Die undankbare Nella
Humoreske von Frank F. Braun
Man sMte auuehmen, in einem neuen Haus gebe es keine Mäuse. Bor einiger Zeit kam inein« Frau erschüttert zu. mir und wies mir eine angeknabberte Brotrinde. Auf einem Tellerchen präsentierte sie mir Mäusedreck. „Hast du ihn auf den Teller getan, um "ihn mir zu zeigen, Grace?" fragte ich.
„Wen?" meinte sie begriffsstutzig.
> „Den Mäusedreck."
„Unsinn! Sei nicht so eingebildet. Er lag schon auf der Untertasse. Aber was sagst du dazu? Ich kann nicht in einem Hause leben, in dem es Mäuse gibt! Es sind widerliche I Tiere. Sie krabbeln au den Strümpfen herauf unter die Röcke und kreisten sich fest."
„Ich werde eine Falle mitbringcn. Wenn wir eine Maus gefangen haben, wir
' weiter sehen."
„Du lästt mich wirklich mit den Mäusen allein?"
„Ja", antwortete ich hart, „ich gehe eine raffinierte Falle kaufen." Ich erstand ein ausgeklügeltes Drahtgeflecht, ein Labyrinth von Windungen. In der Mitte lag der Speck. Dorthin musste die Man?- gerate», ^aun Ivar sie gefangen.'
Meine Frau stellte die Falle in der Spüse- kammcr auf. Es war 9 Uhr morgen-?. Ich verliest daS Haus. Um 10 Uhr säst eine Maus- in der Falle. Meine Frau wurde diuch ein klägliches, ganz hohes- Piepen gerufen. Sie stiest einen Schrei aus, die gefangene MauS reagierte mit einem verzweifelten Galopp. Meine Frau ist in Stunden wirklicher Gefahr tapfer. Sic nahm die Falle aus. Sie hielt die Falle über einen Eimer, in den sie später Wasser einlaufen lassen würde/ um die Maus zu ersäufen. Sie öffnete die Klappe, die MauS fiel in den Eimer. Tie Wände waren hoch und glatt: sie konnte nicht heraus. Meine Frau setzte den Eimer aus einen Stuhl beim Fenster, sic setzte gewissermasten die MauS ins- Licht und betrachtete sie.
Es war ein schönes- Tier, das uns in die Falle gegangen war. Das- Fell glänzte blank, es war graubraun mit Silberspitzen. Kleine schwarze Fettaugen fasten im spitzen Kopf; drei Schnurrbarthaare sprosttcn au jeder Seite der Schnauze. Nur der lange nackte Schwanz gefiel meiner Frau nicht. Sie gestand mir, dast ihre Abneigung gegen die Maus geringer geworden sei, je länger sie das Tierchen betrachtet habe. Es must wirklich so gewesen sein, denn als ich nach Hanse kam, säst die Maus noch immer im trockenen Eimer, die Küche roch nach gebratenem Speck, und die Maus hockte auf einer Scheibe Brot und knabberte an einer angebränuten Speckschwarte.
Meine Frau sah mich ernst an. „Ich habe ihr zu fressen gegeben," erläuterte sie, was keiner Erklärung mehr bedurfte. „Sie hat .sich so entsetzlich aufgeregt und abgehetzt, als sie in der Falle war. Aber jetzt ist sie schon viel ruhiger, sie fristt bereit?-." Sic seufzte erleichtert.
Ich betrachtete nreine Frau aufmerksam. Dann nahm ich den Eimer mit der Alans und ging zur Wasserleitung, erreichte sie aber nicht. „So last das arme Tier doch wenigstens erst fressen!" rief meine Frau. Ich setzte den Eimer wieder ab.
Sie trat an den Eimer heran, machte: „Kss — kss —", und die Maus richtete sich auf, ihre großen, runden Augen starrten uns eine Sekunde lang an, die Ohren standen frei ans dem Pelz heraus, dann begann jsie eine wilde Flucht im Kreise. „Sie ist noch scheu," erläuterte meine Frau, „dich kennt sie ndch nicht."
Ich holte ein Stück Zucker und warf es in den EiMer. Die Maus stolperte ein paar- r mal darüber, dann blieb sie Plötzlich entschlossen davor sitzen und knabberte daran mit der spitzen, behaarten Schnauze, die brektgespal- tene Oberlippe schnüffelte mehr als die Nase, die Perlangen glänzten uns wachsam an. „Immerhin," sagte ich, „etwas Wasser müssen wir ihr hineintun." — „Nein, auf keinen Fall!" — „Aber sie wird trinken müssen, Grace." — „Ach so, Tränkwasser!" Das sah meine Frau ein. Es wurde ein entsprechendes Gefäst in den Eimer gestellt.
Tic Maus blieb am Leben. Sie fräst und trank. Allmählich wurde sie weniger jcheu. Sie floh nur noch zur Seite, wenn einer von uns die Hand in den Eimer streckte. Schliesslich — ein Zeitraum von 1-1 Tagen war vergangen — lief sie überhaupt nicht mehr weg,
; sondern kam der Hand, die den Leckerbissen brachte, mit witternder Schnauze entgegen.
! Dies ivar der Zeitpunkt, da wir uns entschieden, sie zu behalten. Von Töten war schon lange keine Rede mehr gewesen, jetzt kam es auch nicht mehr in Frage, das; sie anSgesetzt werden würde.
Ich besorgte ein Aquariumglas, wir füllten es fingerhoch mit Sägespänen, legten ein t ersessenes, steinhart gewordenes Brotstück dazu (es wurde ausgehöhlt und gab die Schlafkammer ab) und setzten zwei Näpfe hinein.
Dann wurde die Maus umquartiert. Meine Frau gckb ihr den Namen Nella. Dann gewöhnte sie sich von Tag zu Tag mehr an uns. Nach einiger Zeit, als ihr Behälter gründlich gesäubert werden mutzte, nahm ich sie heraus und liest sie in der Küche, die Steinboden hat, frei laufen. Sie schoss mit einen: Husch unter den Küchenschrank; da sich aber dort niemand um sie kümmerte, kam sie bald wieder hervor, tänzelte in der Küche herum, fand dort eine Brotkrume, da ein Körnchen und huschte umher wie ein winziger, sonderbarer Hund. Meine Frau ivar entzückt. dast Nella nicht fortlief. Sie kniete sich hin, streckte die Hand ans mit ein wenig abgebröckeltem Käse darauf und lockte Nella.
Tatsächlich kan: Nella. Sie erstieg die Hand, die flach an der Erde lag, und fräst. Dann hüpfte sic wieder herunter, schnüfselte an den Schuhen meiner Frau und krabbelte — ich behaupte: harmlos- und ahnungslos! — an den Strümpfen herauf.
Meine Frau sprang mit einem markerschütternden Schrei auf und begann, ihre Röcke zu schütteln. Nella, auf halber Höhe der linken Wade, ward von dem Gebaren erschreckt. drehte um, krabbelte wieder herunter und lief neuerlich unter den Schrank.
Leichenblass, mit Schweisstropsen auf der Stirn sagte meine Frau mühsam: „Da hast du e? gesehen, es sind falsche Tiere! Sie krabbeln Frauen doch unter die Röcke! Nur auf die günstige Gelegenheit hat das Untier gewartet!"
„Sie ist dir ja nicht unter den Nock gekrabbelt. Grace." sagte ich sanft, „sie sprang ja ab, als sie merkte, daß dir das nicht patzte."
Meine Frau warf mir einen Verachtung-?« vollen Blick zu.
„Bitte . . sagte sie undentbar und ging hinaus.
Wenn nicht ein Wunder geschieht, werde
ich Nella nun voch wohl noch aussetzeu müssen. — Schade, sie wurde gerade auf eine possierliche Art zutraulich. Andere Leute halten sich Kanarienvögel, Goldfische oder auch Weiße Mäuse. Es hätte mir Spatz gemacht, meinen Besuchern Nella, die graue Hausmaus, vorzuführen. — — Finden Sie. dass meine Frau sich richtig verhält?
Seme eigene Waffe
Erzählung von Willi Fr. Köniher
An einem Februartag des Jahres 1813 klopfte eS zaghaft an die Tür des bisherigen Privatdozenten Friedrich Nückert. Die Wirtin steckte auf seine Antwort nur den Kopf ins Zimmer und hauchte mehr als sie sprach: „Der Herr Rentamtmann Nückert!" Dann stiest sie die Tür weit auf, trat zurück und liest den grossen, schlanken, etwa fünfzigjährigen Besucher ein. Der junge Nückert war, als er den Vater erkannte, aufgestanden, reichte ihm, als sie allein im Zimmer waren, die Hand und ließ sich vom Vater umarmen. Sie blieben stehen, als der Rentamtmann sagte: „Du machst uns Sorge, Junge, deine Nachricht war nicht erfreulich. Warum sitzt du hier in Würzburg? Warum bist du nicht in Hanau geblieben?"
Friedrich schüttelte den Kopf: „Wie kann sich einer in Ruhe in sein Nest setzen in dieser unruhigen Zeit? War es nicht besser, ich ging weg, ehe der Dienst begann? Es wühlt in mir, wie es draußen gärt."
Der Vater atmete tief und legte dem ,Sohn die Hände auf die Schultern: „Ist es
Ein feiner Mann /
Von 3o Hanns Nösler
Es Ivar kurz vor sieben Uhr. Da trat Otto durch die Tür.
„Tag, Hugo!"
„Nanu?" fragte Hugo.
„Wieso nanu?"
„Ich denke, du bist böse mit mir, Otto?"
„Alles vergeben und vergessen!"
„Und ich fürchtete — — —"
„-dass ich mich rächen werde?"
„Ja, Otto!"
Otto sah aus wie ein Biedermann.
„Aber, Hugo!" sagte er, „sehe ich aus wie ein Rächer? Im Gegenteil, ich komme, dir eine Freude zu machen. Ich habe für heute abend zwei Karten in die Oper. Willst du mitkommcn? Ich lade dich ein."
Hugo nahm die Einladung arglos- au.
„Wann beginnt cs? fragte er.
„Halb acht."
Hugo sah auf die Uhr.
„Jetzt ist es sieben — da werde ich noch schnell heimgehen und meiner Frau sagen, dass ich mit dir in die Oper gehe."
„Das- wird zu spät, Hugo!"
„Meine Frau wartet und sorgt sich!"
„Einmal ist keinmal! Wir kommen sonst nicht zurecht. Die Oper ist um elf Uhr zu Ende. Tu erzählst dann deiner Frau, dast du mit mir in der Oper warst. Das wird sie entschuldigen. Also komm, Hugo!"
Und Hugo kam mit. Sie saßen in der Oper. -Hugo schämte sich ein wenig, denn er hatte kürzlich Otto einen tollen Streich gespielt, über den sich Otto fürcherlich geärgert hatte. Drei Wochen hatte Otto kein Wort mit ihm gesprochen. Und heue kam er von selbst.
brachte sogar Theaterkarten mit! Die feurigen Kohlen brannten auf Hugos Haupt, und er beschloß, Otto in der Panse etwas Nettes .zu sagen.
Wo war Otto?
«Otto war überhaupt nicht im Theater. Er war schnell in ein Auto gesprungen und in Hugos Wohnung gefahren. Dort öffnete ihm Hugos Frau.
„Wo ist Hugo?"
„Mein Mann ist noch nicht heimge- kommcn."
„Was? Jetzt zehn Uhr nachts noch nicht heimgekommen? Hat er denn keine Nachricht gegeben?"
- „Nein", sagte die Frau verärgert, „ich -warte schon seit sieben Uhr!"
„Das finde ich keichlich sonderbar! Na dann -- gute Nacht!"
Und dann fuhr Otto wieder in die Oper zurück und setzte sich mit freundlichem Lächeln neben Hugo, just in dem Augenblick, als sich der Vorhang znm dritten Akt hob.
*
Als Hugo um Mitternacht heimkam, fragte die Frau:
„Wo kommst du so spät her?"
„Ich war mit Otto."
„Mit Otto! Er hat mich vom Geschäft «v- ^geholt und in die Oper eingeladen. Wir waren den ganzen Abend zusammen."
Was dann geschah — der Chronist verschweigt es. Das erste Wort, das seine Frau wieder mit ihm sprach, hörte Hugo erst nach vier Wochen. Otto hat er nie wieder gesehen.
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Verlockende Aussicht im Winter
Photo: Weltbild-M
nur die Unruhe der Zeit? Oder ist cs die Unruhe in deinem Blut? Die Unruhe im Herzen? Jeder must einmal beginnen. Und wenn der Anfang hart ist, man muss anshalten!"
Der junge Nückert hielt den Kopf gesenkt, aber er machte sich nicht ans dem Griff des Vaters los. Es war ihm, als spüre er leibhaftig aus den auf seinen Schultern lastenden Händen die väterliche Sorge. Dann sah er plötzlich auf, und statt einer abweisenden Entgegnung, die er schon ans der Zunge hatte, erwiderte er: „Wenn der Anfang richtig ist!" .
Auf des Vaters fragenden Blick, dessen Zweifel er sich richtig deutete, fuhr er erklärend fort: seine Dozententätigkeit in Jena habe ihn wegen des Widerstandes der älteren Professoren nicht befriedigt, die zugesagte Professur am Hanauer Gymnasium, das er noch vor Dienstantritt verlassen hatte, aber seinen beruflichen Weg nur hindern können.
„Alles das aber", seine Worte sielen schwer und langsam, „alles das ist jetzt unwichtig. Was gilt in der Welt der grossen Ereignisse meine Persönliche Klarheit und Sicherheit? Es geht nicht um mein Schicksal, cs geht um. Las Schicksal der Deutschen. Ich werde mich ihm nicht entziehen. Habt ihr mir nicht geschrieben, Heinrich habe sich schon als freiwilliger Jäger gemeldet? Dem Bruder Gewehr und Pulver und mir — Feder und Tinte einer nebensächlichen Wissenschaft? Nein! Wärest du nicht gekommen, ihr hättet mich in wenig Tagen in Ebern gesehen, du und die Mutter, und hättet mir dann eure Erlaubnis sowenig verweigert, wie du sie mir jetzt weigern wirst."
Friedrich trat einen Schritt auf den Vater zu, der sich inzwischen gesetzt und, ohne den Sohn anznschen, zugehört hatte.
„Jeder", sagte er bedächtig, „hat seine eigene Waffe. Und für deinen Gesundheitszustand taugt daS Gewehr jetzt nicht. Jeder hat seinen eigenen Posten. Auf dem hat er seine Pflicht zu tun. Nicht jeder Kampf ist ein Kampf mit Säbel und Gewehr." DaS Gespräch zwischen Vater und Sohn dehnte sich in die Stunden hinein. Jeder verteidigte mit verbissener Hartnäckigkeit seinen Platz. So wurde es ein kühler Abschied zwischen den beiden. — —
Wenige Monate später saß Friedrich Nückert auf der dem Frciherru Truchseß von Wetzhausen gehörenden Bettenburg, einige Manuskripte vor sich, im Kreiie mehrerer Dichter, uuter ihnen Johann Heinrich Boß, Gustav Schwab, Jean Paul. Die ersten Verse hatte er zaghaft gesprochen. Dann jedoch er« ivstte ihn der Brand seiner eigenen Worte, urrrng ihm wieder ins Blut wie in jene« Stunden, da er sie nicdergeschrieben hatte, seine Hand sank mit dem Manuskript auf) Len Tisch, und er sprach seine Strophe«^ auswendig:
„. . . Und diese Schwerter, die wir hier empören
Nicht eh'r zu senken, als vom Feind zerschroten.
Wir schwören, daß kein Vater nach dem Sohne,
Soll fragen, und nach seinem Weibe kein Gatte,
Kein Krieger fragen soll nach seinem Lohu«, Noch heimgehn, eh' der Krieg, der Nimmersatte,
Ihn selbst entläßt mit einer blut'gen Krone, Daß man ihn heile oder ihn bestatte! "
Es blieb nach diesen Versen eine Weil« still in dem weiten, saalähnlichen Raum. Der Hausherr wollte soeben zu dem jungen Nrst treten, ihm im Namen der Zuhörer zu danken, da sprang der zweiundsechzigjährige Voß auf, unter seiner hohen Stirn leuchtete es i» den hellblickeuden Augen, und schon um zwei Schritte zu früh streckte er dem Dichter beide Hände entgegen: „Die Deutschen sollen Ihre Gedichte lesen. Sie dürfen sie nicht im Pult vergraben! Geben Sie mir die Blätter! Sie müssen gedruckt werden!" Und er raffte, den Ueberraschten kaum mehr beachtend, die losen Manuskripte vom Tisch, mit beiden Händen, hob sie hoch, blieb einen Augenblick so stehen und reichte sie dann mit einer raschen Be-, wegung seinem ebenfalls anwesenden Sohn hinüber: „Nach Heidelberg, znm Verleger!" —
Als Friedrich Nückert später seinem Vater den ersten Band seiner Gedichte „Deutsche Gedichte von Freimund Naimar" übergab, tat er es mit den Worten: „Du hast damals ' in Würzbnrg recht gehabt, Vater, jeder hat seine eigene Waffe. Hier — die meine!"
Der Rentamtmaun Nückert blätterte das Buch auf und las: „Geharnischte Sonette". Der Sohn nickte dazu: „Ich schrieb sie damals, nach deinem Besuch."