Dienstag den 8. Dezember 1938
Der Enztäler
96. Jahrgang Nr. 285
/Ins Württemberg
— Reckarsulm. (Vom Starkstrom getötet). Seit einigen Wochen führt eine Stuttgarter Firma in einem Neckarsulmer Großbetrieb allgemeine Bauarbeiten durch Dabei kam ein 32 Jahre alter verheirateter Arbeiter der Firma aus Herbolzheim einem von der Starkstromleitung zur Betonmaschine führenden Kabel zu nahe. Das Kabel war defekt, sodaß der Unglückliche vom Starkstrom auf der Stelle getötet wurde.
— Balingen. (Tödlich überfahren). Abends fiel der 57 Jahre alle Bauer Martin Schmid aus Balingen einem schweren Unfall zum Opfer, als er mit seinem Sohn Holz nach Haufe fuhr Schmid geriet bei dem Versuch, die Wagenbremse zuzudrehen, zu Fall, und ein Rad des lchwer- beladenen Wagens ginu über ihn hinweg. Der Bedauernswerte erlitt so schwere innere Verletzungen, daß er kurz nach der Einlieferung in die Tübinaer Klinik starb.
— Vaihingen a. d. A. (Spinale Kinderlähmung) In einer auf der Bachstraße wohnenden Familie ist ein Fall von spinaler Kinderlähmung festgestellt worden. Es sind sämtliche Maßnahmen getroffen worden, um eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern.
— Reutlingen. (Von der Heilanstalt Maria- b e r>g). Im Jahresbericht der Heil- und Pflegeanstalt für Schwachsinnige in Mariaberg für das Jahr 1937/38 wird besonders des im Frühjahr ausgeschiedenen Direktors Karl Wacker gedacht, der fetzt in Vaihingen a F im Ruhestand lebt. 44 Jahre, davon 14 Jahre als Leiter, hat er an der Anstalt gewirkt und mit Genugtuung dar? er auf sein Lebenswerk zurückblicken Zum Nachfolger wurde Oberlehrer Erich Kraft bestimmt. Ebenfalls ausgeschieden ist nach 33jäh- riger Tätigkeit Medizinalrat Dr. Burkhardth-Gammertin- gen; die ärztliche Betreuung geht nunmehr auf seinen Sohn über, der praktischer Arzt in Gammertingen ist. Die Anstalt u>ar im vergangenen Jahr voll belegt. Am 1. Juli 1938 waren es 202 Zöglinge, davon 139 männliche und 63 weibliche. Zurzeit beherbergt die Anstalt 206 Pfleglinge, eine Zahl, die in der 91jährigen Geschichte der Anstalt noch nie erreicht wurde. Man lieht darin die Auswirkung einer strengeren Auslese in den Volks- und damit auch in den Hilfsschulen.
— Tübingen. (Sturz aus 4 m Höhe). Dieser Tage stürzte der Techniker Erwin Bisinger aus Reutlingen, der an einem Neubau in Tübingen beschäftigt war, aus einer Höhe von 4 m ab. Bisinger trug bei dem Sturz einen Knöchelbruch und Kopfverletzungen davon, die seine Ueberfüh- rung in die Tübinger Klinik erforderlich machten.
Ein Ehepaar Opfer eines Gasrohrbruchs
— Nürtingen. Frühmorgens wurden der im Ruhestand lebende Postbeamte Christian Dietz und seine Ehefrau in ihren Betten tot aufgefunden. Als man in die Wohnung kam, bemerkte man sofort außerordentlich starken Gasgeruch. Es stellte sich heraus, daß sich nachts ein Gasrohrbruch ereignet hatte, der den Tod des Ehepaares zur Folge gehabt hat.
— Erailsheim. (Autofledderer, festgeno m» m e n). Die Crailsheimer Polizei konnte einen Dieb festnehmen, der es auf die Ausplünderung parkender Kraftfahr, zeuge abgesehen hatte, aus denen er hauptsächlich Muster- koffer, Radio- und Fotoapparate sowie Aktentaschen ent- wendete. Es konnten ihm derartige Diebstähle in Crailsheim und Stuttgart nachgewiesen werden.
— Bietigheim. (Neuer Ortsgruppenleiter). Nachdem der bisherige Ortsgruppenleiter der NSDAP. Rektor Stahl) nach Ludwigsburg verletzt worden ist. hat Kreisleiter Trefz dem bisherigen Ortsgruppenleiter in Heutingsheim, Pg. Hanns Zahn, die kommissarische Leitung der Ortsgruppen Bietigheim-Ost und West kommissarisch übertragen.
— Weingarten. (Ein sauberes Kleeblatt.) In sicheren Gewahrsam wurden drei junge Lausbuben aus Baienfurt und Weingarten gebracht. Sie hatten im Laufe der letzten Monate Motorräder und Personenkraftwagen gestohlen und dann die Fahrzeuge irgendwo stehen lassen. 17 solcher Diebstähle haben die Burschen bereits zugegeben.
— Geradstetten. Kr. Waiblingen. (Vom Anhänger überfahren.) Am Ortseingang von Geradstetten sprang der Begleiter eines Lastzugs, um die Fahrzeuge wegen der Steigung mit Bremsklötzen zu sichern, von der Zugmaschine. Dabei glitt er aus und stürzte so unglücklich, daß er vom Anhänger überfahren wurde. Der Unglückliche war sofort tot.
Aus der Gaukauvtffadi
— Stuttgart. 5 Dezember.
Schwere Verkehrsunfälle. Auf der Kreuzung Waiblinger- und Daimler-Straße in Bad Cannstatt wurde ein 35 Jahre alter Mann von einem Kraftrad angesahren und verletzt. — Nachts wurde ein 40 Jahre alter Mann von einem Stra- ßenbahnzug der Linie 1 in Kaltental angefahren, zu Boden geworfen und am Kops, Arm und Fuß verletzt. Der Verletzte der unter Alkoholeinfluß stand, mußte mit dem Sanitätswagen in das Katharinenhospital übergeführt werden.. — Weiter ist aus der Straße Weiliindorf^Ditzinaen e,n 67 Jahre alter pensionierter Beamter von einem Personenkraftwagen angefahren und so schwer verletzt worden, daß er aus dem Transport ins Krankenhaus starb. — Am selben Tag wurde ein 60 Jahre alter Mann Ecke Deckerund Martin-Luther-Straße in Bad Cannstatt von einem Personenkraftwagen angefahren und zu Boden geworfen. Außer einem Bruch des rechten Unterschenkels hat der Verletzte eine Nückgratquetschung sowie leichtere Prellungen an Kopf und Schulter und eine Gehirnerschütterung davongetragen. — Endlich erfolgte in der Augsburgerstraße in Skuttgart-Obertürkheim zwischen einem Lieserkraftwagen und einem Kleinkraftrad ein Zusammenstoß, wobei beide Fahrzeuge beschädigt wurden. Der 30 Jahre alte Lenker des Kraftrads hat schwere innere Verletzungen daoonge- tragen.
^938er Wem« und Mostpreise
Im Gaststättengewerbe Würtkemberg-Hohenzollern Von der Wirtschastsgruppe Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe für den Wirtschaftsbezirk Württemberg-Ho- henzollern werden die Mitglieder aus die Verpflichtung hingewiesen, die ihnen, in Fällen der Rückzahlung des den Weingärtnern zuviel bezahlten und deshalb beanstandeten Weinpreises, die Ueberprüfung der Kalkulation der Verkaufspreise auferlegt. Bekanntlich erkennt das württember- gische Wirtschaftsministerium eine Brutto-Verdienstspanne für Gaststätten mit normalen Unkosten von 100 vH an. ^ Wenn der Einstandspreis durch die Rückzahlung gesenkt wird, ist der Betriebsführer verpflichtet, eine entsprechende Ermäßigung seines Verkaufspreises vorzunehmen, auch wenn es sich hierbei lediglich um Pfennigbeträge handelt.
Auf Grund der derzeitigen Bestimmungen über die Weinpreise 1938 ist der Gastwirt berechtigt, der Errechnung des Verkaufspreises den amtlichen Preis zugrunde zu legen und einen Höheren Preis nur dann, wenn dieser ausdrücklich vom Weinwirtschaftsverband genehmigt war. Wenn also der Wirt als Einstandspreis den tatsächlich bezahlten Preis seiner Kalkulation zugrunde gelegt hat. dieser aber nicht genehmigt war, so hat er sich an und für sich strafbar gemacht. Ein höherer Preis darf nur dann als Einstandspreis bei der Kalkulation dienen, wenn er schriftlich vom Weinbauwirtschaftsverband genehmigt war.
Bei der Kalkulation der Weinpreise in der geschilderten Weise kommt es häufig vor, daß der Preis für ein Viertel nicht immer in 0,05 und 0,10 Mark aufgeht. In derartigen Fällen ist es nicht statthaft, die Preise stets aus 5 oder 10 Pfennig aufzurunden. Die Gäste müssen das Vertrauen haben, daß die Weinpreise außerordentlich sorgfältig kalkulier»
sind. Es ist daher erforderlich, daß in der Weinkalkulation auch der Pfennig wieder zu Ehren kommt.
Die reiche Obsternte des Jahres 1937 und die damit verbundenen billigen Mostobstpreise hatten den württ. Wirt- schaftsminister veranlaßt, mit Schreiben vom 26. Oktober 1937 den Ausschankpreis für Most bei Wirten auf 13 Pfg.. bis höchstens 15 Pfg einschließlich der Getränkesteuer zu begrenzen. Nachdem im Jahre 1938 die Obsternte außerordentlich gering ausgefallen und der Einstandspreis für Mostobst gegenüber dem Vorjahr wesentlich höher ist. hat der Minister (mit Schreiben vom 24 11. 38) mitgeteilt, daß er im Hinblick auf die Steigerung des Einstandspreises für Mostobst nichts dagegen ein,zuwenden habe, wenn der Aus- schankpreis für Most aus der Ernte 1938 entsprechend dem Mehraufwand beim Einkauf des Mostobstes bis zur Höhe des Stoppreises vom Oktober 1936 (in der Regel 18 Pfg.) hinaufgesetzt wird. Dabe! wird aber zur Auflage gemacht, daß der Ausschank von Most aus der Ernte 1938 besonders zu bezeichnen ist. De» Most aus der Ernte 1937 muß z» den bisherigen Prellen (also höchstens 15 Pfg.) ausgeschenkt werden. Sofern einzelne Wirte den Nachweis erbringen können, daß die Einhaltung der Ausschankpreise von 18 Pfg. eine nichtzumutbare Härte für sie bedeutet, können diese eine Ausnahmegenehmigung für eine weitere Preiserhöhung bei der Wirtschaftsgruppe Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe beantragen.
Aus den Rachbargauen
Ein Mann totgefahren. — Der Fahrer flächtet«.
(!) Karlsruhe. Die Kriminalpolizeistelle teilt mit: In der Nacht zum Sonntag wurde auf der Durmersheimer Landstraße (Gemarkung Karlsruhe) der Hilfsheizer Johannes Kassel, 37 Jahre alt und aus Durmersheim, der auf seinem Fahrrad in Richtung Karlsruhe fuhr, durch einen ebenfalls in Richtung Karlsruhe fahrenden Kraftwagen angefahren und tödlich verletzt. Ter Fahrer des Kraftwagens ist ohne anzuhalten geflüchtet und unerkannt entkommen. Bei dem Kraftwagen handelte es sich nach den Feststellungen um ein Lieferauto mit Zwillingsrädern, vermutlich ohne Anhänger. Die Windschutzscheibe des Wagens ist zertrümmert. Im Interesse der Aufklärung des Falles wird das Publikum um Mitsahndung nach dem beschädigten Kraftwagen gebeten. Insbesondere werden Tankstellen, Reparaturwerkstätten, Glasereien usw. ersucht, verdächtige Wahrnehmungen unverzüglich der nächsten Gendarmerie- oder Polizeistation oder Polizeiwache zu melden. An alle Lieferfirmen ergeht die Aufforderung, schnellstens mitzuteilen, ob nicht einer ihrer Kraftwagen zur angegebenen Zeit (Nacht auf den 4. Dezember) die Durmersheimer Landstraße befahren mußte.
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Lastzug stürzte in den Neckar, m Zwingenberg b. Eberbach. Ein vom Taubergrund kommender mit Grünkern beladener Lastzug geriet aus noch nicht aufgeklärtem Grunds von der Fahrbahn ab und stürzte über die 8 Meter hohe Böschung in den Neckar hinab. Motorwagen und Anhänger gingen vollständig in Trümmer. Die beiden Fahrer konnten nur mit Müh« geborgen werden. Man schaffte sie mit schweren Verletzungen ins Eberbacher Krankenhaus.
Auto überschlug sich — Ein Toter, zwei Verletzte Frankfurt a. Rl. Ein aus Wiesbaden kommender Personenkraftwagen geriet abends gegen 20 Uhr auf der Autoumgehungsstraße bei km 22.3 ins Schleudern und überschlug sich Von den drei Insassen wurde der 35jährige Hermann Eberhardt aus Darmstadt auf der Stelle getötet Die beiden anderen Insassen kamen schwerverletzt in ein Krankenhaus. Als einige Zeit später ein Fernlastzug an der Unfallstelle halten wollte, geriet er in des, Straßengraben und stürzte uw Dabei wurde der Fahrer verletzt
<3. Fortsetzung.!
Die Fran nickt erust und schwer.
' „Wo ist Bernd?" fragt Helbing i» säb aiisbrcchcnder Angst.
„Obe» . !» der Wohnung . .
..Warum sitzen Sie hier a» seinem Platz . . .? WaS tst geschehe» . . .? Um Himmels willen, was ist geschehen?"
„Er ist blind . . . seit zivet Jahren schon . . . unheilbar .
„O Gott," stöhnt Heilung, und sein Auge sieht di Frau on, iveiterznsprechen, -n erklären.
Und sie tnt cs. Leise, mit Pansen zwischen den Sätzen
„Ebenso lange beinahe bin ich seine Frau . . . Recht? anwältin . Chef der Rainerkanzlei. in der ich vorbei als junge Neferendarin angestellt war . . Oft spra< mein Mann von Ihnen, seinem besten Freund. Ni! mals aber brachte er cs über sich. Ihnen Nachricht gebe zu lassen von seinem Unglück. . ."
In schwerer Erschütterung vernimmt Helding die tie kanrige Geschichte. Bei einem Äutoiuifall mar Bern Namer so furchtbar zu Schaden gekommen, daß er da Augenlicht verlor. Nach langem, schwerem Krankenlag: war er - als Blinder genesen.
„ . . . all das namenlose, seelische Leid, das den Nie, scher, nach dieser niederschmetternden Erkenntnis «bei fallt und das wir in seiner ganzen, bitteren Trostlvsic reit niemals nachftthlen können, hat Ihr Freund e» leben müssen . Schließlich hat er sich so weit dnrck gerungen, um sein Kreuz, das Sein in ewiger Nach auf sich zu nehmen und über einen Weg »achzndenkei -er es thm ermöglicht, die Kanzlei, das Erbgut dc Familie, dem er sich verantwotrlich fühlt, weiterzufül ren. Ich, die als Neferendarin eiugetreten war, halt Mittlerweile meinen Doktor gebaut, war Nechtsamvst ttn geworden und bemüht gewesen, den kranken Chef f gut als möglich zu vertrete». Es war mir geglückt. S
i sehr geglückt, daß Doktor Bernd Rainer mir den Bor- l schlag offizieller Ucberuahme und Leitung der Kanzlei i machte. Ueber den Weg e".ncr Heirat, als Formalität gedacht. Ich bin gern darauf einaegangen . .. habe damit meine Existenz i» dieser wirtschaftlich schweren Zeit begründet und meinem Leben Inhalt gegeben ... Durch ? seine hochqualifizierte interne Mitarbeit unterstützt mein Mann meine Tätigkeit als Chef dieser großen Kanzlei, d'ercn alter, guter Ruf sich in diesen zwei Mhren durch neue, nicht unbedeutende Erfolge erwei- teru und erhärten ließ. . ."
Ruhig und sachlich hat die mädchenhafte Fran zum Schluß gesprochen. So, als berichte sie das Schicksal Dritter.
Aber Heilung kann da nicht so einfach mit. Seine verstörte Miene verrät cs.
„Ich bringe Sie nicht früher zn Bernd. Herr Helbing, ehe Sie nicht völlig gefaßt sind und all das in sich verarbeitet haben, was jetzt mit so grausamer Plötzlichkeit auf Sie eingestürmt ist ... Ebenso muß ich auch meinen Mann entsprechend ans die Begegnung nnt Ihnen vor- bereiten. Nichts darf ihn mehr unerwartet treffen..."
Das Läuten des Telephons ans ihrem Schreibtisch unterbricht Blandine. Sie spricht in die Muschel, gibt ihre Anweisungen, trifft Verfügungen, macht dabei Notizen ans einem Schrcibblock, ist ungeachtet des eben geführten, aufwühlenden Gesprächs vollkommen bei der Sache, ruhig und bestimmt.
„Entschuldigen Sie," wendet sie sich nach beendetem Telephonat an Heilung.
„Ich möchte Sie jetzt auch nicht mehr länger aus batten, gnädige Fran . .
„Bitte, nicht diese Anrede," fällt sic ihm ins Wort, „ich höre sie nicht gerne und darf dies Ihnen gegenüber wohl auch gleich ofien sagen."
„Gewiß . . . Fran Doktor."
„Schön, Herr Heilung . . . und kommen Sie doch bitte abends ... zu Tisch . . . gleich in die Wohnung . .
„Gern ..
Franz Helbing hät Wort gehalten. Gefaßt und gesammelt ist er dem Freunde gegenübergetreten, der seit seiner Erblindung doppelt hellhörig und feinfühlig geworden ist. Es ist ihm gelungen, sein heißes Mitleid in innige Wärme menschlicher Teilnahme zn kleiden und damit dem tibersensitiven Blinden eine Brücke zn bauen, daraus die Freunde zueinander finden konnten — beinahe wie in früheren Zeiten.
Das Abendessen in dem großen, in altdeutschem Stil gehaltenen Speisezimmer ist beendet.
Helbing hatte dabei wiederholt Gelegenheit gehabt, die Geschicklichkeit des Blinden anzustaunen. Sie ist durch die Gewandtheit des aufwartenden Dieners er- ! möglicht worden, der wiederum von kurzen Blicken der Hausfrau fast unmerklich angcleitet worden war. Ein flüchtiger Beobachter hätte kaum bemerkt, daß der eine der speisenden Herren ein Blinder war.
Denn auch die grüne Brille, die Bernd Rainer trägt, fit nicht sonderlich auffallend. Ungezwungen, ist die Haltung seiner stattlichen Gestalt. Sicher sind die Be- wegungen seiner schmalen weißen Hände, die in ihrer müden Resignation — mehr als das etwas maskenhaft starre Gesicht des Mannes — tapfer getragenes Leid verraten.
Man spricht bewußt nnd absichtlich nur von Helbiüg: von seiner Zeit auf Java; von feinen jetzigen Berliner Plänen . . . Mit Interesse und Verständnis stellt die Frau des Hauses Fragen, gibt Anregungen, äußert ihre Ansicht . . . Sie ist es, die in selbstverständlicher, unaufdringlicher Form die Art der Unterhaltung lenkt.
Wohl versteht Helbing ihre Absicht, die Befangenheit bannen will, solange noch Gefahr dafür besteht. Sein dankbarer, bewundernder Blick sucht sie, die in derselben puritanischen Kleidung, in der sie in der Kanzlei amtierte, auch zu Tisch sitzt.
Warum hat sie sich nicht umgezogen? mutz er denken. Warum trägt sie nichts Frohes, Heiteres, Gefälliges an diesem sonnigen Frühlingstag? Seine stummen Be- trachtungen werden unterbrochen.
„Den Kaffee nehmen wir in der Loggia." hebt Blan- dine die Tafel auf.
Gleichzeitig reckt Lord sich hoch, ein Prachtexemplar der jetzt seltenen reinen Vernhardincrrasse, der ruhig zu Bernds Küßen gelegen hatte. Schmeichelnd vergräbt der Blinde seine Hand in das weiche Fell des Hundes, der seinen Herrn zn dem glasüberdecktsn und mit blühenden Topfpflanzen ansgeschmückten Erker geleitet, daß dies gar nicht nach „Führen", sondern vielmehr wie ein Miteinandcrgehen anssieht.
„Kaffee ist etwas sehr Schönes, Dina," meint Bernd, „wie wäre es aber heute mit einem GlaS Sekt zu Ehren des lieben Heimkehrers?"
„Ein guter Gedanke. Bernd. EmU wird gleich eine Flasche bringen. Sie mag auch gleichzeitig mich vertreten, die ich bitte, mich für den Rest des Abends z' entschuldigen."
„Du willst dich schon zurttckzieSen. Dina?"