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Montag Sr« 30. November !908

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Tagest emgkettm.

* Calw 30. Nov. Am gestrigen Adventtfest sard in der Stadtkirche die Aufführung des Ora­toriums »Paulus" von Mendelssohn durch den Ktrchengesangverein statt. Als Solisten wirkten mit Frl. Kaurler-Reutlingen (Sopran), Reallthrrr Sauter-Ludwigrburg (Tenor) und Rechtsanwalt Rhetnwald-Calw (Baß). Da« Orchester wurde von hiesigen Musikfreunden und der Kap:lle der Inf Reg. 121 in Ludwigsburg gestellt; ein Vio.'onc llosolo wurde von Erwin Weber Überrommen und die Orgelbegleitunz von Organist Vinqon durchgefühlt. Der Chor hatte eine grcße Aufgabe zu erfüllen und manche Schwierigkeiten zu überwinden, er zeigte sich aber allen Erfordernissen gewachsen und brachte sowohl die erregten Voiksstimmen als auch die frommen Worte der Gläubigen zum wirkungsvollen Vor­trag, wie sich dies besonders in dem prächtigen Schlußchor „O welch eine Tiefe des Reichtums" offenbarte. Dis Solopartieen wurden von den hier schon lange rühmlichst bekannten Kräften vorgetragen. Mit schönen Stimmen und feinem Verständnis sangen die Solisten ihre Arieen und Recitative und erhöhten das w'ihevolls Gepräge de« gewaltigen Tonwsrkes. P ächtig war die Ervttine „Sei getreu bis in den Tod. so will ich dir die Krone d;S Lebens geben". Orchester und Orgelbegleitung hielten sich vorzüglich und unter der sicheren Führung des Dirigenten Fr. Gund ert, der wieder als ein trefflicher Kenner und Lieb­haber ver klassischen Musik sich bewies, gestaltete sich dis Aufführung des Oratoriums zu einem überaus lebensvollen Bild des Apostels Paulus.

T Tübingen 28. Nos. Durch Ent- fcheidung de» K Oberlandsrgerichts Stuttgart wurde dis Revision gegen da» Urteil der Straf­kammer Tübingen hinsichtlich des Friedrich

Gehring in Ostelsheim wegen Betrugs und Anstiftung zu einem Betrug zum Nachteil einer Hagelvers.-Gesellschaft verwo.fen. G. hat sonach die Strafe von 2^/r Monaten anzutreten.

Stuttgart 28. Nov. Der Landtag wird am 10. Dezember wieder zusammentretsn.

Stuttgart 28. Nov. Der Polizei­bericht schreibt: In der Sp euergaffs in Cannstatt fiel gestern vormittag ein 2V- Jahre alter Knabe, der in einem unbewachten Augenblick im Wohnzimmer seiner Eltern auf eine Bank stieg und das Fenster öffnete, durch dieses auf auf die Straße und erlitt lebensgefährliche Ver­letzungen.

Ludwigrburg 28. Nov. Das neu­erbaute Marbacher Bezirkskrankenhau« wird in Gegenwart der Königspaares am 15. Dezember eingeweiht.

Schorndorf 28. Rov. Die Einweihung der Bahnstrecke von hier nach Ruders, berg ist in Gegenwart de« Ministerpräsidenten v. Weizsäcker, einer Anzahl sonstiger Vertreter der Regierung, der Lanotagrabgeordneten Professor Dr Hieber und der beteiligten bürgerlichen Kollegien p ogrammäßig erfolgt, JrrRuderrburg wurde in der Ritterburg ein Festmahl eingenommen. Auf den einzelnen Stationen war der Minister­präsident mit patriotischen Ansprachen begrüßt worden, für die er jeweils dankte. Auch beim Festmahl wurde eine Reihe von Trinksprüchen au« gebracht.

Schramberg 29. Nov. Der „Schram­berger Anzeiger" hat gestern sein Erscheinen eingestellt. Sein Besitzer Hammel zieht nach Cannstatt. Das „Schwarzwälder Tagblatt" tritt von Montag ab an die Stelle der Anzeigers.

Sontheim 28. Nov. Gestern morgen wurden am linken Neckarufsr unterhalb Sontheim

die zurückgelaffenen Kleider einer Frauens­person gefunden, die ohne Zweifel den Tod im Neckar gesucht hat. Bei den Kleidern lag ein Brief ohne Unterschrift, aus. dessen Inhalt hervorgeht, daß Lteberkummer die Unglückliche in den Tod getrieben hat.

Leutkirch 28. Nov. Die bürgerlichen Kollegien beschlossen die Erbauung eines neuen Schlachthauses mit einem Kostenaufwand von ca 120000 Mk. einschließlich der maschinellen Einrichtung. Als amführender Techniker ist Architekt Hennings in Stuttgart in Au »ficht genommen.

Pforzheim 26. Nov. Als gestern vor­mittag die Ausläuferin einer hiesigen Bijouterie­fabrik vom Bankhaus Schmitt da« Kleingeld zu Löhnen im Betrage von 600 holen sollte» p ßte sie ein Unbekannter ab, entriß ihr da» Geld und sprang davon. Man setzte dem frechen Räuber alsbald nach und es gelang, ihn festzunehmen. — Wegen der Kindrmord- affaire sind schon gegen 30 Verhaftungen vor- genommen worden. Keiner war der richtige. Jetzt fitzen noch 3» die ihr Alibi nachzuweissn haben.

Pforzheim28.Nov. DasEisenbahn- Unglück bei Wilferdingen ereignete sich gestern Nacht 11 Uhr, als ein Güterzug den Ocientcxpreßzug auf einem Nebengelei« vorüber- lteß. Die Weiche wurde falsch gestellt, worauf der Güterzug im Nebel auf einem Sackgelei« fuhr und dis Lokomotive den Damm herabstürzte. Der Zugführer Klein von Karl«ruhe, Vater einer zahlreichen FamilisZ wurde totgequetscht, der Lokomotivführer leicht verwundet, der Heizer rettete sich durch Abspringen.

Berlin 28. Nov. (Reichstag.) Die Generaldebatte über die Reichsfinanzrefor«

Ada.

Roman von Konrad Remling.

(Fortsetzung.)

Wie ein Taumel kam es über sie: zu denken, daß sie, dis kleine, einst so armselige Ada Wendt sich eines Lager Fürstin Bsntoff nennen würde. Wer hatte etwas Aehnliches vor ihr erreicht ... wer würde es jemals nach ihr erreichen. Sie zitterte förmlich bei dem bloßen Gedanken daran, und wider ihren Willen bewegten sich ihre Lippen uud murmelten den stolzen Titel: Prinzessin Ada Bentoff . . Ada Bsntoff, die Gattin de« unermeßlich reichen russischen Fürsten Bentoff, die Herrin ausgedehnter Besitzungen im Zarenreiche . . eines Tages wohl gar vorgestellt am Kaiser­hofe, al« ein neuer Stern der glänzenden Petersburger Hofgesellschaft . .

„Du hast Recht, Ada, e« ist kein gute« Zeichen, aber . ."

Nach einer längeren Pause hatte sich Heimer zu dieser Antwort ent­schlossen. Ada, die bei ihren phantastischen Träumen ganz vergessen zu haben schien, daß ihr Mann vor ihr stand, dem sie Rede und Antwort stehen sollte, hob den Kopf und sah zu ihm auf:

„U»d weihalb tust Du cs dennochNoch kühler al« zuvor klangen Ihre Worte; sie empfand Mitleid mit ihm — aber nicht jene« zärtliche, liebevolle Gefühl, das zur Hülfsbereitschaft wach ruft: sie gehörte zu jenen harten Charakteren, die einen Menschen zugleich verachten, sobald sie ihn bemitleiden müssen.

Da regte sich der Unwille in ihm, den er seit Monaten unterdrückt hatte, die Empörung über ihre Ruhe und Gefühllosigkeit; er hatte zum Alkohol gegriffen, um die Lelbstvorwürfe zu ersticken, um seine verzweifelte Lage zu vergessen; um ihretwillen hatte er sein Geschäft vernachlässigt und Verpflichtungen auf sich genommen, denen er kaum mehr nachzukommen

vermochte. Und da« alle» war geschehen im Laufe eine« halben Jahre». Er begriff sich selbst nicht und noch viel weniger seine Frau. War sie denn blind gewesen die ganze Zeit über? Sah sie nicht» daß sie ihn ruinierte? Noch ein solche« halbe» Jahr — und er war am Endo seiner Hülfsmittel angelangt. Noch ahnte wohl niemand seine finanziellen Schwierigkeiten. Er selbst hatte sich getäuscht, als er seinem vor kurzem noch so blühenden Geschäfte die Last eine« solchen Haushaltes aufbürdste. Die hohen Summen seiner täglichen Einnahmen hatten ihn dazu verführt, weil über seine Verhältnisse zu leben.

Jetzt stand ihm alle» klar vor Augen und er wußte, daß im Geschäft»- leben oft ein einziger unglückseliger Augenblick den Bankerott herbeiführen kann. . .

Trotzdem wollte er jetzt noch einmal versuchen, in ruhiger, freund­licher Weise seiner Frau alle» dies vor Augen zu führen. Ec liebte sie und deshalb glaubte er auch an sie. Sie würde ein Einsehen haben . . .

„Laß uns Platz nehmen, Ada" begann er, „ich sehe au« Deiner Frage, daß Du wenig oder gar nicht orientiert bist über meine gegen­wärtige Lrge . . . Du machst mir — gewissermaßen zum Vorwurf, daß ich an der Börse spekuliere."

„Ich denke nicht daran" — sie hatte zwar Platz genommen, hörte ihm aber nur oberflächlich zu, während ihre Gedanken ganz wo ander« wellten —, „das ist doch lediglich Deine Sache und geht mich wenig oder gar nicht« an. Du weißt, daß ich von Geschäften so gut wie nicht« verstehe."

„Eben deshalb halte ich es füe notwendig, Dich einmal darüber aufzuklären —" er sprach noch immer ruhig und liebevoll, obgleich ihre unsreundliche und abweisende Entgegnung ihn auf« peinlichste berührte — „ich habe gerade in letzter Zeit wenig Glück mit meinen Spekulationen gehabt. ."