Amt 5 - und Anzeigedlatt für den GberamtrbeM Calw
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Erschrinungäwge: Monrafl. Tiensrag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag. Jnsertionsprei.s Zt» Pig. pro Zeile für Stadl u. Bezirtsocle: augec Bezirk 12 Pig.
Dit Kolonien im Reichstage.
Die kürzlich im Reichstage vorgenommene Beratung über unsere Kolonien hat in erfreulicher Weise gezeigt, daß der koloniale Gedanke jetzt nicht mehr das geistige Eigentum einiger wenigen ist, sondern ansängt, Gemeingut aller Parteien zu werden, selbst mit Einschluß der Sozialdemokraten, ja es vielleicht schon geworden ist. Während bisher die Kolonialverdrossenheit und der Mangel an Verständnis für die Bedeutung eines großen kolonialen Besitzes für die Zukunft eines Volkes sich in den Reichstagsverhandlungen in maßloser Schwarzseherei und unfruchtbaren persönlichen Reibereien entluden, ist diese unliebsame Begleiterscheinung unserer Kolonialpolitik diesmal fast vollkommen ausgeblieben. Und wenn es auch an Meinungsverschiedenheiten über die einzelnen Fragen nicht gefehlt hat, wie über die Besiedelung gewisser Gebiete, die Art und Weise der Behandlung der Eingeborenen, Rechtspflege und dergleichen, so ist doch über diese Fragen ohne persönliche Schärfe rein sachlich geredet worden.
Ein großes Verdienst an diesem erfreulichen Zustande kommt dabei dem Staatssekretär Dern- burg zu, der cs vorzüglich versteht, alle kolonialen Kräfte in den Dienst unseres Kolonialbesitzes zu stellen, die nationalen sowohl wie die religiösen und kulturellen, die in der Bekehrung und Hebung der Eingeborenen eine Hauptaufgabe der Kolonialpolitik erblicken. Und wenn schließlich diesmal die Sozialdemokraten nicht mehr auf ihrem unfruchtbaren Standpunkte stehen geblieben sind, sondern, wenn auch zunächst nur widerwillig und mit Vorbehalten, die Bedeutung unseres Kolonialbesitzes anerkannt haben, so ist das geschehen, weil sie sich dem in der Arbeiterschaft immer
Mittwoch, den !0 Mär; 1909
mehr Anhänger gewinnenden Gedanken nicht entziehen konnten, daß unser Kolonialbesitz gerade für die deutsche Arbeiterschaft von größtem Werte ist. In der Tat liefert er den Arbeitern einerseits die Rohstoffe, die sie zur weiteren Verarbeitung brauchen, und zweitens macht uns ein eigener Kolonialbesitz mehr und mehr unabhängig von gewissen Alleinherrschaftsgelüsten des Auslandes. Sind wir auch bezüglich des am meisten gebrauchten Rohstoffes, der Baumwolle, noch weit davon entfernt, auf eigenen Füßen zu stehen, so wird doch unser Bedarf an einem anderen kolonialen Erzeugnis, dem Sisalhanf, gegenwärtig bereits zu etwa dreiviertel aus unseren Kolonien gedeckt, und es ist sicher zu erwarten, daß in kürzester Zeit unsere Kolonien unseren ganzen Bedarf an diesem wichtigen Faserstoff liefern werden.
Allerdings muß hervorgehoben werden, daß gerade die sozialdemokratischen Redner auch mieder- betont haben, von dem Kolonialbesitz hätten bisher nur die Unternehmer, nicht aber die deutschen Arbeiter Vorteil gehabt. Diese Behauptung ist jedoch im Hause selbst während der Verhandlungen glänzend widerlegt worden; sie ist nichts als eine inhaltsleere Redensart, wie sie die Sozialdemokratie auch auf anderen Gebieten verwendet. Man wird deshalb diesen ihren Vorbehalt nicht allzuhoch einschätzen brauchen, sondern als wesentlichen Punkt auch aus ihren Aeußerungen das Geständnis hervorheben dürfen, daß in unseren Kolonien wirklich bedeutende wirtschaftliche Werte vorhanden sind und daß die wirtschaftliche Erschließung unseres Kolonialbesitzes hocherfreuliche und zu den besten Hoffnungen berechtigende Fortschritte macht.
Daß dem so ist, hatten weitblickende, vaterländisch fühlende Politiker längst erkannt. Sie hatten die äußeren Mißerfolge unserer Kolonialpolitik stets damit erklärt, daß aus ein wirkliches
Bezuflspr.i.d. Sradl* ^jährl.m. Träger!. Mk. 1.25. PostbezugSpr. s.d. s^rrs- u. Nachbarvrrsverl.' üährl. Mk. 1 . 20 . im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellg. in Würtl. 30Pfg., in Bauern u. Reich 42 Pfy.
Gedeihen unserer Kolonien erst gerechnet werden könne, wenn sie durch Eisenbahnen und wirtschaftliche Arbeit erschlossen seien. Der koloniale Kleinmut früherer Zeiten konnte sich jedoch nicht entschließen, die Mittel dafür zu bewilligen. Wenn darin jetzt ein Wandel eingetreten ist, so bedeutet das einen Sieg auch des vaterländischen Gedankens, der nicht gering veranschlagt werden darf.
Tagesuemgkeiteu.
Wildbad 9. März. In dem benachbarten Calmbach brach gestern nacht ein Brand aus, dem leicht 2 Wirtschaften hätten zum Opfer fallen können. Es brannte das zwischen dem Gasthaus zum Anker und zum Bären gelegene Hintergebäude, das große Fabrikgebäude der Bogerschen Zigarrenfabrik, vollständig ab. Die Entstehungsursache des Feuers ist unbekannt. Der Feuerwehr gelang es, die -Rachbargebäude zu retten. Für den Zigarrensabrikanten Boger ist der Brand ein schwerer Schlag, er sank aut dem Brandplatz gebrochen zusammen.
Stuttgart 9. März. Der Polizeibericht schreibt: In dem Felde hinter dem Marienhospital ist heute früh ein bis jetzt unbekannter Mann erschossen aufgefunden worden. Offenbar liegt Selbstmord vor, der nach einer mit dem Vornamen „Gustav" Unterzeichneten Rotiz seinen Grund in unheilbarem Leiden hat. Beschreibung: 23—25 Jahre alt, t,70 m groß, kräftig postiert, kurzgeschnittene, dunkle Haare, Schnurrbartanflug, graugestreifter Juppenanzug, dunkelgraugestreifter Ueberzieher, Stehumlegkragen, weißes Vorhemd, dunkelblauen, länglichen Schlips, graue wollene Socken, ebensolche Unterhosen, braunen, weichen, rundeingedrückten Filz-
Sine Lüge.
Roman von Ludwig Rohm an».
(Fortsetzung.)
Die Brüder stürmten beide auf Manders ein.
„Herrgott," rief Horst in großer Erregung, „das wäre doch aber des Rätsels Lösung!"
„Nun, nun," wehrte Manders, „wir wollen nicht vorschnell Schlüsse ziehen. Meine Folgerung hat ja vielleicht etwas für sich, aber ich weiß darum noch lange nicht, ob sie auch richtig ist. Ich habe den Brief im Zustand höchster seelischer Erregung gelesen, wie leicht ist da eine Täuschung möglich!"
„Der Brief," rief Paul, „wir müssen den Brief haben!" „Den hat das Gericht heute früh an sich genommen," erklärte Manders, „aber eine Abschrift wird ja leicht zu erlangen sein."
„So müssen wir schleunigst darym bitten. Aber vor allem müßte man auch festzustellen suchen, wer etwa dieser Freund gewesen sein könnte. Vielleicht haben Sie auch da eine Mutmaßung, Herr Pastor."
Manders wehrte änglich ab.
„Um Gotteswillen! Ich habe keine! Aber ich würde doch auf bloße Vermutungen hin unmöglich Namen nennen können."
„Natürlich!" Horst reichte Manders die Hand. „Paul hat das auch gar nicht so gemeint."
Eine Viertelstunde später, als die Drei wieder unten im Wohnzimmer mit der Pastorin und Inge zusammensaßen, wurde die Hausglocke heftig gezogen. Frau Manders ging hinaus und gleich darauf kam sie mit einem Telegramm wieder herein, das an Horst gerichtet war. Horst erbrach es und sprang aus.
„Da, lies!" sagte er zu Paul. Paul nahm das Pavier an sich
und las laut: „Lese eben Todesnachricht. Bin tief erschüttert, denn Ihr Vater war mir der liebste Freund. An der Größe des eigenen Verlustes kann ich die Größe Ihres Unglücks ermessen. Ihnen wird unendlich viel mit dem Heimgegangenen begraben werden. Wäre ich nicht leidend, so käme ich selbst zur Beerdigung. Stelle mich aber Ihnen und Ihren Geschwistern unbedingt mit Rat und Tat zur Verfügung. Berg." Die Brüder sahen sich schweigend an und Manders stand auf.
„Sie denken doch nicht etwa —
Horst setzte sich wieder.
„Ich weiß es nicht," sagte er langsam. „Es wäre natürlich töricht, wollte ich lediglich durch mein Gefühl mich in einen Verdacht hineindrängen lassen, für den ich wirkliche Anhaltspunkte nicht habe. Aber trotzdem, ich werde Veranlassung nehmen, dem Herrn persönlich für sein Beileid zu danken."-
III.
„Jo, Herr Paster, dat is man so unsere Meinung. Vor zwanzig Jahren oder so — ich war dazumal noch 'n kleiner Junge, da hat sich der alte Schlosserkarl aufgehängt und seitdem is so was hier nich mehr vorgekommen, daß einer sich unchristlich das Leben genommen hätte. Ich weiß noch genau, der Karl is damals an der Mauer verscharrt worden — ich kann Ihnen den Platz noch zeigen, Herr Paster: das hat aber der alte Webernickel, der dazumal Totengräber war, ganz allein gemacht und keiner is dabei gewesen — vor allem unser Paster nicht — jo. Und daß nun der Bornemann ganz ordentlich begraben wer'n soll —"
„Kein Wort weiter!"
Manders sah schrecklich aus, wie er so dastand — totenblaß in zitternder Erregung, aber mit zornsprühenden Augen und entstellten Zügen. Er hatte eben die fürchterlichste Enttäuschung erlebt. Noch gestern hatte er dem Kreisarzt versichert, daß keiner in der Gemeinde es dulden würde, daß man ihren Wohltäter in Nnehren verscharre. Und nun standen da