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lediger Taglöhner in der Rotebühlstraße von einem Unbekannten in den Rücken gestochen. Der Verletzte wurde ins Ludwigsspital überführt. In einer Wirtschaft der Katharinen straße ent­standen heute Nacht 2 Uhr Streit« und Schlag­händel unter einigen Gästen, wobei einer 28 Jahre alten Kellnerin ein Messerstich unterhalb der rechten Achselhöhle beigebracht wurde. Die Verletzung ist nicht gefährlich.

Stuttgart 23. Juni. Auf dem heutigen Großmarkt kosteten Kirschen bei starker Zu­fuhr 1218 -g, Prestlinge 2545 -H per Pfund. Angeboten wurden die ersten Himbeeren zu 40 H und die ersten Johannisbeeren zu 35 --Z per Pfund.

Tübingen 23. Juni. Gestern besuchte der König in Begleitung seiner beiden Enkel, den Prinzen von Wied, den hiesigen Tiergarten (Besitzer Mannheim) und sprach dem Eigentümer seine volle Anerkennung über die reichhaltige und gesunde Besetzung des Tierbestandes, wie auch über die besonders geeignete Wahl des Gelände« aus. In Lustnau fiel der 63jährige Gipser Benz, der einem Leichenbegängnis in Tübingen angewohnt hatte, nach seiner Rückkehr von dort eine steile Treppe herab und erlitt dadurch eine schwere Gehirnerschütterung. Sein Zustand soll ziemlich gefährlich sein. Benz ist Veteran vom Feldzug 1870/71 her. Die Landmannschaft Ulmia" begeht am 25. bis 27. Juli da» Fest ihrer Hauseinwsihung auf dem Osterberg. Das Gelände hat eine sehr hübsche, aussichtsreiche Lage.

Tübingen 23. Juni. Am Sonntag fand die 4. Jahresversammlung des Schwäbischen Stenographenverbands und zugleich die 8. Versammlung de« Schwäb. Lehrerverbandes für Gabelsberger Stenographie hier statt, unter dem Vorsitz v.on Stadtpfarrer Dür r-Weikersheim, der auf die Brauchbarkeit der Stenographie für Colleghefte während der Studienzeit hinwies, die er heute noch gut lesen könne. Oberbürgermeister Haußer begrüßte die Versammlung, desgleichen Lehrer Schmierer-Tübingen. Den Bericht stattete Lehrer Bub eck-Stuttgart ab. Den Fest­vortrag über lateinische und deutsche Schrift und über den Vorzug der reinen lateinischen Schrift- typen vor den bisherigen lateinischen und deutschen, mit deren Erlernung nur unnötig Zeit verloren gehe, hielt Universität-Professor vr. Gunder­mann. Die deutsche oder richtiger goihische Schrift wurde durch die von Florenz ausgehende Renaissance der antiken Formen bei allen andern Völkern verdrängt, nur Deutschland behielt sie bei; er sei für Einführung der lateinischen als Hauptschrift. Als Nebenschrift schlug Stadtpfarrer Dürr die allgemeine Erlernung der Stenographie vor. Beim Festessen im Ochsen sprachen Professor Dürr auf Gabelsberger, Prof. Voretzsch auf den Schwäb. Stenographenverband, Reallehrer Heindl - Calw auf die Damen, Professor Lachen­

mayer-Stuttgart auf die Feststadt Tübingen. Hierauf folgte ein Spaziergang nach der Bismarck­säule.

Mössingen 23. Juni. Ein hiesiger Schuhmacher fürchtete nacht«, als es im Hofe seiner Mutter unruhig wurde, Gnbrecher. Er ging mit dem geladenen Jagdgewehr vor die Türe hinaus und schoß nach einem Mann, der auf Anruf keine Antwort gab. Es war dies ein harmloser- Nachtschwärmer, der zum Glück nicht schwer ver­letzt wurde und mit einer Schrotladung im Rücken davonkam.

Tuttlingen23. Juni. Nachträglich hat sich noch ein fünfter Kandidat für die a n 1. Juli stattfindende Stadtschultheißenwahl ge­meldet, in der Person des Regierungsaffeffors Dr. Schmid aus Stuttgart. Dr. Schmid ist bekanntlich in letzter Zeit bei einer Reihe von Stadtschultheißenwahlen als Kandidat aufgetreten.

Friedrichshafen 23. Juni. Gegen fünf Uhr ist Graf Zeppelin mit seinem neuen Ballon aufgestiegen. Er bewegt sich über dem Schweizer Ufer in der Richtung nach der wärt- tembergischen Seite zu. Nach anderthalbstündiger Fahrt ist Graf Zeppelin mit seinem Ballon wieder in die Halle zurückgekehrt. Die Fahrt kann als ausgezeichnet gelungen bezeichnet werden. Der Ballon beschrieb über unserer Stadt einige Kreise, fuhr dann bis in die Höhe von Langen­argen über den Bodensee, kehrte hierauf noch einmal hierher zurück und manövrierte dann längere Zeit über dem See, indem er einige Schwenkungen ausführte und sich hob und wieder senkte. Die Fahrt spielte sich in einer Höhe von 100200 m. ab. Es wehte eine leichte Brise.

Kaufbeuren 22. Juni. In der Nacht von Sonntag auf Montag spielte sich hier eine blutige Eifersuchtstragödie ab. Drei junge Leute gerieten wegen eines Mädchen» in Streit. Nachts gegen 12 Uhr überfiel darauf der 18jährige Fabrikarbeiter Andreas Nocker in der Schmiedgaffe die Metzgergehilfen Helferstetn und Stapf, tötete den elfteren durch einen Schuß in die Brust und verletzte den letzteren durch einen Schuß in den Rücken in gefährlicher Weise. Nach vollbrachter Tat stellte sich der Mörder der Polizei.

Berlin 23. Juni. Zur Verhandlung gegen den Fürsten Eulenburg find als Zeugen ge­laden :FisLermeister Ernst, Milchhändler Riedel und ein Klavierträger Schönner, der früher Hausknecht in einem Hotel in Starnberg war, wo er den damaligen Grafen Eulenburg bei ge­wissen Handlungen gesehen haben will. Ferner werden als Zeugen austreten Justizrat Bern- stein, Rechtsanwalt Prager au« dem Bureau de« Justizrat Bernstein und wahrscheinlich auch

Harden und Oberlandesgerichtsrat Mayer, der Vorsitzende im Münchener Harden-Prozeß.

Innsbruck 23. Juni. Während der Feuersbrunst, die das Dorf Ziel einäscherte, find 6 Menschen ums Leben gekommen. Mehrere Personen werden noch vermißt. Die Einwohner konnten nicht das geringste von ihrer Habe in Sicherheit bringen. Aus den Trümmern steigt noch immer Rauch auf. Der größte Test de« Viehes ist umgekommen. Ein Bataillon Militär ist eingetroffen.

M ailand 23. Juni. Ueber die Streik­bewegung wird gemeldet, daß die Sympathie für die Streikenden immer mehr zunimmt und der allgemeine Ausstand in Mailand und Bologna proklamiert worden ist.

Mailand 23. Juni. Der Luftschiffer d e la Gran ge hat gestern abend den großen Platz in Mailand mit seiner lenkbaren Flug­maschine umkreist und 15 km in 16V- Minuten zurückgelegt, ohne den Boden zu berühren. Diese« Ereignis wurde von den zahlreichen Zuschauern mit Begeisterung begrüßt. Der Vorstand der Luftschiffer-Abteilung hat beschlossen, de la Grange eine goldene Medaille zur Erinnerung an dieses Ereignis zu überreichen.

Paris 23. Juni. Nach den neuesten Fest­stellungen find bei dem Grubenunglück in St. Etienne 9 Bergarbeiter getötet worden, viele liegen noch unter den Trümmern. Zur Eindämmung der Feuerrbrunst in der Grube wurden am Sonntag nachmittag 5 mit diesen Arbeiten besonders gut vertraute Arbeiter Hinab­gelaffen. Um 10 Uhr abends sollten sie abgelöst werden, doch wurde angeblich, weil Gefahr im Verzüge schien, angeordnet, daß sie die Nacht durchzuarbeiten hätten und zwar zusammen mit 4 anderen. Das Unglück dürfte gegen 4 Uhr morgens geschehen sein. Die Arbeiter dürften, wie man annimmt, weil fie fror, das Ventilations­rohr verstopft haben, worauf fie an Kohlengasen erstickten.

Madrid 23. Juni. Die Königin von Spanien ist in der vergangenen Nacht um 1 Uhr von einem Prinzen entbunden worden. Die Entbindung ging langsam, aber normal vor sich.

Johannis bürg 22. Juni. Staats­sekretär Dernburg besuchte gestern verschiedene Minen und nahm heute an einem Bankett beim Bürgermeister teil. Er begibt sich heute abend nach Pretoria und wird morgen dort die Premiermine besichtigen. Die Zeitungen Trans­vaals widmen dem Staatssekretär Leitartikel und heißen ihn herzlich willkommen.

New-Aork 23.Juni. Jn Threeriver ist eine Feuersbrunst aurgebrochen, die mit rasender Schnelligkeit um sich griff und die ganze Stabt einzuäschern droht. Einzelheiten fehlen noch.

Nun und nimmermehr! Ich nannte Ihnen ja meinen Namen und meine Adresse."

Das genügt nicht ohne genügende Legitimation."

Ich kenne diesen Herrn," sagte Madame Francois.Er war schon mehrmals im Aufträge der Frau Kommerzienrätin bei mir und ist Korre­spondent der hochgeachteten Firma Martin Huber."

Dar stimmt doch genau mit meinen eigenen Angaben überein!"

Allerdings, Frau Francois, Sie haften für die Wahrheit Ihrer Aussagen?"

Ja! Dieser Herr nimmt die genannte Stellung ein und ist der Neffe der Kommerzienrats."

Darf ich mich jetzt entfernen?" fragte Jean.

Dem steht nichts entgegen."

Aber die Anklage -"

Wird erhoben werden, das läßt sich nicht verhindern."

Huber eilte fort.

Madeleine, jetzt wieder allein gelassen, sank wie vernichtet in ein Fauteuil und preßte beide Hände an die hämmernden Schläfen. Ihr war es, als habe fie einen betäubenden Schlag empfangen und vermöge gar nicht wieder so recht zum Bewußtsein zu kommen. Zorn, Schmerz, Angst und Scham stürmten auf fie ein. Sie war nicht schlecht und würde keiner Niedrigkeit fähig gewesen sein, hatte sich aber, dem Anlehnungsbedürfni« folgend, welches jeder Vereinsamte mehr oder weniger empfindet, an Noiseul gewöhnt, ihr anfängliches Mißtrauen aufgegeben und endlich geglaubt, wirklich einen starken Halt in ihm gefunden zu haben. Sie, die sonst äußerst Vorsichtige, hatte ihm sogar, da fie ja so gut wie verlobt waren, gestern einen Teil ihrer Ersparnisse übergeben, um dafür Wertpapiere an­zukaufen, die er ihr heute bringen sollte.

Noiseul selbst ließ es auch an Vertrauensbeweisen nicht mangeln. Seit einigen Tagen verwahrte fie das Flakon und dar von Jobst Fränkel Unterzeichnete Schriftstück, weil er meinte in seiner kleinen Junggesellen­wohnung wären diese wichtigen Dinge nicht sicher genug verwahrt. Und jetzt sollte er fort sein, entflohen, um der Polizei, um einer Verhaftung wegen Falschspielens zu entgehen? Sie konnte und wollte es nicht glauben. Da« alles mußte sich ja noch als Irrtum Herausstellen! Gewiß würde ihr Noiseul sehr bald ein Lebenszeichen geben, und die häßliche An­klage zu wiederlegen imstande sein.

Während Madeleine fich bemühte, die letzte schwankende Hoffnung festzuhalten, eilte Jean nach Hause, wo er in höchst aufgeregter, peinlicher Stimmung der kommenden Dinge harrte. Vergeben» suchte er nach irgend einer Möglichkeit, dem Oheim da« Vorgefallene zu verbergen. Seine sonst lebhafte Erfindungsgabe ließ ihn gänzlich im Stiche, jetzt, da es fich darum handelte, eine Lüge zu ersinnen, welche den Verlust des Geldes entschuldigen oder die gefürchtete Entdeckung der Ereignisse dieser Nacht verhindern konnte.

Um neun Uhr schickte der Kommerzienrat nach dem Neffen, empfing ihn sehr kalt und forderte den Aufgabeschein der abgeschickten Summe.

Verzeihe ich das Rezepiß ist gut verwahrt, aber"

Du weißt nicht,' wo er fich befindet. Hast es wohl gar verloren?"

O nein, das nicht nur verlegt."

Schriftstücke von solcher Wichtigkeit pflegt man besser aufzuheben als einen wertlosen Papierfetzen."

Ja, allerdings gedulde Dich nur eine Minute, Oheim."

Er wollte fich rasch entfernen, Huber befahl ihm jedoch barschen Tons zu bleiben.

Du kamst erst heute morgen um sieben Uhr nach Hause. Ich hörte Dich dis Treppe heraufkommen und in Dein Zimmer gehen."

(Fortsetzung folgt.)