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Stuttgart 29. Juli. Der Staatsanzeiger erfährt von zuverlässiger Seite über den Stand der Weinberge im württembergifchen Unterlande, da» Gerücht, daß in den Weinbergen de» Zaber» gäu«, der Heilbronner und Neckarsulmer Gegend, sowie de« Weinsberger Tals die heurige Trauben­ernte durch das starke Auftreten der Rebkrankheiten in Frage gestellt sei, treffe in dieser Allgemeinheit nicht zu. In den gut gepflegten, rationell be­spritzten Weinbergen, namentlich in den Berglagen, finde sich ein wirklich schöner und reichlicher Trauben­behang, der in der Entwicklung schon weit voran­geschritten sei und tatsächlich eine recht hübsche Ernte erwarten lasse.

Stuttgart 29. Juli. Heute früh 4 ^ Uhr geriet in dem hochgelegenen Depot der Straßen­bahn zwischen Schwab- und Reuchlinstraße ein unbeaufsichtigter Motorwagen in Bewegung und jagte die Reuchlin- und Rothebühlstraße hinunter zum alten Postplatz, wo er an der scharfen Kurve der Ecke von Post- und Calwerstraße aus dem Gleis und gegen da« Eckhaus sprang. Der Anprall war fürchterlich und im ganzen Stadtteil ver­nehmbar. Der schwere Wagen ist völlig zer­trümmert; auch da« Haus hat Beschädigungen erlitten. Menschen wurden nicht verletzt. Wäre der zweite Kurswagen der Linie Gablenberg pünktlich 4^ Uhr abgefahren, so hätte ihn der Durchgänger unterwegs eingeholt. Eine Ver­spätung von zwei Minuten hat Schaffner und Führer und Insassen dieser Wagens gerettet. Auch ein Bataillon des Grenadier regiments Königin Olga entging einer großen Gefahr nur dadurch, daß e« erst wenige Sekunden, nachdem der Wagen vorbetgerast war, aurmarschierte. Einige Sekunden vorher wäre ein Unglück unvermeidlich gewesen, da der Wagen blitzschnell auftauchte und auf der menschenleeren Straße keine Warnungsrufe er­tönten. Der gleiche Fall hat sich übrigen« schon einmal unter ähnlichen Umständen und an der­selben Stelle ereignet.

Stuttgart 28. Juli. Ueber den Ernte- ertrag Württemberg» im verflossenen Jahre liegen nunmehr genaue Angaben vor, die zugleich eine Vergleichung mit dem Ertrag früherer Jahre ermöglichen. Die Tabelle zeigt, daß der Ernte­ertrag von Roggen, Weizen, Kartoffeln und Hafer im letzten Jahr der beste seit sieben Jahren ge­wesen ist, auch Winterspelz und Sommergerste stehen hinter den Erträgnissen früherer Jahre wenig zurück, nur die Heuernte steht erst an vierter Stelle, doch entspricht der gewonnene Ertrag immer noch dem Durchschnitt, der als mittlere Ernte angenommen wird.

Heilbronn 29. Juli. Zum Tode verunglückt ist heute früh ein radfahrender Metzgergeselle bei einem Zusammenstoß mit einem

Straßenbahnwagen. Kurz vor 7 Uhr morgen» fuhr der Metzgergeselle Juliu» Bauer, der seit über 4 Jahren bei Metzgermelster Schühle in der Johannisgaffe in Arbeit stand, mit dem Rade die untere Neckarstraße herauf gegen die Brücke zu; er wollte eine Lieferung besorgen, denn er führte ein Netz mit Fleisch bei sich. An der Brücke hatte er einem anderem Fuhrwerk auszuweichen; nur dadurch ist es erklärlich, daß er einm daherkommenden Straßenbahnwagen nicht rechtzeitig sehen und nicht mehr aurweichen konnte: so fuhr er direkt gegen den Wagen, der ihn so unglücklich erfaßte, daß Bauer unter den Wagen gedrückt und eine Strecke weit geschleift wurde. Dabei erlitt er schwere und starkblutende Ver­letzungen, namentlich am Kopf und an den Schultern. Der Verunglückte, der aus Roigheim ist, wurde ins Hauptpostamt gebracht und von da aus von der Sanitätskolonne nach dem städtischen Kranken­haus überführt, wo er um 9 Uhr gestorben ist. Den Führer des Straßenbahnwagens trifft keiner­lei Schuld.

Heilbronn 28. Juli- (Strafkammer.) Der ledige Schreiner Johann Schlichenmaier von Vorderwestermurr, der im Diebrgewerbe eine ziemliche Routine besitzt, auch mit dem Zuchthaus schon Bekanntschaft gemacht hat, ist angeklagt, er sei in der Nacht vom 14. auf 15. Febr. in Mar­bach in den Schalterraum des Hauptbahnhofge­bäudes eingestiegen. Zu diesem Zweck sprengte er da» Eisengitter mit einem Prügel, erbrach mit einem Stemmeisen eine Schublade und entwendete au« dieser 16 Sodann erbrach er mit einem Meise! die Türe des Güterschuppens und ent­wendete aus einer Schublade 9 ^ 30 und aus dem Schuppen einen aufgegebenen Muster­koffer mit Wäsche. In der gleichen Nacht stieg er mittel« einer Leiter in das Haus eins« Kauf­manns in Marbach ein und entwendete dort eine Kassette mit einem Brillantring im Wert von 300 und mehrere andere Gegenstände. Um diesen Ring verpfänden zu können, fertigte er eine Urkunde auf einen falschen Namen. Bei einem weiteren Diebsgang im März d. I. in Illingen, woselbst er mit den neuesten Diebes­werkzeugen ausgerüstet, und mit angezogenen Gummischuhen einem Bauernhaus einen Besuch abstatten wollte, wurde er ergriffen. Der An­geklagte leugnet hartnäckig, doch deuten sämtliche Spuren auf ihn als den Täter auch kann er sein Alibi nicht genügend Nachweisen. Er wurde, nach derHeilbr. Ztg." zu 5 Jahren 3 Monaten Zuchthaus, unter Anrechnung von 3 Monaten Untersuchungshaft, 10 Jahren Ehrverlust, Stel­lung unter Polizeiaufsicht und in die Kosten ver­urteilt.

Tübingen 28. Juli. Einer alther­

gebrachten Sitte gemäß veranstalteten die Medi- ziner der hiesigen Kliniken heute einen »Kliniker- Umzug". Es wurden wieder wie sonst aktuelle Fragen und Ereignisse in origineller Weise bildlich dargestellt. Dem den Zug eröffnenden Sensen­mann auf einem Schimmel folgte ein al« Dame verkleideter Mediziner mit dem Plakat, dessen Inhalt die Darstellung de« Zuge» anzeigte: «Tübingen im Lichte der Zukunft Immer voran, drauf und dran." Es folgte ein Wagen, der das neueMisfionsärztehaus" versinnbildlichte, besetzt mit Negern rc.; ein weiterer Wagen stellte die «Schöpferwohlform", einen bei dem Verlangen, den neuen städtischen Anlagesee für Badezwecke zu benützen, verwerteten Ausdruck ironisierend dar. Studentinnen-Asyl", der nächste Wagen. Die Hebung des Fremdenverkehr« wurde durch eine Aufzugmaschine, sogenannten Katze, mit großem Tumult der Bedienenden Mustert. »Wald, Wild, Mensch", die bekannte Episode anläßlich der Herausgabe eines so titulierten Büchleins durch vr. Göz hier, war der Schlußwagen. Der Um­zug begab sich von hier zu gemütlicher Feier nach Lustnau.

Oberndorf 29. Juli. Laut Schwäb. Merkur wird im Bezirk das Gerücht verbreitet, die Wahl des Abg. Andre soll abermals ange- fochten werden. Als Grund war angegeben, daß im Wahllokal in Oberndorf (Rathaus) ein Vertreter der Zentrumspartei sich im Jsolierraum häuslich niedergelassen habe, um die Namen der Wähler zu notieren. Er habe dabei einen Platz eingenommen, von dem aus es ihm möglich ge- wesen sei, das Einlegen der Stimmzettel in die Wahlkouvert» zu beobachten. Bei der großen Mehrheit, bemerkt dazu der Schwäb. Merkur, mit der der Abg. Andre gesiegt hat, erscheint er undenkbar, daß jemand eine nochmalige Wahlan­fechtung einleiten werde. Da müßten Verstöße gegen die Wahl vorliegen, die weit über da» hinausgkhen, was hier gerüchtweise von Oberndorf gemeldet wurde.

Spaichingen 29. Juli. Einen kühnen Sprung machte gestern nachmittag in Hofen ein etwa vierjähriges Bübchen, indem es zwei Stock hoch in den mit Kies belegten Hof heraus­sprang und merkwürdigerweise ganz unversehrt unten ankam. Dar Kind war eingeschloffen ge­wesen und hat in seinem Freiheitsdrangs auf diesem ungewöhnlichen Wege das Weite gesucht. Von elterlicher Seite wurde das Kunststück allerding» nicht in erfreulicher Weise gewürdigt

Friedrichshafen 29. Juli. DerStuttg. Mpst." wird von ihrem Korrespondenten gemeldet: Um die verschiedenen widersprechenden Gerüchte über die Zeit des neuen Aufstiegs Zeppelins zu kontra^ leren,fuhr ich heute selbst mit den^ Motorboot nach

nächst dafür zu sorgen, daß Sie sicher untergebracht werden. Beachten Sie wohl," daß, wenn Sie auch nur den leisesten Versuch machen, zu ent­wischen. unsere Verabredung null und nichtig ist.

Der Kleine deutete durch eine Handbewegung an, daß er die Ver­tragsbedingungen vollkommen verstanden habe.

Dann kommen Sie mit.

An dem einen Ende de« Atelier« befand sich ein geräumiger Gelaß, dar al» Dunkelkammer für photographische Zwecke benutzt wurde. Es hatte eine Ventilation«öffnung in der Nähe der Decke, aber kein Fenster, sodaß die in da« Atelier führende Tür die einzige Möglichkeit de» Ent­kommen« bot.

Der Dieb wurde in die Kammer geführt. Auf ein Zeichen Ster­ling« hin hatte er seine Stiefel aufgehoben und trug sie in der Hand.

Ziehen Sie Ihre Jacke und Ihre Beinkleider aus, sagte mein Freund, in der Tür der improvisierten Einzelzelle stehen bleibend.

Der Bursche tat die« ohne Zaudern, al« gehorchte er dem Befehl eine» Gefängniswärter». Er war augenscheinlich an ein Leben unter strenger Disziplin gewöhnt.

Da» genügt. Nun binden Sie die Sachen in da« große Handtuch dort. So, nun stopfen Sie die Stiefel ebenfalls dazu und reichen Sie mir da» Bündel heraus.

Sterling lächelte, al« er sich mit dem Kleiderpacken in' der Hand mir zuwandte. Da« ist sicherer al« Hand- und Fußschellen, meinte er befriedigt.

Sie werben mir doch eine kleine Erfrischung reichen, Herr Gouver­neur? fragte unser Gefangener, indem er ein Gesicht schnitt.

Ich wußte nicht, was ich mehr bewundern sollte, die Gelassenheit de» Gauner«, mit der er sich in seine Lage fügte, oder seine kühle Zuversicht.

Halte eine Minute lang Wache, Hylton, bi« ich zurückkomme.

Sterling verließ da» Zimmer, da« Bündel bedächtig mit sich nehmend.

Eine Minute später kehrte er zurück ohne die Kleider, aber mit Brot, Käse und einer Flasche Wein.

Wir können ihn doch nicht verhungern lassen, .sagte er gleichsam entschuldigend.

Der Dieb bekundete seine Dankbarkeit durch einen Blick; für Leute seines Schlages find Speise und Trank wirksamere Sittenlehre als Predig, ten oder Traktätchen.

Da» macht die Sache behaglich, Herr General, muß ich sagen, er­klärte er in befriedigtem Tone. Ich werde einem Herrn, wie Sie sind, keine Ungelegenheiten machen. Ich werde warten. Der Brief wird schon zur rechten Zeit eintreffen, Sie werden sehen.. Und der Tag wird mir in dieser gemütlichen Ecke und mit der Flasche Wein al« Gesellschaft ganz angenehm vergehen.

Dann drehten wir den Schlüssel hinter dem philosophischen Spitzbuben um.

Die Ateliertür ließen wir weit offen, als wir ein paar Minute» später die Treppe hinunterstiegen; Sterling wollte, daß wir ebenfalls etwa» äßen. An Schlaf war diese Nacht nicht zu denken; wir waren beide ab­gespannt und bedurften einer Erfrischung; auch konnten wir unsere weiteren Pläne bet einem Butterbrot und Whisky mit Sodawasser besprechen.

In welcher Weise wird nun der Brief an seinen Bestimmungsort gelangen? fragte ich, als wir behaglich im Speisezimmer saßen. Du denkst doch natürlich nicht daran, nach dem Hotel de la Reine Blanche zu gehen?

Nein, aber ich gedenke, meinen Morgenkaffee gemeinsam mit Monsieur

Sidi Maugra« zu trinken. ,

Ach, Unsinn, Sterling. Selbst da« ist nicht sicher.

Sicher, beim Hellen Tageslicht und auf dem Boulevard St. Germain? Wer zum Teufel sollte da Lust haben, mit mir anzubinden?

Kein vorsichtiger Mann würde sich unter eine solche Bande von Schuften begeben, die zu allem fähig find.

Nun, alter Junge, ich bin nie ein vorsichtiger Mann gewesen und werde e» auch nie sein. (Fortsetzung folgt.)