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Ei« Recht an der Schule habe nicht allein der Staat, sondern auch das Elternhaus, die Gemeinde und die Kirche. Die Mehrheit der Lehrer wolle auf die Erteilung des Religionsunterrichts nicht verzichten. Eie sei auch seine Pflicht, deren Erfül­lung nicht von dem Staat gestellten Bedingungen abhängig gemacht werden dürfe. Dr. S p äth (Ztr.) polemisierte hauptsächlich gegen die Sozialdemo­kratie. Er verlas eine Reihe von Aeußerungen sozialdemokratischer Redner, um zu beweisen, daß die Sozialdemokratie religionsfeindlich sei. Durch die sozialdemokratische Moral würde die Jugend von Grund aus verdorben werden. Vogt (B.K.) plädierte gleichfalls für die Erhaltuna des Religionsunterrichts und besprach einzelne Schul­fächer. Herbster (Ztr.) hob hervor, Fortschritte in der Wissenschaft und Rückschritte in den Sitten seien mehr Rückschritte als Fortschritte. Deshalb stimme seine Partei gegen die gestellten Anträge. Schrempf (B.K) legte dar, daß in Wirklichkeit, sowohl nach Charakter wie nach Lehrer, auch die höheren Schulen konfessionell seien Ltesching habe mit selbstgefälliger Ueberlegenheit den Ton gerügt, in dem er (der Redner) mit der Sozialdemokratie verkehrt habe. Er müsse fragen, ob er jemand anders als dem Präsidenten unterstellt sei, der ibm ja immer eine besondere Aufmerksamkeit schenke. Präsident v. Payer rügie diese Kritik an seiner Geschäftsführung. Heymann (Soz.) polemisierte gegen Dr. v. Kiene und Dr. Späth sowie gegen den Minister und sprach sich gegen den Antrag der Volksvartei aus. Löchner (Vp.) legte nochmals eine Lanze für seinen Antrag ein und veranlaßte den Minister zu einer Erwiderung. Man könne nicht, wie Löchner wolle, jeden Lehrer seinen Re­ligionsunterricht sich selbst gestalten lassen. Der Lehrer muffe die Pflichten seines Berufes auf sich nehmen oder einen anderen Beruf wählen. Solange die jetzige Ordnung der Volksschule bestehe, könnten die Lehrer vom Religionsunterricht nicht entbunden werden. Man müsse verlangen, daß sie sich ihren Pflichten unterziehen. (Bravo!) Nach einer persön­lichen Bemerkung Dr. Späth's wurde nach 4'/«stündiger Verhandlung die Weiterberatung aus Dienstag Nachmittag vertagt.

Stuttgart 12. Dez. Bei der gesirieen Bürgerausschvßwahl haben von 29241 Wahlberechtigten 22119 abgestiwmt. Für die einzelnen Parteien und Gruppen sind Zettel in folgendem Umfang abgegeben worden: Konservative 1152 abgeänderte und 272 unabgeänderte, Deutsche Partei 3225 abgeänderte und 1500 unabgeänderte. Sozialdemokratie 7563 unabgeänderte und 1098 abgeänderte, Volkepartet 1638 unabgeänderte und 1014 abgeänderte, Zentrum 643 unabgeänderte und 642 abgeänderte. Haus« und Grundbefitzer- vkrein 1139 unabgeänderte und 235 abgeänderte, Vereinigte Bürgervrreine 522 unabgeänderte und 188 abgeänderte, Bund für Handel und Gewerbe 490 unabgeänderte und 91 abgeänderte. Das Ergebnis ist nun folgendes: Von den 15 Sitzen entfallen auf die Sozialdemokratie 6. Deutsche Partei 4, Konservative Partei " d Volke Partei je 2, Zentrum 1 Sitz. Gewählt sind Rechtsanwalt Dr. Wölz (D. P) mit 12481. Kaufmarn Bock (D. P) mit 11912, Schultheiß

a. D. Geiger (D. P.) mit 11153, Schlaffer, «elfter Kantlehner (D. P.) mit 10820. Dr. Lindemann (Soz.) mit 9947, Verbaudssekretär Allvater (So».) mit 9550, Bäckermeister Bötzel (Soz.) mit 9321, Kaffenbeamter Bildstein (Soz) mit 9127, Kanzleirat Schilling (Kons) mit 9076, Schloffermeister Thiel (Soz.) mit 8936, Werk- sichrer Beer (Soz ) mit 8475, Kaufmann Kienzls (Kons) mit 7902. Rechtsanwalt Dr. Erlanger lVolkrp.) mit 5542. Handelsgärtner Hausmann (Volkep.) mit 4175, Recht«anwolt Dr Schilling (Ztr) mit 3859 Stimmen. Die Volkspartei har 4 Sitze on die Sozialdemokratie und 1 Titz an das Zentrum verloren. Deutsche Partei und Konservative haben für ihre aurscheidenden Mit­glieder Eisotz erhalten.

Herrenberg 12. Dez. Auf den heutigen Schweinemarkt waren zugeführt: 112 Stück Milchschweine. Erlös pro Paar 30 40 60

Stück Läuferschweine, Erlös pro Paar 56106 Verkauf gut.

Dürrmenz.Mühlacker 13. Dez. Ein zwanzigjähriges Mädchen aur Oeschelbronn, da« in Italien in Stillung war, hatte dos Mißgeschick, orods am Ende ihrer langen Heimreise einem Räuber in die Hände zu fallen. Da« Mädchen kam auf dem Bahnhof in Niefern an und ging in der Dunkelheit allein zu Fuß nach Oeschelbronn zu. Zwischen Nirfern und Oeschelbronn sprang ein Mann auf sie zu und verlangte ihr Geld und ihre Uhr. Er zog ein Dolchrmffer und entriß dem Mädchen ein Täschchen, nchm daraus den Geldbeutel mit 38 ^ und sagte dann:So, sitzt können Eis gehen." Darauf verschwand er in der Nacht. Sein Signalement steht fest, er ist aber noch nicht ermittelt.

Schramberg 12. Dez. Ja, benachbarten Sulgen brannte heute Abend zwischen 6 und 7 Uhr der einzelne, hinter Sulgen stehende große Bauernhof des Philipp Ganter bis auf den Grund nieder. Dir Ulsacke der Feuers ist unbekannt. Der herrschende Wassermangel machte eine Rettung de- Anwesens unmöglich.

Friedrichshafen 12. Dez. Der Ge. Heime Marineoberbaurat Hoßfeld ist in Be- gleitur g me hrerer Räte aus Berlin hier eingelroffsn, um im Auftrags des Kaisers dis Ballonwerft, die Reichsballor Halle und das Luftschiff 2 I zu besichtigen. Er wurde, da Graf Zeppelin bei seiner Familie in Stuttgart weilt, durch Ober, ingenieur Dürr geführt. An der Vollendung der Luftschiffes 2III wird in Manzell eifrig gearbeitet.

Worms 12. Dez. In dem Patronen- diebstahlsprozeß wurde heute abend dar Urteil de» Kriegsgerichts gefällt. Der Hrrpt- schuldige, Sergeant Leineweber vom 118. Inf. Regt., wurde zu 5^/- Jahren Zuchthaus und 6 Jahren Ehrverlust verurteilt, der Vizefeldwebel Wassermann zu 6 Monaten Gefängnis und

modischen Patrizierhause« auf die stille, schmale Straße hinaus, gab dabei Töne von sich wie eia vorfiniflutliches Untier und verbreitete neben einem ganz abscheulichen Benzingeruch allerlei Nengste, Schrecken und Entrüstung. Nicht nur bei der Sponnageln! Die ganze Himmeltorstrcßs mar fich so ziemlich darüber einig. Und die arme Frau Major hatte bei dem schrecklichen Getute im Anfang jedesmal ein nervöser Zittern bekommen!

War das, im Vergleich zu den früheren, ruhigen Zeiten, nicht wirklich im höchsten Grade ungemütlich? Wie still und friedlich war cs gewesen, als Almansor, der brcve Schimmel des alten Sanitätsrat«, au« demselben Torweg herausspozierte, vorsichtig, wie ein Kätzlein bei nassem Weiter, und die Keine Kalesche hinter sich Herzog. Alle Welt kannte Almansor und seine unbedingte Zuveilässtckeit. Niemand brauchte ein Unglück zu fürchten, wenn er in gemütlichem Trott, sanft nickend, die Stroße heraufklepperts, als müsse er recht« und link« die bekannten Gefickter alle grüßen. Und wie vergnügt lächelnd hatte der alte Sanitätsrat in seinem Hellen Paletot auf den schwarzen Leder polstern gesessen und die Zügel geführt. Sein weißer Vollbart hatte etwas Patriarchalische» gehabt, und die blitzenden Gläser seine« goldenen Kneifers mit den schalkhaften, gütigen Ar gen da­hinter hatten die Sponnageln immer an die sckönen, blanken Unter scheiben de« gvldglänzenden Vogelbauer« ertnnsrt, von dessen Erwerb für ihr Mätzchen sie manchmal kühn zu träumen pflegte.

Für sie also war der alte Santtätsrat der Kanariervogel, und der Reuwodsche* war die Nebrlkrähe. Darüber cab's für sie keinen Zweifel.

Und sie sorgte dafür, daß ihre Auffassung im Kreise der Mojorrfamilte, zu der sie als unentbehrliche« Faktotum nun einmal grhörte, mit Ueber- zeugung geteilt wurde. Keinen Tag likß sie vergehen, an dem sie nicht

Degradation verurteilt. 3 Dragonerau» Darmstadt, die während der Untersuchungshaft Leineweber» Briefs von ihm an seine Frau be- fördert hatten, wurden zu Gefängnisstrafen von 24 Monaten verurteilt.

Trier 12. Dez. Der Mord im Personen- zuge Koblenz-Trier ist durch die gestern vor- genommene Obduktion der Leiche des erschaffenen Agenten Regel bestätigt woroen. Nack der Obduktion der Leiche ist Selbstmord vollständig ausgeschlossen. Ein Zeuge hat den Revolver noch zwei Tage vor dem Morde bei Maagh gesehen.

Berlin 12. Dez. Das Luftschiff de« Majors Parseval, das die Militärverwaltung bekanntlich nach Eifüllung der vor geschriebenen Leistungen abgenomwen Hot, geht, wie verlautet, nach Metz. Da« Luftschiff wird heute in seine Teile zerlegt und auf Eisenbahnwagen verladen, werden.

Berlin 12. Dez. Der .Voss. Ztg." zu­folge find in Deutschland 100000 Zelte für Serbien bestrllt worden, lieferbar in den Monaten Februar und März in Belgrad.

Kiel 12 Dez. In Gegerwart des Prinzenpaares Heinrich, de« deutschen Botschafters in Paris, Fürsten Radolin und Gemahlin, eine Deputation aus der Provinz Posen, sowie der Spitzen der Marine-, Reichs-, Staats- und städtischen Behörden, ging hier der Stapellauf des Linienschiffe« Ersatz Baden Mittag« 12'/-- Uhr auf der Germania- Werft glatt von stattcn., Oberpräsident v. Waldow hielt die Tausrede. Sodann taufte die Fürstin Radolin das Schiff auf den Namen Posen. Nach­dem Prinz Heinrich da« Hoch auf den Kaiser aus gebracht hatte, glitt dar Riesenschiff langsam und majestätisch in die Fluten.

Paris 13. Dez. Auf dem Untergrund- bohr Hof St. Jacques.Platz explodierte der Lufrdruckbehälter eines Wagens der Unter­bahn, wobei 4 Fahrgäste leicht verletzt wurden. Unter den Passagieren entstand eine Panik,, doch wurde der Verkehr nicht gestört.

Paris 12. Dez. Der Präsident von Venezuela, Castro, erhielt au« Carrrca« Depeschen» wonach die Kaufmannschaft der vene­zolanischen Häfen ernstlich befürchtet, daß die signalisierten zwei holländischen Kriegsschiffe fich der venezolanischen Handelsschiffe bemächtigen und den Küstenhandel zeitweilig lahm legen könnten.

Part« 12. Dez. (Die Steinhsil« Affäre.) Der Verteidiger der Frau Steinhetl, Mail re Au bin, erklärte vor Beginn des heutigen Verhörs, er sei entschlossen, dieHaftentlassung zu beantragen, sofern da» heutige Ergebnis de« Verhörs ebenso problematisch wäre, wie bi«her. Frau Steinheil deristtete über den Eindruck beim Anblick drr beiden Leichen:Aur der Betäubung erwacht und völlig meinem Schmerz hingegeben, obendrein physisch leidend durch die Umschnürung

von irgend einem kaum noch zu verhüten gewisenen Unglücks soll berichtete, den dieser rücksichtslose junge Doktor mit seinem teufl schen Vehikel an« gerichtet hatte, und wenn draußen der Warnruf laut wurde, und Frau Major nicht wenigsten» ein kleine« Zeichen von Angst werken ließ, so sagte sie, auf den dumpfen Ton hinweisend, rorwurfrvoll:Da fährt er wieder los mit seinem wilden Drachen! Gott behüte die kleinen Kinder und die alten Leute!"

Des genügte natürlich, um bei der schreckhaften Dame sogleich da« nötige Gruseln mit den dazu gehörigen schweren Seufzern hervorzurufen. Diese Seufzer waren wiederum hinreichend, um bei dem jungen Töchterchen der Frau Major das Gefühl jener reizenden Besorgnis zu alarmieren, da« bei ihr gleichsam auf Posten stand, um olle Behaglichkeitistöruvgen von dem zarten, kränklichen Mamachen nach Möglichkeit abzuwehren. Es war ein Verhältnis rührentster Art zwischen dieser kleinen, blaffen, dem Witwen« tum frühzeitig versessenen Frau und ihrer schönen, hochgewachsenen, in der ganzen Stadt für spröde» ja wohl gar hochmütig geltenden Tochter, da« die Beziehungen von der Mutter zum Kinde in anmutigster Weise um­gekehrt zeigte, indem Fräulein Aspafia in tausend Dingen die Rolle de« fürsorglichen Haurmütterchen« übernommen halte. Auch der zärtliche Respekt, den gut erzogene Kinder selbst im reiferen Alter nie vor den Eltern ver­lieren, war In dem Herzen der Mädchen« trotz oller Hausfrouer pflichten und Wirtschaftssorgen fest eingewurzelt geblieben» und jede kleine Plage, über die sich Mamachen beklagte, kränkte sie heftiger, al, irgendeine wirk- liche Unbill, die ihr selber widerfuhr.

(Fortsetzung folgt.)