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Amts- und Änzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
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Mitlwach, -en 17. Jebruar 1909.
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Leuten der Glaube erweckt, Block Habs selbst
Tagesnenigkeiteu.
Stuttgart 16 Febr. Heute vormittag "/«9 Uhr platzte an der Ecke der Gymnastum- und Crlwerstraßr eine Kohlensäureflasche, die von einem Lastfuhrwerk herabgefallen war. Die umhsrfliegenden Sprengstücke trafen einen „ ca. 20 Meter entfernt stehsnben Mann so schwer, daß er alsbald tot war. Er waren ihm ganze Fletschstücke hsrausgerissen worden. Die Leiche wurde aufgehoben und ins Küharinenspital über- geführt.
Stuttgart 16. Febr. Der heute vormittag durch die Explosiv r eines Kohlensäurebehälter« tödlich Verunglückte ist der 22 Jahre alte Karl Bechtler, Angestellter de» Bank» Hauses Albert Schwarz u. Co., ein Sohn de« Gerichtsvollziehers Bechtler in Leonberg.
Stuttgart 16. Febr. (Strafkammer.) Der ledige Kaufmann Gustav Block erließ in einer großen Anzahl norddeutscher, sächsischer und badischer Zeitungen folgende» Inserat: „Durch Adreffenschreiben oder gutlohnends Agenturen kann sich jeder einen sicheren Nebenerwerb verschaffen." Den sich meldenden Personen, Meisters Leute mit geringem Verdienst, stellte er Anfangsmaterial zum Adreffenschreiben in Aussicht und schickte ihnen dann unter Nachnahme eine Broschüre betitelt: „Der Weg zum Verdienst" zu, außerdem eine Instruktion und ein Adreffenverzeichni« von Firmen. Nach der Instruktion sollten dis Leute aus Zeitungen die Adressen von Nebenverdienst suchenden Personen zusammenstellen und dann die Abrisssn an Firmen, welche Vertreter oder Nebenbeschäftigung suchende Personen benötigen, etnsenden. In den Prospekten hieß es, daß sich dadurch ein Verdienst von 8 ^ pro 1000 Avreffen erzielen lasse. Durch das Inserat wurde bei den
Schreibarbeiten zu vsrzebrn, sie bezahlten deshalb den Nachnahmebetrag von 1 ^ 15 iZ; die Broschüre und die anderen Druckar beiten waren für sie völlig wertlos. Block bezeichnet« sich in den Pcosp-kten als Inhaber der Eewsrbsinstituts „Reform". E» wurde gegen Block Anklage wegen Betrug« in 28 Fällen erhoben und da« Schöffen» geeicht verurteilte ihn zu 111 Geldstrafe. In weiteren 48 Fällen wurde das Verfahren vorläufig eingestellt. Gegen da« Urteil legte der Angeklagte Berufung ein, dar gleiche tat der Staatsanwalt zu seinen Ungunsten. Die Strafkammer hielt in Anbetracht des gemeinschädlichen Treiben« eine Freiheitsstrafe am Platze und erkannte auf eine solche vo 1 14 Lagen Gefängnis. Der Angeklagte ist in einem hiesigen Bankgeschäft mit amkömm- lichem Gehalt angsstellt.
Zuffenhausen 16. Febr. Einer der Automatenmarder, die monatelang ungestraft ihr Wesen hier treiben kö rnten, ist von einem hiesigen Ladeninhaber aus frischer Tat ertappt worden. Es ist ein Schlosserlehrling, der alsbald geständig war und auch die Namen zweier anderer Lehrlinge als Mittäter verriet.
Großbottwar 16. Febr. Ein rätsel» Hafter Fund wurde vorgestern laut „Postillon" von Spaziergängern an der Bottwar unterhalb der Mühle bet Großbottwar gemacht. Es lag da die vollständige Kleidung eine» Mädchen« von etwa 14 Jahren und dabet ein tcllergroßer neuer Schwamm. Da die Kleidung keineswegs sich in schlechtem Zustand befand, so scheint der Fund mit irgend einer strafbaren Handlung im Zu» sammenhang zu stehen.
Lauffen a. N. 15. Febr. Der wegen Diebstahl« von der K. Staatsanwaltschaft schon
feit Wochen steckbrieflich verfolgte „Einbrecher" Gutjahr, der sich bekanntlich in den Häusern und Scheunen der hiesigen Bauern Herumtrieb und sich an deren „Metzelsuppen" gütlich tat, enthob dis Polizei ihrer eifrigen Bemühungen, seiner habhaft zu werden, dadurch, daß er sich freiwillig dem K. Amtsgericht Besigheim stellte. Jedenfalls dürfte Gutjahr des kalten Nachtquartier« in den Scheunen und der einseitigen Kost, die hauptsächlich au» „Haurmacherwürsten" bestand, nunmehr überdrüssig geworden sein. Sc wird nun seine bisherige prekäre Lage mit dem „gemütlicheren" Aufenthalts in einer Zelle de« K. Amtsgerichtsgefängniffes in Besigheim vertauschen.
Geislingen 16. Febr. Für den überseeischen Rsichsdienst hat Württemberg schon eine ansehnliche Zahl von Leuten gestellt, und immer ist es für die engeren Landsleute eine Freude, wenn solch ein Afrikaner im Urlaub die Heimat wieder besucht. So weilt zur Zeit der Postverwalter Otto Wahl von Bagamoyo in unseren Mauern; er ist von hier und wird in wenigen Wochen die Rückreise antreten und auf seinen Posten zurückkehren. Auf vielseitige« Bitten hat er noch vorher einen Vortrag über Ostafrika in Aussicht gestellt, der ohne Zweifel großes Interesse finden wird.
Ravensburg 16. Febr. Zwischen hier und Weingarten vergnügte sich ein Gymnastst in dem Lokalzug damit, daß er von einem Wagen in den anderen kletterte, bi» er von dem in voller Fahrt befindlichen Zug herunterfiel und schwer verletzt wurde; er wird aber mit dem Leben davonkommen.
Pforzheim 16. Febr. (Einbruch und Mord.) Heute (Dienstag) vormittag wurde der
Wetter Keiurich.
Novelle von C. Rathmann.
(Fortsetzung.)
„Lieber Himmel, wie viele Damen, auf welche die Beschreibung paßt, werden de« gleichen Wege» gezogen sein", sagte Erika arglos und blickte gleichwohl von Christine hinweg, als ob sie ihre Ecinnnerungen sammle oder einer besonderen Erinnerung nachstnne. „Freilich bin ich damals über da« herrliche Heidelberg und die unvergeßliche Wartburg heimge- kommen — wüßte aber freilich nicht, wem ich hätte auffallsn können, obschon ich jedenfalls jünger und froher war, als gegenwärtig."
Des ernste Mädchen war nach einem träumerischen Augenblick doch wieder ganz in der Gegenwart und ihrer Sorge. Christine hatte Mühe, ihr die Zusage abzuzewinnen, für noch einen Tag als Fräulein Mknter im Hause zu verharren. Sie versprach der Widerstrebenden, mit ihr möglichst allein zu bleiben und nur am Diner der Familie Anteil zu nehmen, bri dem heute sicher wieder ein paar Gäste sein würden, welche die Begegnung mit Bodo erleichtern könnten. Sie wiederholte, daß sie inzwischen an Vetter Heinrich schreiben, daß dieser kommen, einen Rat wissen werde, daß Erika sie nicht verlassen dürfe. Mehr von der herzenswarmen Teilnahme Christine» bezwungen, als überzeugt, willigte Erika ein, vorläufig nicht« Entscheidende» zu tun. In stundenlangem vertraulichen Gespräch weihte sie Christine, die sich so rasch au« der Herrin in eine Freundin verwandelt hatte, in die alte traurige Geschichte von der Ohnmacht treuer und opferwilliger Schwesterltebe ein. Sie verriet, daß sie zu allen Opfern bereit gewesen sei, um den Bruder sich selbst zurackzugeben und daß sie, wenn Bodo sich in seinem Regiment wirklich nicht behaupten könne, noch immer die gemeinsame Auswanderung als den einzig richtigen und rötlichen Entschluß ansehen müsse. Die erste Unterredung beider
Mädchen setzte sich, nachdem Christine ein kurze« Billett an Heinrich Hagen geschrieben hatte, in dem kleinen Wintergarten fort, den die Gelähmte ihrem engen Lebensbereich hinzurechnete, und in den sie die Freundin mit fast kindlicher Freude einführte, indem Martin ihren Fahrstuhl hinüberrollte. In dem lichten Raum mit seinem weiten Ausblick Über Gärten, Parkanlagen und Teich hinweg und bi« zum dunklen Waldfaume hinüber wurde es allmählich auch Erika v. Gravenreuth lichter und besser zu Mute.
Während im oberen Geschoß seine Schwester sich durch entschlossene Offenheit von ihrer Selbsipein, wenn auch nicht von der Sorge befreite, durchlebte im Erdgeschoß Bodo v. Gravenreuth schlimme Morgenstunden. E« war lange nach Mitternacht geworden, ehe dis Oberdörffsr« und dis übrigen Gäste de« Hauses aufgebrochen waren, bi» dahin war getanzt Md getollt worden, und der Leutnant hatte er im bunten Getümmel leicht befanden, die Mißempfiidung zu übertäuben, in die ihn die letzte flüchtige Zwiesprache mit Erika und der stumme feindliche Zusammenstoß mit Herrn Franz Hagen versetzt hatte. Da« Schlimmste für ihn war gewesen, daß im Verlauf der Nachtstunden und de« improvisierten Balle» sich wieder drei- oder viermal günstige Gelegenheit gezeigt hatte, Fräulein Eva seine Empfindungen und Hoffnungen zu offenbaren und daß ihm dann jedesmal wie von einer unsichtbaren Hand der Mund geschloffen worden war.
Go widerstrebend er jese Mahnung Erika« angehört, so trotzig er sie zurückgewiesen hatte, — so war sie doch in ihm nachgeklungen. Sie hatte den freien Erguß de« Augenblicks gehemmt, Md er hatte, ehe er sich, todmüde von allem bunten Wechsel, allem bitteren Verdruß und allen eiteln Anstrengungen de« Lage«, in sein Bett warf, ein paar grimmige Flüche über sich selbst und seine llnschlüsstgkeit herabgewettert.
Und nun vollends, als er, sehr früh erwachend, den brennenden Kopf an dis Scheiben gedrückt, in da« kalte G au de« Wintermorgen« hinausstarrte und ihm wieder in« Bewußtsein trat, daß seine Schwester mit ihm unter dem gleichen Dach verweile, daß er sie, auf die er im Leben am