Samstag den 24. Oktober 1942
160 Jahrgang Nr. 250
Der Eaztiiler
itLoSHS»
Bilanz der wirtschaftlichen Bedeutung. — Rohstoffe und Industrien in Kaukasten.
NSK- Durch den raschen Vormarsch der deutschen Wehr- macht kommen ständig neue und bedeutende Gebiete Kaukastens in unsere Hand. Ihre Bedeutung für die weitere Gesamtkriegsführung ist groß. Schon heute steht fest, daß der Verlust dieser Gebiete für die Sowjets und darüber hinaus für die Demokratien den Verlust unersetzbarer, dringend benötigter Rohstoffe bedeutet. Die wirtschaftliche Bedeutung Kaukastens liegt außer in der landwirtschaftlichen Erzeugung erstens in den Bodenschätzen, insbesondere Erdöl und Manganerz, und zweitens in, der Industrie von Baku, Grosny, Tislis, Eriwan, Ordshonikidfe, Krasnodar, Armawir und anderer Städte, die zum Teil schon in deutscher Hand sind.
Der wichtigste Rohstoff Kaukastens ist das Erdöl. An der Gesamtföröerung der Sowjetunion an Erdöl im Jahre 1939 von 32.8 Mill. To. war Kaukasten mit über 27 Mill. To.- beteiligt. Das ertragreichste Erdölgebiet Kaukastens ist das von Baku. Mit einer Förderung von über 22 Mill. To. stand es im Jahre 1939 weitaus an der Spitze. Ein Teil des OÄes ging über die Oelleitungen oder die Eisenbahn nach Batum und Poti, um dort verarbeitet, oder über das Schwarze Meer in andere Raffinerien oder ins Ausland ab. transportiert zu werden. Ein anderer Teil des Baku-Oeles wurde in den modernen Grosnyanlagen verarbeitet, die infolge des Rückganges der dortigen Förderung dafür zur Verfügung stehen. Ein erheblicher Teil ging über das Ka- spisch« Meer in die Wolga-Raffinerien. In Baku selbst stnd ebenfalls Verarbeitungsanlagen vorhanden. Ein noch unbedeutendes Erdölgebiet ist das von Georgien, doch zeigten die Aufschlußarbeiten seit 1936 gute Erfolge. Ein wichtiges Erdölgebiet Kaukastens ist das von Grosny, das nunmehr im Bereich der Operationen liegt. Bis zum Jahre 1932 erfolgte hier ein rascher Anstieg der Förderung, dem aber ein ebenso rascher Rückgang folgte, der erst in letzter Zeit durch Entdeckung neuer Felder zum Stillstand gekommen war. Dre Förderung betrug im Jahre 1939 etwa 2,1 Mill. To. Erdölleitungen gehen von Grosny über Maikop uach Tuapse und über Armawir nach Rostow. Der Ausbau der Leitungen nach Dnepropetrowsk und Woronesch war im Gange. Ein weiteres, jedoch kleines Erdölfeld ist das von Daghestan. Ein anderes Erdölgebiet Kaukastens ist das von Mai,kop., das sich seit einiger Leit in deutscher Hand befindet. Die Förderung betrug im Jahre 1939 2,2 Mill. To., die in Tuapse und Krasnodar verarbeitet wurden, die durch Oelleitungen mit dem Fmuvtield verbunden stnd.
Reiche Und bedeutende Lager an Manganerz sind ebenfalls vorhanden. Die Hauptlagerstätte ist die bekannte von Tschiatury; die Vorräte werden dort auf etwa löo Mill. To. geschätzt. Die Förderung betrug in den letzten Jahren 1,8 Mill. To., was rund 60 v. H. der Gesamtförderung der UdSSR an Manganerz ausmachte. Etwa l Mill. To. wur. dLN davon ausgeführt. Eine Eisenbahn nach Poti brachte die Erze an das Schwarze Meer. Die Qualität der Erze von Tscheatury ist bester als die der Erze von Nikopol. Weitere Vorkommen an Manganerz finden sich bei Maikop und bei Tiflis, sie stnd aber gegenüber Tscheatury von geringerer Bedeutung.
Die bisher ausgebeuteten Steinkohle-Lagerstätten stnd die von Tkwartscheli und Tkwibuli in Georgien. Beide Vorkommen sind durch Eisenbahnen mit den Verbrauchsgebieten und dem Schwarzen Meer verbunden. An Nichteisen- erzen kommen in Kaukasien Kupfer-, Blei- und Zinkerze vor, des weiteren befindet sich bei Saglik in Aserbeid- schan ein Al unitlag er. Die Kupfervorkommen sind nur gering. Die Förderung machte 1937 mit 7000 To. nur 5 v. H. der der gesamten UdSSR aus. Die bisher ausgenutzten Lagerstätten befinden sich bei Allawerdy und Sangesur in Armeniens. (Letzte weist einen Zinkgehalt von 11 v. H. auf). Die wichtigsten Lagerstätten Kaukastens an,Blei- und Zinkerz liegen südlich und südwestlich von Ordshonikidfe um das Vor. kommen von Sadon. In Ordshonikidfe befindet sich auch dis größte Zinkhütte der UdSSR. Die Vorkommen werden insgesamt auf 160 000 To. Bleierz und 800 000 To. Zinkerz geschätzt. Die übrigen Vorkommen liegen in sehr unzugänglichen Gebieten und sind bis auf das von Elbrus bis. her nicht in Förderung gewesen. An weiteren Rohstoffen befinden sich in Kaukasten noch Eisenerz, Chrom, Wolfram, Molybdän, Antimon, Arsen, Asbest. Schwerspat n. a., jedoch haben diese Vorkommen meist nur örtlich« Bedeutung.
Entsprechend der großen Bedeutung der Erdölförderung Kaukastens war die metallverarbeitende Industrie weitgehend auf die Herstellung von Maschinen und Ausrüstungen für die Erdölindustrie eingestellt. Der ständige Mangel an diesen Materialien hatte besonders in den letzten Jahren zu einem starken Ausbau dieses Industriezwei
ges gesuyrr. Infolge oes Ausfaues oer wtcyliguen moyiron- und Halbzeugwerke im Donezbecken ist wahrscheinlich,eme weitgehende Umstellung der vorhandenen Werke auf Kriegsproduktion erfolgt. Die wichtigsten Werke befinden sich in Baku, Grosny, Armawir und Tuapse. In Krasnodar, Baku und Tislis hat sich der Werkzeugmaschinenbau entwickelt. In Baku und Astrachan befinden sich Werften. Die Rüstungsindustrie war in Kaukasten von geringer Bedeutung.
Die Textilindustrie hat ihre Schwerpunkte in Baku, wo die Baumwollindustrie ihr Zentrum hat, und in Georgien, wo die Wollindustrie durch die Schafzucht dienö- tigen Rohstoffe vorfindet. Die Seidenindustrie hat ihre Schwerpunkte in Aserbeidschan und in Georgien. Chemische Werke find u. a. bei Eriwan. Kirowabad und Baku. Die Werke produzieren Ammoniak, Stickstoff, Karbid und Soda sowie synthetischen Kautschuk. Daneben gibt es mehrere kleine Schweselsäurewerke. Die Energieerzeugung war in Kaukasten verhältnismäßig gut entwickelt. Die Kraftquellen waren Erdöl, Wasser und in einem Falle Kohle. Die nordkaukasischen Kraftwerke arbeiten mit Oelfeuerung, desgleichen die Aserbeidschans. Nur ein großes Wasserkraftwerk befindet sich in Aserbeidschan, während in Georgien und Armenien kein Erdölkraftwerk vorhanden ist. Hier sind alle Werke auf Wasserkraft aufgebaut, das Werk von Tkwart- scheli ist das einzige Lohlekraftwerk Kaukastens. Besonder« Bedeutüng hatte dre bei Noworossijsk befindliche Zementindustrie, die 30 v. H. der gesamten Zementerzeugung der UdSSR erzeugte.
Neben diesen Industriezweigen hatten die Verbrauchsgüterindustrien und die Nahrungsmittelindustrien groß« Bedeutung, die in ganz Kaukasten vertreten waren.
Heinz Eberl«.
Banöiien, nicht Goidalsn
Töten, nur töten war das Ziel! '
DNB. In der Bekanntmachung des Oberkommandos der Wehrmacht vom 7. Oktober, in der die erste Mitteilung über die schändliche Behandlung deutscher Kriegsgefangener durch die Engländre gemacht wurde, erklärte das OKW, daß es sich gezwungen sehe, unter anderem anzuordnen, daß „in Zukunft sämtliche Terror- und Sabotagetrupps der Briten und ihrer Helfershelfer, die sich nicht wie Soldaten, sondern wie Banditen benehmen, von den deutschen Truppen auch als solche behandelt und, wo sie auch auftrÄen, rücksichtslos im Kamps niedergemacht werden".
Kein Wort in dieser schweren Anklage, die hier gegen die englischen Methoden der Kriegführung erhoben wurde, war zu hart oder stellte auch nur die Vorgänge, die sich tatsächlich abgespielt hatten, übertrieben dar. Wje wenn es eines Beleges für die Notwendigkeit einer solchen Anordnung bedurft hätte, bot die amerikanische Zeitschrift „Liberty" in ihrer Ausgabe vom 19. September 1912, also vor Herausgabe der deutschen Anordnung, einen unüberbietbaren Beweis für das unglaubliche Banditentum, das planmäßig von der britischen Kriegsführung gepflegt wird. Ein schreckenerregendes Bild versuchte die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich zu ziehen: Eine Faust umspannt den Kopf eines deutschen Soldaten, und ein Messer ist bereit, die Kehle zu durchschneiden. Es wird von einem englischen Uniformierten geführt, dessen Kopf hinter dem deutschen Soldaten auftaucht, mit grausigem, brutalem Gesicht. Und genau dies wurde in dem Bericht beschrieben, den ein Teilnehmer an einer der sogen. „Kommando-Unternehmungen" erstattete, das in einer Januarnacht 1911 auf eine weit vorgeschobene Insel in den Lofoten nahe der Grenze des Polarkreises ausgeführt wurde. Diese Unternehmungen möchten die Engländer so gern als Heldentaten ausgeben, es sind aber doch nur feige Ueber- fälle in dunkler Nacht. Der Mann berichtete: „Meine Aufgabe war, drei Mann zu töten und dann die Lelephonzentrale zu übernehmen und später zu zerstören". Wie löste er die Aufgabe? Den Wachtposten, „den ich erledigen sollte" (dies ist die Ansdrucksweise in einer öffentlich verbreiteten Zeitschrift), hatte er gelernt so zu tüten: Von hinten an ihn herantreten, mit der linken Hand seinen Mund zuhalten und mit der rechten Hand seinen Hals mit einem Messer durchschneiden. Das war gelehrt und gelernt worden. Die Ausführung beschreibt der Mann entsprechend: Schweigend habe er sein Opfer einige Zeit beobachtet, schweigend habe er sich erhoben, der Boden sei fest gewesen, „das erleichterte die Sache". Dann wörtlich: „Ich hatte dieses Töten an einem starken Mann und mit einer imitierten „Fanny" (Name für das Messer) oft geübt. Ich war neugierig, ob es in Wirklichkeit auch so gut ginge. Und es ging so gut". Die Brutalität und zynische Skrupellosigkeit der Tat mischt sich hier mit der grenzenlosen Schamlosigkeit der Darstellung) die aber offenbar keine Rücksicht, auf Moral im Leserkreis zu nehmen brauchte.
Es handelt sich nicht um ein individuelles Verbrechen, es handelte sich vielmehr um die Anwendung dessen, was Höhere Stellen der englischen Kriegführung ersonnen und wohldurchdacht hatten. „Das Kommandotraining", so unterrichtet der Engländer die nun aufgepeitschten amerikanischen Leser, „lehrt eenen, nach Sekunden zu arbeiten". Ganz genau war alles erngeübt, zeitlich und in jedem Handgriff, wie die ganze Ausrüstung auf solche Banditenstreiche zugeschnitten war, die Gummisohlen, die geschwärzten Gesichter, die Kleidung, die Messer und anderes. Bei einem Mord blieb es nicht. „Ich machte meinen Posten vor dem Rathaus ohne Schwierigkeiten ausfindig und meine „Fanny" fand wiederum gute Verwendung. Ich hatte diese Nacht innerhalb 15 Minuten; weima lg e- rölet. Ich halte mich für keinen unlievenswürdigen Menschen, aber ich muß gestehen, daß ich keinerlei Gewissensbisse empfand, als ich hinter diese beiden Hunnen schlich, wie ein Dieb in der Nacht und ihnen fast die Köpfe abschnitt." Dann mußte noch ein Offizier in der Telephonzentrale überwältigt werden. Er sei völlig überrascht gewesen und „blieb mit einem leeren Ausdruck im Gesicht sitzen, nicht einmal eine Bewegung machte er, um seine Pistole zu ergreifen oder an die Schalttafel zu gelangen". Dennoch wurde auch er getötet: „Ich packte ihn ganz einfach und gab ihm etwas von der Medizin. Unser deutsch sprechender Mann übernahm die Telefonleitung. Ich rollte den Offizier in eine Ecke, setzte mich und rauchte eine Zigarette."
Kann ein Zynismus dieser Art überhaupt noch überboten werden? Sind Menschen dieses Typs noch als Soldaten zu bezeichnen? Es wäre eine Schändung dieses Begriffes, wollte man „Diebe in der Nacht", wie sie sich selber nennen, ehrenhaft kämpfenden Truppen zuzählen. Es sind Banditen, und sie verdienen nichts anderes als das, was ihnen angedroht wurde: Wo sie auch auftreten, werden sie rücksichtslos im Kampfe niebergemacht werden.
Neues aus aller Welt
Der Sohn in der Wochenschau. Die Bäuerin Erhard von Kinsau haite die große und unerwartete Freude, ihren jüngsten Sohn Max. der zurzeit als Gebirgsjäger im Kaukasus kämpft, in der Deutschen Wochenschau gesund und froh wiederzusehen. Nicht weniger als fünf Söhne der wackeren Frau stehen gegenwärtig unter den Waffen.
** Katze und Igel. Bei einem Bauern in der Nähe von Rotthalmünster (Bayern) haben die Hauskatze und ein Igel große Freundschaft geschlossen. Nicht nur, daß beide gemeinsam auf die Mäusejagd gehen, haben sie auch ein Lager zusammen und fressen aus einer Schüssel gemeinsam ihr Futter.
** Unberhofftes Wiedersehen in der Heimat. Fünf Söhne der verstorbenen Gastwirtseyeleute Stümpfl in Scbivandorf befinden sich bei der Wehrmacht und kämpften an der Ostfront. Nun kamen dieser Tage alle in ihre Heimat in Urlaub. ohne daß einer vom anderen es wußte. Die sämtlichen Brüder stnd mit Auszeichnungen für ihre Tapferkeit belohnt worden. Das unverhoffte Wiedersehen hat hei den Brüdern, die innerhalb weniger Tage alle bet der Schwester eintrafen, große Freude ausgelöst. »
** Der tödliche Mast. Im Trierer Hauptbabnüof ereignete sich ein eigenartiger Ünglücksfall. Der Rangieraufseher Michel Lorig hatte sich an den Mast einer Lichtleitung angelehnt, wodurch vermutlich infolge eines Defektes der Strom durch seinen Körper geleitet wurde. Wiederbele- HMgsversuche blieben erfolglos. i
** Betrunken, nicht überfallen. Die Staatliche Kriminal- Poltzeistelle Trier teilt zu dem Unfall, bei dem einem Llfäh- risien Mädchen aus Trier der rechte Fuß abgequetfcht wurde, mit: „Der angebliche Usberfall war vorgetäuscht. Infolge starker Trunkenheit ist das Mädchen auf den Bahnkörper gelangt und in bewußtlosem Zustande von einer Lokomotive erfaßt worden." Das Mädchen hatte behauptet in der Nachi in der Johannisstraße von zwei Männern überfallen und mit einem Auto weggeschleppt worden zu sein. Inzwischen fei es bewußtlos geworben und habe sich ans dem Bahnkörper wisdergefunden.
** Gewehrkugel durchwandert den Körper. Der Schwerkriegsbeschädigte Hermann Spohr von Mettmann war be- rerts im September 1914 verwundet worden. Mit einem Hals-, Schulter- und Lungensteckschnß wurde er dem Lazarett zugeführt. Die Kugel konnte aber nicht entfernt werden. Seit 27 Jahren litt der Schwerbeschädigte darunter, da die Kugel den Körper durchwanderte. Zuletzt war es der linke Arm, der Beschwerden machte, so daß er einen Verbaut tragen mutzte. Wer beschreibt sein Erstaunen, als er ietzi beim Lösen des Verbandes in diesem di« französische Gewehrkugel vorfand. Die Natur selbst hatte die beste Ope- ration dnrchgeführt.
Roman von Hugo M. Kritz
OopxriAkk dzk Verlag Knorr L Hirih. Kommanditgesellschaft. München 1941
53. Fortsetzung
Bartosch zuckte die Achseln und fiel wieder in grübelndes Schweigen. Es gab gewiß Mittel und Wege, Warduhne kleinzukriegen. Allein Gewalt wollte der Obersthofmeister nicht gelten lassen, er ahnte vage, daß Warduhne sich nicht wie eine kleine Gesellschaftsdame aus Böhmen sang- und klanglos abführen lassen, sondern, weiß Gott, Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde. Dieser Weg. das erkannte auch Bartosch, würde nur zu Lärm und Skandal führen, denn Warduhne besaß einflußreiche Freunde und ungemein viel Geld, Dinge, die in der Monarchie nicht leichter wogen als irgendwo sonst in der Welt. Gewalt also kam nicht in Betracht, jedoch gab es noch andere Wege, um Warduhne das Diadem zu entreißen. Man konnte ihm dieses Mädchen als Gegengabe anbieten. Zuerst freilich müßte sie schwer belastet werden, und dann, an der Pforte des Kerkers gewissermaßen, sollte Warduhne entscheiden: so oder so. Galt sie ihm nichts und ließ er sie fallen, dann hatte Bartosch bereits eine gänzlich andere Methode in Vorbereitung. Dann nämlich würde er sie plötzlich als Martina Jsenflamm anerkennen, sofort freilassen und auf Grund ihrer eigenen Aussage, Warduhne hätte das Diadem im Hotel Sacher an sich genommen, bei der Staatsanwaltschaft einen ordnungs- bemaßen Haftbefehl gegen ihn erwirken. Mit diesem Haft- Mehl in der Hand würde Exzellenz Bartosch alsdann Herrn Warduhne einen Besuch abstatten, und wollte dieser sich auch dann noch weigern, das Diadem herauszugeben, so würde öer Haftbefehl in Kraft treten, der reguläre Rechtsweg oeschritten werden, und dann war Warduhne verloren...
Bartosch betastete sein kleines, znrückweichendes Kinn und fühlte sich befriedigt über die Fülle kluger Gedanken, me ihm von allen Seiten zuflogen wie Vogelscharen.
Indem hielt der Wagen plötzlich und Bartosch stieg aus. - nach Martinas Köfferchen, stellte es neben sich auf den Boden und reichte ihr, in einer wunderlichen Anwandlung von Courtoisie, die Hand, um ihr beim Aus- sieigen zu helfen. Martina jedoch übersah seine Geste, raffte ihre langen Röcke hoch und sprang leichtfüßig auf die Erde.
Sie blickte um sich und gewahrte einen weiten, kahlen Dos, der von einer einzigen trüben Gaslaterne spärlich erleuchtet wurde. Niedrige Gebäude zogen sich am Rande
des glatten Platzes dahin, aus einigen Fenstern kam gelbes Licht, irgendwo sang eine dünne Frauenstimme: „Mei Muaterl woar a Weanerin..." Dahinter hohe Bäume, in der Ferne, nachtverhangen, dunkle Hügel. Und ringsum Stille, keine klingelnden Trambahnen, kein Geklapper von Hufen, die große Stadt war fern, dort, wo der Himmel hell schimmerte.
Martina hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Ein Gefängnis schien es nicht zu sein, auch keine Kaserne, obwohl der weite Hof einem Exerzierplatz glich. Vielleicht eine ausgelassene Kaserne, dachte sie, und griff nach ihrem Köfferchen. „Wo sind wir hier?" fragte sie und wandte Bartosch halb den Kopf zu.
„Im Fegefeuer", antwortete er und kicherte aufgeräumt, denn seine gute Laune nahm überhand, und er schien nicht abgeneigt, mit Martina ein wenig zu scherzen.
Martina jedoch schritt mit geringschätzig herabgezogenen Mundwinkeln neben ihm her, und erfühlte den kalten Haß, der wie ein Funke auf ihn übersprang. Das machte ihm aber nichts, er war es gewöhnt, Haß zu ernten, und es konnte seine Jovialität nicht dämpfen.
Er führte Martina durch menschenleere, von flackernden Petroleumlampen erleuchtete Gänge und öffnete endlich eine Tür. „Bitte", sagte er mit chevaleresker Geste und ließ sie in das finstere Zimmer eintreten. „Ich werde sofort Licht machen." Er-zündete ein Streichholz an, stieg auf einen Stuhl, drehte den Gashahn an und hielt das Streichholz über den halbverfallenen Glühstrumpf, der, ein paarmal auffiackernd, endlich in Glut geriet. Bartosch stieg vom Stuhl und blies das Streichholz aus. „Haben Sie noch Wünsche?" fragte er und sah Martina mit seinen gelben Augen an, „es soll Ihnen an nichts fehlen."
„Danke", versetzte sie, während sie die Schützer von den Spitzen ihrer Hutnadeln zog, „ich habe keine Wünsche außer dem einen, allein gelassen zu werden."
Bartosch zog die Brauen hoch, blickte erheitert in das Innere seines Zylinders, dann sagte er, sich zur Tür wendend: „Wie Sie wünschen. Wenn Sie etwas brauchen, bitte zu klingeln." Er verbeugte sich, indem er den Hut schwenkte und einen übermütigen kleinen Kratzfuß machte.
Und plötzlich sagte eine Stimme, die merkwürdig verändert und hohl klang, wie etwa die Stimme eines Bauchredners, sehr leise, aber mit großer Deutlichkeit: „Angenehme Ruhe. Fräulein Jsenflamm!" Martina fuhr wie rasend herum.
In Bartoschs Pergamentgesicht stasiden hundert kleine Runzeln, und sein zackiges Gebiß klaffte auf. Im Augenblick darauf war er verschwunden, und Martin- hörte, wie . außen ein Schlüssel umgedreht und abgezogen wurde.
Sie starrte ihm mit offenem Munde nach. Diesmal war sie absolut sicher, nicht falsch gehört zu haben: Fräulein Jsenflamm! Zum Kuckuck, trieb die schwarze Exzellenz einen Schabernack mit ihr? Und wiederum war kein Zeuge dagewesen, wiederum würde er anderntags alles mit kalter Stirn ableugnen...
Martina, indem sie ihm nachstarrte, ballte die Fäuste und stampfte mit dem Fuße auf. Wenn er schon mit ihr spielte wie die Katze mit der Maus, warum hielt er dann nicht zumindest seinen unseligen Mund? Wozu konnte es ihm dienen, sie obendrein auch noch zu verhöhnen? Oder war es gar nicht Bartosch, der gesprochen hatte, sondern der Teufel in ihm, der Args, der ihr seine hämische Freude zuraunte...?
Martina schüttelte sich und riß ein Stück Tapete, das von der Wand hing, vollends herunter. Es war eine verblaßte, schmutziggelbe Tapete, . mir einfältigen Blumenkörbchen bedruckt und an vielen Stellen abgeblättert.
Martina, wütend über Bartoschs Verhalten, begann iin Zimmer auf und nieder zu gehen. Es war ein Zimmer, das etwa dem eines zweitrangigen Dorfgasthofs glich. Eine niedrige weißgetünchte Decke, breite, schlechtgehobelte und ungestrichene Holzdielen, ein plump gezimmertes Bett mit einer hochgewölbten blaukarierten Tuchent, daneben ein Nachtkästchen mit einer Wasserkaraffe und darübergestülptem Trinkglas, ein Blechwaschtisch, ein Bild des Kaisers überm Bett und ein wackliger Lisch in der Mitte mit zwei Stühlen. In der Ecke stand ein verstaubter dunkelgrüner Kachelofen. Auf dem Tisch, wie im Wartezimmer eines Zahnarztes, lagen ein paar Bände von Kronprinz Rudolfs Werk „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild", zerschlissene Überbleibsel des „Wiener Journals" vom 25. Dezember 1899 sowie eine unaufgeschnittene gelbe Broschüre mit dem Titel „Das neue Tarifrecht, kommentiert, erläutert und mit Hinweisen versehen von Ingenieur Christian Behounek, Oberrechnungsrat i. R." Auf der Rückseite dieser Broschüre jedoch, schräg in die Ecke mit Bleistift geschrieben, standen, halboerwischt, ein paar Worte. Martina entzifferte sie unter der trübseligen Lampe und erkannt? einen Spruch Dantes:
Nsssuo maMior ckolois
6ks rieorcksrsi clsl tsmpo keiieo
Hssis. missriet —
Die Schrift war klein und zittrig, die Buchstaben etwas fremdländisch geschwungen: „Kein größerer Schmerz, als sich erinnern glücklich heiterer Zeiten im Unglück."
Forttekuna kalntt