83. Jahrs«-
157.
Amts- und ÄMigeblatt für den Gberamtsberirk Lalrv.
SrschrinungStage: Montag, Licnttaa, Mittwoch, »onn«r»t-,, Freitag und Gamttag. InkertionSprel» t0 Wg. pro Zeile für Etadt u. »-,irir-rt-; außer Bezirk 12 Pfg.
Mittwoch, den 8. Juli 1908.
BezugSpr. i. d. Stadt >/^SHrI. m. Lriigerl. Mk. 1.2i>. Postbezugtpr. s. d.Orts- u. Nachbarortroerk. >/,jährl. Mk. 1L0, im Fernverkehr Mk.l.M. «estellg. in Württ. so Psg., in Bayern u. Reich 42 Psg.
NMtliche Berantttmachnnge».
Bekanntmachung.
Die ortsüblichen Tagelöhne gewöhnlicher Tagearbeiter im Oberamtsbeztrk sind durch Erlaß K. Kreisregierung vom 4. Juli dS. Js., Nr. 5441, mit Wirkung vom 1. Januar 1S0S ab bis auf Weiteres in folgender Weise festgesetzt worden:
Gemeinden des Oberamtsbezirks
Löhn
erwaö
Arb
männl.
e der ^ Löhne der
sienen jugendlichen
citer >1 Arbeiter
weiblich u männl. I rveiblichi
Calw
die übrigen Gemeinden Calw, 6. Jul
2 80 2 60
i 1908.
1 80 1 SO 1 20 1 70 1 50 j 1 ! 20
K. Oberamt. Voelter.
r«seK»erttslette«.
X Althengstett 7. Juli. Am Sonntag den 5. Juli wurde der Ausfichtsturm auf dem Jägerberg felerlich etngeweiht. Die hiesigen Vereine und die Feuerwehr hatten sich vor dem Rathause mit Fahnen aufgestellt. Unter Vorantritt der Eltinger Musikkapelle bewegte sich der Festzug durchs Dorf zum Jägerberge, woselbst Schullehrer Bartholomaei die mit großem Beifall auf. genommene Festrede hielt. Ausgehend von dem Liede „Es liegt in Deutschlands Gauen ein Land gar schmuck und fein rc." zählte Redner alle vom Turm sichtbaren Teile dieses schmucken Lande» auf und gab hierauf einen geschichtlichen Rückblick über das Werden de» Turmes. Die Anregung zum Turmbau habe der leider so früh au« dem Leben geschiedene Herr Oberamtsrichter Fischer gegeben, während die Ausführung ihm (dem
Redner) übertragen worden sei. Herzlichen Dank spendete er allen denjenigen, welche durch frei, willige kleine und große Beiträge es ermöglicht haben, daß der Bau zur Ausführung kommen konnte. Besonderen Dank aber verdienten sich die Arbeiter, welche in steter Lebensgefahr schwebend, das gefahrvolle Werk der Aufrichtung der 22 m langen, starken Stämme rasch vollbracht haben, ohne daß ein Unfall eingetreten sei. Mit einem „Hoch!" auf da» schöne Schwabenland, da« unser Dichter und Landsmann Uhland einen Garten, ein Paradies nennt und auf seinen edlen Fürsten, unfern in Ehrfurcht geliebten König Wilhelm II wurde die Rede beendet. Leider hatte sich das Wetter für die Turmeinweihung ungünstig gestaltet, indem der am Vormittag niedergehende Regen viele Auswärtige, die gerne dem Feste angewohnt hätten, zum Weg. bleiben veronlaßte» und für die Anwesenden war die Aussicht äußerst beschränkt, da die Luft mit zu Nebel verdichteten Wasserkünsten erfüllt war. Am zweiten Tag, am Montag den 6. Juli, wurde das Kinder, fest unter reger Beteiligung von Alt und Jung gefeiert. Fremde waren nur wenig erschienen; denn die Aussicht war nicht viel besser als am Tage zuvor. Da« ungünstige Wetter brachte es mit sich» daß auch die geladenen Vereine und Gäste fern blieben und daß für den Turm Verhältnis, mäßig sehr wenig abfiel. Hoffen wir, daß sich die Vereine der Umgegend im Laufe des Sommer» noch zahlreich einstellen und die prachtvolle Aus« ficht genießen mögen. Den Vereinen von hier aber, die sich sehr zahlreich beteiligten, sowie allen Besuchern aus nah und fern soll hier bester Dank gesagt werden.
X Althengstett. Al» am Sonntag abend der Festzug den Jägerberg verlassen hatte, wurde noch strafbarer Unfug am Turm verübt. Vier
junge Leute, darunter ein Soldat (Artillerist), erbrachen etwa um V-9 Uhr den Turm und bestiegen ihn. Gesehen wurden sie von dem in der Nähe weilenden Schäfer und vom Feldschützen. Sie entfernten sich in der Richtung nach Gechingen. Es ist bedauerlich, daß nichts erstellt werden kann, ohne daß es unter der Rohheit unverständiger und törichter Leute zu leiden hätte. Mögen doch Schule und Haus eifrigst bestrebt sein, ein Ge« schlecht heranzuziehen, da» die Natur und ihre Denkmäler, natürliche und künstliche, zu schätzen weiß, damit Rohheiten, wie sie immer und immer wieder Vorkommen, unterbleiben.
Weilderstadt 7.Juli. Beide«Turn, fest am Sonntag tat der verheiratete Schreiner Ruck mied au« Ditzingen beim Hochsprung einen so schweren Fall, daß er in Lebensgefahr schwebt.
Leonberg 4. Juli. Im Postamt Ditzingen haben Einbrecher in der Nacht einen Besuch abgestattet. Ein Wertbrief mit einer größeren Summe, sowie eine kleine Barsumme entgingm ihrer Aufmerksamkeit. Da sie den Kaffenschrank nicht zu sprengen vermochten, zogen sie ohne Beute wieder ab.
Stuttgart 7. Juli. Der Polizeibericht schreibt: Gestern nachmittag wurde kn Cannstatt die Leiche einer bis jetzt unbekannten Frauen«, person im Alter von 22—24 Jahren au« dem Neckar geländet. Diese ist 1,60 m groß, von kräftiger Postur, hat blonde Haare und volle» Gesicht. Kleidung: weißleinene» Kleid und solche Taille, weißen Unterrock mit Spitzen, ein zweiter Unterrock weißblau gestreift, weißer Corsettschoner, Corsett mit gelblichen Blumen, weißes Hemd mit Achselschluß, schwarze Strümpfe und schwarze, lederne, durchlaufene Schnürschuhe, grünlicher
Unrecht Gut!
Roman von B- Corony.
(Fortsetzung.)
Dröhnende Schläge der Turmuhr verkündeten die dritte Morgenstunde. Alle Hausbewohner zogen sich wieder zurück und auch Arsens suchte ihre Schlafstube auf, legte sich jedoch nicht mehr zu Bett. Bi» die Sonne hoch am Himmel stand, verglich die einsam Wachende Armband und Flakon. Auch nicht der leiseste Zweifel konnte herrschen, daß beide zusammengehörten. Da» war dieselbe Zeichnung, dieselbe Zusammenstellung der Evelsteine. Baron Noiseul behielt also Recht mit seiner Behauptung. — Und doch — unmöglich! Ein Bruder den anderen beraubt oder gar getötet? O nein, da» wäre ja ungeheuerlich und daran zu glauben Versündigung an den heiligsten Gefühlen der Menschheit! — Aber würde nicht auch Jean jeder Niedrigkeit fähig sein? — O, wenn Guido auch nur ahnen sollte! — Nie, nie darf er dar erfahren, nie! Nicht um den Preis ihre« Lebens würde sie dieses Geheimnis verraten. — Aber wie schrecklich, eine der« artige Last immer mit sich zu schleppen! —
Den ganzen Tag über ging ste wie im Traum herum und suchte, als die Nacht mit ihrem Sternengefunkel heranzog, ihr Lager auf. „Schla- fen — schlafen I" — Das war ihr sehnlichste» Verlangen, aber der Schlummer, gott überhörte diesen verzweifelten Schrei nach Ruhe.
Ueberfrost geschüttelt lag ste da, auf den schweren Lidern lastete die Müdigkeit. Sie fielen immer zu, öffneten sich aber ebenso schnell wieder. Nein, Arsene vermochte nicht zu schlafen. Er war ihr stets, als sähe ste die gebeugte Gestalt eine« kranken Mannes, mit starrem, blassen Antlitz, den Ausdruck gräßlichen Entsetzen« in seinen verglasten Augen auftauchen und mit drohend erhobener Hand an ihr Bett wanken. Sie meinte eine röchelnde Stimme zu hören, die ihr zurief: „Fühlst Du den furchtbaren Frevel nicht, meines Mörder» Sohn angehören zu wollen?"
„Ja, ja, er ist ein Frevel, aber ich kann ja nicht anders," ächzte ste, sich ruhelos umherwerfend. „Ich muß, ich muß und ginge meine Seele darüber verloren! Vater, ich will Deinen Hügel mit Kränzen schmücken. Ich will mir selbst alle« versagen und darauf sparen, Dir ein marmornes Denkmal errichten zu lassen, ich will Tag' und Nacht für Dich beten, nur lasse mir Guido, lasse, o lasse ihn mir!"
Wie zerschlagen erhob ste sich, als er lebhaft im Hause wurde.
Gegen Abend kehrten Hubers zurück. Der Kommerzienrat sah sehr leidend au». Die letzten Ereignisse und die Festlichkeiten, welche er trotz schweren Unwohlseins mitmachte und bei denen er sich zwang, alle Spuren der Erschöpfung zu verbergen, hatten ihn arg mitgenommen. Trotzdem erschien er stolzer und selbstbewußter denn je.
Als ihm aber der vom Diener Franz verübte Einbruch gemeldet wurde, zuckte e« wie heftiger Schreck in seinen Zügen.
„Wie? Meinen Sekretär aufgeschlossen? Warum wurde nicht sofort telephoniert? Ich gab doch die Telephonnummer der Selwitzschen Villa für alle Fälle an."
„Das gnädige Fräulein meinte —"
„Du — Und weshalb denn?"
Ein finsterer Blick traf Arsene.
„Weil ich die Festfreude nicht stören wollte."
Mn herber, spöttischer Zug gab ihrem Antlitz einen unangenehmen Ausdruck.
„Wo ist der Schlüssel zu meinem Arbeitszimmer?"
„Hier!" sagte einer der von der Ankunst de» Kommerzienrat« unter, richteten Polizisten.
„Dar gnädige Fräulein gab ihn mir sofort nach Festnahme de« Diebes in Verwahrung. Geld und Papiere liegen da drinnen wie ste hin« geworfen wurden. Daß seitdem niemand mehr da» Zimmer betrat, kann ich versichern."
Huber begab sich mit seltsam schweren Schritten in da» Gemach,