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Amts- und ÄnMgeblatt für den Gberamtsbezirk Ealw. 83. Zahkgair.

»rscheinunzitage: Mo »vunerttag. Freitag tv Ufg. pro Zeile für Stadt

Samstag, den 1. August 1908.

«ezugSpr. i. d. Stadt'/^Lhrl. m. TrSgerl. Mk. I.2S. Postbezugrpr. s. d.OrtS- u. Nachiarortsverk. >/Nährl. Mk. 1.20. im Fernverkehr Mk. 1.30. «estellg. in Württ. SOPsg., in Bayern u. Reich 42 Ps«.

Tagesueuigkeite«.

* Calw 1. Aug. Dar Realprogym' nasium beging gestern im Hörsaale dis George, näums den feierlichen Schlußakt des Schuljahrs. Der Leiter der Schule, Rektor Di-. Weizsäcker, berichtete zunächst über die Veränderungen im Lehrkörper, sodann verbreitete er sich über die Wirkungen des neuen Lehrplan« und der Versetzungsvorschristen und hob hierauf mit Nachdruck hervor, daß die Räumlichkeiten der Anstalt für einen erfolgreichen Schulbetrieb nicht mehr genügend seien. Die Zahl der Schüler sei im Zunehmen begriffen und da in manchen Fächern 2 Klaffen zusammen unterrichtet werden müssen, so reiche der ohnehin knappe Raum in keiner Weise aus. Bei allen Medizinalvifitationen sei auf die Unzulänglichkeit der Schulzimmer hin. gewiesen worden, insbesondere sei auch für Auf. bewahrung der Lehrmittel und für physikalische Vorführungen kein geeigneter Raum vorhanden. Es fehle ferner an einem Bibliothek, und Lehrer- zimmer; ein Neubau für dis Anstalt sei ein ab. wlut dringendes Bedürfnis. Die Stadt habe in letzter Zeit eine Privatschule aufs freigebigste unterstützt, es sei deshalb nicht mehr als billig, wenn auch für das Realprogymnasium eine würdige Heimstätte geschaffen werde, umsomehr, da diese Schule für die eigenen Kinder der Stadt bestimmt sei und diesen zu gut komme. Nach der Ansprache folgten Deklamationen von Schülern aus allen Klaffen und hierauf die Verteilung von Preisen, Belobungen und denBerechtigungsscheinen". Das Zeugnis für die wissenschaftliche Befähigung zum einjährig, freiwilligen Dienst erhielten 15 Schüler, worunter auch 1 Mädchen. Die Schüler der 7. Klaffe haben sämtlich dis Aufnahme- Prüfung in die 8. Klaffe eines Realgymnasiums erstanden. In der 5. Klaffe bestand ein Schüler mit sehr gutem Erfolg dar Landexamen. Zur

Aufnahme in die Vorklaffe find bis jetzt 32 Schüler angemeldet. Die Feier, der wie in den Vorjahren eine große Zahl von Eltern und Freunden der Anstalt anwohnten, war umrahmt von entsprechenden und frisch vorgetragenen Liedern der Schülerchorr.

Calw 1. Aug. Heute wurde hier ein junger Mann, namens Druckenmüller eingeliefert, welcher unter dem Vorgeben in hiesiger Stadt eine Wach- und Schließgesellschaft einzu« führen, einem hies. Einwohner, der sich als Wächter angeboten, 100 Kaution abgcnommen hatte. Man nimmt an, daß sich der angeblicheIn. spektor", der auf die Aussichtslosigkeit einer solchen Unternehmens in hies. Stadt mehrmals aufmerksam gemacht wurde, es schließlich lediglich auf die Erlangung von Kautionsgeldern abgesehen hatte und erscheint diese Annahme umsomehr be- rechtigt, als derselbe schon wegen Urkundenfälschung und Unterschlagung eine 1'/-jährige Gefängnis, strafe hinter sich hat. Durch rechtzeitiges Ein­greifen seitens des hiesigen Stationrkommandanten Sauter wurden zwä weitere Versuche de» Schwind­lers, Geld zu erlangen, vereitelt.

Calw 1. Aug. Am Mittwoch Abend veranstaltet der steierische Humorist Hr. H. Mertens aus Graz einen Vortragsabend. Schon seit einigen Jahren zieht der Vortragende alsDa Steirer Sepp" von Stadt zu Stadt und bringt durch die Wiedergabe einer bunten Reihe Rosegger'scher Bauerng'schichtln den Dichter dem Volke näher. Ein auswärtiger Preßurteil sei hier angeführt:Der bekannte Rosegger-Rezitator und steierische Humorist H. Mertens aus Graz bot recht genußreiche Stunden durch seine geradezu meisterhaften Vorträge köstlichsterBauern, g'schichtln".Da Steirer Sepp" fesselte die Zuhörerschaft durch steigenden Humor; er löste Beifall auf Beifall» Lachen auf Lachen au«. Frau Mertens.Stoll, des Rezitators Tochter, trug

prächtige Lieder mit Zither-Begleitung vor und errang mit ihrer sympathischen, gutgeschulten Alt­stimme und gefühlvollen Vortrag gleichfalls reichen Applaus. Als gewaltigen Begleit-Bassisten lernten wir Hrn. Ernst Stoll kennen. Er war ein herzerfrischender Abend! ' Der Vortrag wird im Dreiß'schen Saale stattfinden.

Herrenalb 31. Juli. Der seit einigen Tagen vermißte 13jährige Christian Schaible von Oberlengenhardt wurde nun ermittelt. Er hat sich einige Tage lang auf dem Klein. Enzhof Herumgetrieben.

H errenalb 31. Juli. Eine empörende Rohheit, wie sie gottlob selten vorkommt, ist, lt. Enztäler, von der Landstraße zwischen Marx­zell und Fifchwetler zu berichten. Dort lag morgens von 4 Uhr ab sin von seinem Besitzer schmählich im Stich gelassene« Pferd, mit Wunden bedeckt, fortwährend aurschlagend, ein grauenhafter Anblick. Erst nachmittag« war ein Tierarzt zur Stelle, der die Tötung des entsetzlich leidenden Tieres anordnete. Die Wegschaffung des Kadaver« geschah erst um 8 Uhr abends. Hoffentlich wird die Untersuchung den Namen de» gefühllosen Besitzers feststellen. Strengste Bestrafung wäre sehr zu wünschen.

Stuttgart 31. Juli. Die bürgerlichen Kollegien von Degerloch werden sich heute abend zum letzten Male versammeln, bevor die Gemeinde morgen in Stuttgart aufgeht. Für morgen vormittag ist eine Einladung an die städtischen Behörden zu einem offiziellen Besuche und nachfolgendem Frühstücke ergangen. Am gleichen Tage werden die Degerlocher bürgerlichen Kollegen abends im Ratskeller zu Stuttgart au» Anlaß des Verwaltungsübergange« festlich be. wirtet werden.

Stuttgart 31. Juli. (Strafkammer.)

Das Modell.

Kriminalroman von Edmund Mitchell.

(Fortsetzung.)

Monsieur Fleury mußte bis zur Rückkehr Sterling« warten. Da die Milch soeben zum Sieden kam» so lud ich ihn sofort ein, mir am Frühstückrtisch Gesellschaft zu leisten. Er lehnte die angebotene Semmel ab, nahm aber den Kaffee an. Ich servierte ihn siedend heiß in einer riesigen Tasse. Dies würde seine Aufmerksamkeit auf eine Viertelstunde ablenken. Ich teilte ihm mit, Sir Richard Sterling sei aurgegangen, müsse aber jeden Augenblick zurückkommen.

Der Dektetiv war ein zurückhaltender Herr und machte keinen Ver- such, die Unterhaltung gewaltsam zu beleben. Ich war froh darüber, denn obgleich ich mich bemühte, meine Unruhe zu verbergen, so stand ich doch förmliche Folterqualen aus. Würde er nie wieder heimkehren?

Mein Besucher hatte seinen Kaffee ausgetrunken. Er ließ sich nicht bewegen, eine zweite Taffe zu nehmen, die ich schon für ihn bereit hielt. Ich überreichte ihm den Figaro; die Zeitung war durch da» Gitter ge. worfen worden, und ich hatte sie gefunden, als ich die Semmeln holte.

Aber Herr Fleury schien keine Lust zum Lesen zu haben, ich konnte über die Zeitung hinweg bemerken, daß er mich ruhig beobachtete.

Sollte ich ihn ins Vertrauen ziehen und seinen Rat einholen? Er war Detektiv und würde wissen, was am besten zu tun sei.

Ich überlegte mir diese Frage ernstlich, als ich endlich ein Geräusch an der Pforte hörte, dann dar Herumdrehen einer Schlüssel« und Gott sei dank die Fußtritte meine« Freundes auf dem zum Hause führenden Wege. Sterling» Gesicht strahlte vor Freude; ich erkannte sofort, daß etwas Wichtiger vorgefallen, ein wichtiger Schritt getan worden sei.

Hast du da» Paket bekommen? fragte ich in erregtem Flüstertöne, als ich zur Tür ging und seine Hand in der Freude über seine glückliche Rückkehr drückte. Aber sein Blick war auf Monsieur Fleury gefallen, der sich verbindlich erhoben hatte.

Der Agent, den Madame zu schicken versprochen hat, sagte ich laut in Erwiderung auf feinen fragenden Blick und überreichte ihm de« Detektiv» Karte.

O, natürlich, erwiderte er. Bitte, behalten Sie Platz, Sir. Ich möchte Ihnen einen Brief an Ihre Austcaggeberin mitgeben.

Ohne ein weiteres Wort an einen von uns zu richten, setzte sich Sterling an den Schreibtisch am Fenster. Sein Brief war in ein paar Minuten fertig. Bevor er ihn zufiegelte, reichte er ihn mir hin.

Mit Weglassung der üblichen Höflichkeitsformeln zu Anfang und zu Ende lautete der Brief folgendermaßen:

Kommen Sie heut abend, bitte, unter allen Umständen zu mir. Ich werde dann wieder im Besitz der vermißten Kuverts sein, dar» wie ver. abredet, in Ihrer Gegenwart geöffnet und Ihnen übergeben werden soll, wenn der Inhalt mit Ihren Angaben übereinstimmt. Haben Sie die Güte, mir vor zwei Uhr nachmittags einige Zellen nach der Matson Doröe, Boulevard des Italiens, zu senden und mich wissen zu lassen, zu welcher Stunde nach neun Uhr ich Sie erwarten darf.

Al« ich mit dem Lesen des Briefer fertig war, verschloß Sterling den Umschlag und siegelte ihn sorgfältig mit seinem Ringe, den er stets an seinem kleinen Finger trug.

Nun, Monsieur, bitte, übergeben Eie diesen Brief Madame eigenhändig. Ich muß notgedrungen den Brief ohne Aufschrift lassen.

Der Agent zog seine Augenbrauen etwa» erstaunt in die Höhe.

Ich erhielt aber den Auftrag, erwiderte er, die sorgfältigste Unter-