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die Urlaubsfrage gleichmäßig gehalten werden, da die Beamten sich doch unter einander vertreten müßten. Beim Titel Unterbeamten führt Abg. Zubeil (Soz.) Beschwerde über Vorgänge in Ka­binen, wo überhaupt eine sonderbare Wirtschaft auf der Post zu sein scheine. Staatssekretär Krätke erklärt, der betreffende Unterbeamte habe fick in Ka­binen nicht bewährt, sei nach Elbing zurückgezogen worden und habe sich dort unnütz benommen. Er sei wegen Trunkenheit zunächst nur mit 5 in Strafe genommen, wegen falscher Beschuldigungen sei er dann mit 20 bestraft und dann wegen eines Leidens pensioniert worden. Abg. Linde- wald (Rfp.) bittet um Gleichstellung der Land­briefträger mit den städtischen Schaffnern. Staats­sekretär Krätke erwidert, daß auch er die Gehälter der Landbriefträger nicht für ausreichend halte. Er hoffe, daß dies bei der allgemeinen Neuregelung der Gehälter möglich werden würde. Abg. Gäbe! (Rfp.) wünscht Besserstellung der Postagenten. Abg. vr. Neuma nn - Hofer (frs. Vg.) bittet, Geschäfts­leute nicht zu Postagenten zu machen. Abg. Köhler (w. La.) schildert als ehemaliger Postagent die Verhälinisse dieser Beamten als veibefferungs- bedürflig. Auch sie bedürften des Urlaubes. Staats­sekretär Krätke betont dagegen die große Ver­schiedenheit in der Wirtschaftslage der Postagenten. Abg. Hamecher (Ztr.) befürwortet Wünsche der Post- Und Telegrapheuboten in Bezug auf Erhöh­ung der Tagegeldsätze, Dienstalterszulagen, Anrech­nung der Dienstzeit, etatsmäßige Anstellung usw. Abg. Lehma n n-Wiesbaden (Soz.) plädiert für Lohnerhöhung für die Arbeiter der Post- und Tele- graphenverwaltuug. Geheimrat Baumann er­widert, in dem Mchransatz von 1,400,000 bei dem Betriebe Etats-Titel steckten bereits Lohner­höhungen. Bei dem Titel 38 c zur Entschädigung außergewöhnlicher verdienstlicher Leistungen bittet Abg. Schulz (Rp.) die Linke, endlich einmal alle theoretischen Bedenken wegen der Widerruflichkeit der Ostmarken-Zulagen hintan zu stellen. Ein Weg müsse sich doch finden lassen, um endlich einmal die allen Reichsbeamten, nicht nur den Postbeamten so unerläßlichen Zulagen zu bewilligen. Auch Abg. Bassermann (ntl.) tritt grundsätzlich für die Zulagen ein, meint ober, es könne das Verlangen nach Ostmarken-Zulagen nur auf dem Wege eines Nachtrags-Etats erfüllt werden. Abg. Singer (Soz.) betont entgegen dem Vorredner das Recht deS Reichstages, im Etat die Ausgaben beliebig zu erhöhen. Aber die Ostmarken-Zulage lehnten die Sozialdemokraten grundsätzlich ab. Abg. Gröber (Ztr.) erklärt, es sei im Anträge nur von einer außerordentlichen Beihilfe die Rede und cs stehe kein Wort in dem Anträge darüber, ob die Bei- bilfe jedem Beamten zu geben ist oder nicht. Anders als durch einen Nachtrags-Etat lasse es sich schon nicht machen. Die Abstimmung über die Ostmarken- Resolution bleibt bis zur 3. Lesung ausgesetzt. Nach einer Bemerkung des Abg. Kopsch über Verzicht auf UrrzugSkosten werden die dauernden Ausgaben bewilligt, ebenso die einmaligen sowie die Einnahmen. Einige Petitionen werden als Material überwiesen. Damit ist der Postetat erledigt. Fast

debattelos wird der Etat der Retchsdruckerei ge­nehmigt. Es folgt der Etat des Reichsjustizamtes.

Berlin IL.Febr. Die Budget-Kommission des Reichstages begann heute mit der Beratung des Etats für dar Reichs-Kolonialamt. Zunächst gab Staatssekretär Dernburg einen Neberblick über die Etat« der afrikanischen Schutz, gebiete mit Ausnahme von Südwestafrika. Der Etat für Togo balanziere in Einnahmen und Ausgaben, ohne eines Reichszuschusses zu bedürfen. Die Eisenbahn Lome-Palime, welche erst am 27. Januar 1907 eröffnet worden sei, habe vor- züglich rentiert. Kamerun weise eine außerordentlich günstige Handelsziffer für 1907 auf, über 34 Millionen. Das bedeute eine Steigerung von 40 °/o gegen das Vorjahr. Der Etat für Ost- afrika sei mit mehr als 1 Million im Reichszu- schuß zurückgegangen. Das seien 33 ° Diese Entwickelung des Handels sei erfreulich. Die Entwickelung der Südseegebiete sei ebenfalls günstig. Es lass 2 sich mit Sicherheit sagen, daß Deutsch- land die Beträge, die es für den Erwerb der Karolinen seiner Zeit ausgegeben habe, wieder aus dem Gebiet zurückerhalten werde. So biete die Entwickelung der Schutzgebiete ein günstiges Bild dar. Die Kehrseite sei jedoch, daß, jsmehr die Verwaltung vordringe und auf die Eingeborenen einwirke, um so größere Reibungrflächen entständen. Wenn wir zu schnell bezüglich der Eingeborenen vorgingen, würden wir unsere günstige Position nicht halten können. Staatssekretär Dernburg gibt dann eine ausführliche Darstellung der Er- fahrungen seiner Reise nach Deutsch-Ostafrika. Ostafrika lasse sich nicht halten mit bloßer brutaler Machtentfaltung sondern nur durch eine kräftige, gerechte, bei den Eingeborenen Vertrauen er­weckende Verwaltung. Gewisse Züchtigungsmittel gegenüber den Eingeborenen könnten nicht abge­schafft werden, aber Garantien gegen Mißbrauch seien notwendig. Das Gerichtsverfahren sei reformbedürftig, eine Arbeitgesetzgebung notwendig. Verschiedene Wohlfahrts-Einrichtungen für die Eingeborenen seien geplant. Für eine große Einwanderung von deuffchen Einwanderern sei der Zeitpunkt noch nicht gekommen. Das Referat des Staatssekretärs soll gedruckt und den Abgeordneten zugängig gemacht werden.

Berlin 18. Febr. Der Schuhmacher Voigt, der bekannteHauptmann von Köpenick" hat infolge einer unheilbaren Brustleidens ein Gnadengesuch mit Befürwortung der Ge- fängnisleitung eingereicht. Der Ka ise r hat durch Entschließung vom 11. Februar das Gesuch ab­gelehnt.

Brüssel 17. Febr. Der Fall, daß ein Mitreisender in einem Eisenbahnzug denselben absichtlich zum Entgleisen bringt, um sich eine

möglichst schwere Verletzung zuzuziehen und auf Grund derselben eine möglichst hohe Entschädigung zu erlangen, ist wohl in der Kriminalgeschichte bisher nicht vorge kommen. Soeben hat er sich in Belgien ereignet. Es ist schon kurz darüber berichtet worden. Der 45jährige Bauer Nicolas Dardenne in Avernas, einer kleinen Ortschaft bei Landen in der belgischen Provinz Lüttich, war nämlich vor nicht langer Zeit das Opfer einer zufälligen Zugsentgleisung geworden und hatte für eine leichte Knteosrletzung, die nach 8 Tagen geheilt war, von der belgischen Staats­bahnverwaltung eine Entschädigung von 400 Franken erhalten. Seither stieg in dem Gehirn des Bauers der seltsame Gedanke auf, absichtlich eine Zugsentgleisung herbeizuführen, den ent­gleisenden Zug zu benützen, sich eine ernste Ver­letzung zu holen und eine hübsche Summe Geldes vom Staate einzustreichen. Der Plan wurde am 10. Februar ausgeführt. Gegen drei Uhr mor- gens begab sich Dardenne» mit einem großen Stemmeisen bewaffnst, von seiner Wohnung nach der nahegelegenen Eisenbahnlinie, die nach Landen führt und riß die Schienen auf. Sodann trug er das Stemmeisen wieder in seine Wohnung und begab sich auf die Station Avernas, wo er eine Fahrkarte für den ersten Frühzug nach Lan­den löste. In Avernas bestieg er den von Lüt­tich kommenden Zug. Kaum hatte der letztere die Station verlassen, als er an die fatale Stelle kam und entgleiste. Bei der Katastrophe wurden ein Reisender getötet, fünf schwer und zwanzig leicht verwundet. Dardenne hatte das Unglück" sich unter den Leichtverletzten zu be­finden. Die Entschädigung wäre also mager aus« gefollm. Aber die Sache nahm eine ganz andere Wendung. Die Verwundeten wurden nämlich von. dem Landener Polizeikommiffär vernommen, unter ihnen natürlich Dardenne, dessen Antworten aber sehr verworren und verdächtig lauteten. Ec konnte nicht sagen, weshalb er sich so frühzeitig nach Landen begeben wollte und verwickelte sich in derartige Widersprüche, daß der Polizeikommiffär seiire Verhaftung anordnete. Das Verhör fand Länder Wohnung Dardenne- statt. Als der Ver­brecher sah, welche Wendung die Angelegenheit nahm, begab er sich unter einem Vorwand in ein Nebenzimmer und erschoß sich mit einem Jagdgewehr.

Wien 18. Febr. In Au wurde ein junger Mann mit zerschmetterter rechter Hand und einer Wunde am Kopf aufgefunden. Er wurde ins Spital geschafft, wo er angab, er heiße Perutz, sei Gymna- sist und aus Rußland g.flüchtet, da er als Re­volutionär verdächtig sei. Infolge von Not und Entbehrung habe er sich erschießen wollen, der

da« Moorland hinein und schritt auf den Felsenhügcl zu, auf dessen Kuppe der Junge verschwunden war. Alle Umstände hatten sich zu meinen Gunsten gewandt, und ich schwor mir selber zu, wenn der glückliche Zufall mir keinen Erfolg brächte, so sollte dies jedenfalls nicht an Mangel an Tatkraft oder Ausdauer von meiner Seite liegen.

Die Sonne näherte sich bereits dem Horizont, als ich den Gipfel des Hügels erreichte, und die langgestreckten Schluchten zu meinen Füßen glänzten auf der einen Seite in goldigem Grün und waren auf der anderen in graue Schatten gehüllt.

Au« dem Nebelstreifen, der in der Ferne den Horizont verbarg, ragten die phantastisch geformten Umrisse des Belliver und de» Viren Tor hervor. Auf der ganzen weiten Fläche kein Laut, keine Bewegung! Ein großer grauer Vogel, eine Möve oder ein Brachvogel, schwebte hoch über mir in der blauen Luft. Er und ich schienen die einzigen lebenden Wesen zwischen dem Riesengewölbe des Himmels und der weiten Wüste zu sein. Tie traurige Landschaft, das Gefühl der Einsamkeit, das Geheimnisvolle und Dringliche meiner Aufgabe die« olle» ergriff mein Herz mit einem kalten Schauer. Der Junge mar nirgend« zu sehen. Aber tief unter mir in einer Schlucht war ein Kreis der alten Steinhütten, und in ihrer Mitte bemerkte ich eine, die noch hinreichend gut erhalten war, um gegen die Unbilden des Weiters Schutz bieten zu können. Das Herz klopfte mir, als ich sie sah. Dies mußte das Versteck sein, worin der Fremde hauste. Endlich berührte mein Fuß die Schwelle seiner Zufluchtsstätte sein Geheimnis lag greifbar vor mir.

Vorsichtig näherte ich mich der Hütte ich mußte an Stapleton denken, wenn er mit.seinem Netz sich an den Schmetterling heranschlich, der sich auf eine Pflanze niedergelassen und ich bemerkte mit Befriedi­gung, daß die Stätte wirklich als Wohnung benutzt worden war. Ein kaum erkennbarer Fußweg führte zwischen den Granitblöcken hindurch zu dem verfallenen Eingang der Hütte. Drinnen war alles still. Vielleicht hielt der Unbekannte sich dort versteckt, vielleicht aber streifte er auf dem Moor

umher. Die Erregung der Abenteuerlust hielt meine Nerven auf da« höchste gespannt. Ich warf meine Cigarette weg, umspannte mit der Faust den Kolben des Revolvers und ging schnellen Schrittes auf dis Tür zu. Ich sah hinein. Der Raum war leer.

Aber es waren Anzeichen in Menge vorhanden, die dafür sprachen, daß ich auf keiner falschen Fährte war. Ganz bestimmt mußte der Mann hier wohnen. In einen wasserdichten Regenmantel eingewickelt lagen mehrere Wolldecken auf der Steinplatte, die schon den Heiden der Vorzeit als Schlummerstätte gedient hatte. Auf einem primitiven Feuerroste lag ein Haufen Asche. Daneben bemerkte ich einige Küchengeräte und einm holbvollen Wassereimer. Eine Anzahl aufeinander geworfener leerer Zinn­büchsen bewiesen mir, daß die Hütte schon seit einiger Zeit bewohnt sein müsse, und als meine Augen sich erst an das Halbdunkel gewöhnt hatten, sah ich in der Ecke eine Pfanne und eine angebrochene Flasche Branntwein.

Mitten im Raume lag ein flacher Stein, der als Tisch diente, und auf diesem lag, in ein Tuch eingewickelt, ein kleines Bündel ohne Zweifel dasselbe, das ich durch das Fernrohr auf der Schulter des Jungen bemerkt hatte. Es enthielt einen Laib Brot, eine Büchse mit Zunge und zwei Dosen mit eingemachten Pfirsichen. Ich prüfte alle diese Gegenstände sorgfältig, und als ich sie wieder hinsetzte, bemerkte ich plötzlich mit Herz­klopfen, daß unter dem Bündel ein Blatt Papier lag, worauf etwas ge­schrieben war. Ich nahm es in die Hand las folgende Worte, die in un­beholfenen Zügen mit Bleistift gekritzelt waren:

Doktor Watson ist nach Coombe Tracey gefahren." Eine Minute lang stand ich. das Papier in der Hand haltend, regungslos da. Was be­deutete diese kurze Botschaft? So war ich es also und nicht Sir Henry, der von diesem geheimnisvollen Mann belauert wurde? Er war mir nicht selber gefolgt, sondern hatte mir einen Agenten vielleicht den Jungen auf die Spur gehetzt, und die« war der Bericht. Vielleicht hatte ich seit meiner Ankunft aus dem Moor keinen einzigen Schritt gethan, der nicht beobachtet und berichtet worden war! (Fortsetzung folgt).