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Horn. Alsdann wurde die „St. Gallen" nach Romanshorn gebracht.
München 21. Juni. Ein gräßlicher Unglückrfall ereignete sich gestern Mittag in der Kellerstraße. Infolge eines Ohnmachtsanfalles fiel der Taglöhner Wintermeier zu Boden und kam mit dem Kopf unter die Straßenwalze. Er wurde bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht.
Straßburg i. E. 20. Juni. Gestern wurde hier ein schwaches Erdbeben verspürt, das von einem dumpfen unterirdischen Rollen begleitet war. Die Instrumente der hiesigen Erdbebenstation waren eine Minute lang in Bewegung.
Berlin 20. Juni. Wie verlautet, besteht in kolonialen Kreisen die Abficht, in der nächsten Zeit Studienfahrten nach den deutschen Kolonien zu veranstalten. An diesen Studienreisen sollen Personen aus der Handels- und Gelehrtenwelt, sowie auch einige Politiker teilnehmen. Zunächst find die weniger bekannten afrikanischen Schutzgebiete Togo und Kamerun ausersehen. Ueber den Zeitpunkt der ersten Studienfahrt, an der sich übrigens Interessenten aus dem ganzen Reiche beteiligen werden, ist noch nichts Genaues bekannt.
Stettin 20. Juni. Die Untersuchung in der Stettiner Skandal-Affäre, die zur Entdeckung zahlreicher Verfehlungen gegen § 175 in höheren Beamtenkreisen geführt hat, geht nur langsam vorwärts, da eine große Menge von Belastungsmaterial zu prüfen ist. Nach der Verhaftung des Landrats Göde ist einem Hauptmann a. D., der im Vororte Finkenwalde wohnt, der Boden zu heiß geworden und er hat dieser Tage ein Sanatorium ausgesucht. In der weiteren Untersuchung werden übrigens ein Sana- torium und die Vorgänge in einem damit verbundenen Licht- und Luftbad eine nicht unwesentliche Rolle spielen, ebenso zwei Häuser, die nach Stettin zu gelegen find.
Posen 20. Juni. In dem Dorfe La- bowitz hat sich ein blutiger Sensenkampf abgespielt. Zwei Arbeiter waren aus gering, filziger Ursache in Streit geraten und gingen mit Sensen auf einander los. Sie brachten sich furchtbare Verletzungen bei. Einer blieb tot auf dem Kampfplatz. Sein Gegner hatte ihm die linke Seite der Kopfhaut herunter geschlagen. Die Sense war dann zum Schlüsselbein durch, gedrungen» hatte das linke Schulterblatt losgelöst und das Fleisch von der linken Körperseite bis auf die Hüfte abgetrennt.
Karlshorst 21. Juni. Hier ist ein großer Waldbrand ausgebrochen. Der Feuerwehr ist es trotz der größten Anstrengungen bisher nicht gelungen, den Brand zu bewältigen, der noch immer weitere Ausbreitung nimmt, da der Wald sehr trocken ist und ein starker Sturm herrscht.
Innsbruck 20. Juni. Zwischen den freiheitlichen Studenten und Professor Wahrmund ist ein Zwist ausgebrochen, weil Wahrmund seiner Zeit versicherte, unbedingt in Innsbruck zu bleiben und nun doch die Berufung nach Prag angenommen hat. Die Studenten setzten Wahrmund scharf zu, so daß dieser gestern erregt die Versammlung des Studenten-Aurschufles verließ.
Pari» 20. Juni. Im weiteren Verlauf der gestrigen Kammerfitzung über Marokko wurde schließlich eine Tagesordnung, in welcher Jaures die Regierung auffordert, der Marokko- Expedition ein Ende zu Machen, mit 412 gegen 379 Stimmen verworfen. Die Tagesordnung Gervais, in welcher der Regierung das Vertrauen ausgesprochen wird, ohne Einmischung in die inneren Angelegenheiten Marokkos und in Ueberein- stimmung mit der Algcciras-Akte die Rechte und Würde Frankreich« in Marokko zu wahren, wurde mit 343 gegen 126 Stimmen angenommen.
Paris 20. Juni. Der „Eclair" meldet aus London: Ein Telegramm aus Port Viktoria berichtet, daß ein englischer Dampfer gestern gegenüber Mortgate Schiffbruch erlitt. Der Dampfer „Gexte" ist zu Hilfe abgegangen. Personen find nicht verletzt. Der Dampfer gilt als verloren.
Paris 20. Juni. Aur Potor in Mauretanien erfährt der „Tempi", daß abermals zwei französische Abteilungen durch Ueberfälle von Eingeborenen schwere Verluste erlitten. Ein Offizier-Stellvertreter, zwei Zugführer und ein Dolmetscher wurden bei der 1. Abteilung gelötet.
Brüssel 21. Juni. Die hiesige Polizei- behörde hat aus Petersburg ein längeres Tele- gramm erhalten, worin mitgeteilt wird, daß ein Diamanten-Diebstahl in Höhe von einer halben Million Franks in einem großen Juwelen. Geschäft des Newski-Prospektes begangen wurde. Man vermutet, daß die Diebe ihre Beute nach Belgien gesandt haben, um die Diamanten auf dem Antwerpener Markt zu verkaufen.
Rotterdam 20. Juni. Depeschen au« Indien melden, daß die aufständische Bewegung an der Westküste von Sumatra von der mohammedanischen Geistlichkeit geschürt wird. Die Telegraphenverbindung wurde in Njur Mantjur durchschnitten. Bei Fort Dekok wurde ein Haupt- mann und ein Leutnant verwundet. Der Bezirk Batipu verharrt im Aufstand. Die dortige Bevölkerung bedroht zwei Orte. Es wurde ein Bataillon nach Cadang, dem Zentrum der Be- wegung entsandt. Ein Nachtangriff der Ginge- borenen von Kajutanam wurde ohne Verluste auf holländischer Sette zurückgewiesen. Von den Eingeborenen wurde hierbei 6 getötet, einer verwundet.
Mailand 20. Juni. Der Agrar- ausstand in der Provinz Parma hat neuerdings einen sehr ernsten Charakter angenommen. Gestern
wurden 700 fremde Arbeiter erwartet. Die Ausständigen hatten jedoch beschlossen, ihren Einzug in die Stadt zu verhindern. Infanterie- und Kavallerie-Abteilungen mußten aufgeboten werden. 500 Frauen besetzten den Ausgang de» Bahnhofe» um den Arbeitswilligen den Austritt au« dem Bahnhofe zu verhindern. Als diese ankamen, stellten sich die Frauen ihnen in den Weg. Die Kavallerie mußte eine Attacke reiten, um die Ausständigen zu vertreiben. Die Unruhen dauerten bi» in die späten Abendstunden. Viele Arbeiter, sowohl Ausständige wie Freiwillige wurden verletzt. In einer in der Arbettsbörse abgehaltenen Versammlung wurde der allgemeine Ausstand proklamiert. Truppenverstärkungen treffen ständig ein. 30 Verhaftungen wurden vorgenommen. Die Be- Hörden haben Maßregeln getroffen, um die Be- leuchtung der Stadt und ihre Versorgung mit Brot zu sichern.
Parma 20. Juni. Infolge des Beschlusses der Arbeitskammer hat heute der Generalstreik sämtlicher Arbeiter-Kategorien, insbesondere in den industriellen Betrieben begonnen. Da Unruhen befürchtet werden, wurde die Stadt militärisch besetzt. Durch die Straßen ziehm Kavallerie-Patrouillen.
Madrid 21. Juni. Die heutigen Blätter, namentlich die Korrespondencia militare melden, der Minister des Auswärtigen habe dm Ministerpräsidenten darüber verständigt, daß alle in Marokko beteiligten Mächte je ein Kriegsschiff nach den marokkanischen Gewässern entsenden mit Rücksicht auf die Ereignisse, die namentlich in Tanger zu erwarten seien. Der Grund dieser Schiffsentsendung sei einfach der, das Leben und Eigentum der Europäer in den Küstenstädten zu schützen. Die Regierung hat den spanischen Schiffen in den marokkanischen Gewässern die Weisung gegeben, in den Kampf zwischen den beiden Sultanen in keiner Weise einzugreifen. Wenn aber irgend eine Behörde des Maghzen ihre Hilfe anrufe, um die Autorität der Maghzen zur Geltung zu bringen, aber auch nur in diesem Falle, würde die Unterstützung durch europäische Schiffe dieser Behörde gewährt werden.
Voraussichtliche Witterung:
Zunächst noch wechselnde Bewölkung, warm, Neigung zu Gewitterbildung, dann vorübergehend Trübung, Niederschläge, kühler.
Reklameteil.
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Jean bezahlte und entfernte sich. Er meinte nun mit Gewißheit annehmen zu müssen, daß Noiseul, von dem Kommerzienrat kurz und schroff abgewtesen, bei der leicht' einzuschüchternden, furchtsamen Frau willigeres Gehör gefunden habe. Es kam jetzt darauf an, der Sache weiter nachzuspüren. Zu diesem Zwecke suchte Huber, einen glaubwürdigen Vorwand bereithaltend, den Franzosen in dessen Wohnung auf, jedoch mehrmals ohne ihn daheim zu treffen. Einst zu später Nachmittagsstunde gelang es ihm doch, den Gesuchten noch vorzufinden.
„Eine angenehme Ueberraschung!" rief der Baron mit seiner ge- wöhnlichen Liebenswürdigkeit. „Bitte, Platz zu nehmen."
„Ich wollte um eine Auskunft ersuchen, aber wenn ich nicht irre, hatten Sie eben die Absicht, fortzugehen."
„O, es eilt ganz und gar nicht! Ich freue mich aufrichtig, den Sohn meines unvergeßlichen Freundes wieder bei mir zu sehen."
Er öffnete ein Wandschränkchen und entnahm diesem Likör und Zi- garren. Bald war ein Gespräch im Gange, welches Huber so unauffällig als möglich auf jene Dinge zu lenken sich bemühte, die ihn lebhaft in- teresfierten.
Noiseul entschlüpfte jedoch aalglatt allen Versuchen, nach dieser Richtung hin, etwa» zu erforschen. Es war gerade, als habe er sich für jede mögliche Frage die Antwort zurecht gelegt. Nichts brachte ihn in Verlegenheit, nichts überraschte ihn; selbst Jean» ziemlich plump hingeworfene Aeußerung nicht: „Sie machten seit Monaten die nähere Bekanntschaft meiner Tante Katharina?"
„Ja, die Frau Kommerzienrätin hat jetzt, da ihre jüngere Tochter sich bald vermählen wird, häufig mit Madame Francois zu konferieren. Es wurde mir mithin schon wiederholt die Ehre zuteil, Ihrer Frau Tante dort zu begegnen, weil ich viel bei meiner Landsmännin verkehre."
„So?"
„Unter uns gesagt," der Baron lachte leise und flüsterte hinter der vorgehaltenen Hand, „ich fange an, des Junggesellenstandes überdrüssig zu werden. Llcm visu, man hat das Leben voll genossen und sehnt sich nach der Ruhe eines verhätschelten Ehemannes. Madeleine ist nicht mehr die Jüngste, aber auf Jugend kann ich ja leider auch keinen Anspruch erheben. Ein junge», schönes Weibchen würde mir nur Sorge machen. Die gute Francois kenne ich seit langen Jahren und weiß, daß sie schätzenswerte Eigenschaften besitzt. Ich denke, sie soll sich in Paris, Brüssel, London oder sonstwo etablieren. Ersparnisse hat sie ja gemacht, und ich bin ebenfalls nicht mittellos. Mein Name dürfte ihr bei einem solchen Unternehmen übrigens auch zu statten kommen."
„Sie geben also Ihre Absicht, hier zu bleiben, auf?"
Ich rede einstweilen nur von Plänen, Herr Huber, deren Verwirklichung noch in weitem Felde steht."
„Ich kann mir ja auch lebhaft denken, daß Sie sich hier entsetzlich langweilen, ich tue es ebenfalls."
„Erwähnten Sie nicht vorhin einer Auskunft, die ich Ihnen geben sollte?"
„Ganz recht!" Huber öffnete seine Brieftasche.
„Wären Eie vielleicht in der Lage, mir Mitteilung über die Pariser Firma zu machen?"
Er suchte in mehreren Fächern, die Geld und Banknoten enthielten — eine größere Summe, welche ihm der Kommerzienrat übergeben hatte, und die vor Postschluß noch eingezahlt werden sollte — und zog endlich einen Zettel hervor.
„Chert Duvonoi« — hm. hm, ja — habe schon davon gehört, müßte aber doch erst nähere Erkundigungen einziehen," sagte Noiseul, während sein Blick verstohlen und gierig den Inhalt der Brieftasche musterte. „Wenn Ihnen daran liegt, schreibe ich an einen Freund, der mir umgehend antworten wird." (Forts, folgt.)