Donnerstag den S. Oktober 1941
Der Enztäler
99. Jahrgang Nr. 237
„Mein lieber Freund Stalin!"
Ein« Botschaft Roosevelts.
Berlin, 8. Okt. Aus bester Quelle wird der Wortlaut einer Botschaft Roosevelts an Stalin bekannt, die durch den Leiter der USA-Delegation auf der Moskauer Konferenz Harriman überreicht wurde. Sie lautet:
„Mein lieber Freund Stalin! Dieser Brief wird Ihnen durch meinen Freund Harriman überreicht werden, den ich beauftragt habe, der Leiter unserer Moskauer Delegation )u sein. Herr Harriman ist ein guter Kenner Ihrer Probleme und wird, das weiß ich. alles tun, was er kann, um die Verhandlungen in Moskau zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Harry Hopkins berichtete in langen Ausführungen über seine erfolgreichen und befriedigenden Besuche beim Außenministerium. Ich kann Ihnen nicht lagen, wie tief wir alle beeindruckt sind von den Leistungen der tapferen sowjetischen Armeen. Wir werden geeignete Wege finden, das Material und die Ausrüstung zu beschaffen, die erforderlich sind, um Hitler an allen Fronten zu bekämpfen, einschließlich der Sowjetfront. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, um mein großes Vertrauen darüber zum Ausdruck zu bringen, daß Ihre Armeen zum Schluß über Hitler siegen werden, und versichere Sie der größten Entschlossenheit, den erforderlichen materiellen Beistand zu leisten. Ihr in Freundschaft ergebener
Franklin D. Roosevelt"
Dieser Brief Roosevelts an seinen „lieben Freund Stalin", vor allem die Schlußwendung, daß er den bolschewistischen Armeen den Sieg wünscht, ist ein neuer Beweis für die Skrupellosigkeit und den Zynismus, mit dem der Präsident entschlossen ist, ganz Europa dem Bolschewismus zu überlassen.
falsche GerüKte um die Türket
DNB. Berlin, 8. Okt. In den letzten Tagen haben Presse- und Radiomeldungen verschiedener fremder Quellen zu wiederholten Malen und in verschiedensten Variationen versucht den Eindruck zu erwecken, als ob das Deutsche Reich durch Forderungen und Pressionen sowie Truppenaufmärsche in Bulgarien im Begriff stände, die Türkei anzugreifen.
Die türkische und die deutsche Regierung, welche ln keinem Augenblick diesen tendenziösen Gerüchten auch nur die geringste Bedeutung beigemessen haben, sind trotzdem übereingekommen, festzustellen, daß solche jeglicher Begrün- düng entbehrenden Veröffentlichungen in gar keiner Weise geeignet sind, die Beziehungen der vertrauensvollen Freundschaft zu stören, welche die beiden Länder durch ihr Uebereinkommen vom IS. Juni bestätigt haben.
Tragödie spanischer Krnder
3000 junge Spanier zum Sowjekdienst gepreßt.
Madrid, 8. Okt. Der Chef des diplomatischen Kabinetts des Außenministeriums, Kimenez de Sandoval, empfing die Vertreter der nationalen und der ausländischen Presse, um folgenden Bericht zu geben: Auf Grund der Verhandlungen zwischen der finnischen Regierung und dem spanischen Geschäftsträger in Helsinki wurden die von den finnischen Truppen gefangengenommenen spanischen Jungen aus dem Gefangenenlager in die Hauptstadt Helsinki übergeführt. Bei der Vernehmung durch den spanischen Geschäftsträger gaben sie an, daß an der karelischen Front bei Petroskoi insgesamt 70 spanische Jungen eingesetzt worden seien, von denen die meisten gefallen seien. Man schätzt die Zahl der in Moskau, Charkow, Odessa und Kiva befindlichen Spanier unter 17 Jahren auf 3000. Ein großer Teil von ihnen ist nach dem Ural transportiert worden. Die meisten seien in die bolschewistische Armee eingereiht worden, ohne militärische Ausbildung und Bekleidung. Es befänden sich auch spanische Mädchen in der Sowjetunion, die zum Kriegsdienst in den rückwärtigen Linien herangezogen worden sind. Diese Tatsachen recht- fertigen schon aus sich allein heraus . die Teilnahme der Blauen Division an dem Kampf gegen die Sowjetunion. Es ist eine angenehme Aufgabe des Ministeriums, so schließt der Bericht, mitteilen zu können, daß das Geschwader der Blauen Division sich glänzend bewährt und eine Reihe schwerer und ehrenhafter Aufgaben durchgeführt hat.
Steven neue Ritterkreuzträger
DNB Berlin, 8. Okt. Der Führer und Oberste Befehls- aber der Wehrmacht verlieh aus Vorschlag des Oberbesehls- abers des Leeres, Generalfeldmarschall von Brauchitsch, das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes an:
Generalleutnant von Löher, Kommandeur einer Infanteriedivision; Oberst Herr, Kommandeur einer Schützenbrigade; Oberst Schlomer, Kommandeur eines Schützen- Regiments; Oberstleutnant von Boddien, Kommandeur einer Aufklärungsabteilung; Hauptmann Kötz, Bataillonskommandeur in einem Infanterieregiment; Oberleutnant Salweh, im Stabe eines Jnfanterie-Regiments; Oberleutnant Büchner, Kompaniechef in einem Infanterie- Regiment.
Drama auf Lsland
Blutkai britischer Soldaten. — Isländer als Rächer.
Oslo, 8. Oft. Die wiederholten Berichte aus Island über die Empörung der Bevölkerung der Insel über das Benehmen der britisch-nordamerikanischen Besatzungstruppen finden jetzt ihre Ergänzung durch die Meldung über eine entsetzliche englische Greueltat auf Island. Drei Isländer, die in einem Fischerboot an der norwegischen Küste landeten, teilten mit, daß die Frauen von zweien von ihnen sowie eine fünfzehnjährige Verwandte, die sich allein auf einem einsamen Bauernhof aufhielten, von britischen Soldaten überfallen, vergewaltigt und'darauf ermordet wurden. Die drei jetzt in Norwegen gelandeten Isländer waren auf die Hilferufe der Frauen herbeigeeilt. Sie kamen jedoch zu spät und wurden von den Engländern in ein Feuergefecht verwickelt, in dessen Verlauf sie die Frauen rächten und einige Engländer erschossen. Nachdem sie sich einige. Zeit verborgen gehalten hatten, konnten sie in einem Fischerboot Norwegen erreichen.
Ehrung Mannerheims
Höchste finnische Auszeichnung überreicht.
Helsinki, 8. Oft. Der finnische Staatspräsident Ryti hielt sich mit dem Ministerpräsidenten Rangell und dem Verteidigungsminister Walden im Hauptquartier des Feldmarschalls Mannerheim auf. Bei dieser Gelegenheit verlieh der Präsident dem Feldmarschall als Erstem das Mannerheim-Kreuz 1 Klasse. In einer kurzen Ansprache hob der Präsident die Verdienste des Feldmarschalls hervor, der den in der ganzen Welt bekannten finnischen Namen trage Es sei, so detonte der Staatspräsident, kaum jemals in der Geschichte vorqekommen, daß die gleiche Persönlichkeit dreimal für die Freiheit ihres Volkes kämpfen durfte. Diese Verleihung werde vom ganzen finnischen Volk aufs herzsichste begrüßt werden.
Der Feldmarschall dankte in einer kurzen Rede für die hohe Auszeichnung und drückte u. a. aus daß nicht nur allein von der kämpfenden Truppe und ihren Führern, sondern auch vom ganzen Volke die äußerste Anstrengung verlangt werde Die zurückeroberten Teile Kareliens gäben neue Kraft und den Glauben, daß es in Zukunft den Feinden Finnlands nicht mehr gelingen wird, in Finnland ohne weitere-- einzufallen
Oer italienische Wehrmachisbericht
Rom, S. Okt. Der italienische Wehrmachtsbericht vom Mittwoch hat folgenden Wortlaut:
„Das Hauptquartier der Wehrmacht gibt bekannt: In Ikordasrika wiesen unsere Jnfanterieeinheiken im örtlichen Unternehmungen an der Front von Tobruk feind- liche Annäherungsversuche ab. Die Artillerie beschoß wirk- sam Verteidigungsstellungen bei Tobruk. Es wurde festge- steük, daß bei den Lufkkämpfen bei Sollum, die im Wehr- machtsbericht vom 6. Oktober erwähnt wurden, deutsche Jagdflugzeuge fünf anstatt, wie gemeldet, zwei feindliche Flugzeuge abgeschossen haben.
Englische Flugzeuge warfen erneut Bomben auf Tripolis, die fünf Opfer forderten. Geringe Materialschäden wurden verursacht.
Italienische Flugzeuge bombardierten in der vergange- ne« Nacht die Flughäfen von Malta; große Explosionen wurden seftgestellk.
I» vstafrika kein Ereignis von Bedeutung."
Aus Württemberg
— Stuttgart, 8. Oktober.
Ueber 4gügg Besucher in der Bernharb-Hauff-Ausstellung.
Daß der Hohenvark Killesberg ein beliebter Erüolunas- die Bevölkerung Groß-Stuttgarts geworden ist, beweist der Massenbesuch, der immer an den Sonntagen zu ^MEinen ist. Insbesondere ist es die große Ausstellung „Der soziale Wohnungsbau", die Dausende und Abertausende anzieht. Die Bernhard-Hauff-Ausstellung wurde nun bereits von über 40 000 Versonen besuLt
I»«SOjähriaes Arbeitsjubi- laum.) Die Betriebsgemeinschaft der Otto Ficker AG m einem feierlichen Betriebsappell den Arbeitskame- trat^e^en am S. Oktober 1891 in ihre Dienste
ftreudenstadt. tKind unter der Bettdecke erstickt.) Als die Eheleute Strobel aus Schonegrund (Gemeinde Röt. Kr. Freudenstadt, vom Feld .Hause kamen, wo sie ihre etwa 6 Monate alten Zwil- ^Ä^'"^7^bhrere Stunden lang allein im Bett zurückgelaffen hatten, mußten sie zu ihrem Schrecken festüellen. daß °'Nfs der Kmder, ein Knabe, tot unter der Bettdecke lag. De: alsbald herbeigerufene Arzt stellte fest, daß das Kind erstickt war.
Naturschutzgebiet Hohentwiel
Stuttgart. Der württembergische Kultminister — als hoher« Naturschutzbehörde — hat mit Zustimmung der obersten Naturschutzbehörde die Eintragung des 1.S km nordwestlich von Singen in der Gemarkung Hohentwiel der Stadtgemeinde Tuttlingen. Landkreis Tuttlingen, lie- genden Hohentwiel in das Reichsnaturschutzbuch angeordnet. Der Festungsbereich und das Wohngebiet der Domäne bleiben außerhalb des Schutzgebietes. Die Bestimmungen des Reichsnaturschutzgesetzes und der Durchführungsverordnung sowie die das Naturschutzgebiet Höhende« betreffenden besonderen Bestimmungen sind mit ihrer Veröffentlichung im Regierungsanzeiger für Württemberg vom 7. Oktober 1941 in Kraft getreten.
Der Hohentwiel ist im Gegensatz zum Hohenstoffeln vor. den Wunden der Steinindustrie bewahrt geblieben. Für die Ansicht von der Bahn Stuttgart—Singen—Zürich ist er mit seiner gewaltigen Ruine und seinen fast senkrechten Phonolithfelsen der beherrschende Berg des Hegaus überhaupt. Die Aussicht vom Hohentwiel gehört zum Großartigsten. was ein Berg außerhalb der Alpen überhaupt zu bieten vermag. Der Hohentwiel ist daher einer der be- suchtesten Einzelberge Deutschlands. Dazu kommt, daß er eilte eigenartige und reiche, zum Teil aus südlichen Ländern stammende Pflanzen, und Kleintierwelt besitzt und daß er durch Scheffels Ekkehard, durch die tapfere Vertei- digung der Festung im 30jährigen Krieg und durch den schmählichen Verrat Napoleons I. eine einzigartige geschichtliche Berühmtheit erlangt hat.
Schuhe auf Bezugsscheine 5
Neue Bestimmungen
WPD. Die Reichsstelle für Lederwirtschaft bat Änderungen in der vorgeschriebenen Abgabe von SLubwerk aus Bezugsschein 2 getroffen. Für Straßenschuhe ist eine Untergliederung des Bezugsscheins in 2a und 2b getroffen worden. Im einzelnen dürfen mit Wirkung vom 1. Oktober 1941 auf Bezugsschein 2 (2a und 2b) folgende Arten von Schuhen abgegeben werden:
Straßenschuhe mit ganzen oder geteilten Holzsohlen, soweit Ne nicht bezugsscheinfrei sind; b, auf Bezugsschein 2b: Leichte straßenschuhe mit Stoffoberteil, das auch mit Leder garniert sein kann, oder Straßenschuhe (nicht Arbeitsschuhe), deren Oberteil und Sohlen entweder kein Leder oder nur Altleder bezw. Abfallmaterialien usw. in einer bestimmten geringen Größe enthalten.
2. Hausschuhe auf einen Bezugsschein 2 für leichte Haus- und Turnschuhe: a) Hauspantoffel aller Art; b) Hausschuhe aller Art der Größen 20-39, deren Einzelhandelsverkaufspreis gestaffelt nach den Größen 1,78 bezw 2,75 Mark nicht übersteigt; c) Frarvenhausschuhe ab Größe 4g bis zu einem Verkaufspreis von 2.78 Mark: d) MännerhauS- schuhe ab Größe 40 bis zu einem Berkaufsvreis von 3.80 Mark; e) Turnschuhe und Hallenschlüpfer bis zu einem Verkaufspreis von 3,00 Mark für Männer, 2,80 Mark für Frauen, 2 Mark für Kinder.
l-'opzu-tgtit d) Karl Köhler <b Eo„ Berlm-Stzmargendors.
10, (Nachdruck verboten.,
Gleich nach seiner Ankunft in Dresden hatte also Ludwig Hochkemper einen Brief an Agelin Bruuns geschrieben. Noch immer stand er völlig unter der Einwirkung des Wiedersehens mit ihr. Er liebte sie seit seinen Knabenjahren, er litt unter der Trennung, und ihr plötzliches, von ihm nicht gewußtes Wiederaustauchen brachte ihn um allen Verstand. Trotzdem sein Vater ihn hierher nach Dresden geschickt hatte, zweifelte er keinen Augenblick daran, den Vater doch noch zu überzeugen und Agelin zu erringen. Barbara Marie hatte ihn darin bestärkt. Barbara übernahm es auch, gleich am folgenden Tage, sofort nachdem Ludwig abgereist war, mit Agelin zu sprechen. Barbara Marie war auf seiner Seite. Und er wollte mit seiner Kusine Lydia klar und vernünftig sprechen.
Aber er gewann es nicht über sich, sofort nach seiner Ankunft zu den Dresdener Hochkempers hinauszufahren und dort zu wohnen, wie es sich bei so nahen verwandtschaftlichen Beziehungen gehören sollte. Ein, zwei Tage ruhigen Nachdenkens in einem Hotel, wo niemand aus ihn achtete und er tun und lasten konnte, was er wünschte, würden ihm viel von seinem Gleichgewicht wiedergeben und ihn die richtigen Worte finden lasten für das, was er Lydia zu sagen hatte. Auch Lydia hatte «r seit langem nicht mehr gesehen. Sie war — viele Jahre schon mutterlos — durch mehrere Institute und Pensionen gegangen, mochte mancherlei gelernt haben und mittlerweile eine, junge Dame geworden sein. Sie war sogar einige Jahre älter als Barbara Marie, auch als — Agelin. Henner ließ einmal gelegentlich die Bemerkung fallen, daß sie hübsch sei. Henner sagte „ganz hübsch", ein bißchen gönnerhaft, wie manche Iungens für ihre Schwestern und Kusinen gar keine Augen zu haben scheinen, lleberhaupt: Henner. Er, der schon zwei Jahre in Dresden studierte, hätte ständiger Gast bei den Hochkempers sein muffen: man hörte nie 8»-'-.->l-meste —
Henner die Lydia nicht heiraten? Sie war zwar ein wenig älter als Henner, aber er hatte dafür ein viel überlegeneres, spöttisches Wesen; ihm konnte eine ruhigere Frau nur wohltun. Warum sollte er, Ludwig, sich gerade opfern? Weil er der Aelteste war?
Ludwig machte ein paar einsame Spaziergänge durch das von erster Frühlingssonne zauberisch überglänzte Elb-Florenz und ergötzte sich wieder in den oft geschauten, herrlichen Bauten und der unaufdringlichen, doch überall so stark beeinflussenden Kultur dieser Stadt. Flüchtig dachte er daran, unangemeldet seinen Bruder zu überfallen, doch von diesem Plan kam er schnell wieder ab. Sie hatten wenig Gemeinsames, diese Brüder. Ludwig glich dem Vater, doch ohne dessen Natur bekommen zu haben. In ihm duckte ..sich die heimliche Unterwürfigkeit der Mutter und paarte sich mit ihrer uneingestandenen Eigenheit und Abenteuerlust. Henner ähnelte äußerlich der Mutter, war nur mittelgroß und von fast schmächtigem Körperbau, aber in Ihm lebte die Riesenseele des Vaters. Dieser Sohn bekämpfte seinen Vater. Und der Vater stritt wider diesen Sohn. Wollte auch diesen zu seinem Werkzeug machen. Das gelang ebensowenig, wie Henner es sich abreden ließ, sein Vorhaben. Chemiker zu werden, aufzugben. Als Theodor Emanuel seinem Sohne hinwarf, er gebe einfach kein Geld her zum Studieren, stampfte Henner mit dem Fuß auf und erklärte, dann werde er es aus eigener Kraft tun. Und der jüngste Hvchkemper hielt Wort, wurde Werkstudent und hielt es ein Jahr durch. Dann brach fein schmächtiger Körper unter der Doppellast, körperliche Arbeit und intensivstes geistiges Studium, Versuche und anderes, einfach zusammen. Daran erinnerte sich Henner noch heute zornerfüllt und mit zu- sammengebissenen Zähnen. Aber die Mutter schritt ein. Sie, die kleine, unterdrückte Person, stellte einen Teil ihres sehr umfangreichen Privatvermögens zur Verfügung. Davon wußte Hochkemper senior noch heute nichts. Erfuhr er es jemals, so würde ihn der Schlag ganz gewiß treffen. Solches will ein anständiger Sohn auch nicht im erbittertsten Kampfe um feine Ideale und Ideen auf dem Gewissen haben, Henner würde schweigen. Und außer Barbara Marie wußte es niemand. Auch Ludwig nicht. Nur zwischen ihm, dem Schwächeren, letzten Endes doch immer wieder Willfährigen, den Plänen und Schachzügen des Vaters Ergebenen, und Henner, dem Drauslosstürmenden, Vorwärtsrasenden, kein Einhalten, keine Ruhe, kein Bescheiden Kennenden war seit seher eine tiefe Kluft aufgetan, keine Feindschaft, beil-'d? nur. es fehlte das Zueinanderfinden. das
Eingehen, das Verständnis für die Natur des andern. Darum auch blieb Ludwig in Dresden der selbst geschaffenen Einsamkeit seines Bruders fern und suchte mit sich allein fertig zu werden, obwohl er spürte, daß der Bruder vielleicht einen Ausweg gewußt hätte, Henner, der um soviel lebensgewandter, erfahrener, überlegener war. Aber Ludwig mochte gerade diese Ueberlegenheit fürchten. Doch je mehr die Stunden seines Alleinseins, und damit seines Nachdenkens und Grübelns, sich häuften zu einer runden Summe, desto niedergeschlagener wurde sein Gemüt. Welch eine Kraft würde dazu notwendig sein, sich wider den Vater zu erbeben und gegen seine Beschlüste sich aufzulehnen!
Seit zwei Tagen wohnte er in dem großen und internationalen Hotel, in dem der einfach hingeschriebene Name eines Hoch-, kemper ohne Rang und Titel oder andere Ergänzungen nichts bedeutete. Aber am zweiten Tage begann er damit, den Portier nach Post auszufragen. Da nur Barbara Marie und Agelin seine Anschrift kannten, konnte er nur von diesen beiden etwas erwarten. Aber es kam nichts. Dafür wurde ihm zu unerwarteter Stunde Besuch gemeldet, der Besuch einer Dame.
Ludwig erschrak bis ins Innerste hinein, zugleich stieg eine unbändige Freude in ihm hoch. Wenn eine Dame ihn zu sprechen wünschte, hier, in diesem Gasthaus von Rang, dann konnte es eben nur — Agelin sein, Agelin, seine Braut, die kam, ihm zu sagen, baß sie zu ihm halten würde, was sich auch dagegenstemmen würde.
Er flog die Treppen hinunter bis zur Halle, die mit vielen Sesseln und kleinen Tischchen ausgestattet war und so selbst wie ein schöner, behaglicher Wohnraum wirkte. Um diese Zeit war sie jedoch fast leer. Eine Dame saß ganz in einem dieser Sessel vergraben, der Treppe den Rücken zugewandt, sie war ohne Kopfbedeckung. Unmöglich, daß diese Frau aus Ludwig wartete. Es war nicht Agelin, aber ihr braunes Haar mit dem leisen rötlichen Metallschimmer kam Ludwig doch irgendwie bekannt vor. Er stieg die Treppe vollends hinab, und die Dame, die trotz der dämpfenden Teppiche seinen Schritt gehört haben mußte, wandte ihr Gesicht. Sie sah ihn eine Weile völlig fassungslos an, denn ste sah. daß er sie nicht sogleich erkannte. Erregt erhob sie sich und trat ihm ein paar Schritte entgegen.
„Oh, Ludwig", sagte sie, „ich bin gekommen, dich zu bitten doch nicht hier, sondern bei uns zu wohnen."
'Forlletzuna toln» >