Dienstag den 24. Oktober 1939
97. Jahrgang Nr. 249
Der Enztäler
-Ins Württemberg
Aus der Gauhauptstadl
— Stuttgart, 23. Oktober.
Halm-Ausstellmig in der Landesbibliothek. Anläßlich der 10. Wiederkehr des Todesjahres und der 70. Wiederkehr des Geburtsjahres von August Halm ist zurzeit eine Auswahl keiner Werke und Schriften in der Landesbibliothek zur freien Besichtigung ausgelegt. Di« Arbeiten zeigen die Vielseitigkeit Halms, der sich bekanntlich als Musiker Maler, Schriftstel- ker und Kritiker betätigt hat. Die Landesbibliothek ist ihm zu bleibendem Dank verpflichtet durch die gewissenhafte Kata- logisierung ihrer Musikhandschriften.
820 Mark unterschlagen und durchgebracht. Der I9jäh- rige Ernst Widmaier aus Schafhausen, Kr. Leonberg, wurde vom Amtsgericht wegen erschwerter Unterschlagung, Urkun- denfälschung, Urkundenvernichtung und Diebstahls zu der Ge- samtstrafe von Lims Monaten Gefängnis verurteilt. W. war als kaufmännischer Angestellter in einem Stuttgarter Laden- geschäft tätig, das auch in seinem Heimatort einige Kunden hatte. Zwer von diesen gaben dem jungen Mann, der bei seinen Eltern in SHafhausen wohnt, Geldbeträge zur Bezahlung von Rechnungen bei der Firma mit, die er dann unterschlug und in schlechter Gesellschaft verpraßte. Insgesamt handelte es sich um rund 820 Mark, die der Bursche in der Heit von Februar bis Juli verpulverte. Um seine Unter chla- gungen zu verdecken, fälschte er Quittungen, zu denen er di« Formular« im Kontor seiner Firma stahl, und die er mit dem Namen des Buchhalters unterzeichnet«. Außerdem vernichtet« er zwei Mahnschreiben, die er den Kunden überbringen sollte.
*
— Rottweil. (Zuchthaus für rückfälligen Dieb.) Vor der Strafkammer hatte sich dieser Tage der Ms Eislingen gebürtige 36jährige ledige Josef Griestr wegen sieben Verbrechen des Diebstahls im Rückfall und zwei Ver- brechen des Betrugs im Rückfall zu verantworten. Der Angeklagte, der erheblich vorbestraft ist, hatte im Laufe dieses Jahres die unglaublichsten Dinge zusammengestohlen, darunter auch einen Koffer, in dem sich ärztliche Instrumente befanden. In einer Schwenninger Uhrenfabrik „besorgte" er sich nicht weniger als 15 Uhren im Werte von über 100 Mark. Als man ihm auf die Spur kam, ergriff er mit einem ebenfalls gestohlenen Motorrad, und als er damit nicht Gehr weiterkam, mit einem Fahrrad die Flucht, um sich dann selbst der Polizei zu stellen. Dis Strafkammer verurteilt^ den Burschen zu einer Eesamtzuchthausstrafe von fünf Jahren und zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren.
— Heilbrsnn. (Weinlese:) Wie im übrigen würt- tembergischen Unterland, so ist auch in Heilbronn die Weinlese in vollem Gange. Es handelt sich in der Hauvtsache um die Vorlese, der sowohl in Heilbronn als auch im Weinsberger Gebiet, im Bottwartal bezw, im Zabergäu die Haupt- leje auf dein Fuße folgen dürfte. In allen Gemeinden unseres Weinbaugcbietes herrscht in den Weinbergen und in den Keltern schon reges Leben.
— Heilbron». (Zwei Diebe fest genommen.) Die Kriminalpolizei verhaftete den 27jährigen Robert Häberer aus Neckargartach und den 21jährigen Otto Lang aus Bök- kingen, die in den letzten Wochen Heilbronn und Umgebung unsicher gemacht hatten. Sie stahlen insbesondere Fahrräder, Bargeld und Lebensmittel. Auf ihren Beutezügen suchten sie auch Bauernhäuser heim. Die Fahrräder, die st« z. T. schon verkauft hatten, konnten den Eigentümern wieder zurückgege- ben werden.
— Schwäb.-Hall. (Gemütskranke springt in den Kocher.) Eine ältere Frau aus Thalheim bei Heil- bronn, die sich wegen eines Magenleidens in der hiesigen Dia- konissen-Kranksnanstalt untersuchen lassen wollte, entfernte sich aus der Sprechstunde des Krankenhauses und sprang gegenüber der Anstalt in die Fluten des zurzeit Hochwasser füh- renden Kochers. Ihre Leiche wurde bei Gelbingen von dortigen Einwohnern geborgen. Nachträglich hat sich herausgestellt, daß die 60jährige Frau an Gemütsdepressionen litt.
— Aalen. (Tödlich-er Unfall.) Beim Rangieren aut dem bieliaen Babnbot oeriet der 25iäbrine Nobnnrbeit->r
Johann Kalmbacher zwischen die Puffer einer Lokomotive. Mit schweren Verletzungen im Unterleib sollte der Verunglückte in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Er ist jedoch noch während des Transports dorthin gestorben.
Schlußstrich unter den Bitderfälscherprozeß . — Stuttgart. Der 1. Strafsenat des Reichsgerichts zog jetzt den prozessualen Schlußstrich unter eine Strafsache, die m Kunsthänolorkreisen weit über Süddeutschland hinaus berechtigtes Aussehen erregte. Vom Stuttgarter Landgericht waren am 10. Mai dieses Jahres zehn Kunsthändler und ein Kunsthistoriker wegen Betrugs und Urkundenfälschung zu teilweise empfindlichen Strafen verurteilt worden. Während sich der Hauptteil der Angeklagten mit den gegen sie verhängten Strafen abgefunden hatte, griffen lediglich zwei das gegen sie ergangene Urteil vor dem Reichsgericht an, das jedoch ihre Revisionen als unbegründet verworfen bat. womit das Urteil im ganzen rechtskräftig geworden ist. Der wegen fortgesetzter gewinnsüchtiger Urkundenfälschung in Tateinheit mit-schwerem Betrug zu drei Jahren sechs Monaten Zuchthaus und zu drei Fahren Ehrenrechtsverlust verurteilte 50 Jahre alte Franz Gerk aus München sowie sein um nenn Jahre älterer Tatgenosse WM Burger aus München, dem wegen vollendeten Betrugs in sieben Fällen und wegen versuchten Betrugs in einem Falle zwei Jahre sechs Monate Gefängnis und drei Jahre Ehrenrechtsverlust zudiktiert worden waren, hatten einen schwunghaften Handel mit gefälschten Oelgemälden betrieben. Anläßlich einer Nachlaßverstei- gerung eines Kunstmalers war Gerk für 200 Mark in den Besitz zahlreicher Oelgemälde gekommen. Zunächst fälschte der Angeklagte die Unterschriften auf den Bildern und ließ sie dann von dem Mitangeklagten Burger „begutachten". So entstanden Gemälde berühmter Maler wie Kaulbach, Spitzweg, v. Schwind usw. Für sündhaft teures Geld wurden dann die „Originale" an den Mann gebracht, wobei die übrigen Angeklagten tatkräftig mitwirkten.
^ Der Deutsche Automobil-Club hilft m v^uttaart. Im Zusammenhang mit den veränderten Verkehrsverhaltnipen, vor allem mit der Stillegung zahl-
lenigen Kraftfahrern, die ihren Wagen stillegen mußten, soll, wie vom DDAE mitgeteilt wird, in der Weise geholfen werden, daß der Ingenieur des „Technischen Dienstes" die Fahrzeuge in den Garagen aufsucht und überprüft, ob sie ordnungsgemäß untergebracht sind und nötigenfalls veranlaßt» daß alle Vorkehrungen getroffen werden, damit das Fahr- Seug ohne Schaden stehen bleiben kann. Es darf selbstver- Itändlich heute weniger denn je Vorkommen, daß durch unsachgemäße Behandlung des stillgelegten Wagenparks Verluste am Volksvermögen entstehen. In diesem Sinne ist die Aufgabe des DDAC-Jngenieurs in erster Linie zu verssth-'n.
Ba-isch- 6Hr»«ik
(!) Karlsruhe, 23. Oktober.
(!) Dieb« und Betrüger vor Gericht. Die Strafabteilung des Amtsgerichts Karlsruhe verhandelte gegen den 30jährigen vorbestraften Kurt Schäfer aus 'Karlsruhe, der in acht Fällen Mansardeneinbrüche verübt hatte. Ferner hatte er eine Frau auf betrügerische Weise um einen Betrag von 10 Mark geprellt. Das Gericht verurteilte den rückfälligen Einbrecher zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und einen Monat. — Der 26jährige vorbestrafte Fritz Schwank aus Baden- Baden hatte bald nach seiner letzten Strafverbüßung in einer Reihe von Fällen leichtgläubige Mädchen unter schwindelhaften Vorspiegelungen angepumpt und dabei Geldbeträge zwischen 5 und 25 Mark ergattert. Dabei scheute er sich nicht, seinen Bruder sterben zu lassen, um sich die angeblichen Beerdigungskosten zu erschwindeln. In zwei Fällen lieh er Fahrräder, die er verkaufte. Das Urteil lautete auf ein Jahr und drei Monate Zuchthaus. — Der 27jährige vorbestrafte Her- bert Eermann aus Dresden hatte in Karlsruhe ein Motorrad entwendet, mit dem er zu seiner Arbeitsstelle in Ottersdorf fuhr. Das gestohlene Motorrad verkaufte er für 250 Mark einem Wirtssohn in Schwarzach. Mit dem Gelds unternahm er eine Vergnügungsreise in Begleitung seiner Freundin nach Koblenz, wo er das Geld restlos verjubelte. Als er abgebrannt war, stellte er sich der Polizei. Das Amtsgericht er- kannte auf eine Gefängnisstrafe von 10 Monaten.
O Bad PetcrsM. (Den Verletzungen erlegen.) Die 40jührige Frau Geiler aus Sundheim, die vor einigen Tagen von einem Motorradfahrer angefahren worden war, ist nun an den Folgen des erlittenen Schädelbruches gestorben.
9 Tribecg. (Brandstifter verhaftet.) Wienunmehr festgestellt worden ist, ist das Feuer im Sägewerk Schyle in Schonach auf Brandstiftung zurückzuführen. Der Verhaftete ist geständig. Durch diese Verhaftung wird wahrscheinlich auch ein vor einigen Jahren erfolgter Brandfall seine Aufklärung finden.
9 Haslach i. K. (Tödlicher Unfallin der Dunkelheit.) Vor einigen Tagen wurde der 45jährige Schlos- sermeister Josef Haser in der Hauptstraße in der Dunkelheit von einem Burschen so angerannt, daß er rücklings zu Boden stürzte und einen schweren Schädelbruch davontrug. Der allseits geachtete Mann ist nunmehr in der Klinik sir Freiburg an den Folgen des Unfalls gestorben. Der Täter konnte noch nicht ermittelt werden, da er in der Dunkelheit zu entkommen vermochte.
H Vittingen. (Unter Lehmmassen begraben.) Der beim hiesigen Ziegelwerk beschäftigte M. Henny wurde beim Lehmgraben durch unvermutet «brutschende Lehmmassen verschüttet. Er konnte zwar alsbald befreit werden, hatte jedoch so schwer« Verletzungen erlitten, daß er kurz nach dem Unfall starb.
(—) Radolfzell. (Von Auto angesahren. — Ein Toter.) Der 68jährige, vorübergehend in Radolfzell wer« lende Bernhard Bäuerle wurde von einem Auto angefahren und zu Boden geworfen. Den schweren Verletzungen ist der Mann im Krcchkenhaus erlegen. In Ueberlingen wurd« ein 15jähriger Junge aus Sipplingen, als er eine Kuh in den Stall bringen wollte, von einem aus Richtung Ueberlingen kommenden Personenwagen angefahren und zu Boden geschleudert. Mit einem komplizierten Schädelbruch wurde der Verunglückte ins Ueberlinger Krankenhaus gebracht.
'(—) Konstanz. (Tödlicher Sprung in den Rhein.) Ein junger Mann von auswärts svrang in der Dunkelheit auf der rechten Fahrbahnseits über das Geländer in der Annahme, auf festen Boden zu kommen. Er mußte diese Unvorsichtigkeit mit dem Tode durch Ertrinken büßen, denn der Sprung ging in den Rhein.
Stuttgarter Wochenmarktpreise. Großhandelspreis« bei Abgabe an den Kleinhandel: Obst und Südfrüchte: Aepfel (Tor Orangen-Renette) und Preisgruppe 1—5 50 kg 15 bis 25 (Höchstpreise vom 23. bis 23. Oktober), Erotzmarkt für Erzeuger, Cor Orangen-Renette 23 bis 39, Preisgr. 1 22 bis 30, 2 13 bis 20, 3 13 bis 17, 4 9 bis 14, 5 8 bis 12; Kochäpfel 9 bis 13 (-), Falläpfel 5 (5), Tafeläpfel ausl.
16 bis 22 (—), Birnen Preisgr. 1 bis 5 15 bis 23 (Preisgr. 1 22 bis 30, 2 13 bis 20, 3 13 bis 17, 4 9 bis 14, 5 8 bis 12), deutsche Pfirsiche 10 bis 12 (-—), Spätzwetschgen 15 bis 16 (—), Weintrauben einh. — (25 bis 33), ausl. 27 bis 29 (—), deutsche Quitten 13 bis 25 (18 bis 23), ausl. 22 bis 24 (-), Walnüsse 32 bis 35 (22 bis 35); Gemüse: Blu- menkohl einh. Freiland 100 St. 20 bis 40 (10 bis 40), Weißkohl rund 50 kg 5 bis 8 (5 bis 6), Wirsingkohl hies. 8 bis S (7 bis 8), Rotkohl 9 bis 10 (7 bis 3), Rosenkohl 100 Stau- gen 20 bis 25 (15 bis 25), 50 kg — (25 bis 30), Grünkohl
17 bis 13 (—), Karotten m. Kraut einh. 100 Bd. — (7 bis 10), gelbe Rüben 50 kg 3 bis 9 (7 bis 8), Kopfkohlrabi 100 St. 6 bis 8 (4 bis 6), Rettiche geb. 100 Bd. — (8 bis 10), weiße einzeln 100 St. 5 bis 3 (3 bis 7), Radies 100 Bd. — (10), Kopfsalat Freil. — (5 bis 10), Treibhaus 12 bis 13 (10 bis 15), Endiviensalat 10 (5 bis 12), Ackersalat 50 kg 70 bis 90 (—), Rote Rüben 100 Bd. 8 bis 9 (7 bis 8), Spinat geputzt 50 kg 16 bis 13 (12 bis 18), Tomaten IS bis 13 (10 bis 15), Treibhaus — (20 bis 25), Sellerie m. Kraut 100 St. 15 bis 25 (6 bis 20), Zwiebeln 50 kg 8 bis 9 (7 bis 8), Kartoffeln lange gelbe und runde gelbe 50 kg 3,2 (3,2), weiß, rot und blau 2,9 (2,9). Marktlage: Zufuhr m
> Qbst genügend, in Gemüse reichlich. Nachfrage sehr lebhaft.
komsn von si/Isris Lokmicitsbsrg
Urheber-Rechtslchuh: Drei Quellen-Verlag, köntgsvrück tvez. Dresden)
341
Auch Gleichgültigkeit kann wehe tun; auch Gleichgültigkeit kann wie ein Vorwurf sein: Ach, was liegt schon daran! Hille stieg es schon wieder heiß und bitter in die Kehle. Sie würgte daran und aß wenig. Sie war froh, als sie aufstehen und den Tisch abräumen konnte. Die Mutter ging mit hinaus in die Küche, still und bedrückt.
Eine Weile war es still zwischen den Männern. Das Licht der Lampe fiel voll auf das Gesicht des Alten und zeigte deutlich, wie sehr er im letzten halben Jahre gealtert war. Schwiethardt war das eigentlich noch nie so sehr ausgefallen wie jetzt. Mitleid überkam ihn und die Erkenntnis: Mochten sie alle unter des Vaters Wesen leiden, am meisten litt doch er selbst!
Schwiethardt begann wieder von wirtschaftlichen Dingen zu sprechen.
„Möllers hat vorhin Nachricht geschickt; der Kunstdünger ist eingetroffen. Wir müssen ihn morgen vom Güterbahnhof abholen. Ich denke, ich werde selbst fahren, damit die Knechte bei der Ackerarbeit bleiben können."
Er schwieg und wartete auf Antwort. Sie kam, aber ganz anders, als er gedacht hatte. „Morgen", sagte der Alte langsam, „morgen fahre lieber nicht zum Bahnhof. Morgen ist doch die Beerdigung von der Verunglückten."
Schwiethardts Stirn rötete sich. Alle im Hause hatten von dem tragischen Ende der jungen Frau Bormann, das in der ganzen Umgegend so viel Teilnahme hervorrief, in der Zeitung gelesen. Keiner hatte aber gewagt, davon zu sprechen und den Namen Bormann zu nennen. Und nun tat der Vater es in diesem Zusammenhänge!
„Es könnte dann sein", fuhr er fort, „daß du jemand triffst, der mit dem Zuge zur Beerdigung ankommt. Du
weißt, wen ich meine; schon einmal hast du sie ja unvermutet auf dem Bahnhof getroffen."
Schwiethardt wurde immer verwirrter. Was bezweckte der Vater mit diesem Gespräch? Wollte er wirklich nur verhindern, daß er Lena wiedersah? Die nächsten Worte gaben ihm Aufklärung:
„Vielleicht — wäre es damals noch nicht zu spät gewesen."
Da wurde Schwiethardt mit einem Schlage zur Gewißheit, was er schon längst geahnt hatte: Daß der Vater feine Handlungsweise von damals als Irrtum erkannt hatte und längst bereute. Er sah dem Alten fest in die Augen.
„Doch! Damals war es längst zu spät. Zu spät war es in der Stunde, da ich sie ohne ein Wort verließ."
Sein Vater senkte den Kopf. Vor seinem Geiste stand wieder Lenas Bild, ihre Augen, wie sie ihn anstarrten, als er ihr in kalten Worten Schwiethardts Fortgang mitteilte, und da wußte er plötzlich, daß Schwiethardt recht hatte. Ach, warum sprach man überhaupt davon; es hatte ja alles keinen Zweck. Alles war verpfuscht!
Dora Eickhoff kam herein und verhinderte eine Fortsetzung des Gespräches.
„Du mußt nun aber wirklich ins Bett, Hermann, du übernimmst dich sonst."
„Ja, ich gehe schon." Er erhob sich schwerfällig. —
Schwiethardt schlief in dieser Nacht wenig; die Worte des Vaters ließen ihn nicht los. Zweifellos würde Lena zur Beerdigung der Schwägerin in Göhrden sein. Seit fast vier Jahren hatte er sie nicht mehr gesehen. Wenn er wollte, würde sich jetzt eine Gelegenheit finden. Ja, wollte er denn? Durfte er denn? War es nicht eine unnötige Qual für ihn? Wenn er an jene Begegnung auf dem Bahnhof dachte! Nein, so nicht wieder! Aber heimlich, ohne daß sie es ahnte, ohne daß sie selbst ihn sah!
Übermächtig wurde der Wunsch in ihm. Ruhelos kreisten die Gedanken hinter seiner Stirn. Endlich aber, nach Stunden, hatte er einen Entschluß gefaßt.
Als Schwiethardt am nächsten Tage den Kunstdünger
aufgeladen hatte, stellte er sein Gespann in einer Gastwirt- schaft in der Nähe des Bahnhofs unter. Er müsse noch etwas im Dorfe besorgen, wobei ihm das Gespann lästig wäre, sagte er.
Dann ging er in eine Wirtschaft, die gerade der Kirche gegenüber lag. Er bestellte sich ein Glas Bier und setzte sich ans Fenster. Von hier aus konnte er ganz-genau beob- achten, wenn das Leichengefolge die Kirche verließ. Lange konnte das nicht mehr dauern.
Wirklich verkündete auch bald Glockengeläut, daß der Trauergottesdienst zu Ende war. Die Trauergemeinde entströmte den Kirchtüren. Viele Menschen hatten Anna Bor- mann das letzte Geleit gegeben. Wenn sie selbst auch wohl nicht sonderlich beliebt gewesen war, ihre Angehörigen waren es desto mehr.
Schwiethardts Augen suchten Lena, ohne sie zunächst zu entdecken. War sie denn nicht dabei? Doch da sah er sie inmitten ihrer Angehörigen. Langsam kamen sie über den Kirchplatz zur Straße, immer wieder mußten sie teilnehmende Hände drücken.
Schwiethardt saß hinter der Scheibengardine verborgen und konnte alles genau beobachten. Nun waren sie auf der Straße, kaum fünf Meter von ihm entfernt. Lena hatte den für die Angehörigen üblichen Kreppschleier zurückgeschlagen, so daß er jeden Zug ihres zarten Gesichtes erkennen konnte. Rührend lirblich sah es in der schwarzen Umrahmung aus. Er trank den Anblick in sich hinein mit durstigen Augen. Sein Herz klopfte. O Lena! Lena! Wenn du ahntest!
Jetzt trat ein hochgewachsener, nicht mehr ganz junger Mann zu der Gruppe. Er drückte allen teilnehmend die Hand und wandte sich dann an Lena.
An ihrer Seite ging er langsam weiter, als ob er zu ihr gehörte. Dabei sprach er in einer ruhigen, behutsamen Art mit ihr, und — Schwiethardt erkannte es deutlich — sein Gesicht hatte einen liebevollen Ausdruck.
Eifersucht überfiel Schwiethardt. Wer war dieser Mann? Hatte er Rechte an Lena? War er vielleicht gar ihr Verlobter?
l^orsietzava folgt.)