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Amts- und ÄnzeigeblaÜ für den Gberamtsbe^irk Calw. 83. Iahrga»s.
Gr1cheimrng»taze: Montaz. Dienstag, Mittwoch, »onn«r«tag, Freitag und SamStag. JryerttonSprei« UI Msg. pro Zeile für Stadt u. Bezirksorte; außer Bezirk IS Pfg.
Montag, den 3. August 1908.
BezugSpr. i. d. Stadt V^iihrl. m. TrSgerl. Mk. I.L5. PostbezugSpr. s. d.Orts- u. NachbarortSoerk. V«jährl. Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk.I.M. «estellg. in Württ. M Pfg., in Bayern u. Reich 4L Pfg.
Tagesnenigkeite«.
Calw3.Aug. (Vermißt.) Seit Samstag Nachmittag wird hier ein lOjähr. Knabe, das Söhnchen von Kaufmann Schöll in Berlin, Enkel der Frau Stadtschultheiß Haffner hier, vermißt. Da der Knabe letztmals im Hofe des Oberamtrpflegegebäudes (früher Zoeppritz'sche Villa) gesehen worden war, wurde sofort eine Absuchung der Nagold angeordnet, die bis zur Nacht währte, aber keinen Erfolg hatte. Auch die am gestrigen Sonntag wieder aufgenommenen Nachforschungen, in der Nagold sowohl als in den nahen Waldungen, führten zu keinem Resultat. Das Stadtpolizetamt machte den Fall gestern früh durch Extrablatt bekannt in folgendem Wortlaut:
Vermißt wird Werner Schöll, Sohn des Kaufmann Schöll; Enkel der Frau Stadtschultheiß Haffner in Calw. Alter: 10 Jahre. Für sein Alter besonders groß und kräftig. Haare: kurzgeschoren, hellblond. Augen blau. Besonderes Kennzeichen: schwach sichtbare Narbe durch die linke Augenbraue. Anzug: blauweißer Waschanzug mit weißgerändertem Matrosenkragen; Kniehosen; schwarze Strümpfe und Schnürschuhe. An dem Anzug fehlt die Kravatte. Ohne Hut. Mundart: Schwäbisch. — Der Knabe hatte kein Geld. Das Kind wurde am Samstag, den 1. August, nachmittags 4'/-Uhr, im Hof des Oberamtspflegegebäudes zu Calw zuletzt gesehen und ist seitdem spurlos verschwunden. Um Nachforschungen und telegraphische Nachricht wird ersucht.
Die Angaben der Angehörigen, daß sich der Junge nicht allzuweit vom Hause entfernt haben dürfte, sowie andere Umstände, führen jedoch zu dem Schluffe, daß der Vermißte nicht auswärts, sondern in der Nagold zu suchen ist; es soll daher heute der Nagoldgrund mittelst elektr. Lampen abgefucht werden. Die gesamte Einwohnerschaft ist erregt von dem Vorfall und nimmt aufrichtigen
Anteil an der Sorge und dem Schmerz der tiefbekümmerten Eltern und Angehörigen.
X Hirsau 2.Aug. (KonzertPaulSchöller.) Gestern abend veranstaltete der Tenorist Paul Sch öller aus Stuttgart im Gasthaus zum Rößle hier einen Liederabend, bei dem unseren Familien und Kurgästen ein selten dargebotener Kunstgenuß gewährt wurde. Der Konzertgeber, ein Schüler Ludwig Feuerleinr, hatte sich nemlich die ebenso schwierige als dankbare Aufgabe gestellt den ganzen Liedercyklur: „Die schöne Müllerin," von Franz Schubert zum Vortrag zu bringen. Herr Schüller verfügt über eine außerordentlich sympaüsche, mo- dulationrfähige Stimme von ansehnlichem Ton- umfang und gewissenhafter Schulung, die sowohk den lyrischen als dramatischen Teilen der (20) Müllerlieder in jeder Hinsicht gerecht wurde. Reicher Beifall nach jedem Lied belohnte den liebenswürdigen Sänger für seine ansprechenden Darbietungen. Er zeugt von gutem Geschmack des Sängers, daß er nicht einzelne Lieder aus dem Cyllus herausgreift, sondern uns das ganze Werk lückenlos zu Gehör bringt. Ebenso hat Herr Schüller am letzten Dienstag im unteren Bad in Liebenzell den Cyklus „Dichterliebe" von Robert Schumann gegeben, welchem einige sehr schöne und gehaltvolle Lieder von Alfred Schüz („Schlafe nun du müder Wald", „Am Abend" und „Frühlingslied") voran gingen, wobei der Komponist gütigst die Klavierbegleitung selbst übernahm. Die Begleitung der übrigen Stücke in Liebenzell, sowie diejenige im Hirsauer Konzert hat der Pianist, Herr Eugen Zeller aus Stuttgart, in sehr diskreter und verständnisvoller Weise durchgeführt.
Nagold 1. Aug. Zwei vielversprechende Bürschchen standen gestern vor den Schranken bes hiesigen Amtsgerichts. Es find dies dis 15—16
jährige Maurerlehrlinge Hildinger und König von Pforzheim, vom Landgericht Karlsruhe bereits mit einem Jahr resp. acht Monaten wegen Raub« bestraft. Wegen schweren Diebstahls in Wildberg erhielten ste hier 4 bezw. l'/r Monaten Ge- fängnir.
Nagold 2. Aug. Infolge falscher Weichen- stellung fuhr heute morgen um 8 Uhr auf der Station Ebhausen der von Nagold kommende Zug auf den Altensteiger Zug. Personen wurden dabei nicht verletzt. Die Maschinen sind nur leicht beschädigt.
Herrenberg 1. Aug. Auf den heutigen Schweinemarkt waren zugeführt: 203 Stück Milchschweine, Erlös pro Paar 30—48 46
Stück Läuferschweine, Erlös pro Paar 52—90 Verkauf ordentlich.
Stuttgart 1. Aug. Heute früh haben 6 Lehrer und 85 Schüler der höheren Lehranstalten in Württemberg die Schülerfahrt de« deutschen Flottenvereins nach Hamburg, Helgoland und Kiel angetreten.
Stuttgart 30. Juli. Wie dem „Schwäb. Merk." mitgeteilt wird, traf der Stuttgarter Liederkranz auf seiner Sängerfahrt am Dienstag nach einem Besuch de» Drachenfelsen bei Königswinter in Köln ein, wo er von dem Kölner Männergesangverein, Liederkranz und Sängerkret« herzlich bewillkommt wurde. Abends wurde in der Flora ein gemeinsames Fest veranstaltet, das aber durch ein Gewitter etwas beeinträchtigt wurde. Am Mittwoch wurde der Liederkranz von der Königin der Niederlande auf Schloß Hetloo empfangen. Der Empfang ist ehrenvoll verlaufen. Unter Pof. Förstlers Leitung wurde ein schöner Programm vorgetragen. Dem Vorstand Schairer wurde von der Königin da« Ritterkreuz des Hausordens von Oranten persönlich
Das Modelt.
Kriminalroman von Edmund Mitchell.
(Fortsetzung.)
Sidi Maugras gleicht also nicht seinem Spießgesellen oben?
Keine Spur. Dieser war ein Gentlemangauner. Aber sein Gesicht nahm einen häßlichen, bösartigen Ausdruck an, als er die Botschaft seine« Kumpans öffnete und las. Zuerst fluchte er auf seinen Gefährten, daß er ihn verraten habe.
Und fluchte ebenfalls auf dich, nehme ich an?
O ja! Aber ich brachte den Burschen sehr bald zur Vernunft. Er gab dann auch klein bei. Ich erklärte ihm, wenn er den geringsten Lärm mache oder die Aufmerksamkeit der Umsitzenden auf mich lenkte, würde im Handumdrehen eine Schar von Polizisten zur Stelle sein. Ich sei nicht zu einer solchen Unterredung gekommen, ohne vorher meine Vorsicht», maßregeln getroffen zu haben. Außerdem zeigte ich ihm die Hieroglyphen auf dem Briefumschlags, die dem Ueberbringer de« Schreiben« freies Geleit zusicherten.
Und dann?
Ich bestellte zwei Taffen Kaffee, und wir setzten uns ganz gemütlich unseren geschäftlichen Verhandlungen nieder. Ich will dich nicht mit allen Einzelheiten unserer Unterredung langweilen. Er machte viele Winkelzüge, während ich ihm, ich kann wohl sagen, mit ruhiger Entschiedenheit entgegentrat. Das Ende vom Liede aber war, daß er etnwilligte, seinen Gefährten durch Auslieferung jenes Kuvertes auszulösen.
Bravo! So hast du die Papiere erhalten?
^ Freund. Du darfst nicht vergessen, daß Monsieur
Sidi Maugras Geschäftsmann ist. Der Brief wird ausgehändigt werden,
wenn sein Gefährte und die zweitausend Francs ihm übergeben worden find.
Und wann soll dies geschehen?
Ich kam mit Maugras überein, daß er sich um zwölf Uhr hier einfinden solle.
Wird er auch sein Wort halten?
Er liegt nicht die mindeste Gefahr vor, daß er ein falscher Spiel treibe. Du stehst, ich hatte inzwischen meinen Mann ganz kirre und zahm gemacht. Er weiß nämlich, daß, wenn er seinem Bundesgenossen sein Wort bricht, der Kerl eben sofort zum nächsten Polizeikommiffar gebracht wird, und daß er selbst, und wenn auch fünfzig Polizisten ausgesandt werden müßten, um ihn aus seinen Schlupfwinkeln im Quartier Maubert herauszuholen, ebenfalls hinter Schloß und Riegel fitzt, noch ehe viel Tage in der Woche vergehen.
So befindet sich das Paket also in Sicherheit?
Vollständig. Er versuchte gar nicht zu leugnen, daß es in seinem Besitz sei.
Mit unverletzten Siegeln?
Ja. Er hätte es seinem Auftraggeber um zehn Uhr ausgehändigt; er war also die höchste Zeit für uns, mein Junge.
Und wer ist dieser Auftraggeber?
Das konnte ich au» dem Burschen nicht hsrausbekommen. Ich muß gestehen, daß, während er ganz offen über dar gestohlene Kuvert sprach, er genügend Klugheit besaß, sich zu weigern, andere mit in die Affäre von vergangener Nacht zu verwickeln. Al« ich ihm jedoch tüchtig zusetzte, teilte er mir mit, wie er zu der Kenntnis gekommen sei, daß der versiegelte Brief sich überhaupt in meinem Hause befinde. Es scheint, daß Maugras im Besitze eines kleinen Notizbuch« ist, da« einst Jean Baptiste gehört hat.
Und da« er dem Ermordeten im Boi« de Boulogne abgenommen hat?