
Paul ging voran, lachend und händeschüttelnd, und Manders folgte ihm, nach rechts und links ernst grüßend. An der Türe stand Hans Kramer, der seinen tiefsten Diener machte. „Lassen Sie's Bier nicht ausgehen, Herr Wirt," rief Paul gut gelaunt, „solch ein Ereignis will begossen sein, und die Leute haben ja einstweilen noch Zeit genug, einen zu verschlafen."
Als er draußen war, schwang Hans seine Mütze in der Luft. „Hurra der junge Herr! Kinder, das ist einer, wie wir ihn brauchen. Hurra!" Und die Leuten stimmten fröhlich ein: „Hurra!"
VII.
„Der Herr bittet um die Erlaubnis —." Der Diener brachte Herrn Berg eine schmale, feingestochene Visitenkarte auf einem silbernen Tablett. Berg saß vor seinem Schreibtisch, und lässig griff er nach der Karte: „Paul Bornemann." Berg blieb ruhig sitzen. Aber ein Schwächeanfall überkam ihn, und vorübergehend hatte er die Empfindung, als wollten ihm die Sinne schwinden.
Der Diener, der in respektvoller Haltung gewartet hatte, räusperte sich diskret, und Berg schreckte empor. „Der Herr ist mir willkommen," sagte er. Aber als der Diener bereits an der Tür war, rief er ihm nochmals nach: „Aber bitten Sie den Herrn, sich einen Augenblick zu gedulden; ich bin beschäftigt und werde läuten, wenn ich fertig bin."
(Fortsetzung folgt.)