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83. Iahrgimz.
Amts- und Änzeigeblatt für Sen Gberamtsbe;jrk Calw.
Srschetnun-rtage: Monta-, Dtenlta-, Mittwoch, I
»onnertta-, Freitag und vamitag. JnsertionSpreir > 10 Pf-. pro Zrile für Stabt u. «ezirkrorte; außer Bezirk 12 Pfg. »
Tagesueuigkeiteu.
Wildberg OA. Nagold 21. Juli. Am Samstag brachte die Frau der Bauern Dürr die rechte Hand in die Futterschneidmaschine. Da« durch wurden ihr 3 Finger abgeschnitten.
Herrenberg 20. Juli. Auf dem heutigen Viehmarkt waren zugeführt: 9 Ochsen, 67 Kühe und Kalbinnen und 50 Stück Jungvieh, was gegen den letzten Markt ein Weniger bedeutet bei den Ochsen von 44 Stück, bei den Kühen und Kalbinnen von 194 Stück, beim Jungvieh von 105 Stück. Diese geringe Zufuhr ist wohl dem schlechten Wetter zuzuschreiben. Von den Händlern waren zugeführt 35 Stück, gegen letzten Markt 95 Stück weniger. Der Verkauf ging flau. Die Preise waren gegen letzten Markt gleichbleibend. Erlöst wurde für ein Paar Ochsen 925—1200 eine trächtige Kuh 320—400 eine Milchkuh 250-325 eine Schlachtkuh 250—320 eine Schaffkuh 220—300 eine Kalbin 325—470 ein Jungrind oder einen
Stier 120—240 Begehrt waren besonder-
trächtiges Meh und Milchkühe. — Auf dem Schweinemarkt waren zugeführt: 350 Stück Milchschweine; Erlös pro Paar 30—50 128 Stück Läuferschweine; Erlös pro Paar 56 bis 112 Der Verkauf ging gut.
Stuttgart 21. Juli. In dem V-Zug Mailand—Berlin hat gestern Nachmittag auf der Fahrt zwischen Heilbronn und Osterburken ein Reisender aus Stuttgart im Abort des Speise, wagens durch Erschießen Selbstmord verübt. Die Leiche wurde in Osterburken bemerkt und in das Leichenhaur des dortigen Spitals verbracht. In einem hinterlaffenen Brief wird als Beweg, grund der Tat ein unheilbares Nervenleiden an, gegeben.
Mittwoch, den 22. Auli 1908.
Stuttgart 21. Juli. (Schöffen, gericht.) Ein schwere« Unglück ereignete sich am 16. November v. I. in der Ludwigsburger Straße. Der ledige Fuhrmann Georg Sturm hatte auf dem Zollamt zu tun und ließ sein mit zwei Pferden bespanntes Fuhrwerk ohne Aufficht auf der Straße stehen. Plötzlich scheuten die Pferde an einem vorüberfahrenden Etsenbahnzug und rasten im Galopp die Ludwigsburgerstraße, auf der eine Jnfanterieabteilung marschierte, hinab. Die Soldaten stoben auseinander, wobei einem derselben der Helm herabfiel. Der Soldat wollte den Helm ausheben, in diesem Augenblick aber wurde er von den Pferden überannt und durch Fuß. tritte schwer verletzt. Er lag bis Mitte Juni d. I. im Lazarett. Gegen Sturm wurde Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung erhoben und dar Schöffengericht verurteilte ihn zu 30 Geld, strafe. Ein fahrlässiges Verschulden wurde darin erblickt, daß er die Pferde ohne Aufficht stehen ließ.
Vom unteren Remstal 20. Juli. Gegenwärtig richten Lederbeerkrankheit und Traubenschimmel in unfern Weinbergen beträchtlichen Schaden an, obgleich dieselben rechtzeitig und wiederholt bespritzt und geschwefelt wurden. Zur Blütezeit wurde der Pllz nicht beobachtet. Die Weinberge zeigen bis jetzt auch fast durchweg eine schöne Belaubung. Seit einiger Zeit bekommen aber in einzelnen Lagen eine Menge Beeren eine bleigraue Färbung, schrumpfen vom Stielchen au» und fallen ab. Es find die Wirkungen des falschen Mehltaus oder der Pero- nospora. Aber auch die Pilzfäden des echten Mehltaus oder des Traubenschimmels verzweigen und verbreiten sich an vielen Beeren und senden ihre Saugorgane in die Zellen, wodurch die angegriffenen Stellen zum Absterben gebracht werden. Von den gefürchteten Reblausherden scheinen
BezugSpr. i. b. Stabt '/^ührl. m. Lrügerl. Mk. I.2S. Postb«zu-«pr, f. d.OrtS- u. Nachbarort-verk. V^ührl. Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Besten-, in Württ. 30 Pfg., in Papern u. Reich42 Pfg.
die Gelände rechts und links von der Rems frei zu sein.
Degerloch 21. Juli. Heute abend ist zwischen hier und Möhringen ein von Stuttgart kommendes Automobil auf einen Sandwagen auf- gefahren. Da« Automobil wurde in den Straßengraben geworfen und vollständig zertrümmert. Der Chauffeur und ein Insasse wurden herausgeschleudert. Elfterer wurde leicht, letzterer schwer verwundet. Ein mit seinem Automobil daherkommender Arzt au« Möhringen nahm sich des Schwerverwunderen an und nahm ihn in seinem Automobil mit. Der Schwerverletzte soll ein Stuttgarter Herr sein.
Tübingen 21. Juli. Der Bau des deutschen Instituts für ärztliche Mission, der am 4. Mai begonnen worden ist, schreitet rüstig vorwärts, so daß schon an der Bedachung gearbeitet wird. Der in der an da» Misstonsfest am Sonntag sich anschließenden Versammlung anwesende künftige Leiter des Institut» vr. meä. Fie big, (seither in Jena) sprach über da» Wesen der ärztlichen Mission. Die hiesige mediz. Fakultät hat sich in dankenswertester Weise bereit erklärt, in einem einjährigen Kursus die ausgelernten Missionszöglinge, bevor sie hinaukziehen, in die med. Wissenschaft einzuführen, wodurch sie sich ein außerordentliche« Verdienst um unser ganze- deutsche« Vaterland erwirbt.
Oberndorf 21. Juli. Wie der Schwarzwälder Bote meldet, hat ein oberamtlicher Gefangener in der Arrestzelle einen Selbstmord« versuch gemacht, indem er au» einem Revolver, den er in der Umhüllung eines abgenommenen Fußes verborgen hatte, einen Schuß auf sich ab« feuerte. Er wurde schwer verwundet in da« Krankenhaus geschafft.
Das Modell.
Kriminalroman von Edmund Mitchell.
(Fortsetzung.)
Verzeihen Sie, protestierte Sterling, indem er sich stolz aufrichtet > es herrschte kein Vertrauen und daher auch keine Freundschaft zwischen Jean Baptiste und mir.
doch jene Briefs in Ihrem Verwahrsam? fragte sie mi einschmeichelnder Artigkeit.
Ah, da» ist etwa« anderes. Aus reiner Gefälligkeit gegen den Man, ging ich darauf ein, zeitweilig ein Kuvert für ihn auszubewahren, wi Sie es beschrieben haben.
Unter dem Schleier drang ein halbunterdrückter Ausruf der Freud> hervor, in die sich sowohl Dankbarkeit wie Triumph mischten, wie ich »v bemerken glaubte. ^ ^ °
Dann gehören diese Briefe mir! rief sie, eine Hand ausstrecksnd als erwarte sie, daß fie ihr sofort ausgeliesert würden.
Sterling wandte sich mit bestürzter Miene mir zu. Ich sah, er stand in Gefahr» widerstandslos nachzugeben. Aber mein eigenes Ermessen sträubte sich auf das heftigste gegen einen solchen unüberlegten Abschluß der geheimnisvollen Angelegenheit. Er war Zeit für mich, in das Gespräch
einzugreifen.
Sind Sie mit den näheren Umständen bekannt, Madame, fragte ich, unter denen Jean Baptiste vergangene Nacht im Bois seinen Tod fand? „ vo^r Aerger und Ungeduld mir zu. Hätte ich
chr A^A^Hen können, so weiß ich, ich würde keinen angenehmen Au«, druck in ihm entdeckt haben, wie auch immer der Schnitt ihrer Gesichts- rüge sein Ate, denn Aerger auf einem hübschen Gesicht kann sogar ab. stoßender wirken als auf einem unscheinbaren.
Ich Habs Ihnen schon gesagt, antwortete sie kühl, daß ich den Bericht über den Fall in den Abendblättern gelesen habe.
Nun, Jean Baptiste ist ermordet worden.
Das wissen wir alle.
Und Sie meinen, daß die Papiere einer Ermordeten so ohne weiteres dem ersten besten ausgehändigt werden dürfen, der sie verlangt?
Dieser Einwand schien Eindruck auf fie zu machen. Sie schwieg einen Augenblick und wandte sich dann an Sterling.
Wissen Sie, war dieser Jean Baptiste für ein Mensch war? fragte fie unvermittelt.
Ich kann nicht sagen, daß ich viel von ihm wüßte, erwiderte Sterling; aber ich habe mir denken können, daß sein Lebenswandel nicht gerade zu den ehrenhaftesten gehörte.
Haben Sie eine Ahnung, wie unehrenhaft er war? zischte fie beinahe, so rasch und heftig wurden die Worte gesprochen.
Sterling blickte auf die Fragerin, erstaunt über ihr leidenschaftliche» Wesen und ohne zu antworten.
Er war ein Erpresser, ein feiger, verächtlicher Erpresser! rief fie au«, indem fie mit gerungenen Händen im Uebermaß ihrer Erregung in die Höhe sprang.
Ein Erpresser! hörte ich Sterling in seinen Bart hineinmurmeln. Der gottverfluchte Halunke! Die Heftigkeit war nun auf seiner Seite, und ich konnte die zornige Röte gewahren, die sich über seinen Brauen ge« bildet hatte.
Sie meinen dies im vollsten Ernste? fragte er.
Gewiß. Jean Baptiste war nichts mehr und nicht« weniger al» ein gewerbsmäßiger Erpresser.
Sie sprach jetzt ruhiger und überlegter. Auch Sterling hatte sich mit geradezu bestürzter Miene erhoben.
Und da ich mich durchaus darüber rechtfettigen soll, fuhr die Dame