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^ulturgefchichtliGes aus ^Wildbad

aus der Zeit von 1750 (aus Nachlaßakte«)

Von Oberlehrer Wildbrett

- Wenn man eine Stichprobe macht in den alten Akten- 'Sündeln des hiesigen Grundbuchamts, so scheint es zunächst, )yls ob ein Stück dem andern gliche. Und zwar sieht es aus, als ob die Arbeit der Grundbuchämter im Lauf von 200 Jah­ren sich nicht geändert hätte. Das hochfürstliche württcmber- gische Landrecht enthielt schon damals genaue strenge Vor­schriften über die Inventarisierung und Teilung des Ver­mögens eines Bürgers,der das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt". Dazu waren in jeder Gemeinde Teilungs- und Waisenrichter. Sie hatten die Pflicht, dessen zeitliche Hab­seligkeiten möglichst genau zu untersuchen, zu Papier zu bringen und sofort unter die Erben zu verteilen. Die Kinder unter 20 Jahren erhielten Kinderpfleger, wofür der Kriegsvogt zu sorgen hatte. Damit von der Witwe und den übrigen Erben nichts^ vorenthalten wird, nimmt man den­selben an Eidesstatt die Handtreu ab.

Ebenso war es nach dem Landrecht Pflicht eines Ehe­paares vor diesem Waisenrichteramt ihr beiderseitiges zusam- ' inengebrachtes Gut anzugeben, damit es zu Papier gebracht Und von ihnen beglaubigt wird.

Einige urschriftliche Testamente zeigen, daß man schon da­mals streng auf solche Dinge achtete wie heute, z. B. deut­liches Datum, eigenhändig Geschriebenes, Jahreszahlen in Worten, Unterschrift von Zeugen u. a. Selbst der Siegellack­stempel durfte nicht fehlen.

Alle Vermögensbeschreibungen sind gleich gegliedert, wie .unsere Notare alle dasselbe Schema haben. Es sind folgende Dosten genannt:

1) Liegenschaften (Häuser und Gebäu, Grasäcker und Wiesen, auch Gärten).

2) Fahrnis (baar Geld, Kleinodien und Geschmeid, Bücher, Mannskleider, Mannswerkzeug, Frauenkleider, Bettgewandt, Leinwandt, flachse und hänfenes Zeug, Meßgeschirr, Zinn­geschirr, Kupfergeschirr, Eisenkücheugeschirr, holzen Küchen­geschirr, Blechgeschirr, Schreiuwerk, Faß- und Bandgeschirr, gemeiner Hausrat, insgemein Fahrnis, Fuhr- und Bauren- gxschirr, Vieh, Früchte, Heu, Kuchenfpeis, Immen (Bienen).

3) Einnehmende Schulden (Guthaben).

' 4) Haftende Schulden.

' Geht man nun den einzelnen Dingen noch mehr nach, so Wird es für den Forscher immer interessanter. Schon wenn er Vergleiche anstellt zwischen der Größe der einzelnen Ver­mögen. Meist halten sie sich unter 100 Gulden (fl.), wenige gehen von 1001000 fl., ganz selten über mehrere 1000 fl. Wer da zu den ganz Reichen und Vornehmen zählt, merkt man amPaar Geld", mehr noch an den Kleinodien. Bei den Keinen Leutchen heißt cs meistPaar Geld" 0. Anders sieht das Beibringen der Tochter des Hans M. F., Adler­wirts, aus in Silbergeschirr und Kleinodien (1689):

1 Goldstück woran 1 Perle 4 fl. 30 c; 1 Ring mit einem Hyazinth 8 fl.; 1 Ring mit 7 Rubin 4 fl.; 1 andern Ring mit einem Hyazinth 5 fl.; 1 Ring mit einem Smaragd 4 fl.; 3fach Granaten-Nuster (Nüster Paternoster) 28 fl.; 4faHDuPPIon 24 fl.; Sfach Korallen-Nuster 8 fl.; bfach Granaten-Nuster 4 fl.; vfach Korallen-Nuster 8 fl.; 1 falsch Kleinod 1 fl.; in Silber gefaßter Wolfszahn 30 c.; in Silber gefaßter Luxzahn 30 e. (fl. Gulden, c. Kreuzer).

Der M. R., Flößer, hatte ein Vermögen von 764 fl. Das ließ sich hören. Aber der Metzgermeiste: L. besaß ein solches von 5627 fl. Eine andere geldwcrte Hinterlassenschaft sah fol­gendermaßen aus:

10 Spezies Dukaten a 4 fl. 12 c.; 36 ganze Thaler a 2 fl.; 11 ganze Guldiner a 1 fl.; 3 schwedische halbe Gulden a 30 c.; 100 Stück ganze und halbe Kaisergroschen a 3 c.; andere Münz 14 fl.

Eine andere besaß württembergische, darmstädtische, an- spachische, bayerische Carolin a 10 fl. SO c.; doppelte Dublonen a 16 fl. 24 c.; doppelte französische Louisdor a 20 fl. 40 c.; holländische Dukaten 4 fl. 45 c.; neue württ. Thaler 2 fl. 45 c.; alte kaiserliche Thaler 2 fl. 45 c.; alte Gulden 1 fl. 10 c.; schwedische halb-. Gulden a 36 c.; 15 Kreuzerstiick; 20 Kreuzer­stück; alte Groschen, alte Landmünzen.

Wer das afles besaß, war sicher ein reicher Geschäftsmann, entweder ein Bäcker oder ein Metzger oder ein Wirt; aber mit sovielerlei Münz wollten wir heute nicht mehr rechnen. Da hatte es der D- H-, Huf- und Wagenschmied, einfacher. In Liegenschaft, bar Geld und Kleinodien besaß er 0 und in MannskleiLern nicht viel, aber in Mannswerkzeug 1 Horn­feil, 1 neue Beißzaug, 1 mittelmäßige Bcißzang, 1 Bänkmesser,

2 Beschlaghämmer; im übrigen hat derselbe weiter: 0.Trotz­dem" bekam er die Tochter des Schultheißen G. von Fgels- berg, die ihm doch außer einem schwarzen Nusterlen, einem silbernen Ring und einem württembergischen Gesangbuch 144 fl. in die Ehe brachte.

Sehen wir uns in der AbteilungHäuser und Gebäu" Um, so finden wir ganz selten, daß einer eine ganze Behau­sung besitzt. Meist heißt cs ZL einer Behausung, manchmal gar ein Sechstel einer solchen nach hinten, einmal sogar die Hälfte einer halben Behausung usw. Dann verstehen wir die trau­rigen Wohnverhältnisse, unter denen viele Wildbader heute noch leiden.

Die Bibliothek der meisten Wildbadcr war damals klein beieinander. Meist finden wir nur das württ. Gesangbuch. Wer mehr besitzt, hat fast nur geistliche Bücher, oft die Nürn­berger Bibel in Folio, auch die Augsburger Konfession. D. L-, Metzgermeister, hatte eine stattliche Bibliothek von 27 from­men Büchern; daneben aber auch die Württcmb. Landrecht- und Landsordnung, das Reglement und eine Zollordnung.

Dieser Metzgermeister war allem nach ein respektabler Vertreter des Handwerkerstandes, fast wie ein Patrizier. Das merkt man an seinen hinterlassenen Kleidern. Er hatte meh­rere Mäntel und Kleider, zu denen er je nach der Farbe den entsprechenden Kamisol trug. Je nach dem Wetter sah man ihn auch in einer ledernen Ncbelkapp. War er in Trauer, so

zierten ihn auf jeder Seite lange ,Laid Flör". Er hatte teil an Sägmühlen, weshalb er lange Flößerstiefel brauchte. Sonst hatte er zur Ausrüstung zwei gute Pistol, Säbel und Degen und' Sporen.

Seine Frau konnte erst mit ihren vielen Röcken und Kitteln in allen Farben und wertvollen ZeugenStaat" machen. Den Kamifolen ihres Mannes entsprechend trug sie Hauben aus wertvollen Stoffen und in den verschiedensten Modeformen und täglich konnte sie ihre florcnen und seidenen Halstüchlein wechseln, ebenso die Strümpfe, sogar fleischfar­bene finden wir verzeichnet. Im Winter zog sie die Pclzjacke über.

Mit Stolz konnte sie ihre Aussteuer in Bettgewand zei­gen. 30 Stück Bettstücke in Oberbett, Haipfel und Kissen besaß sie. Und ihre Truhen waren voll flächsener Leinwand. Zum Himmelsbett hatte sie 6 Umhänge in grünem Zeug a 36 Ellen. Außerdem lagen in ihren Kästen noch 40 Ellen flächsen Tuch, 18 Ellen feines Tuch, 36 Ellen Ungebleichtes, 16 Pfund hän­fenes Garn, 15 Pfund Hanf, 10 Pfnnd Flachs.

Während wir in ärmeren Familien auch von eckigen und runden Holztellern lesen, sind in besseren Haushalten alle Teller und Platten aus Zinn. In der Küche treffen wir Dinge, die wir heute nicht mehr kennen, die Moldenscherren, die Lichtbützen, Ofengabeln, Pechgabeln, Feuerklamm und Blasbalg. Daneben stehen Gölten, Salzscheffel, Rührfässer, Mehlstippich, Schmalzstippich, Fleischständlein alles aus Holz; drum braucht man heute keinen Kübler mehr.

Unter dem vielen Schreinwerk fällt uns besonders auf eilt Schreibtisch, ein Schiefertisch und eine Schiefertafel (jedenfalls air der Wand in der Mezel) und der Nachtstuhl.

Beim gemeinen Hausrat finden wir eine Brech nebst dem Stuhl, eine Hechel samt dem Stuhl, einen Schwingstuhl, drei Kunkeln, zwei Haspel, ein Spulrad. Sehr wichtig waren die Feuereimer aus Leder. Der Reitsattel, vor allem aber der Frauensattel, lassen erkennen, daß man damals über Feld ge­ritten ist.

In einem solchen guten Haus war auch die nötige Küchen- speis vorhanden, z. B. noch 64 Pfund Schweineschmalz, 29 Pfund Rindschmalz, 40 Pfund Speck, 7 Pfund Schmer, 7 Pfund dürr Schweinefleisch, 1 Simri Birttenschnitz und 2 Meßle Huzle, 1 Meßle dürre Kirschen sowie Wachs, Eier und Honig.

Ein ganz anderes Bild von den wirtschaftlichen Verhält­nissen bekommen wir, wenn wir die langen Register der Schuldner durchgehen. Brot- und Mehlschulden haben die mei­sten Bürger bei diesen! Geschäftsmann. Worin dis seinen Grund hat, ist schwer zu sagen. Ob es Wohl eine Sitte oder Unsitte war? Jedenfalls wissen wir, daß in der Zeit, als die Bürger ein Holzgcld von ca. 120 Mark bekamen, es üblich war, daß man bis zu dem Tag vieles aufschreiben ließ.

Bei dieser Gelegenheit lernen wir auch die Namen der meisten damals lebenden Geschlechter kennen. 1757 gab eS einen Max Häbich, Friedrich Merke, Joh. Georg Abcrle (Dreher), Christof und Jakob Äechtle, Jak. Wildbrett (Flößer), Daniel Wildbrett (Küfer), Georg Proß, Joh. Schmid (Beck), Georg Gutbnb, Philipp Kettner (Kerzenmeister des Bäcken- handwerks; sein Nachlaß betrug ein Buch von 173 Doppel­

folioseiten). Joh. Krauß (Säger), Hans Wagner, Benedikt Rath, Stadtschreiber (Skribent) Hammen, Bürgermeister Lukenbach, Regina Schneider, Christof Riexinger (Beck), David Hauß (Schmied), Hans Jerg Gutbub Waidknecht), Christof Schill (Beck), Johann Luz (Barbier), Poller und Neumanu (Chirurgen), Johann Seyfried, Stadtknecht Bechtle, Bürger­meister Schwarz, Wittib-Kriegsvogt Joh. Luz, Jakob Schmid (Beckermeister und Flözer), Jung Hans Treiber, Matthäus Seyfried (Nagelschmied). Joachim Vollmar, Georg Volz, Chri­stian Rothfuß (Schäufler), Jerg Bürkle, Hans Michel Hammer (Metzger), Jakob Kuch (Städtlinsmajor), Lukas Brenner, Georg Bechtle (Sonnenwirt), Jakob Schmid (Zimmermann), Christof Ruf, Jakob Roth (Seger), Hans Jerg Schaible (Hauer), Abraham Wohlleber (Bauer), Jak. Gutbub (Hauer), Christof Eitel (Flözer), Georg Weik (Dreher), Jak. Schill (Kuh­hirt), Jeremias Krauß (Schreiner), Simon Kallfaß (Seger), Leonhard Treiber (Flößer), Christian Harkheimer (Flößer), Joh. Kübler (Flößer), Johannes Legrnloch, Michel Rath (Flößer), Joh. Scholl (Schneider), Christian Brachhold (Schrei­ner), Michel Schmälzte (Hauer), Samuel Schill (Taglöhner), Wilh. Frank (Metzger), Joh. Geraspek (Vogelfänger), Jerg Girrbach (Säger), Hiob Hammer, Hans Michel Vollmar (Beck), Ulrich Schanz, Skribent Keppler, Michel Riexinger (Schuhmacher), Albrecht Kappelmann (Schreiner), Georg Luz (Schuhmacher), Friedrich Gall (Soldat von Agenbach), Fried­rich Bechtle (Maurer), Martin Pfeiffer (Hauer), Anton Brax- meier (Schneider), Jerg Seyfried (Sprollenmeier), Ludwig Graul (Wagner), Leonhard Bechtle (Schuhmacher), Michel Schweizer (Maurer), Martin Weber (Weber).

In diesen Nachlaßakten begegnen uns auch folgende Flur­namen: Lehenäcker, GLterbach, Trampelwiesen, Silberbuckel, Silberwiesen, Heslach, Hauswiesen, Jochemswiesen, Bahnacker (am Straubenwasen). Wiesen in der Eicherts oder Langriß, im Stürmlesloch, Scheeräüerle, Ziegelwiesen, Seewiesen am Weihergarten, Spießfld, Neugereuth, Erlenpfitz.

Schade, daß wir nicht wissen, wie manche dieser Fluren zu ihrem Namen kamen und wo sie lagen. Dies zu erforschen, ist wieder eine Sache für sich.

So gaben uns die Grundbuchakten ein Bild aus dem da­maligen bürgerlichen Leben und wir dürfen uns nicht wun­dern, wenn sie schon damals so pünktlich und genau geführt wurden. Denn das Teilen und Erben war wie heute nicht immer eine gerade schöne Sache, besonders in einem Jahr­hundert, in dem so viel von Krieg, von Seuchen und anderem Elend berichtet wird. Kein Wunder, wenn der Skribent den selig Verstorbenenaus dieser müheseligen Zeit in die frohe Ewigkeit übersetzen" ließ. Die Kosten einer Beerdigung setzten sich wie heute zusammen: Dem Herrn Speziali 2 fl., dem Präzeptor und Provisor 50 kr., den Singern 30 kr., vor dir Bahr 2 fl., dem Totengräber 1 fl. 20 kr., vom Leitten 24 kr., der Leichensägerin 45 kr., den Trägern 1 fl. 36 kr., vor Wein, Fleisch und Brod 45 kr. So hat man also schon damals nach einer Beerdigung noch einmalgeweint" je nach den Verhält­nissen mehr oder weniger. Heute ist ein Leichenschmaus, wie er im Unterland noch üblich ist, nicht mehr Sitte. Das ist auch ein Zeichen wirtschaftlicher Armut in Wildbad.

Das Gottesurteil

Erzählung aus dem 14. Jahrhundert

Von G. A. Zipperer

Ein' Bluttat bleibet ein' Bluttat", sprach der Vorsitzer hart,und ändert kein Tüttelchen daran, ob der sie verübt alt ist oder jung. Ist noch nicht oft ein Fall so sonnenklar gelegen: der Bub gesteht frank, daß er sein Gespiel erschlagen, und mag keiner das mindest Zeichen von Reu an ihm wahr­nehmen. Unsers Amtes ist. Straf und Vergeltung zu üben. Deß ist mein' Meinung: der Bub muß sterben."

Er blickte, den Mund zu einem Strich geschlossen, reihum die Schöffen au, langsam, unerbittlich.

Daun setzte er sich. In das Schweigen der Männer hinein drang durch die geschlossene Tür das Murren und Fordern des Volkes, das sich drunten um die Rathaustreppe drängte.

Eine Tat, wie sie nicht in des ältesten Bürgers Gedächtnis lebte, hatte die Gassen der Stadt mit Entsetzen erfüllt: Ein fünfjähriger Knabe war beim Spiel in seines Vaters Schlacht­haus geraten, hatte dort, wie er es Vater und Gesellen wohl oft mit Rind und Schwein mochte tun sehen, den kleinen Nachbarssohn an den eisernen Ring am Boden festgebnnden und mit der nebenstehenden Axt erschlagen.

Nun harrte der Haufe, ein lechzendes Ungeheuer, von den Stadtkncchten kaum gebändigt und immer aufs neue zur Ruhe gewiesen, des Urteils; und am schrillsten schrie die Mutter des Erschlagenen nach dem Blut des Mörders.

Dessen Mutter aber lehnte, verscheucht durch die Drohun­gen der maßlos Wütenden und wieder festgehalten vom natür­lichen Trieb des Lebewesens, dessen Kind in Gefahr schwebt, blaß an der Mauer und fand nicht die Erklärung wie cs mög­lich sei, daß ein Knabe, wie tausend andere Knaben, unbändig und voll lebendiger Vorstellungskraft, dabei nie bösartig, un­versehens zum Mörder werde; und wie man sich also unbe­greiflich ausgeschlossen und hilflos fremd vor der Seele seines eigenen Kindes finden könne.

In der Natsstube stand indessen der Täter dem Kreis seiner Richter gegenüber, nichts ahnend von der Drohung, die ihn aus des Vorsitzers Worten ansprang, und in seiner stau­nenden Neugier nur bisweilen abgelenkt durch heftigen Schmerz, wenn auf dem Rücken der Strick ihm in die Hand­gelenke schnitt. Die Schöffen aber- entsetzt vor dem Abgrund solcher Verworfenheit schon im zartesten Kindesaltcr, gaben durch grimmiges Kopfnicken ihr Einverständnis mit den Wor­ten des Sprechers zu erkennen.

Da erhob sich die Menschlichkeit in der Gestalt eines silber- haarigen Alten, der während der ganzen Sitzung schweigend

den Reden und Widerreden der Jüngeren getan, chk und nur immer aufs neue mit seinen klaren, klugen Augen den Misse­täter durchdrungen hatte, und fing fürwahr ein seltenes Geschehen in diesem Zeitalter herzlos grausamer Rechtspflegt den Hieb des strafenden Armes auf:

Ihn dünke, dem Missetäter habe eher kindliche Torheit und übermäßige Einbildungskraft als verderbter Sinn die Hand bei dem unseligen Streich geführt; und seine Meinung sei, man solle in diesem für Menschenverstand schwer zu durch­dringenden Fall und um nicht durch Vergießen von noch mehr schuldlosem Blut Recht in Unrecht zu verkehren, Gott selber um sein Urteil befragen.

Und so erlebte der Pöbel statt auf dem Richtplatz den Anblick eines fallenden Hauptes auf der Kaiserwiesc, wo cs zu Festzeiten von Jahrmarktslärm erklang, eine Szene, von der man sich noch nach Jahrhunderten erzählen sollte.

In schweigender Erwartung drängte sich jung und alt um den abgegrenzten Kreis, in dem der Knabe, jetzt der Fes­seln ledig, den Schöffen gcgeniiberstand und verträumten Blicks dem Taumelflug eines verfrühten Falters folgte. Als der ehrwürdige Alte zu ihm trat, verhielt alles den Atem. Jetzt winkte jeizer einen Diener zu sich, der in jeder Hand einen verhüllten Teller trug, und sprach zu dem Knaben, indes ihn ein verständnisloser Blick aus dessen Bräunungen traf:Von einem der beiden Teller darfst du nehmen. Lieh her!" Und raffte mit schnellem Griff die Tücher fort. Der Knabe aber sah hurtigen Blicks hier Goldstücke blitzen ::nd dort rotbackige Acpfel lachen, stieß einen Ruf des Entzückens aus, griff ohne Besinnen nach den zu dieser Jahreszeit dop­pelt köstlichen Früchten, biß, noch che die Menge ringsum be­greifend anfatmete, krachend hinein und kaute mit vollen Backen.

Da sprach es der weise Alte ohne Worte, nur durch leises Lächeln zu seinen Mitschöffen hin und mit einer gütigen Handbewegung nach dem sorglos schmausenden Buben: daß Gott das Leben dieses unverderbten Kindes stchtbarlich nicht fordere; der Aelteste, überwunden, verlieh demselben Spruch In wohlgesetzter Rede Form und Gültigkit; und die Mutter schloß aufschluchzend die Arme um ihr wiedcrgeschenktes Kind.

Von diesem Geschehen künde, so wird erzählt, das in Stein gehauene Kinderköpfcheu, das zu Nördlingen in Schwaben von der Wand eines alten Bürgerhauses auf dem Marktplatz herabschant.