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Nr. 178

Mittwoch, den 1. August 1928

102. Zahrgang.

Lloyd George fordert Räumung des Rheinlands

Die Gründe für die Besetzung sind weggefallen

Londsn, M. Juli. I» der heutigen außenpolitischen Aus­sprache ergriff nach Ehamberlain Lloyd George das Wort zu einer längeren Rede:

Nachdem Lloyd George sich znr Politik der Negierung er­klärt und unter der Zustimmung von Ehamberlatn die Ne­gierung ersucht hatte, die japanische Aktion in der Mand­schurei zu bekämpfen, kritisiert Lloyd George außerordentlich wirkungsvoll den Kellogg-Pakt. Gr bedauert lebhaft, daß die einfache, ursprünglich von Kellogg vvrgcschlagcne Formel nicht zur Annahme gelangt sei. Das sogenannte Necht der Selbstverteidigung sei überaus dehnbar, da jeder Plan je nach seiner jeweiligen Stärke diesen Begriff aiiders auslege. Deutschland, so erklärte Lloyd George, glanbe heute noch, daß es 1914 in Selbstverteidigung in den Krieg gegangen ist «nd bringt einige plausible Gründe dafür vor. Zugleich werde in Zuknnst nicht abgcwartct, bis deutsche Truppen die französischen Grenzen überschreiten, sondern werde, wie Poincarö wiederholt erklärt habe, «ine ihm bedeutend er­scheinende Haltung ober Beranstaltnng Deutschlands, die im Innern des Landes vorgche, als gegen sich gerichtet auf­fassen und den Fall der Selbstverteidigung für sich gegeben erachten.

Dann kritisierte Lloyd George sehr scharf die In Locarno abgeschlossenen Oftvcrträgc, die auch in den Kellogg Pakt einbczogcn worden seien.

Der westliche Lokarnovertrag habe nur einen Zustand garan­tiert, den Deutschland anerkannt habe. Bezüglich der Ost- grcnzcn läge eine derartige Erklärung nicht vor, sondern alles, was Deutschland getan habe, bestände in dem Verzicht, keine Mittel der Gewalt zur Revision dieser Grenzen an- wcnden zu wollen. Die Tatsache, daß die deutschen und fran­zösischen Verträge mit Po!« in den Kellogg-Pakt cinbe- zogen seien, würde die von Deutschland friedlich erstrebte Revision der Ostgrcnzcn durch Einspruch des Völkerbundes zweifellos erheblich erschweren, weil die Polen und die Franzosen jetzt der Anffassnng seien, das; der Kellogg Pakt auch die territoriale Seite im Osten in der jetzigen Form garantiere. Polen werde geradezu ansgesordert, den Spruch

des Völkerbundes zu Gunsten Deutschlands nicht zu ge­nehmigen.

Hier griff Ehambcrlai» verschiedentlich ein und versuchte auseinandcrzusetzcn, daß der Kellogg-Pakt an der Völker, rechtlichen Lage im Osten nichts geändert habe eine Auf­fassung, die von Lloyd George energisch bestritten wird.

Zinn Schluß betonte Lloyd George unter lebhaftem Bei. fall, daß es bedauerlich sei, daß die englische Regierung keine Versuche mache, Rußland zur Unterzeichnung des Kellogg- Pakts anszusordern. Ans die Frage eines Abgeordneten, ob die englische Negierung in dieser Sache Schritte unter­nehmen wolle, hatte Ehambcrlai» bereits vor der Debatte erklärt, daß dies Sache der französischen oder amerikanischen Negierung sei. Die englische Regierung werde Rußlands Unterschrift weder befürworten, noch ihr widersprechen.

Ucber den Kellogg-Pakt hinaus, so betonte Lloyd George, werde eine neu: Entwicklung der Friedenspolitik einsetzen. England werde im Anschluß an sein Kompromiß mit Frank- rich jetzt die Initiative zu einer Abrüstung nach größtem Maßstabc unternehmen.

Ehamberlains Ausgabe bei seiner nächsten Zusammen­kunft mit Briand ist, die völlige Nheinlandrünmung dnrchznsetzsn.

Als der Friedrusvcrtrag abgeschlossen wurde, so erklärte Lloyd George, wnrdc eine 15jährige Besetzung dcntscher Ge­biete nicht als Normalzeit, sondern als Maximalzcit festge­setzt.

Keiner -er damaligen Unterzeichner habe daran-gedacht,

daß heute, zehn Jahre nach FricdenSschlnß, noch fremde Soldaten anf fremdem Boden stehen würde«.

Wir alle hofften, daß Dentschland durch regelmäßige Repara­tionszahlungen und durch Beschleunigung seiner Abrüstung den Termin erheblich abtürzen würde. Trotz der Inflation hat Deutschland heute seine Reparativnsverpflichtungen er­füllt, und seine AbrüstungSverpslichtnngen sind gleichfalls erledigt.

Grund znr Beibchaltnng der Besetzung ist also nicht mehr vorhanden.

Nach dem Locarno-Pakt und dem Kellogg-Pakt ist der gute Witten und die Friedensliebe Deutschlands nicht mehr zu bezweifeln.

Schweres Eisenbahnunglück in Dinkelscherben

13 Toie,

16 Schwer- und 23 Leichtverletzte

Kaum haben sich die Wogen der Erregung über das letzte große Eisenbahnunglück im Münchner Hauptbahnhos geglät­tet, da kommt schon wieder eine grausige Nachricht über ein Eisenbahnunglück, das viele Tote und Verletzte im Gefolge hatte. Und abermals ist Bayern der Schauplatz des Un­glücks. Auch dem Harmlosesten und Friedlichsten steigen Leim Lesen dieser Unglücksbotschaft Bedenken auf, Bedenken, die sich vor allem gegen die Zuverlässigkeit unserer deutschen Eisenbahnen richten, Bedenken, die sich angesichts der zahl­reichen Eisenbahnnnsälle der letzten Zeit fast alle haben sie sich auf bayrischem Boden zugetragcn zu dem Verdacht steigern, daß hieretivas faul im Staate" ist. Wenn man sich an das stolze Gefühl erinnert, mit dem der deutsche Rei­sende früher seine Eisenbahn betrachtete man fuhr in ihr so sicher, wie in Abrahams Schoß, so regen sich bei der Häufung der Bahnnnfälle, wie mir es in den letzten Jahren und Monaten erlebten, berechtigte Zweifel. Ist die deutsche Eisenbahn heute noch jenes durchaus sichere und ge­fahrlose Beförderungsmittel, das die deutsche Neichseisen- bahn einst war, ist der ganze technische und Verwaltnngs- apparat unserer heutigen Eisenbahn noch jenes einwandfreie, blitzsauber funktionierende Instrument, das einst unser Stolz war und um das uns das Ausland beneidete? Man kann leider diese Fragen heute nicht mehr bejahen. Gewiß, Un­fälle werden sich nie aus der Welt schaffen lassen, alle Sicher- heitöeinrichtnngen und der beste Beamtenapparat werden nicht mit unbedingter Sicherheit gegen die Tücke des Ob­jektes schützen, aber der deutsche Reisende hat ein Recht zu verlangen, daß sein Leben auf der Eisenabhn besser ge­schützt ist, als dies jetzt der Fall ist. Denn wo sich Unfälle in einer kurzen Zeitspanne derartig häufen, da darf man mit Necht annehmen, daß irgendwo etwas nicht stimmt. Mit langatmigen amtlichen Erklärungen, die sich in Gemein­

plätzen bewegen und vom wellenförmigen Ansteigen und Ab­nehmer; der Unsallziffern reden, ist -er Allgemeinheit wenig gedient. Damit ist im Grunde gar nichts gesagt. Es mnß einmal gründlich hineingelcuchtet werden in diesen offen­kundig fehlerhaften Apparat. Keine Vertuschungen, keine Kanzleitröste, sondern restlose Klarstellung der Schuldfrage.

Augsburg, 31. Juli. Der beschleunigte Personenzug 911 ist ans der Strecke von Ulm «ach Angsbnrg bei Dinkelscher­be« heute nachmittag vor vier Uhr ans einen Giiterzng ans- gestoßen. Bei der Augsburger Station wurden zwei Hilfs- züge angesordcrt. Auch die Sanitätskolonne von Neu-Ulm wurde znr sofortigen Hilfeleistung angefordert. Von der Station Ulm ist ebenfalls ein Hilfszug angesordert worden. Das Unglück ist noch größer als das vom Münchner Haupt- bahnhof.

Es handelt sich um den beschleunigten Pcrsonenzug Saar- brückcn-Stnttgart-Ulm-Augsburg-München, der in Dinkel­scherben einen Giiterzng überholen sollte. Der Dnrchgangs- güterzug 7586 war in Dinkelscherben auf ein Ueberholungs- gleis gesetzt worden. Infolge falscher Weichenstellnng ist der beschleunigte Pcrsonenzng nicht geradeaus, sondern auf das UcberholnngSgleis gekommen «nd dadurch ist das neue Un­glück entstanden. Der Personenzug fuhr mit voller Wucht auf den Gnterzug auf. Mehrere Wagen nmrden wie Zünd­holzschachteln geknickt. Tie Maschine des PcrsonenzngeS flog im Bogen ans die Seite. Der hinter -cm Packwagen lausende Personenwagen wurde vollständig zertrümmert. In diesem Wagen befinden sich die meisten Toten. Bisher werden 14 Tote, IS Schwerverletzte «nd zahlreiche Leichtverletzte gemeldet.

Sofort nach Bekanntwerdcn des ncnen Eisenbahnnnglücks hat der Generaldirektor der Dentschen Reichsbahn «m volle Klarheit über die Gründe -es Unglücks zu schasse», zusam­men mit dem Reichsverkehrsminister eine« Auss chuß an die

Tages-Spiegel

In Dinkelscherben, an der Eisenbahnlinie UlmAugsburg, ereignete sich gestern nachmittag ein schweres Eisenbahn- «nglück infolge falscher Weichenstellnng. Durch den Zu­sammenstoß -es beschleunigten Personenzngs auf einen Giiterzng wurdcn 15 Personen sofort getötet, IS schwer und LS leicht verletzt.

Lloyd George sprach im Unterhaus über die englischen Bor» behalte zum Kellogg-Pakt «nb trat für die sofortige Räu­mung des Rheinlandes ei«.

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In Breslau wurde ein großer Schwindel mit gekätschten Eisenbahnfahrkarte« ansgedcckt.

Präsident Coolibge soll beabsichtige«, noch vor der Ratifizie­rung -es Kelloggpaktes dnrch den Senat diesem den Ban von Krenzcrn znr Genehmigung vorznlegen.

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Bei den Olympischen Spiele« wnrdc Engelhardt-Deutschland Dritter im 8V0-Meter-La«f.

Unfallstklle entsandt. Wie die Telunion erfährt, ist Dr Dorpmüller entschlossen, in rücksichtsloser Strenge im In. teresse der Sicherheit auf -er Reichsbahn durchzugreifen. Seine Maßnahmen werden sich erstrecken auf das Gebiet des Sicherungswesens, aus die Vorschriften in der Durch­führung des Betriebes und der Arbeitszeit und auf die personellen Fragen.

Zu dem Ausschuß, Len Generaldirektor Dr. Dorpmüller zusammen mit dem Reichsverkehrsminister an die Unfall­stelle entsandt hat, gehören die R^ichsbahndirektoren Kilp und Staeckel, sowie Ministerialrat Dr. Ebeling.

An der Unglücksstätte.

Angsdnrg, 81. Juli. Die Unglücksstätte bietet ein Bild unbeschreiblicher Verwüstung. Die Wagen sind zermürbt wie dürres Holz, die Kasten von den Rädergcstellcn gerissen, die Wände znm Teil weit wcggeschleudert. Die letzten Wage« -es Güterznges sind völlig zertrümmert. Die Maschine deS Personenzuges bäumte sich anf, wnrde vom Rädcrgestell ge» rissen, -aS znr Seite flog «nd wurde mit dem Tender weit znr Seite geschlendert. In den hinter dem Packwagen des Personenzuges lausende« Personenwagen wnrde dnrch den Rückstoß der nachfolgende Wagen völlig hineingeschoben.

Tot waren sofort zehn Personen, darnnter ei« Mädchen von zehn Jahren, dem der Kopf glatt «cggerissen wnrde. Der Kopf selbst war nicht auffindbar, das Gehirn mit den lange« blonde« Haare« wurde unweit des Körpers aufgeho­ben. Ei« anderer Getöteter wnrde vollständig zusammenge­drückt, einem weiteren wurde der Kopf dis zur Unkenntlich­keit zerdrückt, einem anderen die Banchbecke weggerissen.

Als Ursache des Zusammenstoßes wird vorläufig amtlich falsche Weichenstellnng angenommen. Das Stellwerk de» Station ist nämlich gegenwärtig im Umbau.

Ein amtliche« Bericht.

Die Reichsbahndirektion Augsburg teilt mit:

Der beschleunigte Personenzug V11, SaarbrückenMün» chcn lStuttgart ab 11.48) ist heute, 81. Juli 3.4S Uhr bei der Einfahrt in die Station Dinkelscherben (Strecke UlmAugs­burg) infolge falscher Weichen st ellung auf den dort überholenden Durchgangsgüterzug 7836 aufgestoßen. Vom Güterzug sin- die letzten drei Wagen entgleist und zerstört. Vom Personenzug ist die Lokomotive mit Tender entgleist. Der nachfolgende Eilgutwagen ist umgestürzt. Sieben Per­sonenwagen sind entgleist, einer davon ist geknickt. Getötet wurden sofort zehn Personen, im Krankenhaus sind weitere vier gestorben. Schwer verletzt wurden 16, außerdem 28 leicht verletzt, die ihre Reise fortsetzen konnten. Hilfszüge trafen von Augsburg »nd Ulm ein.

Zwei Stuttgarter unter de« Schwerverletzte«.

Nachträglich teilt die Reichsbahndirektion Augsburg mit, daß ein weiterer Schwerverletzter, Johann Ambros aus Schliersee, gestorben ist und daß sich unter den Schwerver­letzten auch Herr und Frau Rehm, Stuttgart, Lehmgrnben- straße, befinden.

Der Eindruck -es Eisenbahnunglücks in München.

TU München, 81. Juli. Die Kunde von dem neuen schwe ren Unglück hat in München starke Erregung hervorgerufen. Biele Hunderte warten vor der Reichsbahndirektion an* Auskunft über die Namen der Toten und Verletzten. Unter dem Publikum spielen sich erregte Szenen ab und es rvur» den heftige Anklagen gegen die Reichsbahn laut.